Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.06.2025 – 19 ZB 25.836
Titel:

Allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung: Kein, Ausweisungsinteresse, Atypischer Ausnahmefall (verneint), Arbeitsmarktpolitische Erwägungen

Normenketten:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 54 Abs. 2 Nr. 10
Schlagworte:
Allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung: Kein, Ausweisungsinteresse, Atypischer Ausnahmefall (verneint), Arbeitsmarktpolitische Erwägungen
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 19.03.2025 – AN 5 K 25.293
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13953

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zur unqualifizierten Beschäftigung als Hilfskraft bei einer Firma für Betonstahlarmierung weiter.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
3
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Das ist hier nicht der Fall.
4
Das Verwaltungsgericht führt zu Recht aus, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger bereits daran scheitert, dass in seinem Fall die Regelerteilungsvoraussetzung, dass kein Ausweisungsinteresse besteht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), nicht erfüllt ist, und auch nicht ausnahmsweise von dieser Voraussetzung abzusehen ist.
5
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Tätigkeit des Klägers als Eisenflechter bei einem Nürnberger Bauunternehmen kein solches Gewicht hat, dass sie vor dem Hintergrund der Straffälligkeit des Klägers einen atypischen Ausnahmefall begründen könnte. Der Senat meint indes nicht, dass die Arbeitgeberinteressen und die (behauptete) Bedeutung der Tätigkeit des Klägers im Rahmen der Infrastrukturmaßnahmen des Bundes (insbesondere Brückensanierungen) eine Atypik begründen können. Denn ein solches Verständnis würde sachfremde arbeitsmarktpolitische Erwägungen in die gerichtliche Prüfung einbringen, die sich auf die Person des Klägers bzw. dessen Integration im Bundesgebiet zu beschränken hat.
6
Ein atypischer Ausnahmefall ist vielmehr nur dann gegeben, wenn ein atypischer Geschehensablauf festzustellen ist, der so bedeutsam ist, dass er das Gewicht der nicht erfüllten gesetzlichen Regelerteilungsvoraussetzung beseitigt, oder aber dann, wenn aus Gründen höherrangigen Rechts oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK eine Titelerteilung geboten ist. Im Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer Atypik bei Nichterfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist insbesondere in den Blick zu nehmen, ob ein besonders schwerwiegendes oder ein schwerwiegendes Bleibeinteresse des Ausländers im Sinne des § 55 AufenthG, atypische Umstände des Einzelfalles im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG oder unions-, verfassungs- oder konventionsrechtliche Wertentscheidungen der Annahme eines Ausweisungsinteresses entgegenstehen. Von einer Ausnahme von der Regel des Nichtvorliegens eines Ausweisungsinteresses ist indes nicht zwingend bereits dann auszugehen, wenn den Ausweisungsinteressen Bleibeinteressen entgegenstehen, mögen diese auch besonders schwerwiegend im Sinne des § 55 Abs. 1 AufenthG sein; vielmehr bedarf es in jedem Einzelfall einer sämtliche Umstände berücksichtigenden Abwägung der widerstreitenden Belange (VGH BW, B.v. 29.4.2025 – 12 S 1057/24 – juris Rn. 19).
7
Dies zugrunde gelegt, gilt Folgendes:
8
Der Voraufenthalt des Klägers (annähernd 6 Jahre) und eine damit verbundene Integration begründet für sich genommen nicht die Annahme eines Ausnahmefalls (Maor in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.4.2025, § 5 AufenthG Rn. 20d). Mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK (s.o.) ist eine Abwägung der Gesamtumstände vorzunehmen, die aber nicht zu einem Vorrang der Interessen des Klägers an der Fortsetzung seines Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber dem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse führt. Da die Aufenthaltserlaubnis des Klägers abgelaufen ist, kann er kein schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Anspruch nehmen (vgl. dazu, dass eine Aufenthaltserlaubnis tatsächlich erteilt worden sein muss und eine Fiktionsbescheinigung nicht ausreicht: BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 C 32.22 – juris). Folglich steht trotz der vorhandenen wirtschaftlichen Integration des Antragstellers kein dem vorliegenden schwerwiegenden Ausweisungsinteresse gleichrangiges Bleibeinteresse gegenüber. Des Weiteren stehen der Annahme einer Integration in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland die strafrechtlichen Verfehlungen (Urkundenfälschung, fahrlässiges bzw. vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis) entgegen. Schützenswerte familiäre oder sonstige soziale Bindungen sind nicht dargelegt. Dass es Teil seiner Lebensplanung ist, zusammen mit seiner Ehefrau, die derzeit noch in Albanien Rechtswissenschaften studiert, in der Bundesrepublik eine Existenz aufzubauen, kann im Rahmen dieser Abwägung keine Berücksichtigung finden, da damit nur mögliche Zukunftspläne angesprochen sind. Folglich begründen die Bleibeinteressen des Antragstellers im Hinblick auf das schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 Alt. 1 AufenthG keinen atypischen Ausnahmefall nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
9
Daran ändert auch nichts, dass der Kläger nunmehr seit einem halben Jahr einen Integrationskurs besucht. Auch die Einwendungen des Klägers, dass die Anhörung, in deren Rahmen er am 11. Juni 2024 das gefälschte Deutsch-Zertifikat B1 vorgelegt hat, zu Unrecht erfolgt sein soll bzw. es beim fahrlässigen bzw. vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis nicht zu einer Gefährdung des Straßenverkehrs gekommen sei und die Möglichkeit der Umschreibung der albanischen Fahrerlaubnis zeige, dass der deutsche Gesetzgeber eine neue Fahrerlaubnisprüfung nicht für erforderlich halte und von ausreichenden Kenntnissen der Straßenverkehrsordnung ausgehe, rechtfertigen kein Abweichen vom Regelfall. Insbesondere wäre der Kläger selbst im Fall einer nicht erforderlichen Vorsprache bei der Ausländerbehörde in keiner Weise davon entlastet, dass er der Ausländerbehörde ein gefälschtes Deutsch-Zertifikat B1 übergeben hat. Auch die Behauptung, der Kläger sei nicht nach § 44a AufenthG zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet gewesen, vermag das Gewicht des Ausweisungsinteresses nicht zu mindern. Der Kläger hat sein Schicksal mit der Vorlage des gefälschten Deutsch-Zertifikats B1 selbst in die Hand genommen und muss nunmehr die Konsequenzen tragen.
10
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
11
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
12
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).