Titel:
Kostenerinnerung des Beigeladenen (begründet), Ausgangsverfahren baurechtliche Nachbarklage, Klägerisches Gutachten zu immissionsschutzfachlicher Beurteilung bezogen auf das Rücksichtnahmegebot, Kosten für Befassung des Gutachters des beigeladenen Bauherrn mit klägerischen Gegengutachten und Teilnahme an der mündlichen Verhandlung
Normenketten:
VwGO § 151
VwGO § 162 Abs. 1
VwGO § 165
Schlagworte:
Kostenerinnerung des Beigeladenen (begründet), Ausgangsverfahren baurechtliche Nachbarklage, Klägerisches Gutachten zu immissionsschutzfachlicher Beurteilung bezogen auf das Rücksichtnahmegebot, Kosten für Befassung des Gutachters des beigeladenen Bauherrn mit klägerischen Gegengutachten und Teilnahme an der mündlichen Verhandlung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13756
Tenor
I. Auf die Erinnerung des Beigeladenen zu 1. wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 04. Juni 2024 dahingehend geändert, dass die dem Beigeladenen zu 1. entstandenen Auslagen für die Tätigkeit des Sachverständigen R. G. in Höhe von EUR 3.498,60 festgesetzt werden.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1. zu tragen. Die Beigeladene zu 2. trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten im Zusammenhang mit der gerichtlichen Kostenfestsetzung über die Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten.
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Im Ausgangsverfahren (M 9 K 20.3101) wandte sich die Klägerin als Nachbar des Beigeladenen zu 1. gegen eine diesem erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines Hotels mit Wellness und Therapie. Mit Urteil vom 18. Februar 2022 wurde die Klage abgewiesen und entschieden, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1. zu tragen hat. Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. September 2022 wurde der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt (2 ZB 22.1230).
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Am 26. April 2022 stellte der Beigeladenen zu 1. einen Kostenfestsetzungsantrag. Geltend gemacht wurden darin u.a. folgende Sachverständigenkosten:
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Rechnung Nr. …-7 des Ingenieurbüro … … mbB vom 22.02.2022 adressiert an den Beigeladenen zu 1. für
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- die Überprüfung des Gutachtens der … GmbH vom 07.02.2022 hinsichtlich der schalltechnischen Einwendungen
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- die Prüfung der Stellungnahme des Klägerbevollmächtigten vom 09.02.2022
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- telefonische Besprechung mit Bevollmächtigten des Beigeladenen zu 1. am 11.02.2022 und 17.02.2022
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- interne Nachberechnungen für unterschiedliche Szenarien für die Nutzung der Chalet-Terrassen vom 17.02.2022
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- Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 18.02.2022 (inkl. Fahrt und Vorbereitung)
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dafür 21 h, à 140,- Euro, insgesamt 2.940,00 Euro zzgl. 19% MwSt. also Gesamtbetrag: 3.498,50 Euro.
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Die in Rechnung gestellten Leistungen erbrachte der Gutachter, welcher bereits die dem Genehmigungsverfahren zugrunde gelegte schalltechnische Untersuchung erstellt hatte.
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Mit Beschluss der Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts vom 3. Juni 2022 wurden die dem Beigeladenen zu 1. entstandenen notwendigen Aufwendungen mit Ausnahme der Gutachterkosten antragsgemäß auf 1.380,40 EUR festgesetzt und darauf hingewiesen, dass über die Gutachterkosten entschieden werde, sobald die hierfür erforderlichen Verfahrensakten wieder verfügbar seien.
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Mit Beschluss der Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts vom 4. Juni 2024, dem Beigeladenen zu 1. zugestellt am 5. Juni 2024, wurde die Festsetzung der Auslagen für die Tätigkeit des Sachverständigen … … abgelehnt. In der Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass für private Sachverständige die Kosten nur dann erstattungsfähig seien, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen seien. Ob dies der Fall sei, beurteile sich danach, wie ein verständiger Beteiligter, der bemüht sei, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Lage seine Interessen wahrgenommen hätte. Dabei sei insbesondere der das verwaltungsgerichtliche Verfahren beherrschende Amtsermittlungsgrundsatz zu berücksichtigen. Die Einholung eines Privatgutachtens durch einen Beteiligten sei aus Gründen des aus dem Rechtsstaatsgebot und dem allgemeinen Gleichheitssatz folgenden Grundsatzes der prozessualen Chancen- und Waffengleichheit zwischen den Verfahrensbeteiligten ausnahmsweise nur dann als notwendig anzuerkennen, wenn der Beteiligte mangels genügender eigener Sachkunde sein Begehren tragende Behauptungen nur mithilfe eines Privatgutachtens darlegen oder unter Beweis stellen könne. Abzustellen sei auf eine Ex-ante-Sicht bezüglich der die Aufwendungen verursachenden Handlung. Im Übrigen sei unter Verweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung der jeweilige Verfahrensstand zu berücksichtigen. Die Prozesssituation müsse das Gutachten herausfordern und dessen Inhalt müsse auf die Verfahrensförderung zugeschnitten sein. Vorliegend sei im behördlichen Verwaltungsverfahren bereits ein Gutachten durch den Gutachter des Beigeladenen zu 1. erstellt worden. Zudem seien die beantragten Gutachterkosten nicht durch die Erstellung eines Gutachtens, sondern durch die Prüfung des Gegengutachtens, der Gegendarstellung des Bevollmächtigten des Klägers, einer Besprechung mit dem Bevollmächtigten des Beigeladenen zu 1., einer Nachbesprechung und der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zustande gekommen. Die ersten vier genannten Punkte seien nach Aktenlage besonders in das Verfahren eingeflossen. In der mündlichen Verhandlung seien lediglich die bereits getroffenen Aussagen und Feststellungen in den jeweiligen Gutachten von Belang gewesen. Die nachträglich stattgefundene Arbeit habe somit keinen besonderen Mehrwert für das Verfahren gehabt. Es habe bereits seitens des Beigeladenen zu 1. ein Gutachten vorgelegen, auf Grund dessen substantiiert hätte argumentiert werden können. Im Übrigen habe das Gericht durch den am 31. Mai 2021 erlassenen, klageabweisenden Gerichtsbescheid zu erkennen gegeben, dass es der Argumentation des Beklagten und Beigeladenen zu 1. folge. Die weitere Tätigkeit des Gutachters sei durch die Verfahrenssituation nicht herausgefordert worden. Allein das Gegengutachten der … könne hier nicht als Argument herangezogen werden. Ein ständiges Nachbessern und Neuerstellen von Gutachten und Gegengutachten werde allgemein nicht als notwendig angesehen, insbesondere auch deshalb, weil dadurch die Kosten ins Unendliche gesteigert werden würden. Die Sachverständigen seien im Übrigen auch nicht seitens des Gerichts geladen worden. Das Gericht habe damit keine Notwendigkeit für deren Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gesehen. Es obliege dem Gericht den Umfang der Beweisaufnahme zu bestimmen. Aus der Akte seien keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass die einzelnen Punkte, welche im Rahmen der mündlichen Verhandlung noch geklärt werden konnten, die Entscheidung des Gerichts bzw. den Verfahrensausgang wesentlich beeinflusst hätten.
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Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2024, eingegangen bei Gericht am 18. Juni 2024, beantragte der Beigeladene zu 1. durch seinen Bevollmächtigten hiergegen die Entscheidung des Gerichts, insbesondere die Festsetzung der Gutachterkosten des Beigeladenen zu 1. wie im Antrag vom 26. April 2022 verlangt.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin erst mit Schriftsatz vom 9. Februar 2022 eine 43-seitige Plausibilitätsprüfung der … vom 7. Februar 2022 vorgelegt habe. Dies sei nach Erlass des Gerichtsbescheides erfolgt und lediglich eine Woche vor der bereits festgelegten mündlichen Verhandlung und dies, obwohl bereits mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2020 ein entsprechendes Gutachten angekündigt worden war. Es sei in diesem Zusammenhang unter anderem vorgetragen worden, dass das Gutachten des Beigeladenen zu 1. lückenhaft und im Ergebnis teilweise methodisch und fachlich falsch sei. Der Beigeladene zu 1. habe mangels genügender eigener Sachkunde unmöglich abschätzen können, welchen Einfluss diese umfangreiche gutachtliche Stellungnahme auf den weiteren Verfahrensverlauf und die Entscheidung des Gerichts bzw. den Verfahrensausgang haben könnte. In der gebotenen Kürze der Zeit sei es angemessen und geboten gewesen, den Sachverständigen nochmals zu beauftragen, den vorgebrachten Sachverhalt zu überprüfen und, da keine Zeit für eine Stellungnahme mehr verblieben sei, diesen mit in die mündliche Verhandlung mitzubringen. Im Übrigen sei die Erörterung verschiedener Fragen wie etwa die technische Ermittlung und Berechnung der Schallausbreitung, die Parkplatzlärmstudie, die unterschiedliche Lärmbeurteilung der Zufahrt zur Tiefgarage, schalltechnische Untersuchung der Chalet-Terrassen bei Nacht sowie unterschiedliche Berechnungen der Frequentierung der Tiefgarage und Hotelzufahrt wesentlicher Bestandteil der knapp 3-stündigen mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2022 gewesen. Diese fachlichen Fragen hätten nur durch den anwesenden Gutachter angemessen beantwortet werden können. Auf den Schriftsatz vom 14. Juni 2024 wird Bezug genommen.
16
Die Kostenbeamtin half dem Antrag auf Entscheidung des Gerichts nicht ab und legte den Vorgang dem Gericht vor. Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass dem Beigeladenen zu 1. die Rechtsauffassung des Gerichts bekannt gewesen sei. Anhaltspunkte, die den Beigeladenen hätten vermuten lassen können, dass das Gericht seine Auffassung geändert habe, seien aus der Akte nicht ersichtlich und seien auch im Antrag auf Entscheidung des Gerichts nicht vorgetragen. Die bloße Befürchtung, eine gegnerische Stellungnahme könne eventuell die Meinung des Gerichts ändern, sei nach Ansicht der Urkundsbeamtin nicht ausreichend für die erneute Beauftragung des Sachverständigen, insbesondere, weil auch ein Gutachten bereits vorgelegen habe, welches im Gerichtsbescheid nicht ernsthaft angezweifelt worden war. Aus den Entscheidungsründen des Gerichtsbescheides gehe hervor, dass das Gericht die Verträglichkeitsuntersuchung für nachvollziehbar erachtet habe. Hieraus sei erkennbar, dass das Gericht das bereits vorliegende Gutachten nicht angezweifelt und keine Unklarheiten in dem Gutachten gesehen habe. Die Gutachter seien auch nicht zur mündlichen Verhandlung geladen worden, was ebenfalls dafür spreche, dass das Gericht keinen weiteren Klärungsbedarf gehabt habe.
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Die Klägerin und der Beklagte äußerten sich im Erinnerungsverfahren nicht gegenüber dem Gericht.
18
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Verfahren M 9 K 20.3101 Bezug genommen.
19
Die Entscheidung über die Kostenerinnerung erfolgt durch die Kammer, da die insoweit maßgebliche Kostenlastentscheidung in der Hauptsache ebenfalls durch diese getroffen wurde und das Gericht über die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss grundsätzlich in der Besetzung entscheidet, in der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen wurde (vgl. BVerwG, B.v. 29.12.2004 – 9 KSt 6.04 – juris Rn. 3).
20
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig (§§ 165, 151 VwGO) und begründet.
21
1. Die streitigen Aufwendungen des Beigeladenen zu 1. für die Leistungen des Sachverständigen (vgl. Kostenrechnung Ingenieurbüro … … mbB vom 22.2.2022) stellen i.S.v. § 162 Abs. 1 VwGO erstattungsfähige, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen dar.
22
Aufwendungen für private, d.h. nicht vom Gericht bestellte Sachverständige, sind nach § 162 Abs. 1 VwGO nur dann erstattungsfähig, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich danach, wie eine verständige Partei, die bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Lage ihre Interessen wahrgenommen hätte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in dem gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO von der Untersuchungsmaxime beherrschten verwaltungsgerichtlichen Verfahren von Amts wegen der Sachverhalt zu erforschen und der Umfang der Beweisaufnahme zu bestimmen ist. Die Einholung eines Privatgutachtens durch einen Beteiligten ist – aus Gründen des aus dem Rechtsstaatsgebot und dem allgemeinen Gleichheitssatz folgenden Grundsatzes der prozessualen Chancen- und Waffengleichheit zwischen den Verfahrensbeteiligten – ausnahmsweise und nur dann als notwendig anzuerkennen, wenn sich dieses mit einer entscheidungserheblichen und schwierigen Fachfrage befasst, zu der auch eine rechtlich beratene und vertretene Partei nicht genügend sachkundig Stellung nehmen kann. Abzustellen ist aus Ex-ante-Sicht auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlung; ohne Belang ist dagegen, ob sich die Handlung im Nachhinein als unnötig herausstellt. Zudem ist der jeweilige Verfahrensstand zu berücksichtigen; die Prozesssituation muss das Gutachten herausfordern, sein Inhalt muss auf die Verfahrensförderung zugeschnitten sein. Offensichtlich ungeeignete Gutachten, die zu für den Rechtsstreit nicht entscheidungserheblichen Fragen Stellung nehmen oder sonst nicht geeignet sind, den Sachvortrag des Betroffenen hinreichend zu substantiieren und die Ermittlungen des Gerichts von Amts wegen zu beeinflussen, sind nicht erstattungsfähig (BVerwG, B.v. 15.6.2011 – 4 KSt 1002.10 – juris Rn. 11 ff.; BayVGH, B.v. 3.3.2020 – 8 C 19.1826 – juris Rn. 9 m.w.N.). In diesem Zusammenhang kommt auch dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit Bedeutung zu, wenn nämlich ein Beteiligter, der selbst fachunkundig ist, einem Beteiligten gegenübersteht, der seinerseits die den Rechtsstreit entscheidenden Fragen sachverständig zu beurteilen vermag. Dementsprechend kann nicht nur für einen Kläger, sondern auch für einen Beigeladenen, insbesondere, wenn dieser als Privatperson nicht über eigenes Fachpersonal verfügt, um die durch das Verfahren aufgeworfenen Fachfragen sachgerecht beantworten bzw. vorgetragene Schlussfolgerungen widerlegen und substantiiert erschüttern zu können, in besonderen Ausnahmefällen die Erstattung von Privatgutachten in Betracht kommen (vgl. BVerwG, B.v. 15.6.2011 – 4 KSt 1002.10 – juris Rn. 8 ff.; BayVGH, B.v. 7.4.2011 – 22 C 10.1854 – juris Rn. 10 ff. m.w.N.; VGH Kassel, U.v. 23.11.2018 – 2 C 2461/15.T – juris Rn. 8 ff. m.w.N). Der Beteiligte muss sich gewissermaßen in einer „prozessualen Notlage“ befunden haben, in der es ihm bei verständigem Prozessverhalten unausweichlich erscheinen musste, zur sachgerechten Wahrnehmung seiner Interessen unaufgefordert kostenintensive Maßnahmen zu ergreifen. Eine Abwälzung von Kosten für Privatgutachten des Beigeladenen scheidet jedoch aus, wenn es um die Klärung von Fragen geht, deren Behandlung bereits im Genehmigungsverfahren geboten gewesen wäre. Eine Erstattung von Kosten für eine gutachterliche Stellungnahme, mit der lediglich die Planung in der mündlichen Verhandlung plausibel dargestellt wird, kommt überdies ebenfalls nicht in Betracht (vlg. dazu, allerdings im Zusammenhang mit Planfeststellungsverfahren, BVerwG, B.v. 15.6.2011 – 4 KSt 1002.10 – juris Rn. 12 ff. m.w.N.; bezogen auf eine baurechtliche Nachbarstreitigkeit BayVGH, B.v. 11.01.2012 – 15 C 10.2937 – juris Rn. 15 ff.). Für die Frage, ob – wie im vorliegenden Fall – Kosten eines Gutachters für die Auseinandersetzung mit dem klägerischen Gutachten und die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung angefallen sind, mithin kein Gutachten im klassischen Sinne erstellt wurde, erstattungsfähig sind, gilt nichts anderes.
23
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweisen sich die vorliegend beantragen Aufwendungen für den Sachverständigen …, wie in der Kostenrechnung vom 22. Februar 2022 aufgeführt im zu entscheidenden Einzelfall, als erstattungsfähig. Entgegen der Annahme der Urkundsbeamtin hat die Prozesssituation durch die Vorlage des 43-seitigen Gutachtens der Klägerin am 9. Februar 2022 nach Gerichtsbescheid und kurz vor der bereits anberaumten mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2022 die Befassung und Einholung einer Einschätzung des Gutachters des Beigeladenen zu 1. zu den in dem klägerischen Gutachten angesprochenen Problemkreisen unter Berücksichtigung einer Ex-ante-Betrachtung im Sinne einer „prozessualen Notlage“ herausgefordert. Zwar hatte sich das Gericht im Rahmen des klageabweisenden Gerichtsbescheides vom 31. Mai 2021 auf das im Genehmigungsverfahren seitens des Beigeladenen zu 1. vorgelegte Gutachten des nunmehr erneut mit der Sache befassten Gutachters … gestützt, dieses für detailreich, nachvollziehbar und plausibel befunden und Zweifel daran nicht geäußert. Insofern ist der Urkundsbeamtin beizupflichten, dass das Gericht zu diesem Zeitpunkt keine insofern bestehenden Unklarheiten ausgemacht hatte. Zu berücksichtigen ist jedoch der Umstand, dass nach Erlass des Gerichtsbescheides und kurz vor Stattfinden der mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2022 seitens der Klägerin ein umfangreiches, detailliertes Gegengutachten vorgelegt wurde, in welchem erstmals substantiiert und mit speziellem Fachvortrag die Tragfähigkeit des dem Genehmigungsverfahren zugrundgelegten Gutachtens angegriffen wurde. Dabei beschränkten sich die Ausführungen der Klägerseite nicht auf einen Angriff der seitens des fachlichen Immissionsschutzes des Landratsamtes im Genehmigungsverfahren vorgenommenen Überprüfung der vom Sachverständigen erstellten Berechnungen oder dessen fachliche Kompetenz, die fehlerhafte Durchführung von Rechenvorgängen innerhalb des Gutachtens oder die abstrakte Verkennung von technischen Regelwerken. Gerügt wurden vielmehr auch fallbezogen sehr spezifische Aspekte einzelner Ausgangsparameter und Grundannahmen der Berechnungen. Die vorgelegte Plausibilitätsprüfung der … Ingenieursgesellschaft mbH vom 7. Februar 2022 hatte in umfangreicher Weise zu mehreren Einzelaspekten die fachliche Korrektheit der vom Sachverständigen des Beigeladenen zu 1. zu Grunde gelegten Eingangsparameter und die möglichen Auswirkungen von Veränderungen dieser Parameter auf das Ergebnis der Berechnungen in Frage gestellt. Um auf diesen speziellen Fachvortrag in dem Privatgutachten der Klägerin substantiiert – und dies in der Kürze der Zeit kurz vor Stattfinden der mündlichen Verhandlung – fundiert erwidern zu können, durfte es der Beigeladene zu 1. für erforderlich halten, sich seinerseits sachverständig beraten zu lassen und die Teilnahme seines Gutachters an der mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2022 für die Erwiderung auf den klägerischen Vortrag zu veranlassen. Die Heranziehung des ursprünglichen, im Genehmigungsverfahren vorgelegten Gutachtens, um substantiiert auf das klägerische Gutachten erwidern zu können, musste aus einer Ex-ante-Sicht als nicht ausreichend angesehen werden. Denn im Rahmen des klägerischen Gutachtens wurden unter anderem spezielle fachliche Einschätzungen wie etwa die Frage danach, welche (Ausgangs-)Parameter den konkreten Berechnungen und welche Annahmen der fachlichen Einschätzung zugrunde zu legen seien (etwa betreffend den Kfz-Verkehr im Hinblick auf Parkbewegungen, die Stellplätze und die Tiefgarage, S. 4 des Sitzungsprotokolls vom 18. Februar 2022) sowie die Berechnung und Ermittlung der Schallausbreitung unter Berücksichtigung der Modellierung des Geländes, angegriffen. Zudem ergaben sich im Vergleich der beiden Gutachten um mehrere dB(A) abweichende Ergebnisse (vgl. auch Urteilsbegründung vom 18. Februar 2022, S. 8, M 9 K 20.3101). Es liegt auf der Hand, dass diesbezüglich weder der Beigeladene zu 1. noch sein Rechtsanwalt über die nötige Sachkunde verfügt haben, um den fachlichen Aussagen in dem Privatgutachten der Klägerin auch unter Berücksichtigung des bereits vorliegenden Gutachtens fundiert entgegen treten zu können. Es handelte sich in diesem Zusammenhang auch nicht um Fragen, die der Beigeladene zu 1. schon während des Verwaltungsverfahrens ggf. unter Hinzuziehung sachverständiger Hilfe hätte klären müssen. Denn das im Verwaltungsverfahren vorgelegte Gutachten wurde seitens der Fachabteilung des Beklagten für substantiiert, schlüssig und nachvollziehbar befunden und ließ auch für sich stehend ausweislich der Ausführungen im Rahmen des Gerichtsbescheides vom 31. Mai 2021 keine Zweifel seitens des Gerichts aufkommen. Auch war aus einer Ex-ante-Betrachtung nach Vorlage des klägerischen Gutachtens nicht davon auszugehen, dass in Erwiderung auf dasselbe seitens des Beigeladene zu 1. eine bloße Erläuterung des ursprünglichen Gutachtens ausreichen würde. Angesichts der detaillierten Ausführungen des klägerischen Gutachters mit Blick auf die zugrunde gelegten konkreten Berechnungen im Verwaltungsverfahren, den zugrundezulegenden Parametern und den Auswirkungen auf die tatsächlich anzunehmenden Lärmbelastungen, durfte der Beigeladene zu 1. sich dazu veranlasst sehen, sich seinerseits sachkundiger Hilfe in Erwiderung auf das klägerische Gutachten zu bedienen, um ebenso detailliert und die dortigen Annahmen widerlegend fachlich erwidern zu können. Die Befassung des Gutachters des Beigeladenen zu 1. mit dem klägerischen Gutachten sowie seine Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung diente vor diesem Hintergrund nicht dazu, etwaige Unklarheiten oder Unvollständigkeiten des ursprünglich dem Genehmigungsverfahren zugrunde gelegten Gutachtens, die bereits im Verwaltungsverfahren hätten aufgedeckt werden können, durch eine mündliche Erläuterung auszugleichen. Vielmehr waren sie prozessual veranlasst. Von Relevanz ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Klägerbevollmächtigte überdies bereits mit Schriftsatz vom 2. Juli 2021 angekündigt hatte, dass der Gutachter der … seine schriftlichen Einschätzungen in der mündlichen Verhandlung noch weiter erläutern würde. Angesichts der bei Vorlage des klägerischen Gutachtens unmittelbar bevorstehenden mündlichen Verhandlung und in Anbetracht der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit entsprach es einer vernünftigen Prozessführung, die durch das Gutachten im Verfahren aufgeworfenen Themenkomplexe und Fachfragen mit Hilfe von Sachverstand möglichst schnell zu klären, um einen zügigen Verfahrensablauf zu ermöglichen, statt erst in der mündlichen Verhandlung entsprechende Beweisanträge zu stellen. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist nicht nur vom Amtsermittlungsgrundsatz, sondern auch vom Beschleunigungsgrundsatz geprägt. Aus Sicht eines auch hieran orientierten Beteiligten war es daher sinnvoll, wenn nicht geboten, die durch das Gutachten in Frage gestellten Umstände betreffend die Immissionsbelastung und damit die entscheidungserhebliche Frage nach der Verletzung des nachbarrechtlichen Rücksichtnahmegebots bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung so aufzubereiten, dass hierzu im Rahmen der mündlichen Verhandlung sinnvoll erörtert werden konnte (vgl. in diesem Zusammenhang auch BayVGH, B.v. 15.9.2023 – 22 M 23.40003 – juris, Rn. 9 ff. m.w.N sowie – allerdings zu seitens der Klägerseite aufgewendeten Gutachterkosten – BVerwG, B.v. 24.7.2008 – 4 KSt 1008.07 – juris Rn. 11). Vor dem dargelegten zeitlichen Hintergrund und der Ankündigung der Teilnahme des klägerischen Gutachters an der mündlichen Verhandlung ändert es auch an dem gefundenen Ergebnis im vorliegenden Einzelfall nichts, dass das Gericht den Gutachter nicht ausdrücklich in der Kürze der Zeit geladen bzw. seine Anwesenheit ausdrücklich schriftlich erbeten hat (vgl. in diesem Zusammenhang im Übrigen BVerwG, B.v. 8.10.2008 – 4 KSt 2000.08, 4 A 2001.06 – juris Rn. 4 f., wonach die Grundsätze zur nur ausnahmsweisen Erstattungsfähigkeit von Privatgutachten nur bei nicht gerichtlich veranlasstem Erscheinen von Sachverständigen anwendbar sind; so wohl auch OVG Münster, B.v. 13.4.2015 – 8 E 109/15 – juris; anders wohl BayVGH, B.v. 11.1.2012 – 15 C 10.2937 – juris Rn. 16 ff. m.w.N). Überdies ist in diesem Zusammenhang und bei der Frage nach der Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen von Bedeutung, dass es sich bei dem Beigeladenen zu 1. um einen privaten Rechtsinhaber handelt, der bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung und ein ureigenes Interesse am Erhalt der erworbenen Rechtsposition hat. Insoweit war es auch nicht in erster Linie Aufgabe des Beklagten, die von ihm erteilte Baugenehmigung zu verteidigen. Die Befassung des von dem Beigeladenen zu 1. beauftragten Gutachters mit den seitens der Klägerin bzw. ihrem Gutachter vorgetragenen fachlichen Umständen sowie seine Beteiligung an der mündlichen Verhandlung dienten nach alledem auch der Verfahrensförderung. Die Einschätzung und Anwesenheit des Gutachters des Beigeladenen zu 1. hat es dem Gericht ermöglicht, den Sachverhalt in fachlicher und rechtlicher Hinsicht abschließend zu beurteilen und durch das klägerische Gutachten aufgeworfene, noch offenen Fragen und Unstimmigkeiten im Rahmen der mündlichen Verhandlung abschließend zu klären. Unabhängig von einer zugrundezulegenden Ex-ante-Betrachtung wird auf das Protokoll über die über drei Stunden andauernde mündliche Verhandlung, in welcher das Gericht die einzelnen, klärungsbedürftigen Punkte abgearbeitet hat, Bezug genommen (Bl. 249 ff. der Gerichtsakte im Verfahren M 9 K 20.3101). Dass die abgerechneten Leistungen schließlich jeweils konkret das Gerichtsverfahren förderten, steht außer Zweifel und lässt sich im Übrigen an den Entscheidungsgründen des Urteils vom 18. Februar 2022 eindeutig nachvollziehen (vgl. insbesondere Urteilsbegründung vom 18. Februar 2022, S. 8 f., M 9 K 20.3101).
24
Nach alledem stellen die hier streitigen Leistungen deshalb dem Grunde nach zur zweckentsprechenden, effektiven und rechtzeitigen Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen dar und sind damit erstattungsfähig. Ihre Höhe wurde im Erinnerungsverfahren nicht in Frage gestellt. Auch, was die Angemessenheit der ermittelten Stundenzahl und den in Ansatz gebrachten Stundensatz anbelangt, wurden diese weder in Frage gestellt noch sind sonstige durchgreifende Bedenken dagegen ersichtlich.
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Der Erinnerung wird deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO stattgegeben.
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Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 66 Abs. 8 Satz 1 GKG), eine Festsetzung des Streitwerts entbehrlich.