Titel:
Erfolgreiche Beschwerde des Antragsgegners im Eilverfahren gegen eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung des Landratsamtes für eine Garagen- und Gerätehalle auf einem gewerblich und landwirtschaftlich genutzten Grundstück
Normenketten:
VwGO § 146 Abs. 4 S. 1, S. 6, § 80 Abs. 5
BayBO Art. 76
Leitsatz:
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts trifft das Landratsamt keine Mitverantwortung wegen Erteilung einer unbestimmten Baugenehmigung, die es bei seiner Ermessensentscheidung hätte berücksichtigen müssen. Selbst wenn das Landratsamt die gewerbliche Nutzung über einen längeren zeitlichen Zeitraum durch Unterlassen bauaufsichtlichen Einschreitens geduldet hätte, schließt dies den späteren Erlass einer Nutzungsuntersagung regelmäßig nicht aus. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nutzungsuntersagung, Ermessen, Mitverschulden der Bauaufsichtsbehörde (verneint), atypischer Fall, Baugenehmigung, Ermessensentscheidung, gewerbliche Nutzung, Landratsamt, Mitverschulden, Verhältnismäßigkeit, Vertrauenstatbestand, Bauaufsichtsbehörde
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 17.04.2025 – RN 6 S 25.485
Fundstellen:
BayVBl 2025, 750
BeckRS 2025, 13942
LSK 2025, 13942
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 17. April 2025 (RN 6 S 25.485) in Nrn. I. und II. geändert und der Antrag insgesamt abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.500…. Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wandte sich im erstinstanzlichen Verfahren gegen eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung des Landratsamtes vom 29. Januar 2025 für eine Garagen- und Gerätehalle auf seinem gewerblich und landwirtschaftlich genutzten Grundstück. Dort wurde mit Bescheid vom 13. März 1995 der Neubau einer Garagen- und Gerätehalle genehmigt; die Halle wurde jedoch planabweichend errichtet und wird gewerblich genutzt.
2
Das Verwaltungsgericht hat auf den Antrag des Antragstellers die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen Nr. 1 des Bescheids vom 29. Januar 2025 wiederhergestellt, soweit die Nutzung der „Garagen- und Gerätehalle“ – ohne überdachten Anbau im Osten – untersagt wird. Zwar seien die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Nutzungsuntersagung erfüllt, die Untersagung der Nutzung der Garagen- und Gerätehalle – ohne überdachten Anbau – sei jedoch voraussichtlich ermessensfehlerhaft. Das Landratsamt hätte bei seinen Ermessenserwägungen berücksichtigen müssen, dass die Garagen- und Gerätehalle seit ihrer planabweichenden Errichtung auch gewerblich genutzt werde und die Behörde insoweit eine Mitverantwortung trage, weil sie mit Bescheid vom 13. März 1995 eine unbestimmte Baugenehmigung erteilt habe.
3
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners. Er macht insbesondere geltend, das Verwaltungsgericht habe aus der lediglich unbeanstandeten, etwaigen tatsächlichen gewerblichen Nutzung nicht den Schluss auf das Vorliegen besonderer Umstände bei der Ermessensausübung ziehen dürfen. Das Landratsamt habe keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, der der ermessensfehlerfreien Anordnung der Nutzungsuntersagung entgegenstehen würde. Es bestehe auch keine Mitverantwortung des Landratsamtes, weil dem Bauantrag die lärmverursachende gewerbliche Tätigkeit des Antragstellers nicht entnommen werden konnte. Mit Schreiben vom 6. Mai 2025 wurden die Ermessenserwägungen des streitgegenständlichen Bescheids vorsorglich ergänzt.
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Der Antragsgegner hat beantragt,
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den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und den Antrag abzulehnen.
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Der Antragsteller hat beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Im Übrigen hat er sich nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet. Aus den im Beschwerdeverfahren fristgerecht vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung in Bezug auf die Garagen- und Gerätehalle (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) zu Unrecht wiedergestellt hat. Der Senat sieht nach einer einem Eilverfahren wie diesem angemessenen summarischen Prüfung im Rahmen der von ihm eigenständig zu treffenden Ermessensentscheidung keine Notwendigkeit für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
11
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Nutzungsuntersagung erfüllt sind und die tatsächlich ausgeübte Nutzung der Garagen- und Gerätehalle nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist. Dem treten weder der Antragsteller noch der Antragsgegner entgegen. Allerdings spricht viel dafür, dass die Nutzungsuntersagung nicht ermessensfehlerhaft ist, weil kein atypischer Fall vorliegt, der eine besondere Begründung, von der Eingriffsbefugnis Gebrauch zu machen, erfordert hätte. Es ist auch keine Mitverantwortung des Landratsamtes für die langjährige gewerbliche Nutzung der planabweichend gebauten Garagen- und Gerätehalle ersichtlich.
12
Das dem Antragsgegner eingeräumte Eingriffsermessen wird in erster Linie entsprechend dem mit der Befugnisnorm des Art. 76 BayBO verfolgten Ziel, rechtmäßige Zustände herzustellen, durch Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte bestimmt. Die Bauaufsichtsbehörde muss in einer Weise vorgehen‚ mit der die ihr obliegende Aufgabe‚ für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu sorgen‚ möglichst effektiv erfüllt wird. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung vor‚ muss im Regelfall daher nicht näher begründet werden‚ weshalb von der Eingriffsbefugnis Gebrauch gemacht wird (sog. intendiertes Ermessen; vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 37 m.w.N; B.v. 14.10.2021 – 1 CS 21.1974 – juris Rn. 14; U.v. 8.7.2022 – 15 B 22.772 – juris Rn. 62.). Allerdings dürfen insbesondere mit Blick auf das Übermaßverbot keine Besonderheiten vorliegen, die ausnahmsweise ein Absehen von der Untersagung erfordern. Eine formell rechtswidrige Nutzung darf daher grundsätzlich nicht untersagt werden‚ wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist bzw. unter Bestandsschutz steht. Eine offensichtlich materiell rechtmäßige Nutzung zu untersagen‚ ohne den Bauherrn vorher vergeblich nach Art. 76 Satz 3 BayBO aufgefordert zu haben‚ einen Bauantrag zu stellen‚ wäre unverhältnismäßig (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 23.3.2023 – 15 ZB 20.2906 – juris Rn. 7). Es entspricht zudem gefestigter Erkenntnis, dass die bloße Duldung einer rechtswidrigen baulichen Anlage über längere Zeiträume hinweg im Sinn des schlichten Unterlassens des bauaufsichtlichen Einschreitens auch bei Kenntnis der Bauaufsichtsbehörde den späteren Erlass einer Beseitigungsanordnung nicht ausschließt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Bauaufsichtsbehörde aufgrund des Hinzutretens besonderer Umstände einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 15 CS 16.1774 – juris Rn. 35).
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Gemessen an diesen Maßstäben liegen keine besonderen Umstände vor, die eine besondere Begründung, von der Nutzungsuntersagung Gebrauch gemacht zu machen, erfordert hätten. Es liegt auch kein entsprechender Vertrauenstatbestand vor.
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Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts trifft das Landratsamt keine Mitverantwortung wegen Erteilung einer unbestimmten Baugenehmigung, die es bei seiner Ermessensentscheidung hätte berücksichtigen müssen. In dem der Baugenehmigung vom 13. März 1995 zugrundeliegenden Bauantrag des Antragstellers ist die Nummer 7. „Gewerbliche Anlagen“ nicht ausgefüllt, während in Nummer 8. zur Frage nach einem vereinfachten Genehmigungsverfahren „ein landwirtschaftliches Betriebsgebäude oder ein eingeschossiges gewerbliches Lagergebäude mit Stützweiten von nicht mehr als 12 m und mit Grundflächen von nicht mehr als 250 qm“ angekreuzt ist. Demnach handelt es sich mangels Angaben des Bauherrn zu einer gewerblichen Tätigkeit nicht um den Antrag für die Erteilung der Genehmigung eines gewerblichen Lagergebäudes. Eine lärmverursachende, gewerbliche Tätigkeit, wie sie der Antragsteller ausübt, wurde auch nicht genehmigt. Selbst wenn das Landratsamt die gewerbliche Nutzung über einen längeren zeitlichen Zeitraum durch Unterlassen bauaufsichtlichen Einschreitens geduldet hätte, schließt dies den späteren Erlass einer Nutzungsuntersagung regelmäßig nicht aus (BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 15 CS 16.1774 – juris Rn. 35). Dies gilt umso mehr, als das Landratsamt ausweislich des Berichts des Baukontrolleurs vom 19. September 2024 (Bl. 40 der Behördenakte) erst am 5. September 2024 festgestellt hat, dass der Antragsteller die 1995 genehmigte Garagen- und Gerätehalle planabweichend errichtet hat. Auf die Aspekte der vom Landratsamt mit Schreiben vom 6. Mai 2025 nachgeschobenen Ermessenserwägungen kommt es daher nicht an.
15
Unter Berücksichtigung der sich aus den obigen Ausführungen ergebenden mangelnden Erfolgsaussichten in der Hauptsache kommt der Senat im Rahmen seiner eigenständig zu treffenden Ermessensentscheidung zu dem Ergebnis, dass das vom Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachte Suspensivinteresse das Interesse der Allgemeinheit, Bezugsfälle durch die rechtswidrige Nutzung von baulichen Anlagen zu verhindern, nicht überwiegt. Der Antragsteller hat vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht, es seien die wirtschaftlichen Auswirkungen der Nutzungsuntersagung für seinen Betrieb zu berücksichtigen. Nachdem in der Zeit von November bis April die Erdbauarbeiten seines Unternehmens witterungsbedingt nicht ausgeführt werden könnten, könne er die Gehälter seiner Mitarbeiter nur finanzieren, wenn er die Halle für den Winterdienst und Reparaturarbeiten nutzen könne, eine andere Halle stehe ihm nicht zur Verfügung. Im Hinblick darauf, dass die Nutzungsuntersagung mit Bescheid vom 29. Januar 2025 erlassen wurde, bleibt dem Antragsteller bis November 2025 allerdings ausreichend Zeit, eine andere Halle anzumieten oder alternative Möglichkeiten zu suchen.
16
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; der Senat folgt der Begründung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden. Da das Verwaltungsgericht für die im Beschwerdeverfahren nicht mehr streitgegenständliche Nutzungsuntersagung des Anbaus einen Streitwert von 3.000 Euro angesetzt hatte, ergibt sich im Beschwerdeverfahren allerdings nur noch ein Streitwert von 4.500 Euro.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).