Titel:
Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Sachverständigenkosten, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kosten eines Sachverständigengutachtens, Einschaltung eines Sachverständigen, Sachverständigenrechnung, Kfz-Sachverständiger, Sachverständigenbüro, Zurückbehaltungsrecht, Preisvereinbarungen, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Abtretung, Kostenansatz, Schadenminderungspflicht, Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit, Zug-um-Zug-Verurteilung, Werkstattrisiko, Wert des Beschwerdegegenstandes
Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Sachverständigenkosten, Erforderlichkeit der Kosten, Werkstattrisiko, Abtretung von Ansprüchen, Verzugsschaden, Rechtsanwaltskosten
Fundstelle:
BeckRS 2025, 14020
Tenor
1.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 743,16 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.08.2024 sowie weitere EUR 86,64 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.08.2024 zu zahlen.
2.Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 743,16 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Schadensfolgen im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall am 28.11.2023.
2
Die Haftung der Beklagtenseite dem Grunde nach zu 100% für die Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall ist unstreitig.
3
Die Klagepartei beauftragte das Sachverständigenbüro … mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens bezüglich des unfallbedingt eingetretenen Fahrzeugschadens. Für die Erstellung des Gutachtens stellte das beauftragte Sachverständigenbüro der Klagepartei mit Rechnung vom 29.12.2023 einen Betrag in Höhe von EUR 1.176,81 brutto in Rechnung. Die Klagepartei hat den Rechnungsbetrag vollständig ausgeglichen.
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Vorgerichtlich bezahlte die Beklagte auf die Sachverständigenkosten einen Betrag von EUR 433,64.
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Die restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von EUR 743,16 sind Gegenstand des Verfahrens. Daneben macht der Kläger restliche vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 743,16 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.08.2024 sowie eine Nebenforderung € 86,64 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.08.2024 zu zahlen.
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Die Beklagtenseite beantragt,
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Die Beklagtenseite bestreitet, dass die Sachverständigenkosten erforderlich oder angemessen sind und ist unter anderem der Auffassung, dass die Höhe der Sachverständigenkosten nach einer Zeitaufwandsermittlung zu bestimmen ist.
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Zur Ergänzung wird verwiesen auf die Schriftsätze der Parteien sowie auf die übrigen Aktenbestandteile.
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Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von EUR 743,16.
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Unstreitig haftet die Beklagte zu 100% für die Schäden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 28.11.2023 dem Grunde nach. Streitig war allein, ob noch ausstehende Sachverständigenkosten von EUR 743,16 erstattungsfähig sind oder nicht, ob also insgesamt Sachverständigenkosten von EUR 1.176,81 brutto ersetzt werden müssen.
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Die Sachverständigenkosten sind hier voll erstattungsfähig.
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Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Absatz 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (vgl. BGH NJW 1995, 446, 447). Demnach kommt es darauf an, ob die Einschaltung eines Sachverständigen „ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und geboten halten darf“ (BGHZ 115, 364/369). Diese Voraussetzungen sind zwar der Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB verwandt. Gleichwohl ergeben sie sich bereits aus § 249 BGB, so dass die Darlegungs- und Beweislast hierfür beim Geschädigten liegt. Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar über den üblichen Preisen, so sind diese nicht geeignet, als erforderlich im Sinne des §§ 249 BGB zu gelten. Der erforderliche Geldbetrag ist vom Tatrichter anhand tragfähige Anknüpfungstatsachen gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (vgl. BGH NJW 2014, 3151).
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Ein wesentliches Indiz für die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB bildet nach der Rechtsprechung des BGH die Übereinstimmung des vom Geschädigten tatsächlich erbrachten Kostenaufwands mit der tatsächlichen Rechnungshöhe und der ihr zugrundeliegenden Preisvereinbarung, sofern diese nicht auch für den Geschädigten deutlich erkennbar erheblich über den üblichen Preisen liegen (vgl. BGH NJW 2014, 1947; 2014, 3151). Vor diesem Hintergrund genügt der Geschädigte seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer von ihm beglichenen Rechnung des von ihm beauftragten Sachverständigen (BGH, Urteil vom 19.07.2016, VI ZR 491/15; Urteil vom 05.06.2018 – VI ZR 171/16).
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Die Klagepartei hat vorliegend die Rechnung des Sachverständigen vollständig bezahlt.
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Der BGH hat in seinem Urteil vom 12.03.2024 – VI ZR 280/22 folgendes ausgeführt:
„Auf gegebenenfalls überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen sind die Grundsätze zum Werkstattrisiko, die der Senat in seinem Urteil vom 16. Januar 2024 – VI ZR 253/22 für überhöhte Kostenansätze einer Werkstatt für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs fortentwickelt hat, übertragbar. Denn den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten sind nicht nur in dem werkvertraglichen Verhältnis mit einer Reparaturwerkstatt, sondern auch in dem werkvertraglichen Verhältnis mit einem Kfz-Sachverständigen Grenzen gesetzt, vor allem sobald er den Gutachtensauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände des Gutachters gegeben hat. Ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger sind demnach auch diejenigen Rechnungspositionen, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise unangemessen, mithin nicht zur Herstellung erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind. Bei einem Kfz-Sachverständigen, der sein Grundhonorar nicht nach Stunden, sondern nach Schadenshöhe berechnet, kommt ein für den Geschädigten nicht erkennbar überhöhter Ansatz beispielsweise auch dann in Betracht, wenn der Gutachter den Schaden unzutreffend zu hoch einschätzt. Diesbezügliche Mehraufwendungen sind dann ebenfalls ersatzfähig, ebenso Rechnungspositionen, die sich auf – für den Geschädigten nicht erkennbar – tatsächlich nicht durchgeführte Maßnahmen im Zusammenhang mit der Begutachtung beziehen. Allerdings kann der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs die Abtretung gegebenenfalls bestehender Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen verlangen.
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Die Anwendung der genannten Grundsätze zum Werkstattrisiko auf die Sachverständigenkosten setzt nicht voraus, dass der Geschädigte die Rechnung des Sachverständigen bereits bezahlt hat. Soweit der Geschädigte die Rechnung nicht beglichen hat, kann er – will er das Werkstattrisiko bzw. hier das Sachverständigenrisiko nicht selbst tragen – die Zahlung der Sachverständigenkosten allerdings nicht an sich, sondern nur an den Sachverständigen verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (dieses Risiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen. Es gelten auch insoweit dieselben Grundsätze wie für die Instandsetzung des beschädigten Fahrzeugs.“
20
Das Gericht schließt sich dieser Auffassung an. Auch hat die Klagepartei unstreitig vorgerichtlich gegebenenfalls bestehende Ansprüche gegen den Sachverständigen bereits wirksam abgetreten.
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Vorliegend ist die Rechnung auch nicht in einer Weise überhöht, dass selbst ein Laie die Überhöhung erkennen hätte müssen und als wirtschaftlich denkender Mensch die Sachverständigenrechnung nicht bezahlt hätte. Hierbei ist nach Ansicht des OLG München eine Gesamtbetrachtung der Rechnung vorzunehmen. Es können nicht etwa die Nebenkosten gesondert auf ihre (vermeintliche) Überhöhung überprüft werden. Eine eklatante und auch für den Laien erkennbare Überhöhung erscheint auf den ersten Blick bei Reparaturkosten in Höhe von EUR 5.592,68 und Sachverständigenkosten von EUR 1.070,17 nicht der Fall zu sein (vgl. auch BGH vom 11.2.2014, VI ZR 225/13 hier betrugen die Sachverständigenkosten sogar deutlich über 50% der Reparaturkosten). Laut OLG München ist die gegnerische Versicherung letztlich darauf beschränkt, dem Unfallgeschädigten nachzuweisen, dass die Rechnung an sich nicht nachvollziehbar ist und deswegen von einem wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen nicht hätte bezahlt werden dürfen. Dies ist hier nicht der Fall. Vorliegend ergeben sich für das Gericht auch keine Anhaltspunkte, dass der Sachverständige nicht durch den Geschädigten alleine, sondern nach Vermittlung einer Werkstätte („Schadensservice aus einer Hand“) ausgewählt wurde. Diese wurde von der Beklagtenseite auch nicht vorgetragen.
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Auf die Sachverständigenkosten hat die Beklagte EUR 433,65 bezahlt. Damit kann die Klagepartei von der Beklagten weitere EUR 743,16 ersetzt verlangen. Eine Zug-um-Zug Verurteilung wegen eines gegebenenfalls aus §§ 255, 273 BGB bestehenden Zurückbehaltungsrechts kam aufgrund der vorgerichtlich und nochmals mit der Klage erfolgten Abtretung nicht mehr in Betracht. Die Beklagte hat auch kein etwaiges Zurückbehaltungsrecht aus §§ 255, 273 BGB geltend gemacht.
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An vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klägerseite geltend machen eine 1,3 Gebühr aus einem Geschäftswert in Höhe der berechtigten Schadensersatzforderung von EUR 8.598,33 zuzüglich einer Auslagenpauschale von EUR 20,00 und Mehrwertsteuer. Dies sind hier EUR 887,03. Hierauf hat die Beklagte vorgerichtlich EUR 800,39 bezahlt. Es verbleibt ein Anspruch in Höhe von EUR 86,63.
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Verzug bestand, von der Beklagten nicht substantiiert bestritten, seit 07.08.2024, §§ 280, 286 BGB. Die Höhe des Zinsanspruchs ergibt sich aus § 288 BGB.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
26
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
27
Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung ohne Einbeziehung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.