Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.06.2025 – 20 N 25.447
Titel:

Corona-Pandemie, Normenkontrolle, Darlegung eines gewichtigen Interesses an einer nachträglichen Feststellung, Veranstaltungsverbot im April 2020

Normenketten:
IfSG §§ 28, 32
2.BayIfSMV § 1 Abs. 1
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Normenkontrolle, Darlegung eines gewichtigen Interesses an einer nachträglichen Feststellung, Veranstaltungsverbot im April 2020
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13963

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

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1. Mit seinem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass das Veranstaltungsverbot des § 1 Abs. 1 der 2. Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16. April 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 205) unwirksam war. Die Norm ist mit Ablauf 3. Mai 2020 außer Kraft getreten (§ 10 Satz 1 2. BayIfSMV).
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2. Der Antragsgegner hat mit Wirkung zum 20. April 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege folgende Norm erlassen
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„§ 1
Veranstaltungs- und Versammlungsverbot
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(1) Veranstaltungen und Versammlungen werden landesweit untersagt. Dies gilt auch für Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen und Synagogen sowie die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften. Ausnahmegenehmigungen können auf Antrag von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde erteilt werden, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.“
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3. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 20. April 2020 einen Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO gestellt und zuletzt mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 31. Januar 2025 sinngemäß beantragt,
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Es wird festgestellt, dass § 1 Abs. 1 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16. April 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 205) unwirksam war.
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Er trägt zur Begründung seines Antrags im Wesentlichen vor, er sei unter anderem als Leiter von kostenpflichtigen Seminaren und Einzelkursen zu den Themen Krisen-, Konflikt- und Stressmanagement beruflich tätig. Die von ihm geleiteten Seminare und Einzelkurse fänden für gewöhnlich unten anderem in Bayern statt. An den Seminaren des Antragstellers hätten üblicherweise 200 bis 350 Personen teilgenommen. Insgesamt seien dem Antragsteller in dieser Zeit 600.000,00 Euro entgangen.
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Das notwendige Fortsetzungsfeststellungsinteresse sei hierbei aufgrund des Präjudizinteresses, der evidenten Wiederholungsgefahr sowie Grundrechtseingriffen – den massivsten in der Bundesrepublik Deutschland – offensichtlich gegeben. Der Antragsgegner behaupte wiederholt, ein individuelles Fortsetzungsfeststellungsinteresse sei nicht ausreichend geltend gemacht worden. Diesseits stelle sich die Frage, wie der Antragsgegner erwarten könne, dass der Antragsteller bis ins kleinste Detail erlittene Einschränkungen nachweisen könne, wenn er selbst fast vier Jahre nach Pandemiebeginn immer noch nicht in der Lage sei, dieselben Auswirkungen gesamtgesellschaftlich zu erfassen, geschweige denn nachvollziehbar darzulegen, wie er zu seinen Entscheidungen gekommen sei.
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Der Normenkontrollantrag sei auch begründet. Es habe an einer verfassungsrechtlich tragbaren, hinreichend bestimmten und parlamentarisch gedeckten gesetzlichen Grundlage für die angegriffenen Vorschriften gefehlt. Bei grundrechtsrelevanten und entsprechend intensiven Eingriffsakten wie hier hätte es dabei eines förmlich-parlamentarischen Gesetzes bedurft, das bereits selbst hinreichend bestimmt die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen des Eingriffs regele. Für die angegriffenen Maßnahmen hätte zwar grundsätzlich die Ermächtigungsgrundlage der §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 IfSG angedacht werden können. Allerdings genügten diese Vorschriften zumindest für die hier in Rede stehenden Vorschriften nicht den inhaltlichen Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie an formell-gesetzliche Vorschriften. Die durch die angegriffenen Bestimmungen in Anspruch genommene Allgemeinheit hätte auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 IfSG nicht – auch nicht unter Verweis auf den sog. Nichtstörer – zur Gefahrenabwehr herangezogen werden können. Die Regelungen verstießen auch gegen den strikten Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG. Die in Rede stehenden Regelungen hätten zudem gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Die ergriffenen Maßnahmen seien bereits nicht erforderlich, jedenfalls aber nicht verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen. Die grundrechtseinschränkenden Maßnahmen mögen vielleicht am Anfang wegen der unsicheren Datenlage für einen sehr begrenzten Übergangszeitraum zulässig gewesen sein, um sich Zeit zu verschaffen und eine valide Datengrundlage zu generieren. Das normative Schutzkonzept habe der Landesverordnungsgeber nicht folgerichtig entwickelt; er durchbreche es selbst an verschiedenen Stellen und stellte damit das Konzept insgesamt infrage. Problematisch sei, dass der PCR-Test bereits nicht dazu geeignet gewesen sei, nur infektiöse Patientinnen zuverlässig zu identifizieren. Die seitens des RKI vermittelten Fallzahlen könnten nicht mit „Neuinfektionen“ gleichgesetzt werden. Die Schätzungen zur Sterblichkeit und zum erwarteten Bedarf an Intensivbetten hätten nicht auf wissenschaftlich fundierten Prognosen beruht, weshalb die Erwägungen des Verordnungsgebers fehlgegangen seien und daher keine Grundlage mehr für die ergriffenen Maßnahmen hätten darstellen können. Ferner hätte bei der Risikoprognose auch die Dunkelziffer berücksichtigt werden müssen. Bei den positiv gemeldeten Fällen habe es sich schließlich nicht um eine Vollerhebung gehandelt. Unbekannt sei u.a. deshalb auch, ob es eine sog. Übersterblichkeit gegeben habe. Sähe man die Prognosen als ausreichende Grundlage, um eine Erforderlichkeit anzunehmen, hätte das Ziel, Infektionen zu reduzieren, auch durch weniger einschneidende Grundrechtseingriffe wie Maskentragepflicht, Beschränkung der Regelungen auf besonders gefährdete Menschen, Ausweitung der Testkapazitäten, Regeln zur Hygiene und Steuerung des Zutritts erreicht werden können. Die Maßnahmen seien auch nicht angemessen gewesen. Es habe sich vorliegend nicht um bloße Unannehmlichkeiten gehandelt, die den Verordnungsadressaten aufgebürdet worden seien, sondern um tiefgehende Eingriffe in die Kernbereiche gleich mehrerer Grundrechte. So hätten die drohenden wirtschaftlichen, sozialen und medizinischen Folgen der Schutzmaßnahmen bei einer Abwägung deren prognostizierten Erfolg überwogen. Darüber hinaus seien die Maßnahmen auch gleichheitswidrig gewesen.
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Die fehlende aktenmäßige Dokumentation durch den Antragsgegner erweise, dass keine Rechtsgüterabwägung durch den Antragsgegner stattgefunden habe. Hiermit liege ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip vor. Eine Auswertung der Krisenstabsprotokolle des RKI sei erforderlich – und auch von Amts wegen geboten – da sich der Senat in seiner Rechtsprechung durchgängig auf die öffentlich verlautbarten Äußerungen des RKI angesichts der gesetzlich hervorgehobenen Position (§ 4 Abs. 1 und Abs. 2 IfSG) gestützt habe. Der Senat habe jene Verlautbarungen auch regelmäßig für die Begründung der vermeintlichen (in der Regel angenommenen) Rechtmäßigkeit der angeordneten Grundrechtseingriffe im Rahmen der Corona-Krise herangezogen. Die RKI-Krisenstabsprotokolle zeigten, dass die Maßnahmen in erster Linie auf politischen Entscheidungen beruhten und nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. In diesem Zusammenhang beantrage der Antragsteller die Protokolle, Tagesordnungen, Teilnehmerlisten und sonstige Notizen des RKI-Corona-Krisenstabs zur Corona-Pandemie vom Januar 2020 bis Juli 2023 beizuziehen, insbesondere sämtliche Dokumente und Notizen, die sich mit der Änderung der Risikobewertung am 17. März 2020 von „mäßig“ auf „hoch“ befassten, darunter auch Schriftwechsel innerhalb des RKI sowie zwischen dem RKI und dem Bundesgesundheitsministerium sowie ggf. weiteren Behörden der Bundesregierung, beizuziehen. Daran, dass es zu der von Gesetzes wegen erforderlichen Rechtsgüterabwägung gekommen sei, bestünden weiterhin erhebliche Zweifel. Bestätigung finde diese etwa in dem Beschluss des Ministerrats vom 5. Mai 2020. Dort sei auf Seite 2 zu lesen, dass das „Primat des Infektionsschutzes“ gelte. An dem Antrag Herrn Ministerpräsidenten Dr. Markus S., acht Ministerinnen und Minister der Bayerischen Staatsregierung sowie den ehemaligen Präsidenten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit als Zeugen heranzuziehen, werde zumindest solange festgehalten, wie keine vollständige Akten vorgelegt würden. Es seien nicht etwaige „Motive“, die den Antragsteller interessierten, sondern die Frage, ob die Regierung innerhalb des ihr rechtlich zugestandenen Ermessensspielraums agiert habe und gewissenhaft die vorgesehene Interessensabwägung durchgeführt habe oder sich von sachfremden Gründen habe leiten lassen. Dies sei insbesondere deshalb relevant, weil es bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen auf die ex-ante-Perspektive ankomme. Welche Erkenntnisse damals wirklich vorgelegen hätten, lasse sich daher nur ermitteln, wenn diejenigen, die die Vorschriften tatsächlich konzipiert hätten, befragt würden.
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4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung trug der Antragsgegner im Wesentlichen vor, der Normenkontrollantrag sei bereits unzulässig, da ein tiefgreifender Grundrechtseingriff nicht vorliege. Er sei aber auch unbegründet. Zur Beurteilung der damaligen Lage werde auf den Täglichen Lagebericht zur
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Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 21. April 2020 (abrufbar unter
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https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020- 04-21-de.pdf? blob=publicationFile#:~:text=Mit%20Stand%2021.04.2020%20(9,%25)%20Betten%20sind%20aktuell%20frei) verwiesen. Es habe damals bereits 38.310 bestätigte Fälle in Bayern gegeben. Bayern sei dabei das Land mit der höchsten 100.000-Einwohner-Inzidenz bundesweit gewesen und habe die Regionen mit den bundesweit höchsten Neuinfektionsraten aufgewiesen (S. 2 f. des Lageberichts). Bayern sei somit in besonderer Weise betroffen gewesen. Angesichts eines zu befürchtenden exponentiellen Verlaufs des Infektionsgeschehens, einer Vielzahl klinischer Verläufe mit Todesfolge oder schwerwiegenden Gesundheitsschäden und der Tatsache, dass weder ein Impfstoff noch eine spezifische Therapie zur Verfügung gestanden hätten, könne nicht bestritten werden, dass Kranke und Krankheitsverdächtige sowie auch Ausscheider und Ansteckungsverdächtige festgestellt worden seien und die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG vorgelegen hätten. Die Untersagung von Veranstaltungen und religiösen Zusammenkünften sei insbesondere dazu geeignet gewesen, das Zusammenkommen von Menschen zu verhindern und dadurch drohende Infektionsketten zu unterbrechen. Von dem Antragsteller vorgeschlagene weniger belastende Maßnahmen wie Hygieneregeln, die Einhaltung von Mindestabständen oder eine Maskentragepflicht hätten nicht die gleiche Wirkung gehabt. Als Inhaber eines Dienstleistungsbetriebs sei der Antragsteller durch § 2 Abs. 7 2. BayIfSMV betroffen gewesen. Angesichts der Art der von dem Antragsteller angebotenen Dienstleistungen – Seminare und Einzelkurse zur Krisen-, Konflikt- und Stressbewältigung – sei sein Betrieb im Wesentlichen nicht durch § 2 Abs. 7 2. BayIfSMV, sondern vielmehr durch § 1 Abs. 1 2. BayIfSMV eingeschränkt worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen

Gründe

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Der Antrag, über den der Senat nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet, ist nur zum Teil zulässig, letztendlich unbegründet, weil das Veranstaltungsverbot in § 1 Abs. 1 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) wirksam war. Der Normenkontrollantrag gegen das Versammlungsverbot des § 1 Abs. 1 Satz 1 2. BayIfSMV wurde abgetrennt und unter einem eigenständigen Aktenzeichen (20 N 24.1880) fortgeführt.
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A. Der Normenkontrollantrag ist nur zum Teil zulässig. Soweit der Antragsteller sich gegen das Verbot von religiösen Zusammenkünften nach § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 2. BayIfSMV wendet, ist sein Antrag unzulässig, weil er keinen gewichtigen Grundrechtseingriff glaubhaft dargelegt hat.
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Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Zwar geht § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vom Regelfall der noch geltenden Rechtsvorschrift aus (vgl. auch § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ist die angegriffene Norm während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, bleibt er aber zulässig, wenn der Antragsteller weiterhin geltend machen kann, durch die zur Prüfung gestellte Norm oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt (worden) zu sein. Darüber hinaus muss er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Rechtsvorschrift rechtswidrig war (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn. 9 m. w. N.). Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht trotz Erledigung unter anderem neben einer Wiederholungsgefahr dann fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann (stRspr des BVerwG, Urteile v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60 Rn. 13, v. 16.5.2023 – 3 CN 4.22 – juris Rn. 16, – 3 CN 5.22 – NVwZ 2023, 1846 Rn. 15 und – 3 CN 6.22 – NVwZ 2023, 1830 Rn. 14 sowie v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – NVwZ 2023, 1840 Rn. 13). Nachdem eine konkrete Wiederholungsgefahr im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht dargetan wurde, kommt hier allein in Betracht, dass der Antragsteller Beeinträchtigungen seiner grundrechtlichen Freiheiten geltend macht, die ein Gewicht haben, das die nachträgliche Klärung der Rechtmäßigkeit der Verordnungsregelungen rechtfertigt (BVerwG, B. v. 5.1.2024 – 3 BN 2.23 – juris). Dies ist von den vom Antragsteller aus einer ex-post-Perspektive darzulegen.
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Zwar behauptet der Antragsteller, dass er im verfahrensgegenständlichen Zeitraum Mitglied der römisch-katholischen Kirche gewesen sei und regelmäßig, insbesondere an hohen Festtagen wie Ostern, römisch-katholische Gottesdienste in Bayern besucht habe. Dieser Vortrag des Antragstellers ist jedoch im Hinblick auf seine Äußerungen auf seiner Homepage (https://mindflowacademy.de/s/Mindflow/mindflow_tom; zuletzt abgerufen: 18. Februar 2025) nicht glaubwürdig. Dort äußert sich der Antragsteller: „Was mich an der Kirche störte? Wir gingen voller Energie zum Gottesdienst und verließen das Gebäude energiearm. Die Menschen verlieren in der Kirche die Erdung, ihnen wird die Energie genommen, und dadurch sind sie manipulierbar. Ich spürte, dass ich glücklich hineinging und mit schlechter Laune herauskam (Hervorhebungen durch den Antragsteller…“ Anders ausgedrückt auf einer anderen Homepage des Antragstellers (https://www.mindflow.de/tombio; zuletzt abgerufen am 18. Februar 2025): „Kirchliche Zweifel und persönliche Rebellion. Die Vorbereitung und Teilnahme an der Kommunion offenbarte Toms kritische Haltung gegenüber der Kirche. Er erlebte den Gottesdienst als energieraubend und fühlte sich durch die kirchlichen Strukturen manipuliert, was ihn dazu brachte, seine Zeit in der Kirche bewusst zu begrenzen und eigenständige Entscheidungen gegen die erzkonservative kirchliche Erziehung zu treffen.“ Angesichts dieser Äußerungen kann dem Antragsteller nicht abgenommen werden, dass er tatsächlich beabsichtigt hätte, im streitgegenständlichen Zeitraum an Zusammenkünften der katholischen Kirche teilzunehmen. Dass er an Zusammenkünften anderer Glaubensgemeinschaften habe teilnehmen wollen, hat der Antragsteller nicht vorgetragen.
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B. Der Normenkontrollantrag ist im Übrigen unbegründet, weil das Veranstaltungsverbot des § 1 Abs. 1 Satz 1 2. BayIfSMV rechtmäßig war.
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1. § 32 Satz 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. 2000 I 1045) i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona- Krise (Corona -Steuerhilfsgesetz) vom 19. Juni 2020 (BGBl. 2020 I 1385) ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen (u.a.) nach § 28 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der bei Erlass und während der Geltung der Verordnung zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I 587) geänderten Fassung dieser Vorschrift trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von Satz 1 Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1GG) werden insoweit eingeschränkt (§§ 28 Abs. 1 Satz 4, 32 Satz 3 IfSG).
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Die Untersagung von Veranstaltungen, die dazu dienen sollte, die Verbreitung der COVID-19-Krankheit und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, konnte unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht eine notwendige Schutzmaßnahme i.S.v. § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – BVerwGE 177, 60).
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2. Die infektionsschutzrechtliche Generalklausel des § 32 Satz 1 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG war beim Erlass von § 1 Abs. 1 Satz 1 2. BayIfSMV und während der Geltungsdauer der Regelungen eine verfassungsgemäße Grundlage für die Untersagung von Veranstaltungen und Versammlungen. Die Generalklausel genügte in der maßgeblichen Zeit sowohl den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) als auch denen des Parlamentsvorbehalts als einer Ausformung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips (BVerwG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 5.22 – NVwZ 2023,1846; U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – juris). § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG i. d. F. vom 27. März 2020 war eine verfassungsgemäße Grundlage für das Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen (BVerwG, U. v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – BVerwGE 179, 168-186).
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Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Verbote zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit erlassen werden können, lagen vor. Bei Erlass der Verordnung waren unstreitig – auch in Bayern – Kranke festgestellt worden. Regelungen zur Beschränkung von Kontakten und zur Beschränkung von Einrichtungen und Betrieben, die – wie hier – unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht in der betroffenen Einrichtung oder in dem jeweiligen Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit angeordnet werden, können notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 21 ff.). Notwendige Schutzmaßnahmen in diesem Sinne müssen an dem Ziel ausgerichtet sein, die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, und sie müssen verhältnismäßig sein, das heißt geeignet und erforderlich, den Zweck zu erreichen, sowie verhältnismäßig im engeren Sinne (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 12).
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3. Die Untersagung von Veranstaltungen war verhältnismäßig und damit eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG.
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a) Der Verordnungsgeber verfolgte mit der Untersagung von Veranstaltungen und Versammlungen durch § 1 2. BayIfSMV ein Ziel, das mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung im Einklang stand.
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Der 2. BayIfSMV vom 16. April 2020 lagen die Ergebnisse der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 15. April 2020 zugrunde (https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv-bundesregierung/telefonschaltkonferenz-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-15-april-2020-1744228). Dort wurde u.a. festgestellt, dass die hohe Dynamik der Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) in Deutschland in der ersten Märzhälfte dazu geführt habe, dass Bund und Länder für die Bürgerinnen und Bürger einschneidende Beschränkungen verfügen mussten, um die Menschen vor der Infektion zu schützen und eine Überforderung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Durch die Beschränkungen sei erreicht worden, dass die Infektionsgeschwindigkeit in Deutschland abgenommen habe. Ohne Beschränkungen nehme allerdings die Infektionsgeschwindigkeit sehr schnell zu, während das Verlangsamen des Geschehens sehr viel Zeit brauche und einschneidende Maßnahmen erfordere. Deshalb müsse alles getan werden, um die Erfolge der letzten Wochen zu sichern.
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Für die kommende Zeit sei die Leitschnur des Handelns, dass alle Menschen in Deutschland so gut wie möglich vor der Infektion geschützt würden. Das gelte besonders für ältere und vorerkrankte Menschen, aber auch bei jüngeren Infizierten gebe es schwere Verläufe. Deshalb stünden Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen überall und insbesondere dort, wo Kontakte notwendig sind, etwa in bestimmten Arbeitsumgebungen, besonders im Mittelpunkt. Es werde in kleinen Schritten daran gearbeitet, das öffentliche Leben wieder zu beginnen, den Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr Freizügigkeit zu ermöglichen und die gestörten Wertschöpfungsketten wiederherzustellen. Dies müsse jedoch gut vorbereitet werden und in jedem Einzelfall durch Schutzmaßnahmen so begleitet werden, dass das Entstehen neuer Infektionsketten bestmöglich vermieden werde. Der Maßstab bleibe dabei, dass die Infektionsdynamik so moderat bleiben müsse, dass das Gesundheitswesen jedem Infizierten die bestmögliche Behandlung ermöglichen könne und die Zahl der schweren und tödlichen Verläufe minimiert werde.
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Dieses Ziel entsprach dem Zweck der Verordnungsermächtigung, übertragbare Krankheiten zu bekämpfen (§ 32 Satz 1 IfSG) und ihre Verbreitung zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG).
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b) Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Verbote und Einschränkungen gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, hatte eine tragfähige tatsächliche Grundlage (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 177; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 52).
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Exemplarisch heißt es im Situationsbericht des RKI vom 16. April 2020 (https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/C/COVID-19-Pandemie/Situationsberichte/Maerz-Aug_2020/2020-04-16-de.pdf? blob=publicationFile& v=1):
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„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Diese Gefährdung variiert von Region zu Region. Die Belastung des Gesundheitswesens hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, soziale Distanzierung) ab und kann örtlich sehr hoch sein. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.“
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In Bayern wurden dabei regelmäßig die bundesweit höchstens Inzidenzen ausgewiesen. Die Risikobewertung des RKI veränderte sich während der Geltungsdauer der Norm nur unmaßgeblich.
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Soweit der Antragsteller einwendet, dass die Fallzahlen des RKI zum Nachweis der vom Gesetz erforderlichen Neuinfektionen nicht geeignet gewesen seien, so greift dieser Einwand nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehen keine Zweifel, dass die in Deutschland durchgeführten PCR-Tests, deren Ergebnisse in die Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts zur Gefahrenlage und zur Wirksamkeit der Impfstoffe einfließen, geeignet sind, verlässliche Indikatoren für Infektionen mit SARS-CoV-2 zu liefern. Es leuchtet nämlich ein, dass der Nachweis einer erheblichen Konzentration an für SARS-CoV-2 typischen Nukleotidsequenzen ein Indikator für die Wirksamkeit des Virus in einem Organismus ist. Sie bilden – wie vom Robert-Koch-Institut angenommen – den „Goldstandard für den Nachweis von SARS-CoV-2“ (BVerwG, B. v. 7.7.2022 – 1 WB 2.22 – BVerwGE 176, 138 Rn 153). Der Umstand, dass ein positiver PCR-Test nicht notwendigerweise bedeutete, dass ein Patient im Zeitpunkt der Testung (noch) infektiös, also ansteckend, war, ändert nichts daran, dass die seinerzeit täglich in sehr großer Zahl durchgeführten PCR-Tests Rückschlüsse darauf zuließen, wie weit sich das Virus ausgebreitet hatte und in welchem Umfang weitere Infektionen drohten (OVG NRW, U. v. 24.9.2024 – 13 D 236/20.NE – BeckRS 2024, 29552).
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Dass das RKI eine selbstständige Bundesoberbehörde im Sinne des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG ist und damit gegenüber der Bundesregierung bzw. dem Gesundheitsminister weisungsgebunden, ändert an dieser Beurteilung nichts. Zunächst einmal durfte sich der Antragsgegner auf die damaligen offiziellen Stellungnahmen des RKI stützen, da dieses durch die Entscheidung des Gesetzgebers dazu berufen war, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren. Anhaltspunkte dafür, dass es diese Aufgabe nicht erfüllte, fehlten (VGH BW, U. v. 11.4.2024 – 1 S 278/23 – BeckRS 2024, 12539 Rn 125). Das RKI ist gemäß § 4 IfSG die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (Absatz 1 Satz 1). Es arbeitet u. a. mit wissenschaftlichen Einrichtungen und Fachgesellschaften, mit ausländischen Stellen und internationalen Organisationen sowie mit der Weltgesundheitsorganisation zusammen (Absatz 1 Satz 3, Absatz 3 Satz 1). Zu seinen Aufgaben gehört die Erstellung von Empfehlungen und sonstigen Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten (Absatz 2 Nr. 1). Es wertet die Daten zu meldepflichtigen Krankheiten und Nachweisen von Krankheitserregern infektionsepidemiologisch aus (Absatz 2 Nr. 2) und stellt die Ergebnisse der Auswertungen u. a. den obersten Landesgesundheitsbehörden und den Gesundheitsämtern zur Verfügung (Absatz 2 Nr. 3 Buchst. c und d). Das RKI ist eine infektionsepidemiologische Leit- und Koordinierungsstelle (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften <Seuchenrechtsneuordnungsgesetz – SeuchRNeuG>, BT-Drs. 14/2530 S. 45). Durch seine Aufgabe, die Erkenntnisse zu einer übertragbaren Krankheit durch Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren, verfügt es über eine besondere fachliche Expertise bei der Risikoeinschätzung und -bewertung einer übertragbaren Krankheit (BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris Rn 56).
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Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften kommt es allein darauf an, ob der Verordnungsgeber im fraglichen Zeitraum ihrer Geltung die von ihm bejahte Gefahrenlage aufgrund der damaligen offiziellen Stellungnahmen des RKI i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 1 IfSG annehmen konnte. Eine nachträgliche abweichende Einschätzung anderer Sachverständiger oder die Berufung auf spätere Studien kann hieran nichts ändern. Denn – wie stets im Recht der Gefahrenabwehr (vgl. nur Graulich, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl., E Rn. 126 ff.; BVerwG, Beschluss vom 06.03.2008 – 7 B 13.08 – juris Rn. 9) – die ex ante rechtmäßig prognostizierte Gefahr entfällt selbst dann nicht, wenn ex post festgestellt wird, dass zum damaligen Zeitpunkt keine Gefahrenlage bestand. Für die Beurteilung der Gefahrenlage stellt folglich das materielle Recht, hier das Infektionsschutzrecht auf die zum damaligen Zeitpunkt vorhandenen und dem Verordnungsgeber verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten ab (BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris Rn. 57; BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. – juris Rn. 171, 185, 204). Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang bemängelt, dass der Antragsgegner es unterlassen habe, seine Entscheidungsfindung hinreichend aktenmäßig zu dokumentieren, wird darauf hingewiesen, dass zum damaligen Zeitpunkt keine Begründungspflicht für Verordnungen nach § 32 IfSG existierte und nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht auch der prozessuale Vortrag des Verordnungsgebers einzubeziehen ist, der seine Beweggründe und Einschätzungen wiedergibt (vgl. nur BVerwG, U. v. 18.4.2024 – 3 CN 8.22 – juris). Deshalb musste auch der Beweisanregung des Antragstellers, die damaligen Kabinettsmitglieder der Bayerischen Staatsregierung hierzu zu befragen, nicht nachgegangen werden.
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Im Übrigen weist das RKI zu Recht darauf hin, dass während der COVID-19-Pandemie im Zuge des RKIinternen Lage- bzw. Krisenmanagements Besprechungen durchgeführt worden seien, in denen die Lage bewertet und RKI-Aktivitäten koordiniert wurden. Zu diesen Treffen seien Protokolle angefertigt worden. Als interne Arbeitsdokumente hätten sie dazu gedient, den Informationsfluss und die Abstimmung innerhalb des RKI sicherzustellen. Die Protokolle spiegelten den offenen wissenschaftlichen Diskurs wider, in dem verschiedene Perspektiven angesprochen und abgewogen würden. Die Bewertungen reflektierten den Stand des Wissens und auch der öffentlichen Debatte im Krisenstab zum jeweiligen Zeitpunkt. Einzelne Äußerungen im Rahmen solcher Diskussionen stellten nicht zwangsläufig eine abschließende wissenschaftliche Bewertung oder die abgestimmte Position des RKI dar. Die Krisenstabs-Protokolle seien daher nicht zu verwechseln mit offiziellen Veröffentlichungen oder Empfehlungen (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQs/DE/COVID-19-Pandemie/Protokolle/FAQ-Liste-Krisenstab.html#entry_16925118; https://www.rki.de/SharedDocs/FAQs/DE/COVID-19-Pandemie/Protokolle/FAQ-Liste-Krisenstab.html#entry_16925130). Die beantragte Beiziehung der Protokolle zu den Gerichtsakten war nicht notwendig, weil diese mittlerweile öffentlich zugänglich sind.
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c) Der Antragsgegner hat das in § 1 Abs. 1 Satz 1 2. BayIfSMV festgelegte Veranstaltungsverbot als geeignet ansehen dürfen, um das mit der Verordnung verfolgte Ziel zu erreichen.
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aa) Für die Eignung reicht es aus, wenn die Verordnungsregelung den verfolgten Zweck fördern kann. Bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 185; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 59, jeweils m. w. N.).
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bb) Ausgehend von der Beurteilung des RKI zur Übertragbarkeit des Virus war das Veranstaltungs- und Versammlungsverbot geeignet, physische Kontakte zwischen Menschen zu reduzieren, um weitere Infektionen mit dem hochansteckenden Virus SARS-CoV-2 einzudämmen und damit den Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zur Behandlung schwer- und schwerstkranker Menschen sicherzustellen. Dies gilt im Übrigen allgemein für Maßnahmen, um Ansammlungen zu verhindern (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG) und damit auch allgemein die Mobilität innerhalb der Bevölkerung zu reduzieren. Durch das Veranstaltungsverbot kommt es zur Kontaktreduzierung im öffentlichen und privaten Raum.
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d) Das durch § 1 Abs. 1 Satz 1 BayIfSMV festgelegte Veranstaltungsverbot war eine zur Zweckerreichung erforderliche Maßnahmen.
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aa) An der Erforderlichkeit einer Maßnahme fehlt es, wenn dem Verordnungsgeber eine andere, gleich wirksame Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zwecks zur Verfügung steht, die weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreift und Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet. Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme zur Zweckerreichung muss dafür in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 203 m. w. N.; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 63).
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Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit hatte der Verordnungsgeber angesichts der auch im hier maßgeblichen Zeitraum noch fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus und den Wirkungen von Schutzmaßnahmen einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren (vgl. BVerfG, U. v. 16.5.2023 – 3 CN 6.22 – Rn. 65; B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781.21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 204). Ein solcher Spielraum hat jedoch Grenzen. Die Einschätzung des Verordnungsgebers muss auf ausreichend tragfähigen Grundlagen beruhen. Das Ergebnis der Prognose muss einleuchtend begründet und damit plausibel sein (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 64). Das unterliegt der gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 17 ff.).
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Im vorliegenden Fall kamen als mildere Maßnahmen Ansammlungsbeschränkungen in Betracht, wie z.B. Abstandsgebote, Hygieneregeln sowie personelle, zeitliche und örtliche Beschränkungen (so etwa Kersten/Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, 2. Auflage 2021, V.3. unter Hinweis auf VG Hamburg, B. v. 16.4.2020 – 17 E 1648/20 – BeckRS 2020, 9930, Rn. 13 ff). Stehen dem Verordnungsgeber bei der Bekämpfung einer pandemischen Infektionslage abgestufte, unmittelbar wirkende Bekämpfungsmaßnahmen zur Verfügung, so ist er nicht verpflichtet, bei der Bekämpfung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit und den Unsicherheiten über den Erfolgseintritt der möglichen Bekämpfungsmaßnahmen, im Zweifel die den Einzelnen weniger belastende Maßnahme auszuwählen. Dies liegt innerhalb des Spielraumes des Verordnungsgebers. Dies gilt im hier zu entscheidenden Fall vor allem auch deshalb, weil der Gesetzgeber in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG die Beschränkung und das Verbot von Ansammlungen ausdrücklich als Bekämpfungsmaßnahme aufgeführt hat. Deshalb war aus der Sicht im Zeitraum des Erlasses und der Geltungsdauer der streitgegenständlichen Norm die Reduktion der Anzahl der Versammlungen durch ein repressives Verbot mit Ausnahmemöglichkeit voraussichtlich besser geeignet als Versammlungsbeschränkungen oder ein bloßer Erlaubnisvorbehalt, um die Anzahl und das Ausmaß von Versammlungen und damit Ansammlungen i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG zu reduzieren und so die Verbreitung des Coronavirus besser zu hemmen. Letztlich ist entscheidend, dass das Ziel, durch eine erhebliche Reduzierung der Kontakte in der Bevölkerung insgesamt das Infektionsgeschehen aufzuhalten und eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern, ohne breit angelegte Infektionsschutzmaßnahmen jedenfalls aus damaliger Sicht nicht zu erreichen gewesen war (vgl. zur Erforderlichkeit von Versammlungsverboten: BVerwG, U. v. 21.6.2023 – 3 CN 1.22 – juris Rn 38ff).
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d) Das in § 1 Abs. 1 2. BayIfSMV angeordnete Veranstaltungsverbot war angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne.
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aa) Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 216 m. w. N.). In einer Abwägung sind Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits und die Bedeutung der Maßnahme für die Zweckerreichung andererseits gegenüberzustellen. Angemessen ist eine Maßnahme dann, wenn bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Dabei ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Gewicht des Eingriffs und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (stRspr, vgl. BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – NVwZ 2023, 1000 Rn. 75 m. w. N.).
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bb) Die Untersagung aller Veranstaltungen durch § 1 Abs. 1 2. BayIfSMV war ein schwerer Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG und im Falle des Antragstellers in dessen Berufsfreiheit als Berufsausübungsregelung. Das Gewicht des Grundrechtseingriffs wurde dadurch erhöht, dass Veranstaltungen in Bayern bereits seit dem 16. März 2020 untersagt worden waren, bereits aufgrund der Nr. 1 der Allgemeinverfügung vom 16. März 2020 (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020, Az. 51-G8000-2020/122-67).
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Auf der anderen Seite enthielt § 1 Abs. 1 Satz 1 2. BayIfSMV seinem Wortlaut ein repressives Verbot mit Befreiungsmöglichkeit, was den Eingriff abmilderte. Der Verordnungsgeber ging bei seiner Regelung davon aus, dass bei der Einschätzung der damaligen Infektionsgefahr durch SARS-CoV-2 Ansammlungen i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 2 lfSG grundsätzlich aus infektionsschutzrechtlicher Sicht nicht vertretbar waren. Lediglich soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar war, konnten durch die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden Ausnahmegenehmigungen erteilt werden (§ 1 Abs. 1 Satz 3 1. BayIfSMV).
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Zudem bestand die Möglichkeit, Veranstaltungen, wie die des Antragstellers, in digitaler Form abzuhalten.
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cc) Den durch die Untersagung von Veranstaltungen bewirkten, gewichtigen Grundrechtseingriffen standen Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung gegenüber. Ziel der Verordnung war es, die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und der dadurch verursachten bedrohlichen COVID-19-Erkrankung (vgl. § 2 Nr. 3a IfSG) zu verlangsamen und damit die Bevölkerung vor Lebens- und Gesundheitsgefahren zu schützen. Die Rechtsgüter Leben und Gesundheit haben eine überragende Bedeutung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u. a. – BVerfGE 159, 223 Rn. 231 m. w. N.; BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 2.21 – NVwZ 2023, 1011 Rn. 32). Der Verordnungsgeber durfte bei Erlass des generellen Veranstaltungsverbots davon ausgehen, dass dringlicher Handlungsbedarf bestand. Das RKI schätzte die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland als hoch ein. In die Prüfung der Angemessenheit ist über die Bedeutung des verfolgten Zwecks hinaus einzustellen, in welchem Maße er durch die in Rede stehende Maßnahme gefördert wird. Der Verordnungsgeber durfte zugrunde legen, dass die Maßnahme einen qualitativ und quantitativ erheblichen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten konnte, physische Kontakte zu reduzieren und dadurch die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern.
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Zudem muss vergegenwärtigt werden, dass auf der Grundlage des damaligen wissenschaftlichen Kenntnisstandes keineswegs geklärt war, auf welche Weise und mit welcher Wahrscheinlichkeit sich das Coronavirus ausbreitet und zukünftig ausbreiten wird (vgl. Mitteilungen des Arbeitskreises Blut des Bundesministeriums für Gesundheit S. 2, https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/AK_Blut/Stellungnahmen/download/COVID.pdf? blob=publicationFile). Relativ bald wurde jedoch von einer hohen Infektiosität des Virus ausgegangen (COVID-19: Jetzt handeln, vorausschauend planen Strategie-Ergänzung zu empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen und Ziel vom 19. März 2020 S. 1, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/12_20.pdf? blob=publicationFile). Schließlich muss in die Betrachtung das hohe Infektionspotenzial von Menschenansammlungen einfließen. Hinzu kommt, dass im Geltungszeitraum der streitgegenständlichen Regelung eine erhebliche Knappheit an Mund-Nase-Bedeckungen, mithilfe derer sich das Gefährdungspotential von Versammlungen hätte verringern lassen, herrschte. Diese sollten vorrangig für das medizinische und pflegerische Personal bereitgestellt werden (vgl. hierzu Ergänzung zum Nationalen Pandemieplan – COVID-19 – neuartige Coronaviruserkrankung S. 24/25, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Ergaenzung_Pandemieplan_Covid.pdf? blob=publicationFile;). Mund-Nasen-Schutz und FFP2-/FFP3-Masken waren auch später ein essenzieller Bestandteil einer sicheren Arbeitssituation in Krankenhäusern und bei der Pflege von Erkrankten und hilfsbedürftigen Menschen und mussten prioritär in diesen Bereichen eingesetzt werden (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20.pdf? blob=publicationFile).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.
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4. Die Revision wird nicht zugelassen.