Titel:
Vormerkung für Sozialwohnung, Prüfungsmaßstab im Eilverfahren, „Quervergleich“, Linderung sozialer Hilfsbedürftigkeit in dringenden Fällen
Normenketten:
BayWoBindG Art. 5 S. 3
DVWoR § 3
Schlagworte:
Vormerkung für Sozialwohnung, Prüfungsmaßstab im Eilverfahren, „Quervergleich“, Linderung sozialer Hilfsbedürftigkeit in dringenden Fällen
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 15.05.2025 – M 12 E 25.255
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13929
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 15. Mai 2025 – M 12 E 25.255 – wird aufgehoben.
II. Das Antragsverfahren (§ 123 VwGO) wird zu erneuter Prüfung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.
Gründe
1
Die zulässige Beschwerde, mit der der Antragsteller sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München vom 15. Mai 2025 – M 12 E 25.255 – wendet und (sinngemäß) sein Begehren weiterverfolgt, im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) die Vormerkung für eine Sozialwohnung mit höherer Dringlichkeit (Festsetzung einer Gesamtpunktzahl von 140 statt 120) zu erwirken, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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Der Senat kann die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, es fehle an einer schlüssigen Darlegung und Glaubhaftmachung eines entsprechenden Anordnungsanspruchs – jedenfalls nach derzeitiger Erkenntnislage – nicht teilen. Ob dem Antragsteller mit hohem Grad an Wahrscheinlichkeit tatsächlich kein Anordnungsanspruch in Gestalt einer Vormerkung für eine Sozialwohnung mit höherer Dringlichkeit zusteht, kann erst nach Durchführung eines „Quervergleichs“ beurteilt werden, dem sich die Kammer jedoch bislang enthalten hat.
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Die Antragsgegnerin hat in ihrer Verwaltungspraxis, auch soweit diese auf ermessenslenkenden Richtlinien gründet, die als reines Innenrecht – anders als Rechtsnormen – einer eigenständigen richterlichen Interpretation nicht unterliegen (vgl. BayVGH, U.v. 28.7.2005 – 4 B 01.2536 –, BayVBl. 2006, 731 m.w.N.), sicherzustellen, dass ihre Ermessensausübung im konkreten Einzelfall den zwingenden gesetzlichen Vorgaben des Art. 5 Sätze 3, 5 und 6, 2. Halbsatz WoBindG i.V.m. § 3 Abs. 3 DVWoR entspricht.
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Ein Ausschluss von gemäß Art. 5 Satz 3 BayWoBindG vorrangig zu berücksichtigenden Personen von der Benennung für eine Sozialwohnung durch wie auch immer geartete „Punkte-Regelungen“ ohne konkrete, die Umstände des Einzelfalls in den Blick nehmende Prüfung der jeweiligen sozialen Dringlichkeit des Wohnbedarfs kommt danach nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 03.07.2017 – 12 ZB 17.987 –, BayVBl. 2018, 248 – juris, Rn. 11 u. Ls. 5; siehe auch bereits BayVGH, B.v. 11.3.2014 – 12 C 14.380 – juris, Rn. 17 und zuletzt B.v. 26.05.2025 – 12 CE 25.928 – Umdruck, Rn. 6 [noch unveröffentlicht]).
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Die Prüfung und Beurteilung der Landeshauptstadt muss deshalb in jedem Einzelfall erkennen lassen, dass die aufgezeigten Maßstäbe beachtet wurden. Pauschale Darlegungen unter Bezugnahme auf abstrakte Punkte- oder Rang(folge) regelungen ohne nachvollziehbare konkrete Prüfung und Beurteilung der sozialen Dringlichkeit des Wohnbedarfs im Einzelfall können insoweit nicht genügen (vgl. BayVGH, B.v. 03.07.2017 – 12 ZB 17.987 –, BayVBl. 2018, 248 – juris, Rn. 12 u. Ls. 5). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den sämtlichen Vormerkbescheiden der Antragsgegnerin zu entnehmenden stereotypen Satz: „Im Vergleich mit den Anträgen Ihrer Mitbewerber erscheint die Ihrem Antrag erteilte Gesamtpunktzahl als objektiv ermessensgerecht.“ – nichtssagender geht wohl kaum.
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Die Antragsgegnerin hat dem Verwaltungsgericht deshalb – auch bereits im Eilverfahren – darzulegen, dass ihre Ermessensausübung im konkreten Einzelfall den zwingenden gesetzlichen Vorgaben des Art. 5 Sätze 3 und 5 WoBindG i.V.m. § 3 Abs. 3 u. 4 DVWoR entspricht. In diesem Zusammenhang ist dem Verwaltungsgericht in anonymisierter Form mitzuteilen, welche Personen aufgrund welcher persönlichen Umstände einen noch dringenderen Bedarf für die Benennung für eine Sozialwohnung aufweisen als der Antragsteller, damit die Ermessensausübung der Antragsgegnerin einer einzelfallbezogenen Kontrolle in Gestalt eines „Quervergleichs“ durch das Verwaltungsgericht unterworfen werden kann.
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In diesem Zusammenhang ist zugleich auch zu berücksichtigen sein, dass gemäß § 3 Abs. 4 DVWoR von einer nach ermessenslenkenden Richtlinien sich ergebenden Rangfolge abgewichen werden kann, um in dringenden Fällen eine Linderung sozialer Hilfsbedürftigkeit zu bewirken (vgl. Nr. 6.6 VVWoBindR des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 12. September 2007 – II C4-4702-003/07, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 1. Dezember 2022, BayMBl. Nr. 718). Art. 5 Satz 3 WoBindG i.V.m. § 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 u. Abs. 4 DVWoR ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass Familien mit Kindern, insbesondere wenn sie wie die des Antragstellers mit vier Personen (darunter zwei Kindern im Alter von 3 Jahren bzw. 9 Monaten) in einem einzigen (mutmaßlich infolge Überbelegung mit Schimmel belasteten) Raum auf 36 qm Wohnfläche leben, vorrangig zu berücksichtigen sind.
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Der Senat macht daher von der gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 572 Abs. 3 ZPO bestehenden Möglichkeit der Aufhebung und Zurückverweisung zu erneuter Prüfung und Entscheidung Gebrauch.
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Die Antragsgegnerin erhält dadurch Gelegenheit zur Abhilfe oder zumindest der nachvollziehbaren Ausräumung des vom Antragsteller erhobenen Vorwurfs, sie berücksichtige vorwiegend deutsche Familien, obwohl deren Wohnsituation nicht in gleicher Weise dringlich sei, wie die des Antragstellers. Auch dem Senat sticht seit geraumer Zeit ins Auge, dass ihn vorwiegend Rechtsmittel von Personen mit Migrationshintergrund erreichen.
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Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).