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AG München, Endurteil v. 02.06.2025 – 213 C 1526/25
Titel:

Regress des Rechtsschutzversicherers gegen Rechtsanwalt wegen aussichtsloser Rechtsverfolgung - "Diesel-Klage"

Normenketten:
BGB § 242, § 280 Abs. 1, § 611, § 675
VVG § 86 Abs. 1
Leitsätze:
1. Es erscheint aus anwaltlicher Sicht vernünftig, bei einem Schätzungsrahmen (hier: Schätzung der Gesamtlaufleistung eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs) die denkbare Obergrenze auszureizen, wenn eine Rechtsschutzversicherung besteht, die das Kostenrisiko trägt, da einerseits eine Mehrforderung ansonsten von vornherein ausgeschlossen ist, andererseits aber auch unterschiedliche Vorstellungen der Parteien über den zutreffenden Ansatz durchaus Eingang in die Schätzung finden können, die letztlich durch das Gericht vorgenommen wird. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erteilt der Rechtsschutzversicherer für die Geltendmachung eines Anspruchs eine (vorbehaltlose) Deckungszusage, unterliegt er einem Einwendungsverzicht bzw. einer Einwendungsverwirkung, sofern dem Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers eine anwaltliche Verletzung der Beratungspflicht nicht vorzuwerfen ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anwaltsvertrag, anwaltliche Pflichtverletzung, Erfolgsaussichten, Rechtsschutzversicherung, Einwendungsverzicht, Nutzungsentschädigung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13858

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 2.720,89 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Beklagte war als Rechtsanwaltskanzlei beauftragt, mögliche Ansprüche des … im Rahmen des Diesel-Abgasskandals geltend zu machen. Die Klägerin ist dessen Rechtsschutzversicherin. Sie macht hier eine Schadensersatzforderung aus übergegangenem Recht geltend.
2
Am 30.10.2017 hatte der Versicherungsnehmer einen Mercedes-Benz E 350 Bluetec mit einem Kilometerstand von 174.318 Kilometern zu einem Kaufpreis von 19.900,00 € erworben. Wegen etwaiger Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Abgasskandal mandatierte er die Beklagte. Diese erhob mit Schriftsatz vom 31.12.2020 Klage gegen den Fahrzeughersteller zum Landgericht Stuttgart auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs. Es fiel ein Gerichtskostenvorschuss in Höhe von 885,00 € an, den die Klägerin bezahlte. Bei Einreichung der Klage lag der Kilometerstand des Fahrzeugs bei 295.950 km, drei Tage vor der mündlichen Verhandlung um 24.05.2021 dann bei 319.225 km.
3
Die Klage wurde abgewiesen (Anlage K2). Gegen den Versicherungsnehmer wurden Kosten in Höhe von 1.725,89 € festgesetzt, die durch die Klägerin bezahlt wurden.
4
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hätte dem Versicherungsnehmer mangels Erfolgsaussicht von der Erhebung der Klage abraten müssen. Auch zum damaligen Zeitpunkt sei es anhand der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart und des Bundesgerichtshofs klar gewesen, dass bei derartigen Klageforderung eine Nutzungsentschädigung, in Abzug zu bringen sei, die anhand des durch den jeweiligen Kläger bezahlten Kaufpreises, dessen Fahrleistung und der zu erwartenden Gesamtlaufleistung zu berechnen sei. Dies habe die Beklagte zwar getan, jedoch unter Ansatz einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km, obwohl das Oberlandesgericht Stuttgart stets nur 250.000 km bis maximal 300.000 km angesetzt habe. Die Beklagte hätte somit unter Ansatz der üblichen maximal 300.000 km zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine Klage keine Erfolgsaussicht habe und dementsprechend davon abraten müssen. Dem Versicherungsnehmer sei durch die falsche Beratung ein Schaden in Höhe von mindestens 2.581,03 € entstanden; ein entsprechender Schadensersatzanspruch sei infolge Zahlung der Klägerin gem. § 86 Abs. 1 VVG auf diese übergegangen.
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Die Klägerin beantragte ursprünglich:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.581,03 € zu zahlen, zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 09.06.2022.
Mangels Antragstellung seitens der Klägervertreter erging im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung vom 14.04.2025 ein klageabweisendes Versäumnisurteil, das den Klägervertretern am 17.04.2025 zugestellt wurde und gegen welches diese am 16.04.2025 Einspruch einlegten.
6
Die Klägerin beantragt zuletzt:
1.
Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts München vom 14.04.2025 (Az.: 213 C 1526/25) aufzuheben;
2.
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.581,03 € zu zahlen, zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 09.06.2022.
7
Der Beklagte beantragt:
Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils.
8
An die Aussichtslosigkeit seien hohe Anforderungen zu stellen. Bei bloß geringen Erfolgsaussichten sei hingegen grundsätzlich davon auszugehen, dass ein rechtsschutzversicherter Mandant den Auftrag zur Klageerhebung erteile. Bei dem seinerzeit streitgegenständlichen Pkw habe es sich um ein Premiumfahrzeug mit langer Lebensdauer gehandelt. Es habe sehr wohl für den seinerzeitigen Zeitraum auch Schätzungen – zumindest durch andere Gerichte – gegeben, die die Gesamtlaufleistung mit 500.000 km angesetzt hätten. Und die durch die Klägerin genannten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Stuttgart bezögen sich auf weniger hochwertige Fahrzeuge anderer Hersteller.
9
Wegen des weiteren tatsächlichen Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
10
Einspruch gegen Versäumnisurteil wurde form- und fristgerecht eingelegt.
II.
11
Die zulässige Klage ist unbegründet.
12
1. Das Gericht tritt der Auffassung der Beklagten bei, dass die Klage seinerzeit in jener Form erhoben werden durfte. Tatsächlich stand nicht fest, wie die konkrete Berechnung der Nutzungsentschädigung durch das Landgericht vorgenommen werden würde, so dass dem Versuch, argumentativ zu einer höheren Schätzung der Gesamtlaufleistung zu kommen, zwar möglicherweise keine hohe Aussicht auf Erfolg beizumessen war, aber eben auch keine völlige Aussichtslosigkeit. Immerhin hätten bereits Werte über 320.000 km zu einem zumindest geringen Erfolg des Versicherten geführt. Und bei dem Ansatz der Kilometerleistung handelt es sich eben auch gerade nicht um „gefestigte Rechtsprechung“ im engeren Sinne, sondern um eine – dem tatsächlichen Bereich zuzuordnende – bloße Schätzung, für die in jedem Einzelfall eine deutlich flexiblere Handhabung erwartet werden durfte, als dies bei der obergerichtlichen Klärung einer Rechtsfrage der Fall wäre.
13
Bei bestehender Rechtsschutzversicherung gab es auch keinen Anlass, eine vorsichtigere Schätzung zu wählen, da die Kostenquote für den Versicherten eben grundsätzlich von geringer Relevanz ist. Auch tritt das Gericht der Auffassung der Beklagten bei, dass für Fahrzeuge des Herstellers Mercedes-Benz eben nicht unbedingt mit der exakt selben Schätzung wie für Fahrzeuge des Herstellers Volkswagen gerechnet werden musste.
14
Auch erscheint es aus anwaltlicher Sicht vernünftig, bei einem Schätzungsrahmen die denkbare Obergrenze auszureizen, wenn eine Rechtsschutzversicherung besteht, die das Kostenrisiko trägt, da einerseits eine Mehrforderung ansonsten von vornherein ausgeschlossen ist, andererseits aber auch unterschiedliche Vorstellungen der Parteien über den zutreffenden Ansatz durchaus Eingang in die Schätzung finden können, die letztlich durch das Gericht vorgenommen wird.
15
Es stellt somit keine anwaltliche Pflichtverletzung dar, dem Versicherten von der Erhebung einer derartigen Klage nicht abzuraten.
16
Soweit daneben auch beanstandet wird, die Beklagte habe ihre anwaltlichen Pflichten verletzt, indem sie den Versicherungsnehmer nicht umfassend über die Risiken beraten hätte, die sich aus der Art und Weise der Berechnung der Nutzungsentschädigung ergäben, lässt sich daraus die kausale Verursachung eines Schadens kaum konstruieren. Denn der Umstand, dass überhaupt eine erhebliche Nutzungsentschädigung abzuziehen war, konnte dem damaligen Klageantrag ja deutlich angesehen werden. Dies scheint aber jedenfalls ausreichend gewesen zu sein, um bei dem Versicherungsnehmer trotzdem noch die in dem Schriftsatz der Klägervertreter vom 28.03.2025 dargestellten Reaktionen auszulösen („vielversprechend/positiv“ bzw. „die Rechtsverfolgung probieren wollen“). Ab welchem Betrag dann der Punkt erreicht gewesen wäre, wo sich dies gedreht hatte („schlecht ausgesehen hätte“ bzw. „den Aufwand nicht wert gewesen“), lässt sich aus Sicht des Gerichts auch durch eine Beweisaufnahme nicht mehr klären, da es nicht um die Schilderung erlebter Geschehnisse bzw. wahrgenommener Sinneseindrücke geht, sondern um die Beschreibung von Stimmungslagen, die einerseits durch nichts verifizierbar sind und sich andererseits auch im Nachhinein geändert haben mögen. Und tatsächlichen Aufwand gab es ja für den Versicherten kaum, abgesehen von der formularmäßigen Beantwortung einiger Fragen. Kostenrisiko bestand gar keines.
17
Daneben unterliegt die Klägerin infolge der erteilten Deckungszusage auch einem Einwendungsverzicht bzw. einer Einwendungsverwirkung. Sicherlich ist ein Rechtsschutzversicherer auf zutreffende Informationen seitens des Versicherten und des Prozessbevollmächtigten angewiesen, da er selbst lediglich eine rudimentäre Prüfung vornehmen kann. Eine anwaltliche Verletzung der Beratungspflicht führt somit grundsätzlich auch dazu, dass der Rechtsschutzversicherer mit Einwendungen, die sich auf diese Pflichtverletzung beziehen, nicht ausgeschlossen ist.
18
Allerdings liegt hier eine Verletzung der anwaltlichen Pflichten nicht vor.
19
Zudem ist das Zahlenwerk für die Berechnung der Nutzungsentschädigung auch vergleichsweise einfach kontrollierbar. Wenn sich die Klägerin seinerzeit schon entschieden hätte, Klagen mit geschätzter Laufleistung von mehr als 300.000 km nicht finanzieren zu wollen, hätte sie diese relativ leicht herausfiltern und gegebenenfalls Nachfragen stellen oder die Deckungszusage ablehnen können. Es ist auch von anderen Versicherern bekannt, dass sie in den Deckungszusagen solche Vorgaben und Einschränkungen gemacht haben.
20
Die Klage war abzuweisen und das Versäumnisurteil somit aufrechtzuerhalten.
III.
21
Hinsichtlich der Kosten beruht die Entscheidung auf § 91 ZPO, hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.