Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 29.01.2025 – AN 15 K 24.522
Titel:

Regressanspruch bei Anscheinsgefahr oder Gefahrenverdacht (hier: Flucht vor Polizei und Sturz auf geparktes Kfz)

Normenkette:
BayPAG Art. 2 Abs. 1, Art. 7, Art. 11, Art. 78, Art. 87, Art. 89 Abs. 1
Leitsätze:
1. Auch auf der tertiären Ebene kann die Anscheinsgefahr der konkreten Gefahr gleichstehen und die Möglichkeit des Regresses eröffnen. Voraussetzung für einen Regress gegen den Anscheinsstörer ist, dass er den Anschein der Gefahr rückschauend betrachtet in zurechenbarer Weise verursacht hat. Er hat einzustehen, wenn er die den Anschein des Bestehens einer Gefahr begründenden Umstände zu verantworten hat. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nichts anderes gilt für den Gefahrenverdacht. Wer in zurechenbarer Art und Weise einen Gefahrenverdacht verursacht, ist Veranlasser im kostenrechtlichen Sinn. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die jeweilige Gefahr ist insbesondere verantwortlich, wer die Gefahr durch sein Verhalten – das Tun oder Unterlassen der betreffenden Person – verursacht, Art. 7 Abs. 1 BayPAG. Verschulden iSv Vorsatz oder Fahrlässigkeit ist weder erforderlich noch spielt es für die Qualifikation als Störer überhaupt eine Rolle. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Regressanspruch, polizeiliche Maßnahme, Kostenbescheid, Störer, Anscheinsgefahr, Gefahrenverdacht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 06.06.2025 – 10 ZB 25.625
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13922

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem ihn dieser in Regress nimmt bzw. ihm gegenüber einen Ersatzanspruch festsetzt.
2
Am 21. Juni 2020 teilte der Ehemann der Geschädigten … dem Beklagten mit, dass das KFZ … mit dem amtlichen Kennzeichen … am 8. Mai 2020 in der Nähe des Anwesens … in … im Rahmen eines Polizeieinsatzes beschädigt worden sei. Ein Polizist und ein Tatverdächtiger seien gegen den Wagen gestützt. Der Schaden belaufe sich schätzweise auf 800,00-1.000,00 EUR.
3
Am 29. Juni 2020 übermittelte die am 8. Mai 2020 im Bereich des … in … eingesetzte Polizeidienststelle dem Polizeipräsidium … eine Mitteilung über einen durch die Polizei verursachten Fremdschaden. Man sei damals gegen 20:40 Uhr aufgrund der Meldung einer körperlichen Auseinandersetzung mehrerer Personen an die Örtlichkeit beordert worden. Ein Mitteiler habe auf den Kläger als vermeintlichen Täter gezeigt. Daraufhin habe sich der Kläger im Laufschritt zu entfernen versucht. Auf Zurufe habe er nicht reagiert, weshalb POK (damals PHM) … hinter ihm hergerannt sei. Im Bereich des Anwesens … in … habe er den Kläger zu fassen bekommen. Infolgedessen seien beide gegen den betreffenden Renault gestürzt; es sei ein Schaden im Bereich der Fahrertür entstanden.
4
Am 19. August 2020 übermittelte der Ehemann der Geschädigten ein Schadensgutachten vom 14. August 2020 (mitsamt Gutachterrechnung 620,37 EUR). Danach passe das Schadensbild zum geschilderten Schadenshergang. Im Wesentlichen seien die Fahrertür und die linke hintere Seitenwand eingedrückt worden; nach der Reparatur bedürfe es zudem eines Farbtonangleichs am Kotflügel vorne links. Die voraussichtlichen Reparaturkosten betrügen 2.962,25 EUR.
5
Unter dem 24. August 2020 teilte der Beklagte der Geschädigten mit, dass eine Abrechnung nach Kostenvoranschlag nicht möglich sei. Er stellte ihr anheim, eine Reparaturrechnung einzureichen. Zudem bat er sie um Mitteilung, ob sie eine anderweitige Ersatzmöglichkeit habe. Unter dem 25. Januar 2021 erwiderte die Geschädigte, dass dies nach ihrer Kenntnis nicht der Fall sei. Zugleich bat sie, ihr 3.689,54 EUR für die Reparatur (unter Beigabe einer Rechnung vom 18. Dezember 2020) und 620,37 EUR für den Gutachter zu ersetzen.
6
Unter dem 25. Februar 2021 teilte der Beklagte der Geschädigten mit, dass die Rechnung angesichts der Überschreitung der im Gutachten veranschlagten Kosten durch einen Polizeikraftfahrzeugsachverständigen geprüft werde. Kurze Zeit darauf gab der Sachverständige an, dass das Gutachten plausibel sei. Dabei führte er aus, dass und weshalb die Reparaturrechnung trotz der Abweichung gegenüber dem Gutachten nicht zu beanstanden sei.
7
Unter dem 31. März 2021 kündigte der Beklagte der Geschädigten an, ihr 4.309,91 EUR zu ersetzen. Die Auszahlung erfolgte nach Mitteilung der Bankverbindung zum 30. April 2021.
8
Unter dem 14. Oktober 2022 ermittelte der Beklagte den Aufenthalt des Klägers.
9
Unter dem 27. Juli 2023 hörte der Beklagte den Kläger dazu an, dass er ihm gegenüber einen Ersatzanspruch von 4.309,91 EUR festzusetzen gedenke. Zur Begründung verwies er auf den Polizeieinsatz vom 8. Mai 2020 im Bereich des … in … Der Kläger sei beim Eintreffen der Beamten vor Ort gewesen. Als er die Polizisten erkannt habe, sei er geflohen. Ein Polizist sei ihm hinterhergerannt und habe ihn kurz darauf zu fassen bekommen. Der Beamte und der Kläger seien zu Boden und gegen einen geparkten PKW gefallen. Am PKW seien Schäden an der linken Fahrzeugseite entstanden. Der Beklagte habe der Geschädigten 4.309,91 EUR ersetzt – 620,39 EUR Gutachterkosten und 3.689,54 EUR für die Reparatur.
10
Der Kläger gab daraufhin im Kern an, am vom Beklagten genannten Tag weder vor Polizeibeamten geflohen noch auf ein geparktes KFZ gestürzt zu sein.
11
Mit Bescheid vom 20. Februar 2024 – am Folgetag mit einfachem Brief zur Post gegeben – setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger einen Ersatzanspruch i.H.v. 4.309,91 EUR fest (Ziff. 1). Zur Begründung wiederholte er im Kern die Schilderung aus der Anhörung. Ergänzend trägt er vor, dass Zeugen beim Eintreffen der Polizei zu erkennen gegeben hätten, dass der Kläger derjenige gewesen sei, der mehrere Personen geschlagen habe. Er nehme den Kläger in Anspruch, weil er seinerseits dem unbeteiligten Eigentümer des beschädigten Fahrzeugs 4.309,91 EUR ersetzt habe. Letzterer habe nicht über eine anderweitige Ersatzmöglichkeit verfügt. Gemäß Art. 89 Abs. 1 PAG könne er vom Kläger Ersatz der notwendigen Aufwendungen verlangen. Mit seiner Flucht sei der Kläger zum Handlungsstörer i.S.v. Art. 7 PAG geworden.
12
Zudem führt der Beklagte zur Ermessensausübung aus.
13
Dagegen hat der Kläger am 11. März 2024 Klage erhoben. Zur Begründung bringt er vor, dass die herangezogenen Normen keine taugliche Rechtsgrundlage seien; Art. 89 Abs. 1 PAG verweise auf Art. 7 und 8 PAG, während sich Art. 87 Abs. 2 PAG auf eine nicht nach Art. 7, 8 PAG verantwortliche Person beziehe. Der Kläger folgert daraus, dass der Bescheid zu unbestimmt sei. Weiter meint er, der Beklagte habe sein Ermessen nicht ausgeübt. Weiter gibt er an, dass es keine Schlägerei gegeben habe, an der er beteiligt gewesen sei. Er sei in Richtung eines Ladens gelaufen, ohne die Polizei zu sehen. Der Polizeibeamte habe seine Beine geschnitten. Deshalb sei er gegen das geparkte Fahrzeug gefallen. Der Beamte habe ihm eine Plastiktüte über seinen Kopf gezogen und erklärt, dass Pandemie sei. Der Sturz sei für den Schaden nicht kausal. Er habe weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt. Er bestreite die Höhe des Schadens, der Gutachterkosten und den Ausgleich durch den Beklagten. Zuletzt sei ein Anspruch nach seiner Ansicht verjährt.
14
Der Kläger beantragt zuletzt,
Der Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2024, Az. …, wird aufgehoben.
Die Zuziehung der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
15
Der Beklagte beantragt zuletzt,
Die Klage abzuweisen.
16
Zur Begründung verweist er auf die Gründe seiner angegriffenen Verwaltungsentscheidung. Ergänzend trägt er insb. vor, POK (damals PHM) … habe den Kläger am 8. Mai 2020 verfolgt. Dabei habe er erkannt, dass der Kläger aus der Nase geblutet habe. Dies habe dessen Beteiligung an der zuvor gemeldeten Schlägerei wahrscheinlich erscheinen lassen. Zudem sei der Schaden am KFZ eines unbeteiligten Dritten entstanden. Letzterer habe ein Schadensgutachten über 2.553,66 EUR netto und eine Reparaturrechnung über 3.689,54 EUR brutto vorgelegt. Nach dem Polizeisachverständigen seien das Gutachten und die Rechnung nicht zu beanstanden. Das gelte auch für die Gutachterkosten. Der unbeteiligte KFZ-Halter habe keine anderweitige Ersatzmöglichkeit gehabt. Daher habe ihm der Beklagte eine Entschädigung i.H.v. 4.309,91 EUR gezahlt.
17
Der Bescheid basiere auf Art. 89 Abs. 1 PAG. Danach könne der entschädigungspflichtige Polizeiträger Regress bei einem Störer i.S.v. Art. 7 oder 8 PAG nehmen. Dazu müsse der Störer Anlass zu einer polizeilichen Maßnahme gegeben haben, bei deren Durchführung ein Unbeteiligter einen nicht zumutbaren Schaden erlitten habe. Entschädigungspflichtiger Polizeiträger sei nach Art. 87 Abs. 6 PAG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 POG der Freistaat Bayern als Träger der Bayerischen Polizei. Zuständig für die Entschädigung seien die jeweiligen Polizeipräsidien – hier aufgrund der Tatörtlichkeit das Polizeipräsidium … Weiter habe ein unbeteiligter Fahrzeugeigentümer gegen den Freistaat Bayern Entschädigungsansprüche gemäß Art. 87 Abs. 2 PAG gehabt, da er durch eine polizeiliche Maßnahme einen nicht zumutbaren Schaden erlitten habe. Der Eigentümer des beschädigten KFZ sei weder Störer noch auf sonstige Weise an der polizeilichen Maßnahme beteiligt gewesen. Er sei ungewollt und zufällig von der polizeilichen Maßnahme betroffen gewesen. Dem Kläger sei eine vorsätzliche Körperverletzung vorgeworfen worden. Die Verfolgung durch den Polizeibeamten sei zur Aufklärung einer Straftat und zur Identitätsfeststellung erforderlich gewesen. Die polizeiliche Maßnahme habe den Schaden verursacht. Der Eigentümer des beschädigten Fahrzeugs habe keine anderweitige Ersatzmöglichkeit i.S.d. Art. 87 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 PAG gehabt. Das Polizeipräsidium … habe ihn deshalb am 31. März 2021 entschädigt. Der Freistaat Bayern habe nicht über einen Erstattungsanspruch gemäß Art. 89 Abs. 1 i.V.m. 88 Abs. 2 PAG verfügt. Für die Pflicht zur Entschädigung gälten seines Erachtens nicht die allgemeinen Zurechnungsvorschriften. Entscheidend sei, wer für die Gefahr verantwortlich sei, die durch die schadensverursachende polizeiliche Maßnahme habe abgewehrt werden sollen. Der Kläger sei i.S.d. Art. 7 PAG verantwortlich, da er durch Flucht eine Identitätsfeststellung und die Aufklärung einer Straftat habe verhindern wollen. Weiter trägt der Beklagte zur Ermessensausübung vor. Schließlich sei der Ersatzanspruch nicht verjährt. Es gelte die Frist aus Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayAGBGB. Die Frist beginne mit dem Schluss des Jahres, in dem die zuständige Behörde Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlange, Art. 71 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BayAGBGB. Hier habe er am 25. Januar 2021 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt, als die Rechnung der Eigentümerin des beschädigten KFZ eingegangen sei. Erst damit habe sich gezeigt, dass eine Reparatur stattgefunden und dem Eigentümer keine anderweitige Ersatzmöglichkeit zur Verfügung gestanden habe.
18
Der Kläger repliziert insb., nur der Polizeibeamte habe den Schaden verursacht. Der Sturz sei für ihn nicht abwendbar gewesen; ihn treffe keine Schuld. Vor dem Amtsgericht … sei seine Unschuld nachgewiesen worden. Mehrere Zeugen hätten dort ausgesagt, dass er keine Körperverletzung begangen habe und nicht geflohen sei. Er sei kein Handlungsstörer gewesen. Das Strafverfahren sei nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt und die Kosten der Staatskasse auferlegt worden. Im Übrigen meint der Kläger, der Beklagte habe am 8. Mai 2020 Kenntnis vom Kläger und durch das Gutachten im August 2020 von der Schadenshöhe erlangt. Die Reparaturrechnung sei am 18. Dezember 2020 bezahlt worden. Auch die Gutachterkosten seien 2020 entstanden. Insofern sei mit Ablauf des 31. Dezember 2023 Verjährung eingetreten.
19
In seiner Duplik merkt der Beklagte an, dass eine Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO nicht mit einem Freispruch gleichzusetzen sei. Der Ausgang des Strafverfahrens sei hier irrelevant.
20
In der Triplik meint der Kläger, die Verfahrenseinstellung sei wegen der zu seinen Gunsten sprechenden Beweislage erfolgt. Auch sei er nicht allein gegen das geparkte KFZ gefallen; er könne nicht für den gesamten Schaden entschädigungspflichtig sein. Zudem verweist er auf die Diskrepanz zwischen der ersten Schadensschätzung des Geschädigten, der Schadenshöhe nach dem Gutachten und der Höhe der endgültigen Kosten; dabei merkt er an, dass das Schadensgutachten über drei Monate nach dem Schadensereignis vorgelegt worden sei. Zudem greift der Kläger einzelne Positionen des Gutachtens heraus, von denen er meint, dass sie nicht mit dem Schadensereignis zusammenhängen könnten (Scheinwerfer, Fehlerspeicher auslesen…); auch sei erstmals im Gutachten von einem Schaden hinten links die Rede. Die Nachbegutachtung des Beklagten sei nach seiner Ansicht zu beanstanden.
21
In der Quadruplik meint der Beklagte, der Kläger habe durch seine Flucht die Ursache für den Schaden gesetzt. Im Übrigen habe er erst am 25. Januar 2021 von allen anspruchsbegründen Umständen Kenntnis erhalten.
22
In der Quintuplik wiederholt der Kläger sein vorheriges Vorbringen.
23
In der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2025 hat die Kammer im Rahmen einer Beweisaufnahme POK … als Zeugen einvernommen. Sie hat mit den anwesenden Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert; die anwesenden Beteiligten hat sie ergänzend befragt.
24
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen Akten (Behördenakten des Beklagten zum hiesigen Regressverfahren und Strafakte der Staatsanwaltschaft … zum Az.: …*) sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Sie alle sind Grundlage der richterlichen Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

25
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
26
Der Kostenbescheid des Beklagten vom 20. Februar 2024 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
27
Dies hat der Beklagte im genannten Bescheid einwandfrei auseinandergesetzt. Daher folgt die Kammer der Begründung des Bescheides und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 117 Abs. 5 VwGO von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
28
Ergänzend ist das Folgende auszuführen:
I.
29
Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insb. greift nicht die abdrängende Sonderzuweisung aus § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG: Rechtsgrundlage des Bescheids vom 20. Februar 2024 ist Art. 89 Abs. 1 PAG. In Rede steht ein Ersatzanspruch und nicht primär die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme. Bezüglich des Regress- bzw. Ersatzanspruchs ist der Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 EGGVG nicht eröffnet. Es ist irrelevant, ob das Handeln des Beklagten im Schwerpunkt repressiv oder präventiv-polizeilich motiviert war. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs bestätigt zudem – deklaratorisch – Art. 90 Abs. 2 PAG.
II.
30
Art. 89 Abs. 1 PAG begründet einen Regressanspruch eines Polizeiträgers. Er setzt zuvorderst voraus, dass letzterer selbst i.S.d. Art. 87 Abs. 6 PAG entschädigungspflichtig ist. Dazu muss eine polizeiliche Maßnahme einen Schaden verursacht und der Geschädigte daher einen Ersatzanspruch haben (Art. 87 Abs. 1, 2 oder 3 PAG). Liegen die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs des geschädigten Dritten vor, kann der Polizeiträger den polizeirechtlich Verantwortlichen (Art. 7 oder 8 PAG) in Regress nehmen und Ersatz der notwendigen Aufwendungen verlangen – es sei denn, er verfügt selbst über einen Erstattungsanspruch aus Art. 88 PAG.
31
Der Entschädigungsanspruch eines Dritten gemäß Art. 87 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 PAG entsteht, wenn dieser weder nach Art. 7 oder Art. 8 PAG verantwortlich ist noch gegen ihn Maßnahmen nach Art. 10 PAG gerichtet worden sind, er durch die polizeiliche Maßnahme einen nicht zumutbaren Schaden erleidet und er dafür von keinem anderen Ersatz verlangen kann.
III.
32
Der Bescheid vom 20. Februar 2024 ist formell rechtmäßig. Insb. hat der Beklagte den Kläger am 27. Juli 2023 – vor Bescheiderlass – angehört (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG).
IV.
33
Der Kostenbescheid vom 20. Februar 2024 ist auch materiell rechtmäßig.
34
1. Keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides hat die Frage, ob die zur Entschädigung der unbeteiligten Fahrzeughalterin führende polizeiliche Maßnahme vorwiegend präventiv- oder repressiv-polizeilich motiviert war.
35
Der Ersatzanspruch aus Art. 89 PAG verlangt keine solche Schwerpunktbetrachtung. Seine Entstehung hängt nicht davon ab, ob das polizeiliche Handeln des Beklagten schwerpunktmäßig präventiven Charakter aufweist. Dafür spricht bereits der Wortlaut der Art. 87, 89 PAG, die eine solche Prüfung nicht nahelegen. Unabhängig davon deutet Art. 11 PAG an, dass polizeiliches Einschreiten auf der Grundlage des Polizeiaufgabengesetzes präventiven und repressiven Ursprungs sein kann. Dazu führt die Analyse von Art. 11 Abs. 2 Nr. 2 und Art. 11 Abs. 2 Nr. 1 PAG. Demnach kann die Polizei Maßnahmen zur Verhütung oder Unterbindung von Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder verfassungsfeindliche Handlungen treffen, aber eben auch zur Beseitigung der durch solche Handlungen verursachten Zustände (zur letztgenannten systematischen Betrachtung: BayVGH, B.v. 10.1.2000 – 24 B 99.3316 – juris Rn. 23; U.v. 10.5.2000 – 24 B 99.603 – juris Rn. 22). Ungeachtet dessen verlangen auch Aspekte der Gesetzgebungskompetenz keine Schwerpunktanalyse: Zwar sind die Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG nur hinsichtlich des Rechts der Gefahrenabwehr gesetzgebungskompetent, während das Recht der Strafverfolgung zur konkurrierenden Kompetenz i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr.1 GG rechnet – von der der Bund wiederum Gebrauch gemacht hat. Beide Aufgaben stehen aber isoliert nebeneinander, selbst wenn eine polizeiliche Maßnahme beiden Kompetenzfeldern zurechnen ist. Dabei ist nicht ersichtlich, dass der Bund in Wahrnehmung der Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG etwa mit der Schaffung strafverfahrensrechtlicher Kostenerstattungsregeln (§§ 464ff StPO) polizeirechtlich begründete Erstattungs- und Ersatzansprüche ausschließen wollte, sofern die jeweilige polizeiliche Maßnahme zugleich der Strafverfolgung dient (BVerwG, B.v. 22.6.2021 – 6 B 25/01 – juris Rn. 5). Im Gegenteil sind von einem Polizeiträger an unbeteiligte Dritte geleistete Entschädigungen keine von den §§ 464ff StPO erfassten Kosten des Strafverfahrens.
36
Offenbleiben kann, ob die Anwendung des Art. 89 PAG bei ausschließlich repressiven polizeilichen Maßnahmen ausscheidet. Denn zwar folgt aus der Aussage des Zeugen …, dass die in Rede stehende polizeiliche Maßnahme der Verfolgung des sich wegbewegenden Klägers der Aufklärung einer möglichen Straftat, mithin Zwecken der Strafverfolgung, diente (auch der Kläger bestritt zuletzt weder den Polizeieinsatz noch die Verfolgung als solche). Unweigerlich wies diese Maßnahme aber präventive Elemente auf: Der Zeuge … beabsichtigte, den Kläger anzuhalten und ihn zu kontrollieren – seine Identität festzustellen. Beides nimmt der jeweiligen Person die Anonymität; zudem werden die Polizeikräfte ihrer mind. kurzzeitig habhaft. Mithin dient eine solche Maßnahme mind. untergeordnet auch dem Aspekt der Verhinderung möglicher künftiger Straftaten bzw. der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (wobei eine Maßnahme ex-post betrachtet nicht deshalb nicht mehr der Gefahrenabwehr dient, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass zur Zeit des Einschreitens de facto keine Gefahr bestand; Stichwort: Anscheinsgefahr: Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, PAG Art. 11 Rn. 69 sowie unten: S. 14f). Insofern kann dahinstehen, dass sich die instruktive Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2001 explizit nur zu doppeltfunktionalen Maßnahmen verhält und nicht explizit darlegt, ob Art. 89 PAG bei ausschließlich repressiv polizeilicher Tätigkeit anwendbar sein kann (BVerwG, B.v. 22.6.2021 – 6 B 25/01 – juris Rn. 5).
37
2. Der Beklagte ist der grundsätzlich entschädigungspflichtige Träger der (bayerischen) Polizei (Art. 87 Abs. 6 PAG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 POG).
38
3. Der Beklagte hat keinen Erstattungsanspruch nach Art. 88 PAG. Er wurde nicht auf Weisung oder Ersuchen einer nichtstaatlichen Behörde tätig.
39
4. Der Beklagte war i.S.d. Art. 89 Abs. 1, 87 Abs. 6, Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 PAG einer unbeteiligten Dritten ersatzpflichtig.
40
a. Die polizeiliche Maßnahme vom 8. Mai 2020 führte zur Schädigung der Halterin des o.g. KFZ … Im Rahmen des Polizeieinsatzes kam es zum Sturz des Klägers und des POK …, der zum Sachschaden insb. an der linken Fahrzeugseite des … führte.
41
Für die Kammer steht die Schädigung des KFZ infolge des Sturzes des Klägers sowie des POK … nach dem vorangegangenen Fluchtversuch des Klägers fest; der Schaden geht adäquat kausal auf die betreffende polizeiliche Maßnahme zurück: Der Zeuge … sagte i.R.d. mündlichen Verhandlung zum Verlauf und zur Schädigung aus. Die Aussage erfolgte konsistent. Trotz des zwischenzeitlich vergangenen längeren Zeitraums erschien sie erlebnisbasiert; im Aussageverhalten des Zeugen manifestierte sich für die Kammer keinerlei Belastungseifer. Ferner führte der Beklagte schlüssig zum Schadenshergang aus; die (Sach-)Schäden sind nachvollziehbar dokumentiert (vgl. etwa Bl. 24ff, 42ff). Auch die Strafakte … legt das zum Schaden führende Ereignis dar (vgl. nur Bl. 25). Die Sachverständige … exploriert im von der Geschädigten vorgelegten Gutachten, dass das Schadensbild und der geschilderte Hergang korrespondierten (Bl. 48 d. Behördenakte). Der polizeiliche Sachverständige hält das letztgenannte Gutachten für plausibel (Bl. 69 d. Behördenakte). Unabhängig davon erscheint es der Kammer lebensnah betrachtet auch schlüssig, dass der Sturz zweier erwachsener Männer gegen ein KFZ mehr als nur unerheblich in die Substanz des letzteren eingreift, mithin dort deutlichen (Blech-)Schaden hinterlässt.
42
Auch der Kläger stellt wohl die haftungsbegründende Kausalität der polizeilichen Maßnahme nicht infrage. Jedenfalls hat er den zum Sachschaden führenden Sturz nicht bestritten; zuletzt beschränkten sich seine Einlassungen darauf, dass der Sturz für ihn nicht abwendbar gewesen sei, dass allein der Beamte Schuld am Sturz trage und dass er schon deshalb nicht allein entschädigungspflichtig sein könne, da man zu zweit auf das KFZ gestürzt sei. Zudem erkundigte sich der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung beim Zeugen …, ob dieser dem Kläger ein Bein gestellt habe – eine Frage die nur Sinn ergibt, wenn der äußere Rahmen des Sachverhalts – Polizeieinsatz einschließlich Verfolgung und Sturz – zugestanden wird. Zugleich gesteht der Kläger wohl zu, dass der Schaden der Dritten auf den Sturz des POK … und seiner Person zurückzuführen ist. So räumte der Bevollmächtigte i.R.d. Verhandlung ein, dass auch auf den ersten Blick harmlose Stöße relevante Schadenssummen verursachen können. Unabhängig davon – letztgenannte Erklärung wurde nicht protokolliert – beschränkt er sich auf Erwägungen, die sich wie der Hinweis auf die zwischen dem Schadensereignis und dem Gutachten liegende Zeitspanne als Insinuation unzulässigen Verhaltens der geschädigten Dritten verstehen ließen, aber unsubstantiiert ins Blaue – bar jeden Belegs – erfolgen.
43
b. Die KFZ-Halterin war unbeteiligte Dritte. Sie hat keinerlei Gefahr verursacht, war demnach keine Störerin i.S.d. Art. 7 oder 8 PAG. Der Beklagte nahm sie auch nicht als Nichtstörer i.S.d.Art. 10 PAG in Anspruch. Er hat der geschädigten Dritten gegenüber überhaupt keine Maßnahme der Gefahrenabwehr ergriffen. Sie wurde ohne Ansehen ihrer Person, zufällig und ohne Absicht der Beamten von einer an einen Dritten adressierten polizeilichen Maßnahme betroffen.
44
c. Der Schaden ist der Fahrzeughalterin nicht zumutbar i.S.d. Art. 87 Abs. 2 Satz 1 PAG.
45
Ein Geschädigter muss sich nicht auf Ersatzansprüche verweisen lassen, die er nicht bzw. nicht in absehbarer und angemessener Zeit durchsetzen kann. Er muss nicht weitläufige, unsichere bzw. im Ergebnis zweifelhafte Wege des Vorgehens beschreiten. Die Nutzung einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit muss ihm zumutbar sein (vgl. analog BGH, U.v. 6.10.1994 – III ZR 134/03 – juris Rn. 28 i.R.d. Amtshaftungsanspruchs). Art. 87 und 89 PAG basieren auf dem Rechtsgedanken der Geschäftsführung ohne Auftrag (Unterreitmeier in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, 21. Ed., Stand: 15.01.2023, Art. 89 Rn. 2). Die ihnen inhärente Entschädigungspflicht des Beklagten will dem Entschädigungsberechtigten das Insolvenzrisiko des polizeirechtlichen Störers abnehmen; sie will letzteren aber nicht aus der Verantwortung entlassen – weshalb sie dem Entschädigungspflichtigen eine Möglichkeit des Regresses beim Störer eröffnet.
46
Der Geschädigten steht keine anderweitige Ersatzmöglichkeit zur Verfügung: Sie erlitt einen Schaden in deutlich vierstelliger Höhe. Die polizeiliche Maßnahme traf sie ungewollt und zufällig. Es bedeutete eine unbillige Härte, sie entschädigungslos auf die Reparatur auf eigene Kosten oder auf Versuche der zivilrechtlichen Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den – ihr namentlich wohl unbekannten – Kläger zu verweisen. Zugleich ist anzumerken, dass es keine anderweitige – zumutbare – Ersatzmöglichkeit gewesen wäre, die Klägerin auf die Inanspruchnahme einer mittels eigener Prämien finanzierten Versicherung zu verweisen. Dies hätte die unzumutbare Folge, dass die Geschädigte in eine höhere Schadensklasse gestuft wird oder einen etwaigen „Rabatt-Retter“ in Anspruch nehmen muss. Daneben bedeutete eine solche Abwälzung des Schadens auf die Versichertengemeinschaft eine unbillige Entlastung des Schädigers, dessen Verantwortung für den Schadenseintritt feststeht (BayVGH, U.v. 10.5.2000 – 24 B 99.603 – juris Rn. 28; VG München, U.v. 23.11.2016 – M 7 K 15.3762 – juris Rn. 20).
47
d. Weiterhin diente die zum Schaden führende polizeiliche (Verfolgungs-)Maßnahme nicht dem Schutz der Person oder des Vermögens der geschädigten Halterin des KFZ mit dem amtlichen Kennzeichen ... . Mithin ist der die notwendige Voraussetzung für den Ersatzanspruch aus Art. 89 Abs. 1 PAG bildende Entschädigungsanspruch nach Art. 87 Abs. 1 PAG nicht nach Art. 87 Abs. 4 PAG ausgeschlossen.
48
e. Ein anspruchsminderndes Verschulden der Geschädigten ist nicht gegeben (Art. 87 Abs. 7 Satz 3 PAG). Ein etwaiges Mitverschulden der Polizei ist für den Anspruch des Geschädigten nach § 87 Abs. 1, 2 PAG ebenso irrelevant wie die Frage, ob die polizeiliche Maßnahme rechtswidrig oder rechtmäßig war. Die Entschädigungspflicht ist als Erfolgshaftung gestaltet (BeckOK PolR Bayern/Unterreitmeier, 24. Ed. 1.3.2024, PAG Art. 87 Rn. 38). „Es ist nicht einzusehen, warum […der Geschädigte] im Fall einer rechtmäßigen Handlung der Polizei bessergestellt werden soll als im Fall einer rechtswidrigen“ (LT-Drs. 2/4660, S. 35 zu Art. 56 PAF a.F., der beinahe wortgleich Abs. 1-3 des heutigen Art. 87 PAG entspricht).
49
f. Als verantwortliche Person i.S.d. Art. 7 PAG ist der Kläger anspruchsverpflichtet.
50
Maßgeblich für die Verpflichtung zum Ersatz der notwendigen Aufwendungen nach Art. 89 Abs. 1 PAG ist nicht, wem der durch eine polizeiliche Maßnahme entstandene Schaden zuzurechnen ist. Entscheidend ist, wer nach Art. 7 oder 8 PAG für die Gefahr verantwortlich ist, welche durch die den Schaden herbeiführende polizeiliche Maßnahme abgewehrt werden soll (BayVGH, B.v. 13.12.2013 – 10 ZB 11.1836 – juris Rn. 16). Nach welcher Rechtsgrundlage die Polizei eingeschritten ist, ist irrelevant (Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, PAG Art. 89 Rn. 7).
51
aa. Gefahr ist die konkrete – objektiv betrachtet tatsächlich bestehende – Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, d.h. eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung von Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führt (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 PAG).
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Auf Primär- und Sekundärebene ist der Gefahrenverdacht der konkreten Gefahr grundsätzlich gleichgestellt (VG München, U.v. 22.10.2010 – M 7 K 09.133 – juris Rn. 27). Er ist gegeben, wenn das Vorliegen einer Gefahr trotz verständiger Würdigung der im Zeitpunkt der polizeilichen Entscheidung bestehenden Tatsachen und Kenntnisse noch nicht sicher prognostiziert werden kann. Folglich weist der handelnde Polizeibeamte hier in tatsächlicher Hinsicht – ihm bewusste – Wissensdefizite auf, die keine endgültige Gefahrenprognose erlauben – wobei sich die Unsicherheit auf das Vorliegen des Sachverhalts und den zu erwartenden Kausalverlauf beziehen kann (BeckOK PolR Bayern/Holzner, 24. Ed. 1.3.2024, PAG Art. 11 Rn. 62).
53
Von der Gefahr bzw. dem Gefahrenverdacht abzugrenzen ist die Anscheinsgefahr. Eine solche liegt vor, wenn der handelnde Beamte bei verständiger Würdigung zur Zeit der Maßnahme auf das Bestehen einer Gefahr schließt, sich aber nachträglich herausstellt, dass keine wirkliche Gefahr vorlag, sondern nur der Anschein einer Gefahr erweckt wurde. Im Fall der Anscheinsgefahr kann die Polizei denjenigen in Anspruch zu nehmen, der bei verständiger Würdigung der Sachlage als Verantwortlicher für die Gefahr erscheint. Die Anscheinsgefahr steht auf der primären und sekundären Ebene der tatsächlich vorliegenden konkreten Gefahr gleich (Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, PAG Art. 11 Rn. 69 m.w.N.). Die Polizei muss in der Lage sein, rasch zur Verhütung von Gefahren oder zur Beseitigung bereits eingetretener Störungen tätig zu werden (VG Augsburg, U.v. 2.4.2009 – Au 5 K 08.1259 – juris Rn. 34; U.v. 5.5.2011 – Au 5 K 10.1341 – juris Rn. 26).
54
Geht ein Polizeibeamter aufgrund mangelnder Sachverhaltsaufklärung oder einer irrigen Prognose von einer Gefahr aus, hätte er bei der genannten verständigen Würdigung nicht aufs Bestehen einer Gefahr schließen dürfen (Putativgefahr). Dennoch ergriffene polizeiliche Maßnahmen erweisen sich als rechtswidrig (BeckOK PolR Bayern/Holzner, 24. Ed. 1.3.2024, PAG Art. 11 Rn. 67). Entspricht die Gefahreneinschätzung hingegen dem Urteil eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Amtswalters, verläuft die Entwicklung aber anders als prognostiziert und zeigt sich, dass keine Gefahr vorlag, wird die polizeiliche Maßnahme dadurch nicht rechtswidrig.
55
bb. Auch auf der tertiären Ebene kann die Anscheinsgefahr der konkreten Gefahr gleichstehen und die Möglichkeit des Regresses eröffnen (vgl. u.a. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, 6. Aufl. 2023, PAG Art. 89 Rn. 8 f.). Voraussetzung für einen Regress gegen den Anscheinsstörer ist, dass er den Anschein der Gefahr rückschauend betrachtet in zurechenbarer Weise verursacht hat. Er hat einzustehen, wenn er die den Anschein des Bestehens einer Gefahr begründenden Umstände zu verantworten hat. (BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – juris Rn. 23f.; B.v. 13.12.2013 – 10 ZB 11.1836 – juris Rn. 10; B.v. 9.5.2012 – 10 C 11.2941 – juris Rn. 18; VG Augsburg, U.v. 5.5.2011 – Au 5 K 10.1341 – juris Rn. 26 ff. m.w.N.; VG München, U.v. 23.11.2016 – M 7 K 15.3762 – juris Rn. 21; VG Augsburg, U.v. 27.11.2008 – Au 5 K 07.1589 – juris Rn. 37).
56
Nichts anderes gilt für den Gefahrenverdacht. Wer in zurechenbarer Art und Weise einen Gefahrenverdacht verursacht, ist Veranlasser im kostenrechtlichen Sinn (BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – juris Rn. 23; VG Augsburg, U.v. 15.3.2022 – Au 8 K 21.1921 – juris Rn. 26; OVG NRW, B.v. 14.6.2000 – 5 A 95/00 – juris Rn. 10).
57
cc. Für die jeweilige Gefahr ist insb. verantwortlich, wer die Gefahr durch sein Verhalten – das Tun oder Unterlassen der betreffenden Person – verursacht, Art. 7 Abs. 1 PAG. Verschulden i.S.v. Vorsatz oder Fahrlässigkeit ist weder erforderlich noch spielt es für die Qualifikation als Störer überhaupt eine Rolle (BayVGH, B.v. 13.12.2013 – 10 ZB 11.1836 – juris Rn. 9; zu Art. 9 Abs. 2 LStVG: B.v. 11.6.2019 – 10 CS 19.684 – juris Rn. 9).
58
dd. Vorliegend hat der Kläger mit seinem Verhalten eine relevante Gefahr verursacht.
59
Zwar war eine mit der möglichen Beteiligung des Klägers an der den Anlass des Polizeieinsatzes bildenden gemeldeten körperlichen Auseinandersetzung ggf. geschaffene Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung beendet, als die Polizeikräfte am … eingetroffen waren. Mithin ist nicht entscheidend, ob der Kläger eine Körperverletzungshandlung begangen hat bzw. ob diese nachweisbar war und zu einer Verurteilung geführt hat.
60
Indes hat der Kläger mit seinem Fluchtverhalten sich selbst und potentiell dritte Passanten bzw. Verkehrsteilnehmer im Schutzgut des Art. 2 Abs. 2 GG gefährdet – was für sich betrachtet eine relevante Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens insb. für die Grundrechte Dritter aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG nahelegt. Jedenfalls durfte ein verständiger Polizeibeamter aus Sicht der Kammer angesichts der Flucht mind. vom Vorliegen eines Gefahrenverdachts ausgehen. Wer bewusst vor der Polizei flieht, schafft mit seinem Fluchtverhalten zumindest einen der konkreten Gefahr gleichstehenden Gefahrenverdacht. Fluchtverhalten spricht generell dafür, dass von einer Person eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (VG Augsburg, U.v. 27.11.2008 – Au 5 K 07.1589 – juris Rn. 26). In der Konsequenz ist der bewusst Fliehende auch Veranlasser im kostenrechtlichen Sinn.
61
Aus Sicht der Kammer ist auch ex-post betrachtet nicht zu beanstanden, dass der Beklagte von einem Fluchtverhalten des Klägers ausgegangen ist. Zugleich hat der Beklagte nach Auffassung der Kammer darauf aufbauend ex-post betrachtet in nicht zu beanstandender Weise prognostiziert, dass vom flüchtenden Kläger eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass sich der Kläger bewusst der Kontrolle der Polizei entziehen wollte. Für sie steht fest, dass der Kläger die Aufforderung anzuhalten ignoriert hat und auch aus seiner Sicht vor der Polizei geflohen ist.
62
Der Kläger selbst ließ nur vage und in Teilen suggestiv vortragen. Er trat der Schilderung des Beklagten nicht substantiiert entgegen. Konkrete Tatsachen, die auf einen alternativen Geschehensablauf hingedeutet hätten, hat er nicht ansatzweise dargelegt.
63
Demgegenüber hat der an Recht und Gesetz gebundene Beklagte von Beginn an schlüssig zum Polizeieinsatz und dessen Folgen vorgetragen. Er hatte auch kein Motiv, den Vorfall zu erfinden, um einem unbeteiligten Dritten eine Zahlung zukommen zu lassen.
64
Nach Aktenlage hat der Zeuge … von Beginn an ein Fluchtverhalten des Klägers beschrieben (Bl. 30ff d. Behördenakte sowie Bl. 14 der beigezogenen Akte zum Strafverfahren …*). Dies deckt sich mit der in der Strafakte befindlichen Verschriftung der Aussagen der Zeugen … (dort Bl. 10) und … (dort Bl. 13). Alle schilderten, dass der Kläger vor den eingetroffenen Polizeibeamten wegzurennen versuchte.
65
Weiter hat der Zeuge … i.R.d. mündlichen Verhandlung widerspruchsfrei und ohne erkennbaren Belastungseifer ausgesagt, dass der Kläger sukzessive das Tempo erhöht habe. Darüber hinaus schilderte er, dass sich der Kläger zu ihm umgedreht habe, wobei er dabei maximal 50m vom Zeugen entfernt gewesen sei. Auch konnte sich der Kläger noch mit Gewissheit daran erinnern, dass er laut „Stopp, Polizei!“ gerufen hat.
66
Es ist für die Kammer auch nachvollziehbar, dass sich der Zeuge trotz des zeitlichen Abstands noch daran erinnern kann. So dürfte es kein alltäglicher Vorgang sein, dass im Einsatz das Eigentum unbeteiligter Dritte beschädigt wird. Darüber hinaus wies der Kläger jedenfalls aufgrund der blutenden Nase gewisse äußerliche Besonderheiten auf, die nach der Einschätzung der Kammer dazu beitragen können, den Sachverhalt langfristig zu erinnern (der Zeuge schilderte die blutende Nase des Klägers von Beginn an und zuletzt auch i.R.d. mündlichen Verhandlung; der Kläger selbst hat sie zu keinem Zeitpunkt bestritten).
67
Weiter hat der Kläger die Anwesenheit am Ort des Geschehens nie bestritten. Seine Einlassung hinsichtlich der oben näher beschriebenen Plastiktüte erscheint völlig unglaubhaft. Allenfalls als Schutzbehauptung erschien auch die Aussage, er habe sich auf dem Weg zu einem Laden befunden, ehe ihn die polizeiliche Maßnahme ereilt habe (schon angesichts der Tageszeit des betreffenden Geschehens sowie des geltenden Ladenschlussgesetzes). Zuletzt hat der Kläger das Wegrennen und den Sturz wohl faktisch eingeräumt – etwa die Einlassung, ob der Polizeibeamte ihm wohl ein Bein gestellt habe, ergibt anders keinen Sinn.
68
Zwar hat der Zeuge i.R.d. mündlichen Verhandlung angegeben, dass ihm keine Verletzungen des Klägers bekannt geworden seien. Indes schließt dies weder das Wegrennen noch den Sturz aus. Einerseits führt ein Sturz eines gesunden Menschen aus dem Laufschritt heraus nicht zwingend zu Verletzungen. Andererseits trat der Kläger nach der Schilderung der Zeugen i.R.d. weiteren Sachbehandlung nach dem Sturz aggressiv und unkooperativ auf. In einer solchen Situation erscheint es der Kammer aber plausibel, dass „bloße“ Schmerzen oder einfachste Verletzungen wie Hautabschürfungen nicht explizit geltend gemacht werden.
69
Auch der wohl eingeräumte Sturz erscheint nach der allgemeinen Lebenserfahrung nur plausibel, wenn der Kläger und der Zeuge zunächst rannten und vermittelt durch das Greifen des Zeugen … nach dem Kläger aus einem Zustand schneller Bewegung zu Boden gingen. Es erschiene der Kammer nicht erklärlich, wie es für den Fall schlichten Weggehens zu einer solchen Dynamik bzw. solchen physikalischen Kräften kommen soll, dass ein Griff des Zeugen nach dem Kläger bewirkt haben soll, dass zwei erwachsene und offenbar körperlich nicht eingeschränkte Männer nicht mehr in der Lage gewesen sein sollen, sich auf ihren Beinen zu halten.
70
Der Zeuge … war sich sicher, dass sich der Kläger bei einer Gelegenheit zu ihm umgedreht hat. Er schilderte auch, dass der Kläger sein Tempo im Verlauf der Verfolgung eher gesteigert hat. Nach seiner Einschätzung muss der Kläger die Anhalteaufforderung verstanden haben.
71
Der Zeuge gab an, die Distanz zwischen sich und dem Kläger habe maximal 50m betragen.
72
Nach dem Sturz wirkte der Kläger nach der Einschätzung des Zeugen nicht überrascht.
73
Der Kammer erscheint schlüssig, dass sich der Zeuge und der Kläger von der den Ausgangspunkt bildenden Gruppe wegbewegt haben, so dass niemand anderes aus der Gruppe den Anhaltebefehl auf sich bezogen haben kann. Nach ihrer Überzeugung spricht nichts dafür, dass der Kläger die Anhalteaufforderung nicht verstanden hat.
74
In der Konsequenz ist die vom Beklagten angestellte polizeiliche Gefahrenprognose nicht zu beanstanden.
75
g. Nach der Überzeugung der Kammer war die zur Schädigung der unbeteiligten Dritten führende polizeiliche Maßnahme verhältnismäßig, Art. 4 PAG.
76
Dabei war die Schädigung der unbeteiligten Dritten eine unbeabsichtigte Nebenfolge der rechtmäßigen Maßnahmen des Anhaltens und der Identitätsfeststellung. Die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen ist zu bejahen. Dabei ist zu beachten, dass der Gefahrenverdacht zwar eine Gefahr i.S.d. Art. 2 Abs. 1 PAG ist – er angesichts des Bewusstseins hinsichtlich der noch nicht vollständig möglichen Gefahrenprognose aber nur Maßnahmen legitimiert, die der Gefahrerforschung dienen. Solche dürfen nur in geringem Umfang in die Rechte eines Betroffenen eingreifen, da die Gefahr zur Zeit der Maßnahme noch unbestimmt ist (so: VG Augsburg, U.v. 27.11.2008 – Au 5 K 07.1589 – juris Rn. 47; zum Ganzen auch: Schmidbauer/Steiner/ Schmidbauer, 6. Aufl. 2023, PAG Art. 11 Rn. 64).
77
Hier ist nicht ersichtlich, was der handelnde Beamte anderes hätte tun sollen, als den weglaufenden Kläger zu verfolgen bzw. ihn aufgrund des Ignorierens der Anhalteaufforderung mit einem Griff – einfachster körperlicher Gewalt – zum Anhalten zu bewegen. POK … ging es um die Abklärung eines ggf. straf- und ordnungsrechtlich relevanten Sachverhalts. Folglich bewegte sich die Maßnahme auf der niedersten Ebene der Gefahrerforschung. Sie bedeutete keinen tiefgreifenden Eingriff. An der Angemessenheit im engeren Sinn ist nicht zu zweifeln. Insb. war der Beamte unter Berücksichtigung des im öffentlichen Interesse liegenden Grundsatzes der Effektivität der Gefahrenabwehr nicht gehalten, den flüchtenden Kläger laufen zu lassen.
78
h. Der Beklagte hat der unbeteiligten dritten Fahrzeugeigentümerin 4.309,91 EUR ersetzt. Die Zahlung i.H.v. 4.309,91 EUR wurde nach den Unterlagen des Beklagten (Bl. 74 d. Behördenakte) am 30. April 2021 gebucht. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Dokumentation wahrheitswidrig oder nur zum Schein erfolgt sein könnte. Daran ändert das pauschale Bestreiten der Auszahlung durch den Kläger nichts.
79
Nach Überzeugung der Kammer handelt es sich bei dem ausbezahlten Betrag von 4.309,91 EUR auch um die der unbeteiligten Geschädigten nach Art. 78 Abs. 1, Abs. 2 PAG zu ersetzenden notwendigen Aufwendungen.
80
Die Notwendigkeit beurteilt sich danach, welche Kosten der Geschädigte berechtigterweise geltend gemacht hat. Zudem sind Aufwendungen nicht notwendig, wenn sie auf ein Verschulden der Polizei zurückzuführen sind (LT-Drs. 2/4660, S. 36).
81
Die Kammer hat hinsichtlich der Höhe der Kosten keinerlei Bedenken. Nach dem Vorstehenden ist ein die Notwendigkeit ausschließendes Verschulden des Polizeibeamten … am Sachschaden nicht gegeben. Der Kläger war Verhaltensstörer. Er hat mit seinem Verhalten die Notwendigkeit der polizeilichen Maßnahme begründet. Dabei ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die spezifische Maßnahme des POK … aufgrund vorwerfbaren Verhaltens oder sonstiger besonderer Umstände in ihrer Art oder Durchführung den Zurechnungszusammenhang durchbrochen hätte. Vielmehr ist auch ex-post betrachtet nicht zu beanstanden, dass der Beamte hinter dem Kläger hergerannt ist. Zudem war es auch adäquat, den Flüchtenden zu greifen zu versuchen – wenn dies letztlich auch in kausaler Weise zum Schaden der unbeteiligten Dritten führte.
82
Außerdem hat der Beklagte den Ersatz auf die der Geschädigten entstandenen Aufwendungen beschränkt. Insofern bleibt es auch unter diesem Gesichtspunkt bei der Notwendigkeit der Aufwendungen: Die zum Ersatz aufgewendeten Mittel erscheinen bei pflichtgemäßer und sorgsamer Würdigung der Umstände des Einzelfalls rechtlich geboten und unerlässlich (zu dieser Maßgabe: Berner/Köhler/Käß, Polizeiaufgabengesetz, 20. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 4). Die Kammer sieht keinen Anlass für Zweifel, dass es sich bei der Zahlung i.H.v. 4.309,91 EUR um den Betrag handelte, der i.S.d. Differenzhypothese zur Reparatur des i.R.d. Polizeieinsatzes vom 8. Mai 2020 beschädigten KFZ … erforderlich war. Dafür sprechen bereits die plausible aktenkundige Schilderung des Schadenshergangs sowie die Erklärungen des Zeugen …, v.a. aber die Rechnung über die durchgeführte Reparatur vom 18. Dezember 2020 (Bl. 64 d. Behördenakte), das Schadensgutachten vom 14. August 2020 (Bl. 43 d. Behördenakte) sowie die sachverständige Prüfung der Rechnung und des Gutachtens vom 5. März 2021 (Bl. 69 d. Behördenakte).
83
Wie skizziert, ist demgegenüber nicht ersichtlich, welches Motiv der Beklagte hätte haben sollen, der geschädigten Dritten Ersatz in nicht notwendiger Höhe zu leisten. Auch sind keinerlei objektive Aspekte vorgetragen oder erkennbar, die unlauteres Handeln der geschädigten Dritten andeuten. Im Übrigen vermögen die klägerischen Ausführungen – das In-Abrede-Stellen des Zusammenhangs zwischen dem Schadensereignis und dem Auslesen des Fehlerspeichers, das (zeitweise) Leugnen einzelner Aspekte des äußeren Rahmens des Schadensereignisses oder die unkonkrete Beanstandung der Prüfung des polizeilichen Sachverständigen keine ernstzunehmende Geschehenshypothese zu bilden. Sie kommen qualitativ nicht über unsubstantiiertes Bestreiten hinaus. Dies stellt die sorgfältigen Ermittlungen des Beklagten zur Notwendigkeit des Ersatzes nicht infrage; abgesehen davon, dass weitere Ermittlungsmöglichkeiten nicht erkennbar sind, genügt der klägerische Vortrag nicht, die Erforderlichkeit entsprechender Untersuchungen auch nur anzudeuten.
84
h. Der Ersatzanspruch des Beklagten aus Art. 89 Abs. 1 PAG ist auch nicht verjährt.
85
Mangels anderer Bestimmung erlischt der auf eine Geldzahlung gerichtete öffentlich-rechtliche Ersatzanspruch des Freistaats Bayern aus Art. 89 PAG gemäß Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGBGB in drei Jahren. Die Frist beginnt nach Art. 71 Abs. 1 Satz 2 AGBGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Berechtigte von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, jedoch nicht vor dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist.
86
Zur Konkretisierung dieses Gesetzeswortlautes greift die Kammer schon angesichts der weitgehenden gleichlautenden Formulierung des Art. 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AGBGB auf die Grundsätze des Zivilrechts zurück – insb. § 199 BGB.
87
aa. Voraussetzung des Beginns der Verjährungsfrist ist die Kenntnis bzw. die grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen sowie von der Person des Schuldners. Die Frist beginnt aber frühestens mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, Art. 71 Abs. 1 Satz 2 HS. 2 AGBGB.
88
Nach allgemeiner Terminologie entsteht ein Anspruch grundsätzlich in dem Zeitpunkt, in dem alle anspruchsbegründenden Tatsachen verwirklicht werden (BeckOGK/Piekenbrock, 1.12.2024, BGB § 199 Rn. 17). Der Anspruch muss hinsichtlich Gläubiger, Schuldner und Inhalt bestimmbar sein (BeckOK BGB/Henrich, 73. Ed. 1.11.2024, BGB § 199 Rn. 4 mwN.). Entscheidend ist, wann der Anspruch erstmals geltend gemacht und notfalls im Klageweg durchgesetzt werden kann (MüKoBGB/Grothe, 10. Aufl. 2025, BGB § 199 Rn. 4). Die Entstehung eines Anspruchs – dem Grunde nach – ist von dessen Umfang zu unterscheiden. Die Entstehung des Anspruchs hängt nicht von der Bezifferbarkeit iSe. abschließenden Kenntnis des Anspruchsumfangs ab (HK-BGB/Dörner, 12. Aufl. 2023, BGB § 199 Rn. 3). Ist die Anspruchsausfüllung noch ungewiss, kann es einem Gläubiger zumutbar sein, eine Feststellungsklage mit dem Ziel der Feststellung des Bestehens des Anspruchs zu erheben, um die Verjährung zu hemmen.
89
bb. Vorliegend hat sich der Kläger auf die Verjährung berufen bzw. den entsprechenden Einwand erhoben. Somit kann dahinstehen, ob der in der gesetzlichen Überschrift des Art. 71 AGBGB zu findende Begriff des Erlöschens wörtlich aufzufassen und die Verjährung anders als im Zivilrecht, wo sie als rechtshindernde Einrede konstruiert ist (vgl. etwa § 214 Abs. 2 BGB), eine rechtsvernichtende Einwendung darstellt (wogegen allerdings der § 214 Abs. 2 BGB entsprechende Art. 71 Abs. 3 AGBGB spricht). Allerdings begann die Verjährungsfrist nach der Auffassung der Kammer erst mit dem Schluss des Jahres 2021; die dreijährige Regelfrist war zur Zeit der Geltendmachung des Regresses am 20. Februar 2024 demnach nicht verstrichen.
90
Der Beklagte erhielt am 25. Januar 2021 die Mitteilung der unbeteiligten geschädigten Dritten, wonach ihr keine anderweitige Ersatzmöglichkeit zur Verfügung stehe. An diesem Tag konnte der Regressanspruch erstmals entstehen. Somit lief die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2021 an. Sie hätte mit Ablauf des Jahres 2024 geendet, wurde aber mit Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 20. Februar 2024 gehemmt (Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG).
91
Die Mitteilung der unbeteiligten geschädigten Dritten betrifft nicht die Ausfüllung des möglichen Regressanspruchs. Die fehlende anderweitige Ersatzmöglichkeit eines geschädigten Dritten ist ein Tatbestandsmerkmal des Regresses aus Art. 89 Abs. 1, 87 Abs. 1, 6 PAG. Als solches ist es ein anspruchsbegründender Umstand. Steht die fehlende Ersatzmöglichkeit nicht fest, fehlt es an einer Voraussetzung des Anspruchs und selbiger kann denknotwendig nicht entstehen.
92
Mangels Entstehung des Regressanspruchs war es weder erforderlich noch dem Beklagten überhaupt möglich, schon 2020 auf die Hemmung der Verjährung hinzuwirken (Art. 71 Abs. 2 AGBGB, 53 BayVwVfG).
93
cc. Vorsorglich – mag es mangels Entstehung des Regressanspruchs auch nicht darauf ankommen – merkt die Kammer zudem das Folgende an: Nach Überzeugung der Kammer hat der Beklagte nicht grob fahrlässig erst im Jahr 2021 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Verpflichteten Kenntnis erlangt (Art. 71 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 AGBGB).
94
Grob fahrlässig handelt, wer die nach seinem spezifischen Verkehrskreis zu bestimmende notwendige Sorgfalt in einem besonders schweren Maß außer Acht lässt. Die Wahrung der verkehrsnotwendigen Sorgfalt verlangt dabei nicht, i.S.d. Schuldners möglichst frühzeitig Nachforschungen über die anspruchsbegründenden Umstände anzustellen (BGH, U.v. 22.7.2010 – III ZR 203/09 – NJW-RR 2010, 1623 Rn. 12).
95
Zwar lag hier zwischen dem Absenden der Anfrage des Beklagten vom 24. August 2020 und dem Eingang der diesbezüglichen Antwort der Geschädigten vom 25. Januar 2021 ein Zeitraum von etwa fünf Monaten. Nach der Auffassung der Kammer ist dieser Zeitraum aber nicht als unverhältnismäßig lange zu qualifizieren. Lebensnah betrachtet, ist es nicht untypisch, dass zwischen der Beauftragung und der Durchführung einer Reparatur bzw. zwischen der Reparatur und der Versendung der diesbezüglichen Rechnung jeweils Wochen oder u.U. sogar Monate liegen können. Im Übrigen sieht die Kammer keine generelle Pflicht eines Geschädigten, die den Regress auslösende Reparatur innerhalb einer bestimmten Zeit vornehmen zu lassen – schon, weil der Schaden im Gutachten vom 14. August 2020 exakt dokumentiert wurde.
96
Im Übrigen diente die Anfrage vom 24. August 2020 nach Ansicht der Kammer zuvorderst dem Schutz der Allgemeinheit. Sie trug dem Sinn der Entschädigung i.S.v. Art. 87 Abs. 1 PAG als Aufopferungsanspruch Rechnung (LT-Drs. 2/4660, S. 34). Zu vermeiden war, dass die Allgemeinheit der Geschädigten eine Leistung erbringt, obwohl letztere anderweitig Ersatz erlangt. Deshalb konnte der Beklagte nach Auffassung der Kammer der Geschädigten, wie geschehen, die Einreichung einer Reparaturrechnung anheimstellen. Die Kammer erkennt dabei keine „Beschleunigungspflicht“ des Beklagten – ungeachtet dessen, dass eine solche aus Sicht des Klägers als potentiell Regresspflichtigem ex-post betrachtet u.U. günstig sein kann. Der Beklagte war nicht gehalten, auf die Einreichung einer möglichen Reparaturrechnung zu drängen oder sonstige Maßnahmen der Beschleunigung wie Sachstandsanfragen zu ergreifen.
II.
97
Nach alledem bleibt die Klage ohne Erfolg. Die Kostenentscheidung ergibt sich demnach aus § 154 Abs. 1 VwGO.
98
Dabei war kein Raum, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren i.S.d. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären. Ein Vorverfahren i.S.d. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO wurde weder durchgeführt noch war es überhaupt statthaft (§§ 68 Abs. 1 Satz 2 i.V.m.Art. 12 Abs. 1 und 2 AGVwGO.
III.
99
Hinsichtlich der vorläufigen Vorstreckbarkeit beruht die Entscheidung auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 ZPO.