Titel:
Fahrtenbuchauflage, ausreichende Ermittlungen
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
StVZO § 31a
Schlagworte:
Fahrtenbuchauflage, ausreichende Ermittlungen
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 20.01.2025 – W 6 S 24.2117
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13926
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.400,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Fahrtenbuchauflage und die hierzu ergangenen Nebenverfügungen.
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Sie war vom 24. November 2020 bis 26. März 2024 Halterin eines Kraftfahrzeugs, mit dem ein männlicher Fahrer am 13. März 2024 um 23:14 Uhr auf einer Bundesautobahn die Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 53 km/h überschritten hat. Darüber hinaus war sie seit 9. Juli 2021 Halterin eines zweiten Kraftfahrzeugs. Ein weiteres Kraftfahrzeug ist seit 28. März 2024 auf ihre Steuerkanzlei zugelassen.
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Mit Schreiben vom 22. März 2024, dem Messfotos mit dem Kennzeichen des Tatfahrzeugs und dem Gesicht des Fahrzeugführers beigefügt waren, übersandte die Zentrale Bußgeldstelle des Polizeipräsidiums Rh. der Antragstellerin einen Zeugenfragebogen mit der Bitte, die Personalien und die Anschrift des verantwortlichen Fahrers mitzuteilen, und wies sie darauf hin, dass bei dessen Nichtfeststellbarkeit die Führung eines Fahrtenbuchs angeordnet werden könne. Ferner wurde sie über Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte belehrt.
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Hierauf reagierte die Antragstellerin nicht.
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Eine unter der Wohnanschrift der Antragstellerin gemeldete männliche Person gleichen Familiennamens schloss der sachbearbeitende Polizeibeamte nach einem Abgleich mit dem Messfoto aus Altersgründen als Fahrer aus.
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Mit am 10. Juni 2024 an die Wohnadresse der Antragstellerin versandtem Schreiben vom 7. Juni 2024 lud die Polizeiinspektion Schweinfurt den geschiedenen Ehemann der Antragstellerin als Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit auf den 14. Juni 2024 vor. Mit Schreiben vom 18. Juni 2024 teilte die Polizeiinspektion dem Polizeipräsidium auf Anfrage mit, es könnte sich beim verantwortlichen Fahrer um den geschiedenen Ehemann der Antragstellerin handeln. Dies sei nach einem Abgleich des Personalausweisbilds jedoch nicht gesichert. Er sei einer Vorladung nicht gefolgt. Eine fernmündliche oder persönliche Kontaktaufnahme mit der Antragstellerin zur Anhörung als Zeugin sei gescheitert.
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Nach zwei fehlgeschlagenen Zustellversuchen unter verschiedenen Anschriften hörte das Polizeipräsidium mit Schreiben vom 23. Juli 2024 den geschiedenen Ehemann der Antragstellerin zu der Geschwindigkeitsüberschreitung an. Jener teilte dem Polizeipräsidium am 27. Juli 2024 mit, er sei nicht der gesuchte Fahrzeugführer. Das Fahrzeug sei seiner Kenntnis nach auf die Antragstellerin zugelassen, mit der kein Kontakt bestehe.
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Mit Verfügung vom 29. Juli 2024 stellte das Polizeipräsidium das Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den geschiedenen Ehemann der Antragstellerin ein, nahm dieses jedoch am 16. August 2024 wieder auf.
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Auf ein erneutes Ermittlungsersuchen des Polizeipräsidiums teilte die Polizeiinspektion am 24. September 2024 mit, sie habe die Antragstellerin mit Schreiben vom 28. August 2024 auf den 19. September 2024 vorgeladen. Am 16. September 2024 habe die Antragstellerin telefonisch mitgeteilt, sie werde den Termin nicht wahrnehmen. Sie wisse nicht, wer zur Tatzeit mit ihrem Pkw gefahren sei. Mehrere Personen hätten Zugriff auf diesen. Die Frage, ob ihr geschiedener Ehemann der Fahrer gewesen sei, habe sie ausdrücklich verneint. Am 23. September 2024 habe man dessen Lebensgefährtin an seiner Meldeadresse angetroffen. Diese habe glaubhaft angegeben, der geschiedene Ehemann der Antragstellerin sei nicht im Besitz des Tatfahrzeugs und auch nicht die Person auf dem Messfoto.
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Mit Schreiben vom 1. Oktober 2024, dem Messfotos, das Messprotokoll, der Eichschein einschließlich der Konformitätserklärung und die Schulungsnachweise des die Messung durchführenden Beamten beigefügt waren, bat das Polizeipräsidium das Landratsamt um Anordnung eines Fahrtenbuchs. Es gehe um eine Geldbuße in Höhe von 960,- EUR wegen vorsätzlicher Tatbegehung, zwei Punkte im Fahreignungsregister und einen Monat Fahrverbot.
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Im Rahmen zur Anhörung zur beabsichtigten Anordnung eines Fahrtenbuchs erklärte die Antragstellerin am 23. Oktober 2024 in einem Telefonat mit dem Landratsamt, mit einer Fahrtenbuchauflage nicht einverstanden zu sein. Sie sei nur einmal durch das Polizeipräsidiums Rh. angehört und danach erst wieder durch die Polizei mit dem Vorgang konfrontiert worden. Bei der polizeilichen Befragung sei es primär darum gegangen, ob ihr geschiedener Mann als Täter in Frage komme. Das Tatfahrzeug habe sie bereits veräußert. Sie habe ein Leasingfahrzeug, das sie Mitte 2025 zurückgeben werde, und nutze aktuell wohl einen Firmenwagen.
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Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 21. November 2024 ließ die Antragstellerin ausführen, die Voraussetzungen des § 31a StVZO seien nicht erfüllt. An sie sei lediglich ein Brief versandt worden, jedoch keine Erinnerung. Als man mit ihr Kontakt aufgenommen habe, sei längst Verfolgungsverjährung eingetreten. Die ermittelnde Behörde habe das Verfahren selbst einstellen wollen. Die Androhung einer Fahrtenbuchauflage sei vor diesem Hintergrund schlicht schikanös.
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Mit Bescheid vom 2. Dezember 2024 verpflichtete das Landratsamt die Antragstellerin gestützt auf § 31a StVZO, für die Dauer von zwölf Monaten ab Zustellung des Bescheids ein Fahrtenbuch für das von ihr als Privatperson gehaltene Fahrzeug zu führen, welches als Ersatzfahrzeug für das Tatfahrzeug zugelassen sei, und erstreckte die Anordnung auf alle weiteren Fahrzeuge, die die Antragstellerin evtl. nach Verkauf oder Rückgabe des (Leasing) Fahrzeugs als dessen Ersatz während der Dauer der Verpflichtung anschaffe bzw. die in ihrem Eigentum stehend dauerhaft durch diese mit demselben Nutzungszweck gehalten und geführt würden. Ferner ordnete das Landratsamt die sofortige Vollziehung der Buchführungspflicht samt Nebenpflichten an und drohte für den Fall von Verstößen Zwangsgelder in verschiedener Höhe an.
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Am 30. Dezember 2024 ließ die Antragstellerin Klage beim Verwaltungsgericht Würzburg erheben und zugleich beantragen, deren aufschiebende Wirkung anzuordnen.
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Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als unbegründet ab. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei formell und materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 StVZO lägen vor. Mit einem auf die Antragstellerin zugelassenen Kraftfahrzeug sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 53 km/h überschritten worden, was eine Ordnungswidrigkeit darstelle, die nach der Bußgeldkatalog-Verordnung mit einer Geldbuße von 480,- EUR geahndet werde (§ 24 Abs. 1 und 3 Nr. 5 StVG i.V.m. § 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c und § 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO i.V.m. Nr. 11.3 BKat i.V.m. lfd. Nr. 11.3.5 der Tabelle 1). Die Messung habe das Polizeipräsidium Koblenz mit einer ordnungsgemäß geeichten Rotlicht- und Geschwindigkeitsüberwachungsanlage vom Typ POLISCAN FM1 vorgenommen. Das Messprotokoll und die Schulungsnachweise des für die Messung verantwortlichen Beamten lägen vor. Aus dem Lichtbild sei nicht ersichtlich, dass sich hinter, neben oder vor dem Kraftfahrzeug der Antragstellerin ein weiteres Kraftfahrzeug befunden habe, das die Messung hätte auslösen können. Anhaltspunkte für Zweifel an der Funktionsfähigkeit und der ordnungsgemäßen Handhabung des Messgeräts gebe es nicht. Es liege ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht vor. Eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 53 km/h habe nach dem Fahreignungsbewertungssystem gemäß § 40 FeV i.V.m. Nr. 2.2.3 der Anlage 13 zur FeV die Eintragung von zwei Punkten zur Folge. Nach der Rechtsprechung rechtfertige bereits die erstmalige Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit, die mit einem Punkt zu bewerten sei, die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage, ohne dass es auf besondere Umstände des Einzelfalls, namentlich die Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes, ankomme. Weiter sei die Feststellung des Fahrzeugführers trotz ausreichender behördlicher Ermittlungen nicht möglich gewesen. Die Ermittlungsbehörden hätten alle angemessenen und erfolgversprechenden Maßnahmen ergriffen, um den Fahrzeugführer innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist zu ermitteln. Das Polizeipräsidium habe sich grundsätzlich darauf beschränken können, der Antragstellerin als Fahrzeughalterin innerhalb von zwei Wochen einen Zeugenfragebogen zuzusenden, da der auf dem Messfoto festgehaltene Fahrzeugführer eindeutig männlich sei. Den Erhalt des Zeugenfragebogens habe die Antragstellerin nicht bestritten. Vielmehr habe sie dem Landratsamt telefonisch mitgeteilt, dass sie von der „OWi-Behörde“ angehört worden sei, was aufgrund der Chronologie der Ereignisse nur als Bezugnahme auf den Zeugenfragebogen verstanden werden könne. Sie habe auch nie vorgetragen, dass sie den Fahrzeugführer aufgrund der Bildqualität des Messfotos nicht identifizieren könne. Die Ermittlungsbehörde habe sich auch nicht auf die Versendung des Zeugenfragebogens beschränkt, sondern weitere Ermittlungen zur Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers angestellt, so den an der Wohnadresse der Antragstellerin gemeldeten potentiellen Fahrer ausgeschlossen. Daher könnten etwaige Unzulänglichkeiten bei überobligatorischen Ermittlungen, wie hier gegen den geschiedenen Ehemann der Antragstellerin, dahinstehen. Jedenfalls sei der Nachweis einer Tatbegehung durch diesen im weiteren Verlauf der Ermittlungen nie in greifbare Nähe gerückt. Dass die Ermittlungen nach Eintritt der Verfolgungsverjährung zum 12. Juni 2024, darunter die Vorladung der Antragstellerin, keinen Nutzen für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit mehr gehabt hätten, sei ohne Belang. Somit komme es auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Nutzung des Tatfahrzeugs einem größeren, nicht näher konkretisierten Personenkreis möglich gewesen sei und die Antragstellerin den Fahrzeugführer daher nicht benennen könne. Selbst wenn sie am 16. September 2024 die Identität des Fahrzeugführers preisgegeben hätte, hätte dieser aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Verfolgungsverjährung nicht mehr belangt werden können. Der zwischen den Beteiligten streitige Inhalt des Telefonats vom 16. September 2024 sei daher ohne Belang. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei ergangen. § 31a Abs. 1 Satz 1 und 2 StVZO erlaubten auch die Erstreckung der Fahrtenbuchanordnung auf Ersatzfahrzeuge. Diese Vorschrift solle nicht den Umgang mit einem bestimmten Fahrzeug, sondern die Beachtung der einem Kraftfahrzeughalter obliegenden Aufsichtspflicht über die von ihm in Verkehr gebrachten Kraftfahrzeuge sicherstellen.
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Mit ihrer Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, verfolgt die Antragstellerin die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Polizeipräsidiums Rh. habe die Antragstellerin am 22. März 2024 schriftlich als Zeugin befragt und auf die ausbleibende Reaktion nicht nachgefragt. Die um Ermittlungen ersuchte Polizeiinspektion Schweinfurt habe sich ebenfalls nicht bei der Antragstellerin gemeldet. Die Antragstellerin habe nicht gewusst, dass gegen ihren geschiedenen Ehemann ermittelt worden sei. Hier sei man sich auf Behördenseite nicht einig gewesen. Ende August 2024 habe man sich zum zweiten und letzten Mal an die Antragstellerin gewandt und sie vorgeladen. Darauf habe sie prompt reagiert. Es existierten unterschiedliche Angaben über den Inhalt der Telefonate. Bedauerlicherweise habe das Verwaltungsgericht insoweit bereits eine „ziemlich abschließende“ Meinung kundgetan. Es gehe selbst davon aus, dass der Rechtsbehelf im Normalfall aufschiebende Wirkung habe. Dementsprechend müsste die Begründung des Eilbeschlusses erkennen lassen, warum im Einzelfall besondere Umstände vorlägen. Dazu habe sich nicht viel finden lassen. Die Ausführungen seien theoretisch richtig, jedoch allgemein. Sie erweckten den Eindruck von Textbausteinen. Es frage sich, ob von angemessenen bzw. ausreichenden Ermittlungen gegenüber der Antragstellerin ausgegangen werden dürfe, die die Auferlegung einer Fahrtenbuchauflage rechtfertigten. Seitens der Behörde sei man sich schnell sicher gewesen, dass der geschiedene Ehemann der Antragstellerin der Täter sei. Die Antragstellerin habe man dazu nicht weiter befragt. Behördenintern sei man sich diesbezüglich nicht so sicher gewesen bzw. habe man gestritten, bevor man auf die Antragstellerin zurückgekommen sei. Um noch einen Teilerfolg bzw. Resterfolg zu erzielen, habe man die Fahrtenbuchauflage ins Spiel gebracht. So stelle sich der Sachverhalt für den vorurteilsfreien Leser der Akte dar. Bei zwei Schreiben seien keine Besonderheiten im Einzelfall zu erkennen, die eine sofortige Vollziehbarkeit rechtfertigten. Diese stelle sich nach der Begründung des Beschlusses als Regelfall dar. In Bezug auf das erste Schreiben werde mit Spekulationen gearbeitet (ob es zugegangen sei, wie reagiert worden sei oder auch nicht…) und auch danach, was einen vermeintlichen Anrufversuch anbelange, den es nie gegeben habe, und ein Telefonat, dessen Inhalt streitig sei. All dies sei dem Beweis zugänglich und könnte im Rahmen einer ordnungsgemäßen Beweisaufnahme geklärt werden. Dies habe das Verwaltungsgericht rechtswidrig zu Ungunsten der Antragstellerin vorweggenommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Es kann dahinstehen, ob der insoweit bestimmte Aufhebungsantrag zielführend ist oder sich den Beschwerdegründen noch ein darüber hinausgehendes Rechtsschutzbegehren entnehmen lässt (vgl. Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 68 f.). Denn jedenfalls hat sich die Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung nur gegen die Gründe für die Anordnung des Sofortvollzugs und die summarische Prüfung der Hauptsache gewandt, ist aber nicht – wie der Antragsgegner zu Recht geltend macht – der vom Gericht vorgenommenen reinen Interessenabwägung (BA S. 27, Nr. 4) entgegengetreten, die unabhängig von der materiell-rechtlichen Bewertung des Bescheids die Ablehnung des Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO trägt. Hierbei geht es um eine erfolgsunabhängige Abwägung zwischen dem schutzwürdigen Suspensivinteresse des Betroffenen und dem öffentlichen Vollzugsinteresse in der Annahme offener Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 93; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2024, § 80 Rn. 373 ff.; zur Verfassungsmäßigkeit dieses Stufensystems BVerfG, B.v. 11.6.2008 – 2 BvR 2062/07 – NVwZ-RR 2008, 657 = juris Rn. 14; B.v. 29.5.2007 – 2 BvR 695/07 – NVwZ 2007, 1176 = juris Rn. 31). Ist die Entscheidung – wie hier – auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt, kann die Beschwerde nur Erfolg haben, wenn der Beschwerdeführer im Hinblick auf jeden der für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblichen Gründe in der Beschwerde etwas Durchgreifendes vorträgt (stRspr vgl. BayVGH, B.v. 11.7.2024 – 6 CE 24.829 – juris Rn. 5; B.v. 15.1.2024 – 10 CS 23.2320 – juris Rn. 4; B.v. 31.7.2023 – 11 CS 23.1229 – juris Rn. 12; Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 146 VwGO Rn. 13c; Kaufmann in BeckOK VwGO, Stand 1.1.2020, § 146 Rn. 14; Guckelberger, a.a.O. § 146 Rn. 77 f. jeweils m.w.N.).
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2. Davon abgesehen ist aber auch die Begründung des Sofortvollzugs nicht zu beanstanden. Es ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin unschädlich, wenn das Landratsamt hierzu allgemeine Überlegungen angestellt und Standardwendungen bzw. Textbausteine benutzt hat und nicht auf die aus Sicht der Antragstellerin bestehenden Besonderheiten ihres Einzelfalls eingegangen ist. Die behördlichen Erwägungen auf Seite 17 f. des angefochtenen Bescheids, dass die Nichtfeststellung des verantwortlichen Fahrers die Verkehrssicherheit gefährde, insbesondere bei gravierenden Verstößen wie dem vorliegenden, und das Vollzugsinteresse mit dem Interesse an der Anordnung des Fahrtenbuchs zusammenfalle, sind der Sache nach richtig und orientieren sich an der einschlägigen ständigen Rechtsprechung. Danach gehört § 31a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) vom 26. April 2012 (BGBl I S. 679), zuletzt geändert durch Verordnung vom 25. Juni 2021 (BGBl I S. 2204), in Teilen in Kraft getreten zum 1. Oktober 2024, zu den Vorschriften, bei denen zur Abwehr von Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter, hier die Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr, das besondere öffentliche Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO regelmäßig mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsakts selbst zusammenfällt (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2008 – 11 CS 07.3451 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 9.1.2017 – 11 CS 16.2585 – juris Rn. 10; OVG LSA, B.v. 2.2.2020 – 3 M 16/20 – juris Rn. 4 f.; OVG Saarl, B.v. 18.7.2016 – 1 B 131/16 – juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 3.1.2006 – 8 B 1847/05 – juris Rn. 10 ff.). Dadurch wird zwar im Einzelfall eine Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten nicht entbehrlich (BVerfG, B.v. 19.2.1991 – 1 BvR 1548/90 – NVwZ-RR 1991, 365 = juris Rn. 10). Diese darf sich im Wesentlichen jedoch auf die Prüfung beschränken, ob nicht wegen der besonderen Umstände des Falls die sofortige Vollziehung ausnahmsweise weniger dringlich als im Normalfall ist (BayVGH, B.v. 6.3.2008 und B.v. 9.1.2017, jeweils a.a.O., m.w.N.). Dies ist angesichts dessen, dass mehrere Personen Zugriff auf das Fahrzeug der Antragstellerin haben, ohne dass sie weiß, wer wann von dem Fahrzeug Gebrauch macht, oder ohne dass sie diese benennen will, nicht der Fall.
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Aus den vorgenannten Gründen sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Im Übrigen normiert § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nur eine formelle und keine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, sodass es insoweit auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung nicht ankommt (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2022 – 11 CS 22.1897 – juris Rn. 11 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 14.1.2019 – 12 ME 170/18 – juris Rn. 11; vgl. auch Siegmund in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 21.2.2025, § 31a StVZO Rn. 138).
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Durch eine Fahrtenbuchauflage soll nicht nur sichergestellt werden, dass künftig mit dem Kraftfahrzeug während deren Dauer begangene Verkehrsverstöße geahndet werden können. Die Führung eines Fahrtenbuchs soll vielmehr auch dazu beitragen, dass derartige Verstöße künftig unterbleiben, weil es sich positiv auf die Verkehrsdisziplin eines Fahrzeugführers auswirkt, wenn er damit rechnen muss, dass er wegen der aufgrund des Fahrtenbuchs feststellbaren Fahreridentität für jeden Verkehrsverstoß zur Verantwortung gezogen werden kann. Zumindest unter letzterem, im Hinblick auf die Verkehrssicherheit besonders wichtigen Gesichtspunkt ist es nicht unerheblich, ob das Fahrtenbuch tatsächlich bereits unmittelbar nach Erlass des entsprechenden Bescheids oder erst nach dessen Bestandskraft – und damit möglicherweise erst nach Jahren – zu führen ist (BayVGH, B.v. 6.3.2008 a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
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3. Ferner kann die Antragstellerin mit ihrer Kritik nicht durchdringen, die Behörden hätten nicht ausreichend, ohne ihr Wissen, in die falsche Richtung und nach Eintritt der Verfolgungsverjährung ermittelt.
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Die Anordnung eines Fahrtenbuchs setzt nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO voraus, dass die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Verkehrszuwiderhandlung nicht möglich war. Dies ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits dann der Fall, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter innerhalb der Verjährungsfrist zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, d.h. wenn Polizei bzw. Bußgeldbehörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen haben, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und die erfahrungsgemäß Erfolg versprechen können (BVerwG, U.v. 17.12.1982 – 7 C 3.80 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 12 = juris Rn. 7 m.w.N.; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 31a StVZO Rn. 22 m.w.N.). Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, können sich an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Polizei regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, U.v. 17.12.1982 a.a.O. Rn. 7; OVG NW, B.v. 20.5.2020 – 8 A 4299/19 – NJW 2020, 2572 Rn. 7; Derpa, a.a.O. Rn. 39). Schickt der Fahrzeughalter den ihm übersandten Anhörungsbogen unausgefüllt oder kommentarlos zurück oder reagiert – wie hier – auf diesen nicht oder lehnt er unter ausdrücklichem Hinweis auf sein Zeugnis- oder Aussagverweigerungsrecht pauschal jede Mitwirkung an der weiteren Aufklärung ab, darf die Ermittlungsbehörde nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich von einer fehlenden Bereitschaft ausgehen, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. BVerwG, B.v. 1.3.1994 – 11 B 130.93 – VRS 88, 158 juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 3.5.2019 – 11 ZB 19.213 – juris Rn. 14 m.w.N.; VGH BW, B.v. 10.8.2015 – 10 S 278/15 – VerkMitt 2015, Nr. 61 = juris Rn. 8 m.w.N.; OVG LSA, B.v. 26.2.2024 – 3 M 23/24 – juris Rn. 5). Die Weigerung des Fahrzeughalters, Sachdienliches auszusagen, zwingt nicht in jedem Fall, sondern nur dann zu weiteren Ermittlungen der Polizei, wenn sich im Einzelfall besondere Beweisanzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrzeugführers hindeuten (BVerwG, U.v. 17.12.1982 a.a.O. Rn. 7; OVG NW, B.v. 20.5.2020 a.a.O. Rn. 7; Derpa, a.a.O. Rn. 39).
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Hieran gemessen hat das Polizeipräsidium ausreichende Ermittlungen zum verantwortlichen Fahrer angestellt. Unstreitig hat die Antragstellerin entgegen ihrer Obliegenheit, zur Aufklärung des mit ihrem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihr möglich und zumutbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2020 – 11 ZB 19.991 – juris Rn. 19; OVG NW, B.v. 20.5.2020 a.a.O. Rn. 7; Derpa a.a.O. Rn. 31), auf den ihr mit Schreiben vom 22. März 2024 zugesandten und zugegangenen Zeugenfragebogen nicht reagiert und weder den verantwortlichen Fahrer noch auch nur die in Betracht kommenden Fahrer benannt, die zum Tatzeitpunkt Zugriff auf ihr Fahrzeug hatten. Der Zeugenfragebogen war klar und eindeutig abgefasst, enthielt Belehrungen über die in Betracht kommenden Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechte und einen Hinweis auf das weitere Verfahren für den Fall, dass die Antragstellerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen würde. Die Fahrtenbuchauflage war damit entgegen ihrer Darstellung von Anfang an „im Spiel“. Auch im weiteren Verlauf des Verfahrens hat sich die Antragstellerin nie dazu geäußert hat, ob sie den Fahrer nicht kennt oder ihn nicht benennen will oder aus welchen Gründen sie den Fragebogen nicht ausgefüllt und zurückgesandt hat. Vor diesem Hintergrund erschließt sich nicht, weshalb das Polizeipräsidium verpflichtet gewesen sein sollte, nochmals bei ihr nachzufragen; zumal sie auch mit ihrer Beschwerde nicht vorgetragen hat, was sie dann zur Aufklärung beigetragen hätte. Davon abgesehen setzt die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nicht voraus, dass der Fahrzeughalter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat (vgl. OVG NW, B.v. 20.5.2020 a.a.O. Rn. 8; OVG LSA, B.v. 5.3.2021 – 3 M 224/20 – juris Rn. 23; OVG Hamburg, B.v. 28.11.2017 – 4 Bf 24/17.Z – NJW 2018, 1032 Rn. 27; Derpa a.a.O. Rn. 40).
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Über die schriftliche Befragung der Antragstellerin hinaus hat die Polizei ohne Erfolg eine unter ihrer Wohnanschrift gemeldete männliche Person überprüft, die aus Altersgründen als Fahrer jedoch ausschied (Aktenvermerk vom 18.4.2024). Mit der Beschwerde wird nicht dargelegt, welche unterlassenen Ermittlungsansätze es ansonsten gegeben hätte. Soweit die Polizei auch noch den geschiedenen Ehemann der Antragstellerin überprüft hat, dessen Passbild größere Ähnlichkeiten mit dem Messfoto aufwies, der zuletzt aber nach einer Betroffenen- und Zeugenbefragung als Fahrer ebenfalls ausgeschieden wurde, hat die Antragstellerin nachträglich bestätigt, dass dieser nicht der Fahrer war, die Ermittlungen also von vornherein keinen Erfolg versprachen. Dies ist jedoch – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – ebenso wenig entscheidungserheblich wie die Frage, ob die Antragstellerin von diesen Ermittlungen wusste, ob wegen länger dauernder Wohnortermittlung zwischenzeitlich Verfolgungsverjährung eingetreten ist, ob das Polizeipräsidium und die Polizeiinspektion hinsichtlich der Erfolgsaussicht der Ermittlungen zum geschiedenen Ehemann einer Meinung waren (für einen behördeninternen „Streit“ ergeben sich ohnehin keine Anhaltspunkte aus der Akte) und ob die Behörden und die Antragstellerin über den Inhalt eines im August 2024 geführten Telefonats einer Meinung sind (vgl. OVG LSA, B.v. 26.2.2024 a.a.O. Rn. 7; NdsOVG, B.v. 14.4.2021 – 12 ME 39/21 – juris Rn. 16 m.w.N.; OVG NW, B.v. 14.11.2013 – 8 A 1668/13 – juris, Rn. 29).). Nach dem Aussageverhalten der Antragstellerin lagen keine besonderen Umstände vor, die nahegelegt hätten, dass sie bei Kenntnis der Ermittlungsergebnisse gegen ihren geschiedenen Ehemann doch noch mitwirkungsbereit gewesen sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2019 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.).
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4. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 46.11, 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben worden sind.
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5. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).