Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.06.2025 – 9 ZB 24.2010
Titel:

Maß der Nutzung, Abweichung, Städtebauliche Vertretbarkeit

Normenkette:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 3a S. 1 Nr. 1b, S. 3
Schlagworte:
Maß der Nutzung, Abweichung, Städtebauliche Vertretbarkeit
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 10.10.2024 – AN 3 K 22.529
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13894

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 10. Oktober 2024 – AN 3 K 22.00529 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Kläger begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Aufstockung seines bestehenden Wohnhauses um ein Geschoss.
2
Er ist Erbbauberechtigter des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … Das Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus (freistehender Bungalow) bebaut. Dieses verfügt über ein Vollgeschoss und ein Flachdach. Ein Bebauungsplan für den Bereich des Baugrundstücks existiert nicht.
3
Mit Bescheid vom 7. Februar 2022 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung des Vorbescheids ab. Die Beigeladene hatte zuvor ihr Einvernehmen verweigert.
4
Die vom Kläger daraufhin erhobene Verpflichtungs- und Neuverbescheidungsklage wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 10. Oktober 2024 ab. Das Vorhaben sei unzulässig. Es überschreite hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung den durch die Eigenart der näheren Umgebung vorgegebenen Rahmen im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB und sei auch nicht – trotz Rahmenüberschreitung – ausnahmsweise zulässig, da es geeignet sei, bodenrechtlich beachtliche und ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen. Vom Erfordernis des Einfügens könne auch nicht nach § 34 Abs. 3a Satz 1 Nr. 1b, Satz 3 BauGB abgewichen werden.
5
Der maßgebliche Bereich für die Frage des Einfügens in die nähere Umgebung erstrecke sich nur auf die Grundstücke, die das klägerische Grundstück im Westen, Norden und Osten umgeben. Beim Maß der baulichen Nutzung sei der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart. Bei einer kleinteiligen Bau- und Nutzungsstruktur sei auf eine Umgebung mit vergleichsweise geringerem Umkreis abzustellen. In diesem Bereich befinde sich kein Gebäude mit mehr als einem Vollgeschoss, wie der Augenschein ergeben habe. Dasselbe gelte, wenn man das Grundstück FlNr. …, das mit einem eingeschossigen Wohnhaus mit einem Walmdach bebaut sei, einbeziehe. Eine Zulassung des Vorhabens trotz Rahmenüberschreitung würde bewältigungsbedürftige Spannungen begründen und die städtebauliche Situation in dem Sinn belasten, dass die vorgegebene Situation in Bewegung gebracht werde. Es seien nach dem Vortrag der Beigeladenen bereits vielfältige Aufstockungswünsche an sie herangetragen worden, die alle abgelehnt worden seien. Vom Erfordernis des Einfügens könne auch nicht nach § 34 Abs. 3a Satz 1 Nr. 1b BauGB abgewichen werden, da eine Abweichung städtebaulich nicht vertretbar wäre. Diese Ausnahmevorschrift sei eng auszulegen. Eine Abweichung könne auch unter Berücksichtigung von § 34 Abs. 3a Satz 3 BauGB nicht zugelassen werden, da das Vorhaben angesichts seiner Vorbildwirkung die planungsrechtlich relevante Umstrukturierung eines Gebiets einleiten würde. Bei Zulassung einer rahmenüberschreitenden höheren Geschossigkeit werde ein neuer Akzent für die städtebauliche Entwicklung des Gebiets gesetzt, welche nur im Wege der Bauleitplanung gesetzt werden könne.
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Gegen das Urteil richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte und die Beigeladene entgegentreten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO, die der Kläger geltend macht, sind nicht ausreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), liegen jedenfalls nicht vor.
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a) Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – NVwZ 2022, 789 = juris Rn. 23 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 15). Das Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrunds sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, vor allem eine substantielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil. Dazu muss der Rechtsmittelführer im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen die Annahmen des Verwaltungsgerichts ernstlichen Zweifeln begegnen. (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2021 – 9 ZB 21.2366 – juris Rn. 11 ff.). Der Kläger wiederholt im Wesentlichen erstinstanzliches Vorbringen.
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Aus dem Vortrag des Klägers in der Zulassungsbegründung ergeben sich solche Zweifel nicht. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die Verpflichtungs- und Neuverbescheidungsklage des Klägers zu Recht abgelehnt. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts verwiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
11
aa) Entgegen der Zulassungsbegründung hat das Verwaltungsgericht den maßgeblichen Bereich für die Frage des Einfügens nach dem Maß der Nutzung richtig begrenzt. Dieser ist enger zu ziehen als bei der Frage des Einfügens nach der Art der Nutzung. Im Regelfall ist bei einer kleinteiligen Bau- und Nutzungsstruktur wie hier nur die Bebauung auf den umliegenden Nachbargrundstücken maßgeblich. Diese ist nur eingeschossig, auch wenn die Keller der Gebäude teilweise – bedingt auch durch die Hanglage – über die Geländeoberfläche hinausragen. Lediglich ergänzend ist daher darauf hinzuweisen, dass auch die weiteren Nachbargrundstücke im Westen, Norden und Osten im Anschluss an die unmittelbaren Nachbargrundstücke jeweils nur ein Vollgeschoss aufweisen und daher nicht als Vorbild für das klägerische Vorhaben herangezogen werden können.
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Der klägerischen Argumentation in der Zulassungsbegründung, wonach die Bebauung entlang der …Straße, mithin die Grundstücke FlNrn. … … und …, gesondert zu beurteilen seien, weil sie im Gegensatz zur nördlich und weiter westlich angrenzenden Bebauung nicht mit Doppelhäusern oder Reihenhäusern, sondern mit Einfamilienhäusern bebaut seien, ist nicht zu folgen. Für die Frage der Geschossigkeit eines Bauvorhabens oder der zulässigen Wandhöhe ist nicht maßgeblich, ob es sich in der Nachbarschaft um Einfamilienhäuser, Doppelhäuser oder Reihenhäuser handelt. So ist auch dem weiteren Argument des Klägers nicht zu folgen, wonach eine Aufstockung seines Gebäudes um ein Geschoss deshalb zulässig sei, weil das Gebäude auf dem westlichen Nachbargrundstück eine wesentlich größere Grundfläche aufweist.
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bb) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass das klägerische Vorhaben auch nicht ausnahmsweise zulässig ist, da eine Zulassung bodenrechtliche Spannungen auslösen würde. Es ist offensichtlich, dass das Vorhaben Vorbildwirkung für Nachbargrundstücke haben würde.
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cc) Schließlich ist das klägerische Vorhaben auch nicht nach § 34 Abs. 3a BauGB zulässig, sodass auch eine Neuverbescheidung nicht infrage kommt. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine Abweichung städtebaulich nicht vertretbar ist, weil das klägerische Vorhaben im Falle seiner Zulassung angesichts seiner Vorbildwirkung eine planungsrechtlich relevante Umstrukturierung des Gebiets einleiten würde. Die Beigeladene hat bereits im Verwaltungsverfahren ihre städtebaulichen Gründe dargelegt. Angesichts der mehrfach geneigten Hanglage des Baugebiets, an dessen Fuß sich das klägerische Grundstück befinde, sollte die Bebauung hangabwärts nur eingeschossig sein und erst bei den höher gelegenen Grundstücken zweigeschossig. Entsprechend homogen erscheint die tatsächlich vorhandene Bebauung, wie sie ansonsten auf der Grundlage eines Bebauungsplans entwickelt wird. Eine Umwandlung des Gebiets erscheint daher nur im Wege der Bauleitplanung sinnvoll.
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dd) Auf Gesetzentwürfe der (früheren) Bundesregierung, die ein verdichtetes Bauen sowohl im Plangebiet nach § 30 Abs. 1 BauGB als auch im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB erleichtern sollen, kommt es entgegen der Zulassungsbegründung mangels entsprechender Gesetzgebung nicht an.
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b) Die Berufung ist auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten auf. Die Zulassungsbegründung sieht die besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache in denselben Fragen, die sie auch zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts angeführt hat. Diese Fragen sind jedoch – wie sich aus vorstehenden Darlegungen ergibt – weder komplex noch fehleranfällig (vgl. zu diesem Maßstab BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147 = juris Rn. 28). Sie können vielmehr ohne Weiteres anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung bereits im Zulassungsverfahren geklärt werden. Das gilt sowohl für die Frage der maßgeblichen Umgebung des Baugrundstücks als auch für die Anwendung des § 34 Abs. 3a Satz 1 Nr. 1b i.V.m. Satz 3 BauGB.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene einen die Sache förderlichen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass der Kläger auch ihre Kosten trägt (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände vorgebracht wurden.
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4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).