Titel:
Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruchs durch den Dienstherrn bei Widerstand anlässlich einer Festnahme
Normenkette:
BayBG Art. 97 Abs. 1, S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1
Leitsätze:
1. Alleine die Motivation, sich der Festnahme zu entziehen, reicht nicht aus, um von einer zielgerichteten Verletzungshandlung im Sinne des für die Annahme eines tätlichen Angriffs erforderlichen subjektiven Elements auszugehen. Geht das Verhalten darüber hinaus und weist zielgerichtete, direkt auf die körperliche Unversehrtheit des Beamten gerichtete Handlungsweisen auf, liegt gleichwohl ein tätlicher Angriff im Sinne der Norm vor Dabei reicht bedingter Vorsatz hinsichtlich eines etwaigen Körperschadens beim Beamten aus. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ausübung des Entschließungsermessens wird durch den Halbsatz "soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist" dahingehend vorgegeben, dass bei Vorliegen einer unbilligen Härte der Dienstherr zur Erfüllungsübernahme verpflichtet ist. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn, tätlicher Angriff, Gemengelage, bedingter Vorsatz, Versäumnisurteil, Vermögensverzeichnis, Beamte, Dienstherr, Dienstunfall, Polizeibeamter, Schmerzensgeld, Schmerzensgeldanspruch, Ermessensspielraum, unbillige Härte, Verletzungserfolg, Zurechnungszusammenhang, Festnahme, Flucht, Widersetzen, Widerstand, bedingter Schädigungsvorsatz, Ermessen, Erfüllungsübernahme, Uneinbringlichkeit
Fundstelle:
BeckRS 2025, 14147
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 31. August 2023 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erfüllungsübernahme vom 6. Juni 2023 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
2.Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruchs nach Art. 97 BayBG.
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1. Der Kläger steht als Polizeibeamter in Diensten des Beklagten. Er ist bei der zivilen Einsatzgruppe der Polizeiinspektion … tätig.
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Am 29. März 2022 beobachtete der Kläger, dass der spätere Schädiger, …, in einem Geschäft in der … in … Gegenstände entwendete. In der Straße …, …, gab sich der Kläger dem späteren Schädiger als Polizeibeamter zu erkennen und kündigte ihm die vorläufige Festnahme an. Der spätere Schädiger versuchte daraufhin zu flüchten, weshalb ihn der Kläger an einem Taschengurt festhielt. Der Kläger brachte den späteren Schädiger sodann zu Boden, nachdem dieser sich weiterhin versuchte loszureißen und zu flüchten. Am Boden liegend griff der Schädiger dem Kläger ins Gesicht, zog ihm die Brille herunter und zerbrach diese mit beiden Händen. Gegen die angekündigte Fesselung sperrte er sich, indem er seine Hände unter dem Körper verbarg und mit seinen Füßen um sich trat. Der Kläger erlitt dabei einen Riss in der Bizepshülle sowie einen Riss in der Supraspinatussehne der linken Schulter.
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In einem Antrag vom 29. März 2022 auf Anerkennung eines Dienstunfalles führte der Kläger insbesondere aus, es sei im Rahmen eine Festnahme nach einem Diebstahl zu Widerstandshandlungen gekommen, so dass der Schädiger zu Boden gebracht werden habe müssen. Da dieser sich hiergegen gesperrt habe, habe er ihn mittels eines Hüftwurfes zu Boden gebracht. Im Anschluss habe er Schmerzen in der linken Schulter verspürt. Mit Bescheid vom 27. Juni 2022 wurde das Ereignis als Dienstunfall mit den Folgen Distorsion der linken Schulter mit kleinem gelenkseitigem Einriss der Supraspinatussehne anerkannt.
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Auf die am 25. Oktober 2022 namens des Klägers zum Amtsgericht … gegen den Schädiger erhobene Klage verurteilte das Amtsgericht diesen mit Versäumnisurteil vom 13. Dezember 2022 im Wesentlichen zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.200,00 EUR an den Kläger (* …*). Dieses Urteil ist in Rechtskraft erwachsen.
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Auf einen Vollstreckungsversuch hin gab der Schädiger am 17. Mai 2023 gegenüber dem Obergerichtsvollzieher … ein Vermögensverzeichnis ab, aus dem sich insbesondere ergibt, dass derzeit keine Zahlung möglich sei (* …*).
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2. Mit am 6. Juni 2023 eingegangenem Antrag vom 5. Juni 2023 beantragte der Kläger beim Beklagten die Erfüllungsübernahme des Schmerzensgeldanspruchs nach Art. 97 BayBG.
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Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31. August 2023 ab.
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Ein Angriff im Sinne von Art. 97 BayBG setze eine objektive unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung auf Grund einer zielgerichteten Verletzungshandlung voraus. Der Angriff sei dann als tätlich zu klassifizieren, wenn er auf einen physischen Schaden gerichtet sei. Es bedürfe einer unmittelbaren körperlichen Einwirkung auf den Beamten. Mit Bezug auf die Klageschrift vom 25. Oktober 2022 lasse der Vorfall keinesfalls auch den Rückschluss auf einen tätlichen Angriff im Sinne des Art. 97 BayBG zu. Ein tätlicher Angriff im Sinne von Art. 97 BayBG umfasse die von einem Menschen ausgehende vorsätzliche Verletzung der Rechtsgüter Leben und körperliche Integrität, setze mithin eine zielgerichtete Verletzungshandlung und eine unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung voraus. Unmittelbar und zielgerichtet bedeute, dass der Schädiger durch bewusstes und gewolltes Handeln eine Körperverletzung des Beamten herbeiführen könne und möchte, ohne dass es dafür noch des Hinzutretens anderer Faktoren bedürfe, die er selbst nicht beeinflussen könne. Zwar habe der Schädiger einen gewissen Widerstand in Form von Flucht und auch durch Sperren und Treten bei der Fesselung geleistet. Jedoch habe … den Kläger zu keiner Zeit tätlich angegriffen, also gezielt versucht, ihn zu verletzen. Auch aus dem Dienstunfallverfahren ergingen keine Informationen, die für einen tätlichen Angriff des Schädigers gegen den Kläger sprechen würden.
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3. Mit am 25. September 2023 zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erhobener Klage verfolgt der Kläger seinen geltend gemachten Anspruch weiter.
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Der im Bescheid des Beklagten angegebene Sachverhalt sei bereits unzutreffend. Es habe eine körperliche Auseinandersetzung am Boden stattgefunden. Der Schädiger habe dabei versucht, den Kläger im Gesicht anzugreifen, was der Kläger zwar insofern vermeiden habe können, dass er seinen Kopf wegbewegt habe. Dennoch sei der Schädiger in der Lage gewesen, die im Gesicht getragene Brille zu ergreifen und diese daraufhin zu zerbrechen. Nachfolgend seien auch weiterhin Widerstandshandlungen gegen die nunmehr angekündigte Fesselung erfolgt, indem der Schädiger seine Hände unter den Körper verborgen habe und sich sodann gesperrt habe und mit den Füßen um sich getreten habe. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe der Schädiger nicht einen gewissen Widerstand in Form von Flucht und durch das Treten bei der Fesselung geleistet, vielmehr habe der Schädiger gezielte (gegen den Kopf) und ungezielte Angriffe (durch die Tritte) unternommen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dieser Angriff auf das Gesicht des Klägers gerichtet gewesen sei, dass innerhalb des einheitlichen Lebenssachverhalts der Festnahme, Fixierung und anschließender Fesselung des Schädigers dieser auch tätliche Angriffe auf den Kläger vorgenommen habe. Art. 97 BayBG setze nach der Rechtsprechung des BayVGH nicht voraus, dass diejenige Verletzung, bei der ein Schmerzensgeldanspruch entstehe, durch einen tätlichen Angriff verursacht worden sei. In der vom Beklagten selbst zitierten Entscheidung vom 3. Dezember 2021 (3 ZB 21.216) habe der BayVGH vielmehr ausgeführt, dass grundsätzlich auch ein Fluchtverhalten wie es im dortigen Fall vorgelegen habe, grundsätzlich ausreichend sein könne, da auf aktiven Handlungen des Schädigers beruhende Gefährdungen als zielgerichtete tätliche Angriffe im Sinne des Art. 97 BayBG angesehen werden könnten. Art. 97 BayBG setze nach seinem Wortlaut nicht voraus, dass die Verletzung bzw. die Verletzungen, wegen denen Schmerzensgeldansprüche bestünden, durch einen tätlichen Angriff verursacht worden seien, sondern verwende den weiteren Begriff wegen, womit zum Ausdruck gebracht werde, dass zwar ein Zusammenhang zwischen dem tätlichen Angriff und den Verletzungen bestehen müsse, allerdings nicht in dem Sinne, dass der tätliche Angriff selbst diese Körperschäden verursacht haben müsse. Nach dem Verständnis des Bevollmächtigten des Klägers reiche aus, dass in einem räumlich und zeitlich umgrenzten einheitlichen Lebenssachverhalt ein tätlicher Angriff (unabhängig von dessen Erfolg) durchgeführt worden sei, damit eine Erfüllungsübernahme für Verletzungen aus diesem einheitlichen Lebenssachverhalt erfolgen könne. Die vom Beklagten in seinem Ablehnungsbescheid wiedergegebene Rechtsmeinung, dass eine zielgerichtete Verletzungshandlung erforderlich sei, ergebe sich demgegenüber aus dem Wortlaut des Art. 97 BayBG nicht, gerade wenn man berücksichtige, dass der Beklagte in seinem Bescheid nicht nur ein bewusstes und gewolltes Handeln (Vorsatz), sondern in subjektiver Hinsicht ein gezielt auf eine Verletzung ausgerichtetes Verhalten (Absicht) fordere. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich nicht, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf Fälle beschränken habe wollen, in denen eine Verletzungsabsicht nachgewiesen sei. Dies wäre auch wenig sachgerecht, da im Hauptanwendungsfall, bei Angriffen auf Polizeibeamte, die Verletzung von Polizeibeamten billigend in Kauf genommen werde, um andere Ziele zu verfolgen. Im hiesigen Fall stehe fest, dass der Schädiger den Kläger auch noch zu einem Zeitpunkt weiter angegriffen habe, als objektiv keine Wahrscheinlichkeit mehr bestanden habe, dass er sich den polizeilichen Maßnahmen entziehen habe können. Dass der Kläger dem Angriff auf sein Gesicht habe teilweise ausweichen können und der Schädiger nur die Brille zu fassen bekommen habe, ändere nach Auffassung des Bevollmächtigten des Klägers hieran nichts, da der BayVGH ausdrücklich auch Verletzungen, die durch das Ausweichen vor einem Angriff entstanden seien, vom Anwendungsbereich des Art. 97 BayBG umfasst sehe. Vorsorglich sei auch darauf hinzuweisen, dass aus Sicht des Klägers die Anforderungen an den ihm möglichen Vortrag zum Ablauf überspannen würde, wenn für einen Anspruch auf Erfüllungsübernahme vorausgesetzt werde, dass der Kläger konkret vortragen könne, durch welche Handlung bzw. Bewegung eines an der Auseinandersetzung beteiligten Menschen bei ihm diese Verletzung entstanden sei, zumal es sich auch beim hiesigen Schädiger nicht so verhalten habe, dass dessen Sperren gegen die Fesselung rein passiv gewesen sei. Vielmehr verhalte es sich so, dass der Kläger versucht habe, die Arme des Schädigers unter dessen Körper hervorzuziehen, während zugleich der Schädiger versucht habe, die entsprechenden Bemühungen des Klägers einerseits durch Bewegungen seines Körpers und ungezielte Tritte zu erschweren und dennoch erreichte Fortschritte des Klägers bei der Herauslösung eines Armes durch entsprechende ruckartige Bewegungen dieses Armes wieder umzukehren. Auch bei der Ausweichbewegung während des Angriffs auf das Gesicht hätten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit beide Arme des Klägers am Körper des Schädigers befunden, da er zumindest keine Möglichkeit gesehen habe, diesen Angriff mit seinen Armen abzuwehren, womit es grundsätzlich für die Entstehung diese Verletzung aus der laienhaften Sicht des Bevollmächtigten des Klägers drei mögliche Zeitpunkte gegeben habe. Einerseits könne die Verletzung bei dem durch den Kläger kontrolliert durchgeführten Hüftwurf erfolgt sein, die Verletzung könne bei der Auflösung der Sperrung und der entsprechenden Gegenwehr der Hände unter dem Körper entstanden sein, es scheine aber ebenso möglich, dass die reflexhafte Bewegung, mit der der Kläger den Angriff auf sein Gesicht ausgewichen sei, zu einer derartigen Verletzung geführt habe. Würde man von dem jeweiligen verletzten Beamten fordern, dass dieser die Zuordnung vornehme, wann exakt eine Verletzung verursacht worden sei, um auf diese Grundlage die Bewertung vorzunehmen, ob die konkrete Einzelhandlung als tätlicher Angriff zu bewerten sei, käme eine Anwendung des Art. 97 BayBG wohl nur dann in Betracht, wenn es sich um Einzelakte handele, bei denen sich die Verletzungsentstehung eindeutig aus der Tathandlung ergebe, wie beispielsweise einem einzelnen Faustschlag in das Gesicht. Notwendig, aber auch ausreichend sei es daher, dass innerhalb eines einheitlichen Lebenssachverhalts tätliche Angriffe des Schädigers auf den Beamten vorgenommen worden seien und wegen dieses einheitlichen Lebenssachverhalts dem Beamten ein Schmerzensgeldanspruch zugesprochen worden sei.
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Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt für diesen ausdrücklich, den Beklagten zu verurteilen, über den Antrag auf Erfüllungsübernahme des Klägers vom 5. Juni 2023 unter Aufhebung des Bescheids vom 31. August 2023 erneut zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung verwies der Beklagte zunächst auf den angefochtenen Bescheid und führte unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung ergänzend aus, die Erfüllungsübernahme sei als Ausnahmetatbestand für schwerwiegende Übergriffe konzipiert, in denen Beamte und Beamtinnen ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbrächten. Daher seien von der Regelung nach dem Willen des Gesetzgebers nur solche Fälle erfasst, denen ein tätlicher Angriff zugrunde liege. Hieran fehle es im vorliegenden Fall. Aus den vorliegenden Sachverhaltsschilderungen, sowohl im Dienstunfallverfahren als auch im zivilrechtlichen Klageverfahren, ergebe sich, dass der Schädiger aktiv Widerstand geleistet habe, so dass er durch den Kläger zu Boden gebracht werden habe müssen. Dort habe er sich erneut gegen die Maßnahmen des Klägers widersetzt und dessen Brille zerbrochen. Ein tätlicher Angriff im Sinne des Art. 97 BayBG setze eine zielgerichtete Verletzungshandlung und eine unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung voraus. Die aktenkundigen Umstände des Unfallhergangs ließen sich vorliegend nicht mit dem Tatbestandsmerkmal des tätlichen Angriffs im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG vereinbaren. Dem Kläger sei zuzugestehen, dass Festnahme, Fixierung und anschließende Fesselung einen einheitlichen Lebenssachverhalt bildeten und somit die erforderliche räumlich-zeitliche Komponente vorliege. Eine unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Klägers durch den Schädiger habe dabei aber nicht stattgefunden. Denn die Handlung des Schädigers sei nicht auf die Verletzung des Klägers selbst gerichtet gewesen, sondern allenfalls auf die Zerstörung seiner Brille. Die Verletzungen habe sich der Kläger ausweislich seiner Schilderung im Verfahren zur Anerkennung als Dienstunfall durch den Hüftwurf zugezogen. Eine Zielgerichtetheit im Sinne des darauf gerichteten Vorsatzes des Schädigers, den Kläger zu verletzen, könne daher dem zugrundeliegenden Geschehen nicht entnommen werden. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs gegen den Kläger könne nicht überzeugend dargelegt werden, gegen den Kläger gerichtete Angriffshandlungen seien nicht ersichtlich.
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Der Bevollmächtigte des Klägers führte ergänzend aus, es bestünde ein unüberbrückbarer Wertungswiderspruch, wenn bei einem Beamten, der einem Angriff nicht ausweiche, eine Erfüllungsübernahme erfolge, bei einem Beamten, der einem Angriff nur eingeschränkt erfolgreich ausweiche, jedoch nicht. Losgelöst von dem Umstand, dass der Schädiger des Klägers lediglich dessen Brille zu fassen bekommen habe und diese zerbrochen habe, liege bei einem Angriff in das Gesicht eines Menschen ein körperlicher Angriff äußerst nahe, da es sich offenkundig um eine vorsätzliche Handlung handele, die unproblematisch geeignet sei, Verletzungen zu verursachen und die im Regelfall deshalb angewandt werde, um den betreffenden Menschen zu einem reflexhaften Schutz seiner Augen, sei es durch Ausweichen mit dem Kopf oder dem Lösen von Haltegriffe zu erreichen. Wie in der vom BayVGH beschriebenen hypothetischen Situation sei es für einen Angriff ausreichend, dass konkrete auf eine Gefahrerhöhung gerichtete Handlungen durchgeführt würden, da zwar das Endziel dieser Handlungen in der Flucht bestehe, aber sich die Handlung selbst gerade nicht hierin erschöpfe, sondern zur Ermöglichung der Flucht zielgerichtet Gefahren – hier in Form eines Angriffs in Richtung der Augen – geschaffen würden.
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Der Beklagte führte hierzu ergänzend aus, es werde weiterhin die Auffassung vertreten, dass wegen der restriktiven Auslegung von Art. 97 Abs. 1 BayBG im hier festgestellten Verhalten des Schädigers keine auf den Körper zielende, gewaltsame Einwirkung und somit ein tätlicher Angriff zu sehen sei. Selbst wenn man dem weiten Normverständnis des Klägers folgen und einen tätlichen Angriff annehmen würde, wäre diese Angriff nicht ursächlich für den (bereits vorher) eingetretenen Körperschaden.
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4. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Der schriftlich formulierte Klageantrag des Bevollmächtigten ist sachgerecht gemäß § 88 VwGO dahinauszulegen, dass er – unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids des Beklagten vom 31. August 2023 – die Verpflichtung des Beklagten zur (erneuten) Bescheidung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Die so verstandene Klage ist zulässig und begründet.
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Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Neuverbescheidung seines Antrags vom 6. Juni 2023 auf Erfüllungsübernahme seines Schmerzensgeldanspruchs gegen … aus dem Versäumnisurteil des Amtsgerichts … vom 13. Dezember 2022 (* …*); der ablehnende Bescheid vom 31. August 2023 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Nach Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG kann der Dienstherr auf Antrag die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs eines Beamten oder einer Beamtin auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten wegen eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs, den er oder sie in Ausübung des Dienstes oder außerhalb des Dienstes wegen der Eigenschaft als Beamter oder Beamtin erleidet, bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrags übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist.
23
Eine unbillige Härte liegt nach Art. 97 Abs. 2 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,00 EUR erfolglos geblieben ist; die Übernahme der Erfüllung ist nach Art. 97 Abs. 3 BayBG innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen.
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2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn sind vorliegend gegeben.
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a) Der Kläger hat mit dem Versäumnisurteil des Amtsgerichts … vom 13. Dezember 2022 (* …*) einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten, hier … Auch ein Versäumnisurteil nach § 331 ZPO kann einen rechtskräftig festgestellten Anspruch im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG begründen (BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 17; VG Ansbach, U.v. 30.9.2020 – AN 1 K 19.02198 – juris Rn. 51; VG Würzburg, U.v. 28.1.2020 – W 1 K 19.792 – juris Rn. 18). Denn auch Versäumnisurteile erwachsen in Rechtskraft (§ 705 ZPO), wenn sie nicht innerhalb der Einspruchsfrist gemäß § 339 Abs. 1 ZPO angegriffen werden. Durch ein derartiges Urteil erhält der Kläger zivilrechtlich ein ebenso mit den Vollstreckungswerkzeugen der Zivilprozessordnung durchsetzbaren Anspruch wie bei einem streitigen Urteil; denn ein Versäumnisurteil ist ein Endurteil im Sinne des § 704 ZPO (BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 19; vgl. auch BGH, B.v. 19.6.1974 – VIII ZB 14/74 – juris Rn. 4). Im Übrigen hat der Kläger vor dem Zivilgericht keine Einflussmöglichkeiten darauf, ob sich der Schädiger gegen eine Klage verteidigt bzw. vor dem Gericht erscheint, so dass es willkürlich erschiene, die Anwendbarkeit des Art. 97 BayBG vom Prozessverhalten des Schädigers abhängig zu machen (VG Ansbach, U.v. 30.9.2020 – AN 1 K 19.02198 – juris Rn. 51). Dabei kommt auch eine Angemessenheitsprüfung, wie sie Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG für Vergleiche nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorsieht, nicht in Betracht (BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 24). Dass das hier vorliegende Versäumnisurteil des Amtsgerichts … in Rechtskraft erwachsen ist, hat die Urkundsbeamtin der dortigen Geschäftsstelle (vgl. § 724 ZPO) auf der zum Zwecke der Zwangsvollstreckung der Klagepartei erteilten Ausfertigung am 17. Januar 2023 bestätigt. Denn aus der Vollstreckungsklausel ergibt sich, dass das Urteil der Beklagtenseite am 19. Dezember 2022 von Amts wegen zugestellt wurde, so dass die Einspruchsfrist nach § 339 Abs. 1 ZPO von zwei Wochen verstrichen war.
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b) Der Kläger hat den ihm mit dem Versäumnisurteil des Amtsgerichts … vom 13. Dezember 2022 titulierten Schmerzensgeldanspruch auch wegen eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs.
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Der unbestimmte Rechtsbegriff des „tätlichen rechtswidrigen Angriffs“ in Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG bestimmt die nach der Norm geschützten Rechtsgüter, zu denen in erster Linie die körperliche Unversehrtheit des Beamten zählt (BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 3 ZB 23.2144 – juris Rn. 4 m.w.N.). Mit der zum 1. Januar 2015 eingeführten Vorschrift wollte der Gesetzgeber – vor dem Hintergrund der ihm aus § 45 BeamtStG obliegenden Fürsorgepflicht – im Rahmen eines auf schwerwiegende Übergriffe beschränkten Ausnahmetatbestands den jeweiligen Dienstherrn verpflichten, einen in dienstlichem Zusammenhang erlangten (uneinbringlichen und rechtskräftig festgestellten) Schmerzensgeldanspruch seines Beamten in Fällen zu übernehmen, in denen der Beamte ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbracht hat (BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 3 ZB 23.2144 – juris Rn. 4).
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Unter einem „Angriff“ im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG ist die von einem Menschen ausgehende vorsätzliche Verletzung der Rechtsgüter Leben und körperliche Integrität zu verstehen; er erfordert als objektives Element eine objektive unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung aufgrund einer – als subjektives Element – zielgerichteten Verletzungshandlung (Gesetzesbegründung LT-Drs. 17/2171, S. 48; BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 3 ZB 23.2144 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 18.1.2021 – 3 ZB 20.591 – juris Rn. 5). „Tätlich“ ist ein Angriff, wenn er auf einen physischen Schaden gerichtet ist; damit werden grundsätzlich nur vollendete körperliche Beeinträchtigungen oder Gesundheitsschädigungen erfasst, nicht dagegen bloße verbale Beleidigungen und Bedrohungen, die zu keinen körperlichen oder nur zu psychischen Folgen führen (Gesetzesbegründung LT-Drs. 17/2171, S. 48; BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 3 ZB 23.2144 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 18.1.2021 – 3 ZB 20.591 – juris Rn. 5).
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Ausgehend von diesen Maßstäben liegt entgegen der Ansicht des Beklagten im vorliegenden – im Kern unstreitigen – Sachverhalt ein tätlicher Angriff vor.
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Der Schädiger hat mit körperlichem Einsatz gegen den Körper des Klägers versucht, sich der Festnahme zu widersetzen. Dabei kam es im Ergebnis zu einer den Schmerzensgeldanspruch begründenden Schädigung des Klägers. Die Beteiligten gehen dabei zu Recht übereinstimmend davon aus, dass das objektive Element eines tätlichen Angriffs gegeben ist. Die erforderliche räumlich-zeitliche Komponente liegt dabei, wie auch der Beklagte formuliert, vor. Das Verhalten des Schädigers führte hier zu einer objektiven unmittelbaren räumlich-zeitlichen Gefährdung der körperlichen Integrität des Klägers. Die Festnahme des Schädigers durch den Kläger bildet einen einheitlichen Lebenssachverhalt, der das Festhalten des Schädigers zunächst an dem Gurt einer Tasche, dann, was sich aus den unwidersprochenen Angaben des Klägers sowohl in der Klageschrift, die das Amtsgericht … seinem Versäumnisurteil zugrunde gelegt hat, als auch im Dienstunfallverfahren denklogisch ergibt, auch am Körper ebenso wie die Versuche des Schädigers, sich loszureißen und das anschließende Zu-Boden-Bringen des Schädigers durch den Kläger, wogegen sich der Schädiger mit physischer Kraft gegen den Körper des Klägers sperrte, und auch die Versuche des Schädigers, sich, bereits am Boden liegend, wieder vom Kläger zu lösen, einschließlich des Zerbrechens der Brille des Klägers, wobei er auch um sich getreten hat, beinhaltet. Durch diese Verhaltensweisen bestand stets eine Gefahr, dass es zu Verletzungen des Klägers kommen könnte. Im Ergebnis liegt in der vom Kläger erlittenen Schulterdistorsion und dem Einriss der Supraspinatussehne auch ein Verletzungserfolg vor.
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Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt dem auch eine zielgerichtete Verletzungshandlung des Schädigers zugrunde. Zwar geht der Beklagte zunächst zu Recht davon aus, dass alleine die Motivation, sich der Festnahme zu entziehen, nicht ausreicht, um von einer zielgerichteten Verletzungshandlung im Sinne des für die Annahme eines tätlichen Angriffs erforderlichen subjektiven Elements auszugehen (so auch BayVGH, B.v. 3.12.2021 – 3 ZB 21.216 – juris Rn. 9). Dies gilt auch dann, wenn sich der Beamte bei einer Verfolgung im Ergebnis verletzt. Beruht die Gefahr des körperlichen Schadens und die mögliche Realisierung dieser Gefahr im Sinne eines Verletzungserfolgs dabei in erster Linie auf einem eigenen Willensentschluss des Beamten – auch wenn dieser ihm dienstlich vorgegeben ist – und nicht auf dem konkreten Fluchtverhalten, liegt ein tätlicher Angriff im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG nicht vor (BayVGH, B.v. 3.12.2021 – 3 ZB 21.216 – juris Rn. 9). Geht das Verhalten darüber hinaus und weist zielgerichtete, direkt auf die körperliche Unversehrtheit des Beamten gerichtete Handlungsweisen auf, liegt gleichwohl ein tätlicher Angriff im Sinne der Norm vor (BayVGH, B.v. 3.12.2021 – 3 ZB 21.216 – juris Rn. 9).
32
Dabei reicht bedingter Vorsatz hinsichtlich eines etwaigen Körperschadens beim Beamten aus (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.216 – juris Rn. 10 zu riskanter Fahrweise eines Verfolgten, der billigend in Kauf nahm, dass der verfolgende Beamte die Gewalt über den Dienstwagen infolge der verschiedenen Manöver des Fluchtwagens verliert, verunfallt und dabei gegebenenfalls körperlichen Schaden erleidet).
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Der Schädiger widersetzte sich hier nach Überzeugung des Gerichts mit jedenfalls bedingtem Verletzungserfolg durch eine physische Einwirkung auf den Körper des Klägers der Festnahme. Zwar nicht bereits mit dem Versuch, sich durch Flucht der Festnahme zu entziehen, aber auch nicht erst mit dem Treten, sondern mit dem Versuch, sich vom Kläger wieder loszureißen, nachdem dieser ihn bereits gefasst hatte und dem Sperren gegen den (letztlich erfolgreichen) Versuch des Klägers, ihn zu Boden zu bringen, nahm der Schädiger billigend in Kauf, dass sich der Kläger dabei auch selbst verletzen könnte, auch wenn es ihm in erster Linie um die Ermöglichung seiner Flucht gegangen sein mag und er einen Verletzungserfolg nicht im Sinne eines dolus directus beabsichtigt haben mag. Bei lebensnaher Deutung des von Kläger und Beklagtem im Wesentlichen übereinstimmend vorgetragenen Sachverhalts ist davon auszugehen, dass der Schädiger sich körperlich gegen den ihn haltenden und schließlich zu Boden bringenden Kläger derart gewehrt hat, dass nicht nur ein „gewisser Widerstand“, wie der Beklagte meint, gegeben war, sondern der Schädiger erhebliche Kraft auf den Körper den Klägers ausgeübt hat, wobei es ihm, mit Blick darauf, ohne Rücksicht seine Flucht zu ermöglichen, schlicht gleichgültig war, ob es dabei auch zu Körperschäden beim Kläger kommen würde.
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Zwischen der vom (jedenfalls bedingten) Vorsatz des Schädigers getragenen Handlung und dem Verletzungserfolg besteht auch entgegen der Ansicht des Beklagten der erforderliche Zurechnungszusammenhang. Dieser fehlt etwa dann, wenn das mit bedingtem Vorsatz ausgeführte Verhalten hinweggedacht werden kann, ohne dass damit der konkret sich realisierende Körperschaden entfiele (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2021 – 3 ZB 21.216 – juris Rn. 11).
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Der Beklagte verkennt dabei zum einen, dass, wie ausgeführt, bereits Teile des Verhaltens des Klägers als mit bedingtem Schädigungsvorsatz vorgetragene unmittelbare Einwirkungen gegen den Körper des Klägers zu werten sind. Dies betrifft maßgeblich die Versuche, sich vom Kläger, nachdem dieser bereits begonnen hatte, den Schädiger festzuhalten, sowie das Sperren, mithin Dagegen-Drücken, gegen das Zu-Boden-Bringen, das – wie sich insbesondere aus den vom Beklagten, der hieraus freilich gerade das Gegenteil ableiten will, herangezogenen Angaben des Klägers im Dienstunfallverfahren ergibt – unmittelbar zum den Schmerzensgeldanspruch begründenden Körperschaden beim Kläger geführt hat. Dieses aktiv gegen den Körper des Klägers gerichtete Verhalten kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Verletzungserfolg beim Kläger entfiele.
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Zum anderen geht die kleinteilige Argumentation des Beklagten, der selbst einen „gewissen Widerstand“ konzediert, aber einen tätlichen Angriff nur insoweit erkennen möchte, als der Schädiger – hier mit Absicht – die Brille des Klägers zerbrochen hat, dahin fehl, als hier eine Gemengelage vorlag, die von einem einheitlichen Willensentschluss des Schädigers getragen ist. In einer derartigen Gemengelage aus Angriffs- und Fluchtreaktion kann nicht davon ausgegangen werden, dass der für die Annahme eines tätlichen Angriffs im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen vorsatzgetragenem Verhalten und Verletzungserfolg nicht mehr gegeben ist (BayVGH, B.v. 3.12.2021 – 3 ZB 21.216 – juris Rn. 12). Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass die Absicht des Schädigers wohl darin bestanden haben mag, sich der Verhaftung durch den Kläger zu entziehen, nicht auf einer Verletzung des Klägers. Gleichwohl hat der Schädiger in diesem Zusammenhang unmittelbar auf den Körper des Klägers eingewirkt, insbesondere durch Reißen und Gegendruck (Sperren), und es dabei nach Überzeugung der Kammer auch billigend in Kauf genommen, ihn zu verletzen. Letzteres wird auch durch das im gesamten Geschehensablauf erst etwas später eingesetzte Treten bestätigt. Zu Recht weist der Bevollmächtigte des Klägers vor diesem Hintergrund darauf hin, dass es nicht möglich ist, in einem solchen Geschehen einzelne Aktionen isoliert zu betrachten, ohne ihren Zusammenhang zu berücksichtigen. Der Schädiger hatte hier einen den gesamten Geschehensablauf erfassenden Vorsatz, sich der Verhaftung zu entziehen, sei es durch Flucht, sei es durch eine die Flucht ermöglichende körperliche Einwirkung auf den Kläger, bei der er auch Verletzungen in Kauf nahm. Der konkrete Verletzungserfolg bleibt hier dem Schädiger zurechenbar, auch wenn dieser nicht etwa in einer von außen beigebrachten Wunde liegt, sondern eine innere Verletzung darstellt, die durch das Zusammenwirken der auf den Schädiger eingesetzten Kraft des Klägers und umgekehrt entstanden ist. Anders als in den vom Beklagten herangezogenen Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes und des Bayerischen Verwaltungsgerichts München lag auch gerade keine den Zurechnungszusammenhang abbrechende Zäsur zwischen einer mit jedenfalls bedingtem Schädigungsvorsatz erfolgten Handlung und dem Eintritt des Verletzungserfolges (vgl. BayVG, B.v. 3.12.2021 – 3 ZB 21.216 – juris Rn. 12; VG München, U.v. 6.10.2021 – M 5 K 19.5579 – juris Rn. 29 f.). In den beiden in Bezug genommenen Entscheidungen zu Verfolgungsfällen hielt der jeweils später verletzte Beamte nach einer mit bedingtem Verletzungsvorsatz durchgeführten objektiv gefährlichen Fluchtfahrt an, ehe er – ohne eine weitere unmittelbare Gefährdung durch den Verfolgten – verunfallte und sich dabei verletzte. Im Gegensatz hierzu ist die Verletzung des Klägers vorliegend inmitten eines einheitlichen Geschehens aus (versuchter) Flucht und jedenfalls bedingt vorsätzlicher Körpergefährdung durch den Schädiger entstanden.
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c) Der Kläger hat den tätlichen Angriff auch in Ausübung seines Dienstes erlitten. Als Mitglied der zivilen Einsatzgruppe der Polizeiinspektion … erfolgte die Verhaftung des Schädigers als dienstliche Aufgabe des Klägers, nachdem sich der Kläger auch als Polizeibeamter zu erkennen gegeben hatte.
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d) Die Erfüllung des Schmerzensgeldanspruchs ist dem Grunde nach auch zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig. Nach Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG liegt eine unbillige Härte insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500 EUR erfolglos geblieben ist. Der Kläger hat zum einen hier einen Schmerzensgeldanspruch über 1.200 EUR, so dass die Wertschwelle des Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG um mehr als das Doppelte überschritten ist. Die Annahme einer unbilligen Härte setzt zum anderen, dass sich der Schädiger als nicht zahlungsfähig erwiesen hat (vgl. Gesetzesbegründung LT-Drs. 17/2171, S. 45; BayVGH, U.v. 16.2.2022 – 3 B 21.292 – juris Rn. 17 m.w.N.; BayVGH, B.v. 18.12.2020 – 3 ZB 20.190 – juris Rn. 6). Der Anspruch gegen den Schädiger ist vorliegend für den Kläger insgesamt uneinbringlich. Der Kläger hat einen Vollstreckungsversuch gegen den Schädiger unternommen, der gänzlich ohne Erfolg geblieben ist. Ausweislich des vom Schädiger am 17. Mai 2023 abgegebenen Vermögensverzeichnisses waren dem inhaftierten Schädiger keine Zahlungen möglich. Dies hat der Kläger auch durch die Vorlage dieses Vermögensverzeichnisses nachgewiesen. Soweit in Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG von Vollstreckungsversuchen im Plural die Rede ist, sind bei Abgabe eines Vermögensverzeichnisses keine weiteren Versuche notwendig, weil der Gerichtsvollzieher gemäß § 802f Abs. 1 ZPO zur Abnahme der Vermögensauskunft dem Schuldner für die Begleichung der Forderung zunächst (erfolglos) eine Frist von zwei Wochen zu setzen hat. Die im Vermögensverzeichnis dokumentierte Vermögenslosigkeit des Schädigers, der auch über kein Einkommen verfügt, machte einen weiteren Vollstreckungsversuch entbehrlich (VG Ansbach, U.v. 25.7.2019 – AN 1 K 18.01545 – juris Rn. 94 m.w.N.).
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e) Der Kläger hat die Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn auch innerhalb der Ausschlussfrist des Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG von zwei Jahren ab Rechtskraft des den Schmerzensgeldanspruch gegen den Schädiger titulierenden Urteils beantragt.
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3. Auf der Rechtsfolgenseite räumt Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG dem Dienstherrn nach seinem Wortlaut einen Ermessenspielraum ein, ob (sog. Entschließungsermessen) und bis zu welcher Höhe (Auswahlermessen) er einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten übernimmt (BayVGH, U.v. 19.4.2021 – 3 BV 20.2837 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 35). Allerdings wird die Ausübung des Entschließungsermessens durch den Halbsatz „soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist“ dahingehend vorgegeben, dass bei Vorliegen einer unbilligen Härte der Dienstherr zur Erfüllungsübernahme verpflichtet ist (BayVGH, U.v. 19.4.2021 – 3 BV 20.2837 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 35). Denn bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs („unbillige Härte“) ist bereits ein großer Teil der Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die auch Bedeutung für die Ermessensausübung haben (BayVGH, U.v. 19.4.2021 – 3 BV 20.2837 – juris Rn. 23). Die Feststellung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm gegeben oder nicht gegeben sind, bedeutet in diesen Fällen zugleich, dass der Behörde für die Ausübung ihres Entschließungsermessens („ob“) kein Spielraum verbleibt (BayVGH, U.v. 19.4.2021 – 3 BV 20.2837 – juris Rn. 23; BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 36). Liegen, wie hier, die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG vor, ist dem Dienstherrn mithin (lediglich) bei der Frage bis zu welcher Höhe er den festgestellten Schmerzensgeldanspruch übernimmt, Ermessen eingeräumt, das verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann (vgl. § 114 VwGO; BayVGH, U.v. 19.4.2021 – 3 BV 20.2837 – juris Rn. 23; BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 36). Lediglich wenn auf Grund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung (Art. 62 BayBeamtVG) oder ein Unfallausgleich (Art. 52 BayBeamtVG) gezahlt wurde, kann der Dienstherr auf der Grundlage von Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG die Erfüllungsübernahme im Rahmen seines Erschließungsermessens verweigern (BayVGH, U.v. 19.4.2021 – 3 BV 20.2837 – juris Rn. 23; BayVGH, U.v. 16.12.2020 – 3 B 20.1553 – juris Rn. 36). Dies ist vorliegend nicht ersichtlich.
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Der Beklagte hat vorliegend bereits die tatbestandliche Voraussetzung eines tätlichen Angriffs auf den Kläger verneint und folglich das ihm zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Aus diesem Grund ist der Bescheid vom 31. August 2023 rechtswidrig. Der Kläger hat daher den von ihm geltend gemachten Anspruch auf erneute Entscheidung über seinen Antrag auf Erfüllungsübernahme, wobei der Beklagte bei seiner erneuten Entscheidung die Rechtsauffassung des Gerichts zugrunde zu legen hat (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.