Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.06.2025 – 20 ZB 24.2157
Titel:

Unbestimmtheit der Zwangsgeldandrohung gegenüber beiden Elternteilen bei Nachweispflicht über Masernimpfung

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1–3, § 124a
IfSG § 20 Abs. 9, Abs. 13, § 33
VwZVG Art. 36
BGB § 1628, § 1629
Leitsatz:
Im Gegensatz zur Handlungsverpflichtung, einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 S. 1 IfSG für ein Kind vorzulegen, ist bei der Androhung des Zwangsgeldes aus Bestimmtheitsgründen zwingend geboten, bei mehreren Handlungsverpflichteten diejenige Person anzugeben, gegen die sich die Vollstreckungsmaßnahme richten soll, wenn die geschuldete Leistung, dh die Verpflichtung zu einem bestimmten Handeln, nur einmal zu erbringen ist. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungszulassung (abgelehnt), Masern, Nachweispflicht, Zwangsgeldandrohung, Personenmehrheit, Kind, gemeinschaftliche Entscheidung, Eltern, Sorgerecht, höchstpersönlicher Charakter
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 18.11.2024 – M 26a K 24.528
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13911

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 200,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und 5 VwGO liegen nicht vor oder wurden schon nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nur dann hinreichend dargelegt, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird; dabei ist auszuführen, in welchem konkreten rechtlichen oder tatsächlichen Punkt ergebnisrelevante Zweifel bestehen und worauf sie sich gründen (stRspr., vgl. nur BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – juris Rn. 32 m.w.N.; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – juris Rn. 40; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 20 ZB 23.1043 – juris Rn. 2; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 m.w.N.).
3
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens der Beklagten nicht. Tragender Rechtssatz des Verwaltungsgerichts war, dass im Gegensatz zur Handlungsverpflichtung, einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG für ein Kind vorzulegen, bei der Androhung des Zwangsgeldes aus Bestimmtheitsgründen zwingend geboten ist, bei mehreren Handlungsverpflichteten diejenige Person anzugeben, gegen die sich die Vollstreckungsmaßnahme richten soll, wenn die geschuldete Leistung, d.h. die Verpflichtung zu einem bestimmten Handeln, nur einmal zu erbringen ist. Diese Rechtsauffassung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
4
Zwar mag es sein, dass die der Zwangsgeldandrohung zugrundeliegende (Primär-)Verpflichtung der Person, die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden soll, einen Nachweis über die Masernimpfung vorzulegen (§ 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 IfSG), bei fehlendem Einverständnis zu einer Masernimpfung für das Kind eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 Satz 1 BGB darstellt (BGH, B. v. 3.5.2017 – XII ZB 157/16 – juris), so dass die Entscheidung über die Durchführung der Masernimpfung als solche dem Grunde nach eine gemeinschaftliche Entscheidung beider Elternteile voraussetzt. Ob dieser Umstand allerdings dazu führt, dass bei der Nachweisvorlagepflicht grundsätzlich und in jedem Einzelfall von einer nur gemeinschaftlich ausübbaren und in diesem Sinne gesamthandsähnlichen Pflicht, die Ausfluss des gem. § 1629 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 BGB beiden Elternteilen gemeinschaftlich zustehenden Sorgerechts ist, auszugehen ist (so VG Bayreuth, B. v. 14.11.2022 – B 7 S 22.1038 – BeckRS 2022, 36782 Rn 40), ist zweifelhaft, da auch Konstellationen denkbar sind, dass die Nachweisvorlage trotz erfolgter Masernimpfung nicht erfolgt und die Vorlagepflicht ohne weiteres durch nur einen sorgeberechtigten Elternteil berechtigterweise erfüllt werden könnte. Auch dürfte die Vorlage eines Immunitätszeugnisses im Normalfall keine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung darstellen. Entscheidend ist aber vielmehr, dass zwischen der Grundverpflichtung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. Abs. 13 IfSG und dem durch die Zwangsgeldandrohung begründeten Zwang zu unterscheiden ist. Wie das Verwaltungsgericht völlig zutreffend ausführt, muss die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, gegen welchen der Adressaten sie Zwangsmittel anwenden will, wenn sich der zu vollziehende Verwaltungsakt – wie hier – gegen mehrere Personen richtet, von denen aber nur eine die gebotene Handlung vornehmen kann bzw. muss (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.1997 – 23 CS 96.2922 – juris Rn. 44; B.v. 9.1.2006 – 4 CS 05.2798 – juris Rn. 25; U.v. 31.7.1997 – 23 B 94.90 – BeckRS 1997, 24872). Ausschlaggebend hierbei ist, dass eine Zwangsgeldandrohung als Beugemittel höchstpersönlichen Charakter hat (BVerwG, U. v. 10. 1. 2012 − 7 C 6.11 − NVwZ 2012, 888; BayVGH, U. v. 24.11.1981 Nr. 233 I 76 n.V). Aus diesem höchstpersönlichen Charakter der Zwangsvollstreckung ergibt sich, dass bereits die Zwangsgeldandrohung erkennen lassen muss, welcher Vollstreckungsschuldner bei Nichterfüllung der Handlungspflicht oder bei Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungs- oder Duldungspflicht in welcher Höhe zahlungspflichtig sein soll (vgl. BayVGH, U.v. 9.1.2006 – 4 CS 05.2798 – juris Rn. 25; B. v. 6.4.2024 – 2 ZB 24.162 juris Rn 6), was hier nicht der Fall ist. Dieser höchstpersönliche Charakter steht einer gesamtschuldnerischen Haftung entgegen, da bei einem Gesamtschuldverhältnis mehrere Schuldner für eine einheitliche Leistung haften, ohne dass die individuelle Verantwortlichkeit im Voraus festgelegt ist. Anders als es die Beklagte zu meinen scheint, hat dies aber nicht zur Folge, dass nur gegen einen Elternteil Zwangsmittel angedroht und ggf. angewendet werden können. Erforderlich ist bei einer Personenmehrheit als Adressaten einer Zwangsgeldandrohung vielmehr lediglich eine Konkretisierung der Zwangsgeldandrohung, wann und in welcher Höhe gegen den einzelnen Adressaten vorgegangen werden soll. Je nach Fallgestaltung könnte es sogar geboten sein, gegen jede sorgeberechtigte Person ein Zwangsgeld zu konkretisieren.
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2. Die Rechtssache weist aufgrund der oben genannten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
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3. Die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat die Beklagte nicht in ausreichender Weise dargelegt.
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Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2019 – 9 ZB 18.1261 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 3.2.2025 – 9 ZB 24.266 – BeckRS 2025, 1886).
8
Die Beklagte hat bereits keine noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert. Im Übrigen dürfte die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der Problematik wegen der unter 1. ausgeführten Gründe zu verneinen sein.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert richtet sich nach §§ 47, 52 Abs. 3 GKG.
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5. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO.