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VG München, Gerichtsbescheid v. 05.05.2025 – M 1 K 21.302
Titel:

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für einen Mobilfunksendemast, Klagebefugnis, Spezialität des Verfahrens über die Standortbescheinigung

Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 3
VwGO § 42 Abs. 1
26. BImSchV
Schlagworte:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung für einen Mobilfunksendemast, Klagebefugnis, Spezialität des Verfahrens über die Standortbescheinigung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13744

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in jeweils gleiche Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die der Beigeladenen durch den Beklagten am 17. Dezember 2020 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Funkübertragungsstelle auf der FlNr. 1408/14, Gem. … Die Antragstellerin ist Mieterin einer vom Standort des Bauvorhabens ca. 740 Meter entfernten Wohnung.
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Am … Januar 2021 hat die Klägerin Klage gegen die Baugenehmigung erhoben und beantragt
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den Bescheid des Beklagten vom 17. Dezember 2020 aufzuheben.
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Die Baugenehmigung verstoße unter anderem gegen die drittschützenden Bestimmungen des § 4 Abs. 1 BEMFV, Art. 60 Nr. 1 BayBO i.V.m. § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB und § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, § 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchst. a und c BauGB, Art. 57 BayBO, gegen die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die Belange des Umweltschutzes und die Erfordernisse des Klimaschutzes.
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Im Rahmen von § 35 BauGB sei neben den von der Klägerin vorgebrachten immissionsschutzrechtlichen Einwendungen auch zu berücksichtigen, dass das streitgegenständliche Vorhaben nicht privilegiert sei, da die gesetzlich vorgeschriebene Mobilfunkversorgung des Gebiets aktuell schon gewährleistet sei. Die Klägerin habe in der Folge einen Anspruch auf Abwehr schädlicher, von dem nicht privilegierten Vorhaben ausgehender Umwelteinwirkungen. Es gäbe keinerlei Hinweise im Gesetz, dass Strahlenimmissionen nicht in den Anwendungsbereich von § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB fallen würden. Die Frage, ob § 35 BauGB eine Konzentrationsregelung enthalte, stelle sich somit gar nicht. Dem stehe auch nicht entgegen, dass Einwendungen gegen Funkstrahlungsimmissionen zusätzlich im Standortbescheinigungsverfahren geltend gemacht werden könnten. Der Verstoß gegen § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB liege beim vorliegend genehmigten Frequenzbereich in der noch gesundheitsschädlicher wirkenden Skalarwelle/Teslawelle. Die Wohnung der Klägerin werde künftig durch den genehmigten Funkturm mit einer Intensität von ca. 35.000 EIRP und damit gesundheitsschädlich bestrahlt. Zudem sei die Aarhus Konvention nicht vollständig in deutsches Recht umgesetzt worden, sie sei daher unmittelbar anzuwenden und gelte im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Aus der Konvention folge das Recht der Klägerin, Umweltrechtsverstöße als eigene Rechtsverstöße geltend zu machen.
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Der Beklagte beantragt
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die Klage abzuweisen.
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Durch die Baugenehmigung würden keine drittschützenden Rechtspositionen zum Nachteil der Klägerin verletzt. Insbesondere liege kein Verstoß gegen das sich aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ergebende Rücksichtnahmegebot vor, denn das Vorhaben rufe keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervor.
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Die Beigeladene beantragt
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die Klage abzuweisen.
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Die Klage sei bereits unzulässig, da die Antragstellerin als Mieterin nicht gemäß § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt sei. Sie sei auch unbegründet, da eine Rechtsverletzung aufgrund der weiten Entfernung zwischen dem Vorhabengrundstück und der Mietwohnung der Klägerin ausgeschlossen sei. Zudem berührten die von der Klägerin vorgetragenen Betroffenheiten ausschließlich öffentliche Interessen, die die Klägerin nicht geltend machen könne.
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Den auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichteten Eilantrag (M 1 SN 21.2740) der Klägerin hat das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 30. August 2021 abgelehnt. Die hiergegen angestrengte Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (1 CS 21.2386) ist mit Entscheidung vom 18. Januar 2022 erfolglos geblieben. Es fehle der Klägerin bereits an der Antragsbefugnis. Die von der Funkstrahlung des Mobilfunkmasts ausgehenden Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit seien aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Baugenehmigungsbehörde nicht zu prüfen.
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Die von der Klägerin gegen die Standortbescheinigung erhobene Anfechtungsklage (M 28 K 21.3469) hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 17. April 2024 abgewiesen. Der Bayerische Verwaltungsgerichthof hat den diesbezüglichen Antrag auf Zulassung der Berufung (22 ZB 24.1762) mit Beschluss vom 27. Februar 2025 mangels substantiiertem Zulassungsvorbringen abgelehnt.
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Die Beteiligten sind mit gerichtlichem Schreiben vom 3. März 2022 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
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Hinsichtlich der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf die Sachverhaltsdarstellung im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 30. August 2021 im zugrundeliegenden Eilverfahren M 1 SN 21.2386, der den Beteiligten bekannt ist, verwiesen, vgl. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO. Ergänzend wird auf die Gerichtsakte, auch im genannten Eilverfahren, und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 84 Abs. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden konnte, weil das Verfahren keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, hat keinen Erfolg, weil sie schon mangels Klagebefugnis unzulässig ist.
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Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Ist der Kläger nicht Adressat eines Verwaltungsakts, sondern lediglich als Dritter betroffen, so ist für die Klagebefugnis erforderlich, dass er die Verletzung einer Vorschrift behauptet, die ihn als Dritten zu schützen bestimmt ist und die Verletzung dieser Vorschrift zumindest möglich erscheint. Dies ist allerdings dann nicht der Fall, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können (vgl. BVerwG, B.v. 22.12.2016 – 4 B 13.16 – juris Rn. 7 m.w.N.). Prüfungsgegenstand bei einem Nachbarrechtsbehelf sind dabei nur die drittschützenden Normen, die im jeweiligen Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren.
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Dies zugrunde gelegt, mangelt es der Klägerin hinsichtlich des ca. 740 Meter von ihrer Mietwohnung zu errichtenden Vorhabens an der Klagebefugnis. Die von der Funkstrahlung des Mobilfunkmasts ausgehenden schädlichen Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit sind aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Baugenehmigungsbehörde nicht zu prüfen, sodass sich diesbezüglich keine Rechtsverletzung der Klägerin durch die Baugenehmigung ergeben kann. Zur weiteren Begründung wird auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Januar 2022 (1 CS 21.2386), die sich das Gericht zu eigen macht, sowie ergänzend auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts vom 30. August 2021 (M 1 SN 21.2740) Bezug genommen.
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Aufgrund des klägerischen Vortrags infolge obig genannter Entscheidungen ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Vortrag der Klägerin nicht „unzutreffend auf den reinen Immissionsschutzbereich reduziert“ wurde. Denn unabhängig davon, ob das Vorhaben privilegiert ist nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB oder ob sich die Zulässigkeit, wie die Klägerin vorträgt, nach § 35 Abs. 2 BauGB richtet, muss sich das Vorhaben jedenfalls an den schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB messen lassen. Diese wurden im Rahmen der Standortbescheinigung umfassend geprüft und durch die Entscheidungen M 28 K 21.3469 und 22 ZB 24.1762 gerichtlich bestätigt. Die damit bestandskräftige Standortbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 2 BEMFV stellt die Einhaltung des standortbezogenen Sicherheitsabstands innerhalb des kontrollierbaren Bereichs fest. Ist eine entsprechende Standortbescheinigung gegeben, dann sind die immissionsfachlichen und gesundheitlichen Aspekte durch die hierfür zuständige Bundesnetzagentur geklärt und folglich im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr weiter zu prüfen (vgl. BayVGH, U.v. 23.11.2011 – 14 BV 10.1811 – juris Rn. 60).
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Auch nach ausführlicher Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung des weiteren umfangreichen schriftsätzlichen Vortrags samt Anlagen kann die Klägerin nicht geltend machen, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in eigenen Rechten, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren, verletzt zu sein.
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Im Übrigen scheitert, ohne dass es nach oben Gesagtem darauf noch ankäme, eine Klagebefugnis der Klägerin bereits daran, dass weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass diese entsprechend dem baurechtlichen Nachbarbegriff (s. hierzu auch Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO) Grundstückseigentümerin oder ähnlich dinglich Berechtigte ist.
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Die Klage war daher mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen, wobei es der Billigkeit entsprach, die Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen zu lassen, § 162 Abs. 3 VwGO, weil sich diese durch eigene Antragstellung ihrerseits einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergeht gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.