Titel:
Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren
Normenkette:
FreizügG/EU § 2 Abs. 4 S. 2
Leitsatz:
Ein "Begleiten" oder "Nachziehen" iSd § 2 Abs. 4 Satz 2 FreizügG/EU setzt neben dem Bestehen des formalen Bandes der Ehe im Wesentlichen nur voraus, dass sich die Eheleute im selben Mitgliedstaat aufhalten; das gilt jedoch nicht, soweit das Freizügigkeitsrecht etwa durch eine Scheinehe missbräuchlich erlangt werden soll. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechtes, Scheinehe, familiäre Lebensgemeinschaft, Begleiten, Nachziehen
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 07.02.2023 – AN 5 K 22.2403
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13952
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 2022 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 23. November 2022 sowie auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte, hilfsweise auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels weiter. Mit dem Bescheid vom 14. Oktober 2022 stellte die Beklagte das Nichtbestehen des Rechts der Klägerin auf Einreise und Aufenthalt fest (Ziffer 1), befristete die Wirkungen der Verlustfeststellung und einer gegebenenfalls durchzuführenden Abschiebung auf die Dauer von vier Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung (Ziffer 2), forderte die Klägerin zur Ausreise innerhalb eines Monats ab Unanfechtbarkeit des Bescheides auf (Ziffer 3) und drohte der Klägerin anderenfalls die Abschiebung insbesondere nach Pakistan an (Ziffer 4). Mit dem Ergänzungsbescheid vom 23. November 2022 lehnte die Beklagte die weitere Ausstellung einer Aufenthaltskarte (Ziffer 2.1) sowie die Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels ab (Ziffer 2.2).
2
1. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegt nicht vor bzw. ist schon nicht dargelegt.
3
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn die Klägerin im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
4
Das Verwaltungsgericht hat die Klage hinsichtlich der von der Beklagten getroffenen Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechtes der Klägerin als Ehegattin eines Unionsbürgers gem. § 2 Abs. 7 Satz 2 FreizügG/EU a.F. (nunmehr § 2 Abs. 4 Satz 2 FreizügG/EU i.d.F. des Ges. v. 20.4.2023, BGBl. I Nr. 106) mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin als Drittstaatsangehörige habe den rumänischen Unionsbürger nicht zur Herstellung oder Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft in das Bundesgebiet begleitet und sei ihm auch nicht zu diesem Zweck nachgezogen. Es sei von einer Scheinehe der Klägerin und Herrn A. auszugehen, die von Anfang an nur zum Zweck der Inanspruchnahme des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts seitens der drittstaatsangehörigen Klägerin geschlossen worden sei.
5
Die Klägerin zieht die Tatsachenfeststellungen und rechtlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts mit ihrem Vorbringen nicht substantiiert in Frage.
6
1.1 Indem die Klägerin geltend macht, sie sei ohne ihren Ehemann hilflos in einem für sie fremden Land gewesen, sie habe ihn in einem Lokal in Polen kennengelernt, wo sie schwarz als Bedienung gearbeitet habe, er habe ihr erklärt, dass er als Autohändler in Deutschland gute Geschäfte mache, aber auch sehr viel unterwegs sei, und dies habe sie ihm geglaubt, weil sie keinen Grund gehabt habe, an der Wahrheit seiner Angaben zu zweifeln, legt sie schon keine ernstlichen Zweifel dar. Die Klägerin zeigt nicht auf, welches tragende Begründungselement, d.h. welcher einzelne tragende Rechtssatz oder welche einzelne tragende Tatsachenfeststellung der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung dadurch in Frage gestellt werden soll. Aus welchen inneren Beweggründen heraus sie die Ehe mit Herrn A. letztlich geschlossen haben mag, ist nicht entscheidend für die Frage, ob die vom Verwaltungsgericht festgestellten objektiven Umstände jedenfalls in der Gesamtschau den Schluss zulassen, dass die Ehe allein zu dem Zweck geschlossen wurde, der Klägerin ein Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet als Ehegattin eines Unionsbürgers zu verschaffen.
7
Gemäß § 2 Abs. 4 Satz 2 FreizügG/EU kann das Nichtbestehen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach Absatz 1 derselben Vorschrift bei einem Familienangehörigen, der – wie die Klägerin – nicht Unionsbürger ist, außerdem festgestellt werden, wenn feststeht, dass er dem Unionsbürger nicht zur Herstellung oder Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft nachzieht oder ihn nicht zu diesem Zweck begleitet. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, setzt ein „Begleiten“ oder „Nachziehen“ im Sinne des § 2 Abs. 4 Satz 2 FreizügG/EU neben dem Bestehen des formalen Bandes der Ehe im Wesentlichen nur voraus, dass sich die Eheleute im selben Mitgliedstaat aufhalten (BVerwG, U.v. 28.3.2019 – 1 C 9.18 – juris Rn. 21 m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung). Es bedarf aus unionsrechtlicher Sicht jedoch einer einschränkenden Auslegung, soweit das Freizügigkeitsrecht missbräuchlich erlangt werden soll, weil nach Art. 35 der RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, und zur Änderung verschiedener unionsrechtlicher Vorschriften (ABl. Nr. L 158, S. 77, ber. ABl. Nr. L 229, S. 35, im Folgenden: Freizügigkeits-RL 2004/38/EG) die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen erlassen können, die notwendig sind, um das Freizügigkeitsrecht im Fall von Rechtsmissbrauch oder Betrug – wie z.B. durch Eingehen von Scheinehen – verweigern, aufheben oder widerrufen zu können. § 2 Abs. 7 FreizügG/EU a.F. (jetzt § 2 Abs. 4 FreizügG/EU) dient der Umsetzung dieser Vorschrift. Als typische Fallkonstellationen rechtsmissbräuchlichen bzw. betrügerischen Verhaltens werden in der Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang unter anderem Scheinehen genannt (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften, BR-Drs. 461/12, S. 12 f.; BT-Drs. 17/10746, S. 9). Eine Scheinehe in diesem Sinne liegt vor, wenn die Ehe lediglich zum Zweck der Inanspruchnahme des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts geschlossen wurde (vgl. Erwägungsgrund 28 der Freizügigkeits-RL 2004/38/EG; BayVGH, B.v. 10.8.2021 – 19 ZB 21.1142 – juris Rn. 17 m.w.N.; ebenso HessVGH, U.v. 27.2.2018 – 6 A 2148/16 – juris Rn. 26; NdsOVG, B.v. 1.9.2023 – 13 ME 131/23 – juris Rn. 11; vgl. auch Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat v. 2.7.2009 über Hilfestellung bei der Umsetzung und Anwendung der RL 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, KOM (2009) 313 endg., S. 16 f.).
8
Das Verwaltungsgericht hat seine Beurteilung der Ehe der Klägerin mit Herrn A. als Scheinehe aus einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls abgeleitet, insbesondere aus widersprüchlichen Angaben der Klägerin im Rahmen ihrer schriftlichen Ehegattenbefragung hinsichtlich wichtiger, sie und Herrn A. betreffender Informationen, des Weiteren aus dem vergleichsweise kurzen Zeitraum von wenigen Monaten zwischen der Einreise der Klägerin im April 2017 und der verlautbarten Trennung am 24. September 2017, mehreren, zum Teil über einen Monat dauernden Aufenthalten des angeblichen Ehemanns in Rumänien bis zur behaupteten Trennung, sowie Unstimmigkeiten hinsichtlich des allein auf den Namen der Klägerin abgeschlossenen Untermietvertrages über die Wohnung in S. und des angeblich dem Ehemann gehörenden Postbankkontos, auf das der Lohn der Klägerin überwiesen werde. Abgesehen davon sieht das Verwaltungsgericht das Fehlen einer registrierten Eheschließung in Rumänien als Indiz dafür an, dass eine ernsthafte und auf Dauer angelegte Bindung zwischen der Klägerin und Herrn A. von Anfang an nicht gewollt gewesen sei und die „unter der Hand“ erfolgte Eheschließung lediglich den Zweck gehabt habe, die entsprechenden Dokumente zu erhalten, mithilfe derer die Klägerin im Bundesgebiet ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht habe vorgeben können. Diese Tatsachenfeststellungen zieht die Klägerin mit ihrem Vorbringen nicht ernstlich in Zweifel.
9
1.2 Dem Vortrag der Klägerin (mit entsprechenden Verweisen auf zivilrechtliche Rechtsprechung bzw. Kommentarliteratur), dass eine Scheinehe nur dann vorliege, wenn sich beide Ehegatten darüber einig seien, keine Verpflichtung nach § 1353 Abs. 1 BGB begründen zu wollen, weshalb keine Scheinehe vorliege, wenn dies nur auf einen der Ehegatten zutreffe, kann nach den vorstehenden Ausführungen nicht gefolgt werden. Die rechtliche Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, dass eine Scheinehe (im oben genannten Sinne) vorliege, die nur zu dem Zweck geschlossen worden sei, der Klägerin ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen, ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts, die die Klägerin nicht ernstlich in Zweifel gezogen hat, nicht zu beanstanden.
10
1.3 Hinsichtlich der zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu der Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltskarte bzw. der Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels trägt die Klägerin keine eigenständigen Zulassungsgründe vor.
11
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
12
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).