Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.06.2025 – 7 ZB 25.587
Titel:

Fortsetzungsfeststellungsklage, Konkrete Wiederholungsgefahr, Autismus-Spektrum-Störung, Nachteilsausgleich

Normenkette:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
Schlagworte:
Fortsetzungsfeststellungsklage, Konkrete Wiederholungsgefahr, Autismus-Spektrum-Störung, Nachteilsausgleich
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 28.01.2025 – M 3 K 23.2962
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13899

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage feststellen zu lassen, dass die beklagte Technische Hochschule verpflichtet war, ihm für die Prüfungen im Sommersemester 2023 über den gewährten Nachteilsausgleich hinaus zusätzlich methodisch-didaktische Hilfen einschließlich Strukturierungshilfen, die Prüfungsbegleitung durch eine Begleitperson sowie die Umwandlung von Gruppenprüfungen in Einzelprüfungen zu genehmigen.
2
Der Kläger studierte vom Sommersemester 2023 bis einschließlich Wintersemester 2023/2024 an der Beklagten im Bachelorstudiengang E-Commerce. Er leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung und beantragte unter Vorlage fachärztlicher Atteste für die Modulprüfungen weitgehenden Nachteilsausgleich. Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 6. Juni 2023 für das Sommersemester 2023 sowie mit Bescheid vom 30. Januar 2024 für das Wintersemester 2023/2024 jeweils die Verlängerung der Prüfungszeit um 75 Prozent sowie die Möglichkeit, einen bereitgestellten Laptop zu nutzen und die Prüfung in einem separaten Prüfungsraum abzulegen. Im Übrigen lehnte sie den Antrag auf Nachteilsausgleich unter Bezugnahme auf das Gebot der Chancengleichheit ab. Aus der Notenbestätigung/Transcript Of Records, die dem Kläger nach dem Wintersemester 2023/2024 zur Verfügung gestellt wurde, ergibt sich, dass er während beider Semester insgesamt 30 ECTS-Punkte erzielt hat. Derzeit studiert der Kläger an der FH Kufstein Tirol.
3
Das Verwaltungsgericht hielt die während des gerichtlichen Verfahrens von einer Verpflichtungsin eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellte Klage für zulässig. Es bejahte mit Blick auf das Vorbringen des Klägers das Vorliegen eines besonderen Fortsetzungsfeststellungsinteresses in Gestalt einer konkreten Wiederholungsgefahr. Der Kläger hatte erklärt, sich zum Wintersemester 2025/2026 erneut an der Beklagten immatrikulieren zu wollen, um dort weitere zehn ECTS-Punkte zu erwerben, die ihm für die Anerkennung seiner bisher an der Beklagten erzielten Studienleistungen als Auslandssemester an der FH Kufstein Tirol noch fehlten. Das Verwaltungsgericht wies die Fortsetzungsfeststellungsklage jedoch als unbegründet ab, da der Kläger keinen Anspruch auf einen weitergehenden Nachteilsausgleich gehabt habe.
4
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzziel weiter. Die Beklagte tritt dem entgegen.
5
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten und der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
6
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
7
Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO sind nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegen nicht vor.
8
1. Der Kläger zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf.
9
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte der Darlegung zu stellen sind, hängt wesentlich von der Intensität ab, mit der die Entscheidung begründet worden ist (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 64 m.w.N.).
10
a) Eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist vorliegend bereits deshalb ausgeschlossen, da das Zulassungsvorbringen insoweit den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht genügt. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung des angegriffenen Urteils auf die materiellrechtlichen Ausführungen im vorangegangenen Eilbeschluss vom 10. Juli 2023 (M 3 E 23.3163) Bezug genommen. Dies ist nach § 117 Abs. 5 VwGO zulässig (vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, § 117 Rn. 20). Um ernstliche Richtigkeitszweifel darzulegen, hätte der Kläger sich in seiner Zulassungsbegründung mit den vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Eilbeschlusses inhaltlich substantiiert auseinandersetzen und anhand juristischer Argumentation aufzeigen müssen, worin seiner Auffassung nach die ernstliche Zweifelhaftigkeit des angegriffenen Urteils liegt. Dies leistet das klägerische Vorbringen jedoch nicht. Es gibt zunächst den Inhalt der angegriffenen Entscheidung wieder und erschöpft sich sodann in allgemeinen Ausführungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Gewährung von Nachteilsausgleich, in der Wiedergabe von § 4 der Allgemeinen Prüfungsordnung der Beklagten und der schlichten Behauptung, aus dieser Norm folge, dass dem Kläger eine Einzelprüfung anstatt einer Gruppenprüfung zu genehmigen gewesen wäre, um seine Benachteiligung verfassungskonform zu kompensieren. Auf die inhaltlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu den unterschiedlichen Prüfungsformen der vom Kläger im Sommersemester 2023 abgelegten Prüfungen und den sich hieraus ergebenden unterschiedlichen Anforderungen an einen das Gebot der Chancengleichheit berücksichtigenden Nachteilsausgleich nehmen die Ausführungen des Klägers schon nicht hinreichend Bezug. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen fehlt zur Gänze. Damit legt der Kläger nicht i.S.v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils dar.
11
b) Zudem kommt eine Zulassung der Berufung nicht in Betracht, da das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts jedenfalls im Ergebnis richtig ist. Der Senat, der das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen hat (vgl. BVerwG, U.v. 2.11.2017 – 7 C 25.15 – juris Rn. 17), teilt nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig. Der Kläger kann kein besonderes Rechtsschutzinteresse (Fortsetzungsfeststellungsinteresse) für sich in Anspruch nehmen. Es besteht keine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr. Damit ist die Klage bereits unzulässig. Dies ergibt sich aus Folgendem:
12
Aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO folgt, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können. Nach dem Erledigungseintritt wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit hat (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – juris Rn. 30; BayVGH, U.v. 8.12.2020 – 7 B 19.1497 – juris Rn. 20; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 108). Ein besonderes Feststellungsinteresse liegt insbesondere dann vor, wenn der konkreten Gefahr der Wiederholung gleichartiger Verwaltungsentscheidungen vorgebeugt werden soll, ein Rehabilitationsinteresse besteht oder die zivilgerichtliche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs ernsthaft beabsichtigt ist sowie in Fällen eines objektiven Rechtsklärungsinteresses bei typischerweise kurzfristig eintretender Erledigung (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 111).
13
Eine Wiederholungsgefahr ist im Fall erledigter Verpflichtungsbegehren gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass die Behörde in naher Zukunft auf einen gleichartigen Antrag hin eine auf gleichartigen Erwägungen beruhende negative Entscheidung treffen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 25.8.1993 – 6 C 7.93 – NVwZ-RR 1994, 234, BayVGH, U.v. 8.12.2020 – 7 B 19.1497 – juris Rn. 22). Die Gleichartigkeit einer Verwaltungsentscheidung kann grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn sich die tatsächlichen und rechtlichen Interessen seit dem Erlass der erledigten Verwaltungsentscheidung nicht geändert haben und diese Verhältnisse auch noch im Zeitpunkt der zukünftig zu erwartenden Verwaltungsentscheidung vorliegen werden oder, wenn auch trotz veränderter Verhältnisse eine auf gleichartigen Erwägungen beruhende Entscheidung der Behörde zu erwarten ist, weil sie eine entsprechende Absicht zu erkennen gegeben hat (BVerwG, U.v. 25.8.1993 – 6 C 7.93 – NVwZ-RR 1994, 234). Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr ist demnach erforderlich, dass die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind. Ist ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt des erledigten Verwaltungsakts, kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden (BVerwG, U.v. 12.10.2006 – 4 C 12.04 – juris Rn. 8). Eine nur vage Möglichkeit einer sich im Wesentlichen wiederholenden Situation reicht für die Bejahung einer Wiederholungsgefahr nicht aus (BayVGH, B.v. 14.7.2008 – 4 ZB 07.2735 – juris Rn. 8). Ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, beurteilt sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 17.12.2019 – 9 B 52.18 – NVwZ-RR 2020, 331 Rn. 9). An das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr sind strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. BayVGH, U.v. 8.12.2020 – 7 B 19.1497 – juris Rn. 26).
14
Hieran gemessen sind vorliegend die Voraussetzungen für die Annahme der – vom Kläger ausschließlich geltend gemachten – konkreten Wiederholungsgefahr nicht erfüllt. Allein der klägerische Vortrag, zu beabsichtigen, sich zum Wintersemester 2025/2026 erneut an der Beklagten zu immatrikulieren, ist zu vage, um die strengen Anforderungen an das Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr zu rechtfertigen. Für sein Studium an der FH Kufstein Tirol hat der Kläger verpflichtend ein Auslandssemester zu absolvieren, währenddessen er mindestens 30 ECTS-Punkte erbringen muss. Da der sich in den Akten befindliche Notenbericht/Transcript Of Records bestätigt, dass der Kläger bereits 30 ECTS-Punkte an der Beklagten erbracht hat, fehlt es an einer nachvollziehbaren Erläuterung und Glaubhaftmachung, dass er sich wegen der Anerkennung eines Auslandssemesters erneut dort einschreiben wird. Nachweise für diesen Vortrag wurden nicht vorgelegt. Es wurde nicht einmal ausgeführt, welche Module der Kläger belegen würde und in welcher Form in diesen Prüfungen abzulegen wären. Auch ist offen, wie sich die Intensität seines Krankheitsbilds im nächsten Wintersemester darstellt. Ob und in welcher Weise der Kläger für Prüfungen im Wintersemester 2025/2026 eines Nachteilsausgleichs bedarf, ist daher derzeit nicht abzusehen. Es ist daher bereits nicht erkennbar, welche Form des Nachteilsausgleichs die Beklagte bei erneuter Antragstellung mit gleichartigen Erwägungen ablehnen würde. Hiervon ausgehend überzeugt die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger könne sich auf das Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr berufen, nicht. Damit fehlt es dem Kläger mangels Vorliegens eines besonderen Feststellungsinteresses am Rechtsschutzbedürfnis für die Fortsetzungsfeststellungsklage. Diese ist folglich unzulässig und ihre Abweisung durch das Verwaltungsgericht im Ergebnis nicht zu beanstanden.
15
2. Die Berufung ist nicht wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, zuzulassen. Der Kläger kommt auch insoweit den Darlegungsanforderungen aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht im gebotenen Maß nach. Das Zulassungsvorbringen zu diesem Zulassungsgrund lässt jegliche Substanz vermissen.
16
3. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
17
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nichtrevisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 21.11.2019 – 4 ZB 19.1671 – juris Rn. 10 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren sowie deren (2.) Klärungsfähigkeit, (3.) Klärungsbedürftigkeit und (4.) allgemeine Bedeutung substantiiert darlegen (BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).
18
Die vom Kläger formulierte Frage „unter welchen Voraussetzungen und in welcher konkreten Form ein Anspruch auf Nachteilsausgleich bei psychischen/körperlichen Beeinträchtigungen, respektive bei Vorliegen einer Autismus-Spektrum-Störung, im Prüfungsrecht besteht und wie die Prüfungsbehörde den Antrag zu prüfen und zu begründen hat“ erfordert nicht die Durchführung eines Berufungsverfahrens. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Prüfling ein Anspruch auf die Gewährung von Nachteilsausgleich für eine Prüfungsleistung zusteht, ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Sie kann stets nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände (Art und Inhalt der Prüfung, Art und Schwere der Beeinträchtigung des Prüflings) beantwortet werden.
19
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 36.4 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
20
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).