Titel:
Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsanordnung in die Republik Lettland (Dublin)
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 34a
AufenthG § 60c
Dublin-III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, UAbs. 3, Art. 12 Abs. 2
Leitsatz:
Das lettische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Schwachstellen auf. (Rn. 30 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsanordnung in die Republik Lettland, Zuständigkeit Lettlands nach Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO, Keine systemischen Mängel des lettischen Asylsystems, Keine substantiierte Darlegung einer tatsächlich gelebten ehelichen Gemeinschaft trotz gerichtlicher Aufforderung zur Stellungnahme, Kein Anspruch auf eine Ausbildungsduldung, Abschiebungsanordnung, Lettland, Dublin, systemische Mängel
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1369
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) in die Republik Lettland im Rahmen eines sog. Dublinverfahrens.
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Der Antragsteller wurde am … 1997 in T. geboren und ist Staatsangehöriger T. s. Seinen Angaben nach verließ er sein Heimatland T. im Jahr 2020 und reiste wohl am 18. November 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23. März 2023 stellte er in Deutschland einen förmlichen Asylantrag.
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Eine am 3. März 2023 eingeholte EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer für Lettland, lediglich einen Treffer der Kategorie 1 für Deutschland mit dem Datum der Antragstellung und der Fingerabdrucknahme am selben Tag. Aus der Akte des Bundesamtes (S. 22) ist ein durch Lettland in … ausgestelltes Visum (long stay visa) mit der Nummer … mit Gültigkeitszeitraum vom 10. November 2022 bis zum 9. Mai 2023 ersichtlich.
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Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und in der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrages am 23. März 2023 gab der Antragsteller unter anderem an, dass er keine Familienangehörigen in Deutschland habe. Er habe ein durch Lettland ausgestelltes Visum, welches für ein halbes Jahr gültig gewesen sei. Nach Verlassen seines Heimatlandes und vor Einreise in das Bundesgebiet habe er sich länger als drei Monate, nämlich zwei Jahre mit einer Arbeitserlaubnis in Russland aufgehalten. Im Rahmen der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages am 4. Mai 2023 gab der Antragsteller weiter an, dass er das Visum im September 2022 in … über einen Bekannten erhalten habe. Er glaube, es sei sechs Monate ab dem 10. November 2022 gültig gewesen. Er sei bis 28. Februar 2023 in Lettland gewesen, habe sich dort aber nicht sicher gefühlt. Lettland grenze an Russland. Er habe in T. Probleme mit der Regierung gehabt. In Lettland hätte ihm alles Mögliche passieren können. Krankheiten habe er keine. In Deutschland lebe seine Verlobte …, die 1998 geboren sei. Sie lebe seit etwa zwei Jahren in Deutschland, in … und mache eine Ausbildung zur Krankenschwester.
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In einem Brief der … an das Bundesamt, Eingang dort am 5. Mai 2023, führte diese in Bezug auf den Antragsteller u.a. aus, dass sie diesen in Deutschland kennengelernt habe, sie sich verliebt hätten und bald heiraten wollten.
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Am 8. Mai 2023 richtete Deutschland ein Aufnahmegesuch nach Art. 12 Abs. 2 oder Abs. 3 Dublin III-VO betreffend den Antragsteller an Lettland. Die lettischen Behörden akzeptierten das Aufnahmegesuch mit Schreiben vom 19. Juni 2023 auf Basis des Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO.
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Mit Bescheid vom 17. August 2023, dem Antragsteller zugegangen am 23. August 2023, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Lettland an (Ziffer 3) sowie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG und befristete dieses auf 18 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig sei, da Lettland aufgrund eines ausgestellten und zum Zeitpunkt der Asylantragstellung noch gültigen Visums gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 17. August 2023 Bezug genommen.
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Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller am 30. August 2023 durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben (AN 18 K 23.50567) und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Zur Begründung ließ er ausführen, dass eine Abschiebungsanordnung nicht hätte ergehen dürfen. Es hätte schon keine Unzulässigkeitsentscheidung getroffen werden dürfen, da ein Übergang der Zuständigkeit von Lettland auf die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO stattgefunden habe. Eine Abschiebungsanordnung dürfe zudem nur ergehen, sobald feststehe, dass die Abschiebung nach Lettland durchgeführt werden kann. Hier müssten auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe nach § 60a AufenthG geprüft werden. Der Antragsteller sei jedoch mit der in Deutschland lebenden Frau …, nach islamischem Ritus verheiratet. Die Kopie eines Aufenthaltstitels, einer Meldebestätigung der Stadt … und der Eheschließungsurkunde sei zum Beweis als Anlage beigefügt. Frau … sei bereit, den Antragsteller bei sich aufzunehmen. Die bereits nach religiösem Ritus geschlossene Ehe des Antragstellers habe in Deutschland nur deshalb noch nicht standesamtlich formalisiert werden können, weil der Reisepass des Antragstellers bei der Antragsgegnerin habe abgegeben werden müssen und sich noch bei der Ausländerbehörde der Stadt … befinde. Die Eheschließung sei von dem Imam der … (* …*) in … am … vollzogen worden. Die Ehegatten beabsichtigten in naher Zukunft einen Eheschließungstermin vor einem deutschen Standesamt wahrzunehmen, sobald Ihnen der Reisepass des Antragstellers vorliege. Unabhängig davon habe diese Ehe den gleichen Schutz verdient wie eine formal geschlossene. Der Begriff des Ehepartners unterscheide in der Definition des Familienangehörigen nicht zwischen zivilrechtlichen und religiös verheirateten Paaren. Grundsätzlich sei nach den Zuständigkeitskriterien der Art. 8 bis 11 Dublin III-VO für den Antragsteller der Mitgliedstaat zuständig, in dem sich der Familienangehörige aufhalte. Da eine Zusammenführung hiernach im Aufenthaltsstaat des nicht verheirateten Partners vorgesehen sei, liege es daher nahe, anzunehmen, dass sich die ausländerrechtliche Vergleichbarkeit verheirateter und nicht verheirateter Paare auch aus dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaats ergeben muss. Mangels einer eindeutigen Formulierung des Art. 2 lit. g 1. Spiegelstrich Dublin-III-VO könne allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass der Aufenthaltsstaat des Antragstellers, welcher die Zuständigkeitsprüfung durchführe, aufgrund seines eigenen, gegebenenfalls ungünstigeren Ausländerrechts kein Aufnahmeersuchen an den Aufenthaltsstaat des nicht verheirateten stelle. Je nach Ausgestaltung des nationalen Ausländerrechts könne sich aus den Voraussetzungen des Art. 2 lit. g Dublin-III-VO eine Ungleichbehandlung und damit unter Umständen eine Diskriminierung von nicht verheirateten Paaren innerhalb der Europäischen Union ergeben. Aus dem Wortlaut des Art. 2 lit. g, 1. Spiegelstrich, ergebe sich, dass die Gleichstellung verheirateter und nicht verheirateter Paar im Ausländerrecht des jeweiligen Mitgliedstaates erfolgen müsse. In Bezug auf die Beziehung zwischen nicht verheirateten Partnern setze die Dublin-III-VO lediglich voraus, dass sie „dauerhaft“ angelegt sein müsse, differenziere aber nicht nach den verschiedenen Formen nichtehelicher Partnerschaften. Dementsprechend unterfielen dem Begriff „nicht verheirateter Partner“ zunächst alle Formen einer Beziehung, die keine Ehe, aber trotzdem auf Dauer angelegt sind. Art. 8 EMRK schütze, abgeleitet aus dem traditionellen Bild der Familie, die Beziehung zwischen Ehepartnern. In einer Weiterentwicklung dieses eingeschränkten Familienbegriffs habe der EGMR geurteilt, dass der Begriff der Familie des Art. 8 EMRK nicht zwischen ehelichen und unehelichen Beziehungen unterscheide (EGMR, Urteil vom 13.06.1979 – 6833/74). Dementsprechend seien auch andere de facto-Familienbeziehungen, in denen die Parteien außerhalb der Ehe zusammenwohnen, vom Begriff der Familie erfasst (vgl. EGMR, Urteil vom 26.05.1994 – Nr. 16969/90). Auch die Beziehungen zwischen nichtehelichen Partnern, z. B. Paaren, die in einer stabilen Beziehung oder in einer eingetragenen Partnerschaft zusammenleben, habe der EGMR in mehreren Urteilen dem Schutz des Art. 8 EMRK unterstellt (vgl. EGMR, Urteil vom 24.6.2010 – Nr. 30141/04; Urteil vom 15.3.2012 – Nr. 25951/07). Inzwischen setze der EGMR für die Annahme, dass ein Paar in einer stabilen und gebundenen Beziehung lebt, auch nicht mehr zwingend ein Zusammenwohnen der Partner voraus (vgl. EGMR (Große Kammer), Urteil v. 7.11.2013 – Nr. 29381/09 u. 32684/09; Urteil vom 21.7.2015 – Nr. 18766/11 u. 36030/11). Die durch den EGMR entwickelten Anhaltspunkte für das Bestehen eines Familienlebens könnten auch für die Auslegung der Dublin III-VO herangezogen werden. In Bezug auf den nicht verheirateten Partner des Antragstellers werde die Definition des Familienangehörigen der Dublin-III-VO zwar viel enger ausgelegt als die Familienbegriffe von Art. 8 EMRK und Art. 7 GRCh. Werde der nicht verheiratete Partner im Dublin-Verfahren nicht als Familienangehöriger des Antragstellers anerkannt, obwohl es sich nach den Maßstäben von EMRK und GRCh um eine schützenswerte Familie handele, komme es zu einem Auseinanderfallen der Schutzkreise von EMRK, Grundrechte-Charta und Dublin-III-VO. Dies sei insbesondere problematisch, wenn es im Rahmen des Dublin-Verfahrens zur Trennung der nicht verheirateten Partner komme. Eine Zusammenführung des Antragstellers mit Frau … könnte hier daher mithilfe des Selbsteintrittsrechts des Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO erfolgen. Im Gegensatz zur humanitären Klausel nach Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO habe das Selbsteintrittsrecht keine gesonderten Voraussetzungen und eröffne den Mitgliedstaaten somit für eine Vielzahl von Fällen die Möglichkeit, sich selbst für zuständig zu erklären. Ein Mitgliedstaat könne gezwungen sein, von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, wenn andernfalls eine Verletzung von Rechten des Antragstellers, insbesondere im Hinblick auf Art. 8 EMRK beziehungsweise Art. 7 GRCh, drohe. Eine Überstellung des Antragstellers nach Lettland würde zu einer Diskriminierung von religiös verheirateten Partnern gegenüber standesamtlich verheirateten Paaren führen, ohne dass eine objektive und begründete Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung vorliege. Die Beziehung des Antragstellers mit Frau … habe die Natur einer Ehe. Es mache für beide keinen emotionalen Unterschied, ob die Ehe auf religiösem Ritus oder standesamtlicher Trauung basiere. Das Bundesverfassungsgericht gehe von einem weiteren Begriff der Ehe aus, wenn es eine dem Schutz des Art. 6 GG unterfallende Ehe auch annehme, wenn nach dem für den ausländischen Verlobten maßgebenden Heimatrecht eine rechtsgültige Ehe vorliege. Wenn keiner der Verlobten die deutsche Staatsangehörigkeit habe, liege ein Sachverhalt mit Auslandsbezug vor, so dass die Regelungen des Internationalen Privatrechts zu berücksichtigen sind (Art. 3 EGBGB). Eigene Regelungen zu der Wirksamkeit von Eheschließungen fänden sich in Art. 13 EGBGB. Gemäß Art. 13 Abs. 3 S. 2 EGBGB könne eine Ehe zwischen Personen, die nicht deutsche Staatsangehörige seien, auch ohne die Mitwirkung eines Standesbeamten ausnahmsweise wirksam sein, etwa, wenn die Ehe durch einen Geistlichen geschlossen werde. Art. 7 Abs. 3 Dublin III-VO kodifiziere im Dublin-Verfahren das Recht auf Achtung des Familienlebens, was Behörden und Gerichte verpflichte und mit den öffentlichen Interessen abzuwägen sei. Auch ließen die Erwägungsgründe 14,15,17 der Dublin III-VO erkennen, dass die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein sollte.
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Weiter leide das Asylverfahren in Lettland an systemischen Mängeln im Sinne des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III-VO. Hierzu nimmt der Antragstellerbevollmächtigte Bezug auf einen Bericht vonA. I. vom 12. Oktober 2022. Am 22. Juni 2023 habe das lettische Parlament für völkerrechtswidrige Pushbacks gestimmt. Schließlich wird auf eine Aussage von S. Sch.vonA. I. Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2023 teilte der Antragstellerbevollmächtigte mit, dass für den … ein Termin zur Anmeldung der Eheschließung beim Standesamt … vereinbart worden sei. Aus der diesbezüglich übersandten Bestätigung des Standesamtes der Stadt … ist zu entnehmen, dass der Antragsteller und Frau … beim Standesamt für die Anmeldung einer Ehe vorgesprochen haben. Die Anmeldung sei aufgenommen worden. Es sei jedoch noch die Prüfung von Unterlagen durch das Oberlandesgericht … erforderlich. Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2024 teilte der Antragstellerbevollmächtigte mit, dass der Antragsteller und seine Ehefrau zur Finalisierung der zivilrechtlichen Eheschließung in Deutschland dem Standesamt … beglaubigte Übersetzungen der legalisierten Ledigkeitsbescheinigungen aus T. vorgelegt hätten und auf eine Terminvergabe warten würden. Sie hätten alles in ihrer Macht Stehende getan, um die in der Bundesrepublik bereits gelebte Ehe zu formalisieren. Im Übrigen seien die bereits erörterten systemischen Mängel im lettischen Asylsystem noch aktuell. Insoweit werde auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 6. Oktober 2023, Az. 2 B 217/23 verwiesen. Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2024 führte der Antragstellerbevollmächtigte unter Vorlage entsprechender Schriftstücke aus, dass die Ausländerbehörde dem Antragsteller am 12. Juni 2024 per Mail mitgeteilt habe, dass sie dessen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für die Teilnahme am … in … bei der … abgelehnt habe. Er unterliege einer Verpflichtung zur Wohnsitznahme und habe keine Genehmigung, eine Ausbildung zu beginnen, da sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde. Mit Schriftsatz vom 13. September 2024 übersandte der Antragstellerbevollmächtigte eine beglaubigte Übersetzung der tadschikischen Heiratsurkunde des Antragstellers, die Eheschließung sei am … erfolgt. Nunmehr lägen die Voraussetzungen des Art. 10 i.V.m. Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO vor. Zudem habe der Antragsteller die Möglichkeit erhalten, eine Ausbildungsstelle als Pflegefachhelfer bei …, anzutreten. Mit Schriftsatz vom 26. November 2024 schließlich legte der Antragstellerbevollmächtigte die Abschrift eines Ausbildungsvertrages zum Pflegefachhelfer (Altenpflege) zwischen dem Antragsteller und der …, vom 21. November 2024 vor, der von beiden Beteiligten unterzeichnet war. Weiter trug er vor, dass nun die Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) AufenthG vorlägen, weswegen nicht mehr im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG feststehe, dass die Abschiebung durchgeführt werden könne.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung und führte darüber hinaus zunächst aus, dass wegen der rein religiösen Eheschließung kein Grund für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gesehen werde. Die Qualifikationsrichtlinie beschränke den nichtehelichen Partner in Art. 2 Buchst. j dahingehend, dass die Partnerschaft im Mitgliedstaat der Ehe vergleichbar behandelt werde. Das gelte gemäß § 1 Abs. 1 LPartG nur für gleichgeschlechtliche Paare. Mangels standesamtlicher Anerkennung der Ehe sei auch keine Anerkennung durch das Bundesamt möglich. Der Antragsteller und seine Partnerin Frau … seien beide tadschikische Staatsangehörige. Auch nach tadschikischem Recht erzeuge nur eine zivile Eheschließung rechtliche Wirkungen, eine nach religiöser Zeremonie geschlossene Ehe sei rechtlich bedeutungslos. Anders als der Antragstellerbevollmächtigte meine, sei die Überstellungsfrist nicht abgelaufen, da der Ablauf der Überstellungsfrist wegen der Einlegung eines Rechtsmittels mit aufschiebender Wirkung im Sinne des Art. 27 Dublin III-VO gehemmt sei. Soweit der Antragstellerbevollmächtigte nunmehr eine Heiratsurkunde vorgelegt habe, nach der der Antragsteller und Frau … im Bezirk … die Ehe geschlossen hätten, führe dies nicht zu einem Zuständigkeitsübergang nach Art. 10 i.V.m. Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO. Familienangehöriger gemäß Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO sei zwar ein Ehegatte, jedoch nur, wenn die Familieneinheit bereits im Herkunftsland bestanden habe. Die Eheschließung sei am … und damit nach Ausreise aus dem Herkunftsland – der Antragsteller sei bereits am 18. November 2022 nach Deutschland eingereist, Asylantrag sei am 23. März 2023 gestellt worden, seine Ehefrau am 17. Juni 2021 – erfolgt. Die Familieneinheit habe somit nicht bereits im Herkunftsland bestanden. Hinsichtlich des möglichen Beginns einer Ausbildung des Antragstellers in Deutschland verfüge er weder über eine Arbeits- noch Aufenthaltserlaubnis. Das reine Vorliegen der Voraussetzungen einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) AufenthG reiche nicht aus.
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Mit Schreiben vom 26. November 2024 hatte das Gericht den Antragstellerbevollmächtigten u.a. aufgefordert, zum Vorliegen einer tatsächlich gelebten familiären Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und der vorgetragenen Ehefrau vorzutragen.
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Auf Nachfrage des Gerichts teilte der Antragsgegner mit, dass die religiöse Frau des Antragstellers, mit der dieser nicht in familiärer Lebensgemeinschaft lebe, keinen Asylantrag in Deutschland gestellt habe. Sie sei im Juli 2021 legal in die Bundesrepublik eingereist und verfüge seit dem 1. Juli 2022 über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 16a Abs. 1 AufenthG, die befristet bis zum 30. Juni 2024 sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten des erhobenen Eilverfahrens sowie des Klageverfahrens AN 18 K 23.50567 Bezug genommen.
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Der Antrag ist in sachgerechter Weise dahingehend auszulegen (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), dass der Antragsteller die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in dem Hauptsacheverfahren AN 18 K 23.50567 erhobenen Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheids vom 17. August 2023 getroffene Abschiebungsanordnung nach Lettland begehrt. Der so verstandene Antrag, zu dessen Entscheidung nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Einzelrichter berufen ist, ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
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Er ist insbesondere statthaft, weil der Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsanordnung kraft bundesgesetzlicher Regelung keine aufschiebende Wirkung zukommt, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1, § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Der Antrag wurde zudem innerhalb der einwöchigen Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt.
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2. Der Antrag ist unbegründet.
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Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Es hat dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung zu treffen. Das Gericht hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der wiederstreitenden Interessen.
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Unter Heranziehung dieser Grundsätze fällt die zu treffende Ermessensentscheidung zugunsten des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin aus, weil die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 17. August 2023 unter dem gerichtlichen Aktenzeichen AN 18 K 23.50567 voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Denn die in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids getroffene Abschiebungsanordnung nach Lettland erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a) Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, eine entsprechende Abschiebung somit nicht rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG. Die vorliegend ergangene Abschiebungsanordnung wird diesen Anforderungen gerecht.
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b) Die Antragsgegnerin ist zutreffend von einer Zuständigkeit Lettlands für die Bearbeitung des Asylgesuchs des Antragstellers ausgegangen. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des jeweils zuständigen Staates ist die Dublin III-VO. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO wird der Antrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO finden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in der in dem Kapitel III der Dublin III-VO genannten Rangfolge Anwendung.
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Anhaltspunkte für eine vorrangige eigene Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 8 bis 11 Dublin III-VO liegen nicht vor. Art. 8 Dublin III-VO ist nicht eröffnet, da der Antragsteller kein Minderjähriger im Sinne des Art. 2 Buchst. i Dublin III-VO ist. Art. 9 Dublin III-VO scheidet aus, da, selbst wenn man die vorgetragene Ehefrau, …, als Familienangehörige im Sinne der Art. 9, Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO ansehen würde, sie keine Begünstigte internationalen Schutzes nach Art. 9, Art. 2 Buchst. f Dublin III-VO, Art. 2 Buchst. a der RL 2011/95/EU – Anerkennungs-Richtlinie wäre (Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 19. Ed. 1.7.2024, Art. 9 Dublin III-VO Rn. 6 f.). Frau … hat weder in Deutschland und soweit ersichtlich auch in keinem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt, sondern verfügt seit dem 1. Juli 2022 über einen Aufenthaltstitel nach § 16a Abs. 1 AufenthG (Berufsausbildung; berufliche Weiterbildung), der bis zum 30. Juni 2025 befristet ist. Insofern kann auch Art. 10 Dublin III-VO keine Anwendung finden, da dieser einen Familienangehörigen voraussetzt, über dessen Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist. Schließlich ist Art. 11 Dublin III-VO nicht einschlägig.
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Die Zuständigkeit Lettlands ergibt sich aus Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO. Der Antragsteller war zum gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt der ersten Antragstellung auf internationalen Schutz am 7. März 2023 (Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 19. Ed 1.7.2024, Art. 12 Dublin III-VO Rn. 11; EuGH, U.v. 26.7.2017 - C-670/16 – juris Rn. 75 ff.) in Besitz eines durch Lettland ausgestellten Visums, gültig vom 10. November 2022 bis zum 9. Mai 2023. Von dieser Sachlage sind ausweislich ihrer Aufnahmeerklärung vom 19. Juni 2023 auch die lettischen Behörden ausgegangen, in dem sie diese auf Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO gestützt haben (zur Beweiseigenschaft der genannten Belege s. VO (EG) Nr. 1560/2003, Anhang II, Verzeichnis A Beweise, I. Nr. 5).
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Schließlich hat die Antragsgegnerin ihr Aufnahmegesuch an die lettischen Behörden vom 8. Mai 2023 innerhalb der dreimonatigen Frist des Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO übermittelt und Lettland dieses am 19. Juni 2023 im Rahmen der Frist des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO angenommen. Ein Übergang der Zuständigkeit nach Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin ist damit nicht erfolgt.
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c) Der Zuständigkeit Lettlands stehen auch nicht Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO entgegen.
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Nach dieser Norm ist ein Mitgliedstaat, in dem ein Drittstaatsangehöriger einen Schutzantrag gestellt hat, dazu verpflichtet, die Zuständigkeitsprüfung fortzusetzen, wenn es sich als unmöglich erweist, den Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem zunächst zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen. Kann unter diesen Voraussetzungen an keinen anderen zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
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Das lettische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen weisen keine systemischen Schwachstellen auf, die für den Antragsteller die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK mit sich brächten.
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Nach dem System der normativen Vergewisserung (siehe dazu BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (siehe dazu EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. C-493/10 – juris Rn. 75 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine unwiderlegliche Vermutung; vielmehr obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Antragsteller nicht an den zu-ständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn das dortige Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die regelhaft so defizitär sind, dass sie im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK bergen (EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10, C-493/10 – NVwZ 2012, 417; BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn. 37). Ein systemischer Mangel liegt jedoch nur dann vor, wenn er im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt ist oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägt. Derlei Mängel treffen den Einzelnen nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft, sondern lassen sich wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren (BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9).
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Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob eine Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, aber nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch, ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
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An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. So fallen Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der genannten Konvention verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt. Dies wird erst dann anzunehmen sein, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden („Bett, Brot und Seife“), und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 f.; s.a. BayVGH, U.v. 11. Juli 2024 – 24 B 24.50010 – Rn. 21).
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Bei Anlegung dieses Maßstabs ergeben sich mit Blick auf das dem Gericht gegenwärtig vorliegende Erkenntnismaterial keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung in die Republik Lettland wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh drohen würde. Es wird insoweit gemäß § 77 Abs. 3 AsylG auf die Gründe des Bescheids vom 17. August 2023 Bezug genommen, welcher sich mit dem Nichtvorliegen systemischer Mängel im lettischen Asylverfahren auseinandersetzt. Ergänzend wird auch im Hinblick auf die sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergebende aktuelle Auskunftslage für Lettland wie folgt ausgeführt:
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aa) In der Republik Lettland ist grundsätzlich ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit sowie, bei Bedürftigkeit, staatlich gewährleisteter Rechtsberatung etabliert. Sogenannte Dublin-Rückkehrer erhalten ein reguläres Asylverfahren. Wenn das Asylverfahren eines Rückkehrers noch nicht eingestellt ist, kann es wiedereröffnet oder fortgesetzt werden. Bei bereits erfolgter Einstellung ist eine neue Asylantragstellung erforderlich. Unter den Voraussetzungen des Art. 16 des lettischen Asylgesetzes ist eine Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern möglich, insbesondere zur Identitätsklärung, notwendigen Tatsachenfeststellung oder bei missbräuchlicher Antragstellung. Die Unterbringung von Asylbewerbern erfolgt in Zentren wie etwa dem in Mucenieki (400 Personen), welches 17 km von Riga entfernt ist, und dem Anfang 2022 neu beschlossenen Zentrum in Liepna, Gemeinde Aluksne (250 Personen). Das Unterbringungszentrum in Mucenieki ist mit Wohnräumen, Gemeinschaftsküchen und Unterrichteräumen ausgestattet. Zusätzlich wurde im Dorf Mucenieki ein multifunktionales Zentrum für Anwohner und Asylbewerber eröffnet. Dort stehen den Asylbewerbern eine Küche, eine Waschküche, eine Kinderkrippe, ein Fernsehraum, ein Klassenzimmer mit Internetzugang, eine Sporthalle, eine Bibliothek und zusätzliche Wohnräume zur Verfügung. Auch wurden im Rahmen eines vom Europäischen Flüchtlingsfonds finanzierten Alfa-Projekts behindertengerechte Räumlichkeiten eingerichtet. Über das geplante Unterbringungszentrum in Liepna wird berichtet, dass es über die erforderliche Ausstattung und ein entsprechendes Dienstleistungsangebot verfügt. Bedürftige Asylbewerber erhalten zudem ein Taggeld von 3 EUR/Tag. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist nach sechs Monaten eröffnet, wenn das Verfahren ohne eigenes Verschulden des Asylbewerbers nicht binnen dieser sechs Monate abgeschlossen ist. Das Recht auf Arbeit gilt bis zu dem Tag, an dem die endgültige Entscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des alternativen Status oder die Ablehnung der Zuerkennung in Kraft getreten ist. Die medizinische Versorgung ist durch einen Anspruch auf ein Mindestmaß an staatlich bezahlter Gesundheitsfürsorge gewährleistet. Darüber hinaus besteht Anspruch auf eine medizinische Erstversorgung, zahnärztliche Hilfe in dringenden Fällen, Befreiung von Patientenzuzahlungen, im Falle der Inhaftierung auf eine Überprüfung des Gesundheitszustands und notwendige medizinische Betreuung und psychiatrische Hilfe bei schweren psychischen Störungen. Die zentrale Rolle im Gesundheitssystem spielt der Hausarzt, der wesentliche Leistungen der medizinischen Grundversorgung erbringt und die Gesundheitsversorgung insgesamt koordiniert. Zwar wird bei Inanspruchnahme der vom Staat bezahlten Gesundheitsleistungen ein Patientenbeitrag verlangt, von dem allerdings Kinder unter 18 Jahren, Schwangere, Frauen nach der Geburt, Behinderte und bedürftige Personen befreit sind. Unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern wird ein gesetzlicher Vormund zur Seite gestellt, der den Minderjährigen bei der Wahrung seiner persönlichen, rechtlichen und vermögensrechtlichen Interessen im Hoheitsgebiet der Republik Lettland vertritt. Dieser arbeitet mit dem Staat und den örtlichen Behörden zusammen und ist u.a. verpflichtet, dem unbegleiteten Minderjährigen eine seinem Alter und Gesundheitszustand entsprechende Unterbringung und Versorgung zu gewähren. Soweit der Minderjährige vorher Schüler in einem anderen Land war, ist er berechtigt, in Lettland seine Ausbildung abzuschließen. Kinder mit Gewalterfahrungen bzw. bei Bedarf haben ein Recht auf soziale Rehabilitation. Auch die Bedürfnisse sonstiger vulnerabler Asylantragsteller werden adäquat berücksichtigt, etwa durch besondere Unterstützung im Asylverfahren oder spezielle Unterbringung. Über die staatlichen Leistungen hinaus gibt es eine Reihe von Unterstützungsdiensten durch Nichtregierungsorganisationen, etwa Safe House (Unterstützung von Opfern von Menschenhandel, Immigranten, Asylbewerbern und Schutzberechtigten), die Caritas (Beratung, Information, Kleidung und Unterkünfte) und das Lettische Rote Kreuz (zum Ganzen: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Lettland, 5.4.2024, S. 4 ff. [im Folgenden BFA Österreich]; speziell für Dublin Rückkehrer: European Union Agency for Asylum [EUAA], Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Latvia, 29.5.2024; speziell zum Gesundheitssystem: Europäische Kommission, Ihre Rechte der sozialen Sicherheit in Lettland, Juli 2024, S. 18 ff.).
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Lettland verfügt über zwei spezielle Hafteinrichtungen für ausländische Staatsangehörige: Die Anhaltzentren Daugavpils und Mucenieki. Die meisten der in diesen Zentren befragten ausländischen Staatsangehörigen gaben an, korrekt behandelt worden zu sein. Abgesehen von einigen Berichten über verbale Beschimpfungen in Daugavpils hat die prüfende Delegation des „European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment” (CPT) keine Vorwürfe über Misshandlungen erhalten. Allerdings wurden Vorwürfe erhoben, dass zwischen August 2021 und März 2022 im Zusammenhang mit dem starken Zustrom von Migranten inhaftierte ausländische Staatsangehörige schwer misshandelt worden seien. Die Haftbedingungen in beiden Einrichtungen entsprechen im Allgemeinen einem guten Standard. Es gibt das System der offenen Tür, d.h. die Inhaftierten können sich innerhalb ihrer Wohneinheit frei bewegen und sich den ganzen Tag über in Gemeinschaftseinrichtungen aufhalten. Nach einer Inhaftnahme besteht die Möglichkeit, Rechtsschutz binnen 48 Stunden nach Bekanntgabe des Inhaftierungsprotokolls zu suchen sowie die Rechtmäßigkeit der Fortdauer des Freiheitsentzugs regelmäßig gerichtlich überprüfen zu lassen. Eine Inhaftierung durch gerichtliche Entscheidung darf einen Zeitraum von zwei Monaten bzw. die Dauer des Asylverfahrens nicht überschreiten, wobei diese regelhaft maximal drei Monate nach Durchführung der Anhörung, jedenfalls nicht länger als sechs Monate betragen soll, wobei in Ausnahmefällen eine Verlängerung möglich ist (BFA Österreich, S. 8; EUAA, S. 11; Section 19 des lettischen Asylgesetzes [englische Fassung]: https://likumi.lv/ta/en/en/id/278986, zuletzt abgerufen am 14.01.2025).
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Im Mai 2023 wurde der seit August 2021 bestehende Ausnahmezustand in verschiedenen Regionen nahe der Grenze zu Belarus um weitere drei Monate verlängert. Die Regierung hat mehrfach angekündigt, den Ausnahmezustand durch feste Anlagen zur Verhinderung illegaler Grenzübertritte ersetzen zu wollen und erließ Mitte März 2024 für die Dauer von sechs Monaten weitergehende Befugnisse zum Schutz der Grenze, wobei auch Polizei und Militär die Grenzschutzbehörden in diesem Zeitraum unterstützen sollen. Der staatliche Grenzschutz nahm im Jahr 2022 189 Personen in Gewahrsam, die die Grenze von Belarus aus unrechtmäßig überschritten hatten. Lettland nahm im Laufe des Jahres 2022 200 Personen aus humanitären Gründen auf und meldete mehr als 5.000 vereitelte Grenzübertritte, was in der Praxis bedeutete, dass diese Menschen nach Belarus zurückgeschoben wurden. Die Personen, die von der Grenze abtransportiert wurden, kamen meist willkürlich in Haft. Im Jahr 2023 wurden fast 14.000 Versuche der illegalen Einreise aus Belarus nach Lettland verhindert (BFA Österreich, S. 6 f.).
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bb) Anerkannte Flüchtlinge erhalten in Lettland eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die alle fünf Jahre erneuert werden muss. Subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine auf ein Jahr befristete – dann aber verlängerbare – Aufenthaltserlaubnis. Anerkannte Flüchtlinge haben nach dem Erhalt des Schutzstatus ein Recht auf Familienzusammenführung. Im Falle einer befristeten Schutzform ist dies erst nach einem zweijährigen Aufenthalt in Lettland möglich. Personen mit dem Status eines Flüchtlings oder mit subsidiärem Schutzstatus, die nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen können, haben Anspruch auf Sozialhilfe. Anerkannte Flüchtlinge und andere Schutzberechtigte haben Anspruch auf eine einmalige finanzielle Unterstützung in Höhe von 278 EUR (für Minderjährige 194 EUR). Bei verheirateten Paaren erhält der eine Ehepartner 278 EUR und der andere 194 EUR. Schutzberechtigte haben zudem Anspruch auf eine monatliche Zahlung in Höhe von 139 EUR (für Minderjährige 97 EUR). Bei Verheirateten erhält ein Ehepartner 139 EUR und der andere 97 EUR. Die monatliche Zahlung ist für Schutzberechtigte mit Flüchtlingsstatus auf zehn Monate, für subsidiär Schutzberechtigte auf sieben Monate befristet. Asylbewerber, Flüchtlinge und Personen mit subsidiären Schutzstatus haben Anspruch auf die Dienste von Sozialarbeitern und Sozialbetreuern, die ihnen beratend und helfend zur Seite stehen, ihnen bei der Integration in die lettische Gesellschaft und beim Einleben in Lettland helfen, sie bei Anmeldungen zum Beispiel bei der staatlichen Arbeitsagentur und einem Allgemeinmediziner unterstützen und ihnen bei der Eröffnung eines Bankkontos, bei der Wohnungssuche und bei der Anmeldung des Wohnsitzes helfend zur Seite stehen. Die Dienste eines Sozialarbeiters stehen Asylbewerbern drei Monate lang ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in Lettland oder bis zur Zuerkennung des Status eines Flüchtlings oder einer Person mit subsidiären Schutz zur Verfügung. Nach Erlangung eines Schutzstatus steht der Dienst für weitere zwölf Monate zur Verfügung. Der Dienst des Sozialarbeiters endet, wenn die betreute Person während der Dauer des Dienstes Lettland verlässt. Schutzberechtigte oder Personen mit subsidiärem Schutzstatus haben Anspruch auf ein Mindestmaß an staatlich bezahlter Gesundheitsfürsorge. Subsidiärer Schutz, genauso wie der Flüchtlingsstatus, ermöglichen den Schutzberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeitsmarkt (BFA Österreich, S. 10 f.).
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cc) Nach alledem bestehen keine Anhaltspunkte, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung in die Republik Lettland wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren, in den Aufnahmebedingungen oder im Falle einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde.
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Diese Annahme steht mit der überwiegenden neueren Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte in Einklang (etwa VG Düsseldorf, B.v. 22.3.2024 – 14 L 485/24.A – juris Rn. 31 ff.; VG Köln, B.v. 15.1.2024 – 22 L 1811/23.A – juris Rn. 18 ff.; VG Chemnitz, B.v. 2.11.2023 – 7 L 421/23.A – juris Rn. 34 ff.; VG Magdeburg, B.v. 20.10.2023 – 3 B 281/23 – juris Rn. 7 ff.; VG Münster, B.v. 10.5.2022 – 2 L 353/22.A, 8714360 – juris; a.A. VG Braunschweig, B.v. 6.10.2023 – 2 B 217/23 – juris, allerdings mit einer von der hiesigen abweichenden Konstellation).
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Der Antragsteller selbst hat auch keine Belange substantiiert vorgetragen, die systemische Mängel in Lettland aufzeigen. Soweit über die Verlängerung des Ausnahmezustandes, sog. Pushbacks und willkürliche Inhaftierungen von (potentiellen) Asylbewerbern insbesondere an der Grenze zu Belarus berichtet wird, wären diese zwar grundsätzlich geeignet, den Befund einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung zu tragen. Jedoch ist der Antragsteller als sogenannter Dublin-Rückkehrer, der noch dazu in Lettland bisher keinen Asylantrag gestellt hat, sondern die Zuständigkeit Lettlands alleine über Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO und sein lettisches Visum begründet und so auch keinen Anhaltspunkt für eine mögliche Fluchtgefahr aus möglicher lettischer Sicht gesetzt hat, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer willkürlichen Inhaftierung oder eines Pushbacks ausgesetzt. Der Antragsteller würde offensichtlich nicht über die Grenze Belarus-Lettland einreisen, sondern aller Voraussicht nach per Flugzeug von Deutschland überführt werden. Die neueren Erkenntnismittel liefern keine Belege dafür, dass Dublin-Rückkehrer wie (potentielle) Asylbewerber an der Landgrenze zwischen Belarus und Lettland behandelt werden (so auch VG Hamburg, B.v. 8.3.2023 – 9 AE 235/23 – S. 8, abrufbar unter https://justiz.hamburg.de/resource/blob/640076/e4e50b33bf6521e…76/9-ae-235-23-beschluss-vom-08-03-2023-data.pdf). Die auf dem System der normativen Vergewisserung (siehe dazu BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (siehe dazu EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. C-493/10 – juris Rn. 75 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80 ff.) basierende Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht, ist mit Blick auf Dublin-Rückkehrer nicht erschüttert. Insofern greifen auch die Verweise des Antragstellerbevollmächtigten auf die oben zitierte Rechtsprechung des VG Braunschweig (B.v. 6.10.2023 – 2 B 217/23) sowie die Berichte vonA. I. aus dem Schriftsatz vom 4. September 2023 nicht durch.
42
Schließlich ist auch keine Überlastung des lettischen Asylsystems durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ersichtlich. Ende 2023 hatte Lettland 46.000 Anträge auf vorübergehenden Schutz von ukrainischen Bürgern erhalten. Deren Unterstützung wird durch das Gesetz über die Hilfe für ukrainische Zivilsten gewährleistet, das erstmals im März 2022 verabschiedet und seitdem mehrmals verlängert wurde. Für 2024 wird eine Unterstützung in gleicher Höhe wie im Jahr 2023 erwartet. Eine diesbezügliche Überforderung der Kapazitäten Lettlands wird nicht beschrieben (BFA Österreich, S. 4).
43
d) Individuelle, außergewöhnliche Gründe im Sinne des Art. 16 Dublin III-VO oder Umstände, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland notwendig machen könnten, sind nicht ersichtlich respektive nicht substantiiert vorgetragen.
44
aa) Die Vorschrift des Art. 16 Dublin III-VO ist nicht einschlägig. Zum einen ist die dort beschriebene Hilfsbedürftigkeit nicht gegeben, zum anderen fällt der Ehepartner – eine wirksame Ehe unterstellt – sowieso nicht in den Anwendungsbereich, da Art. 16 Dublin III-VO gerade nicht auf Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO abstellt (Vollrath in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 19. Ed. 1.7.2024, Art. 16 Dublin III-VO Rn. 1).
45
bb) Dem Antragsteller steht weiter kein Anspruch nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO gegen die Antragsgegnerin auf Übernahme der Zuständigkeit für sein Asylverfahren zu.
46
Gemäß Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Dabei ist es grundsätzlich Sache des betreffenden Mitgliedstaats, die Umstände zu bestimmen, unter denen er von der Befugnis, die durch die Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO eingeräumt wird, Gebrauch machen möchte, um zu entscheiden, ob er sich bereit erklärt, einen Antrag auf internationalen Schutz, für den er nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist, selbst zu prüfen (EuGH, U.v. 31.1.2019 – C-661/17 – juris Rn. 59). Dem Mitgliedstaat wird insoweit ein weites Ermessen eingeräumt (EuGH, U.v. 10.12.2013 – C-394/12 – juris Rn. 57; U.v. 31.1.2019 – C-661/17 – juris Rn. 60). Allerdings stellt sich die Entscheidung eines Mitgliedstaats über die Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehenen Ermessensklausel als Durchführung des Unionsrechts im Sinne des Art. 51 Abs. 1 GRCh dar (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C 578/16 PPU – juris Rn. 53; U.v. 31.1.2019 – C-661/17 – juris Rn. 64), so dass insoweit die Unionsgrundrechte zu beachten sind, worunter auch Art. 7 GRCh mit dem Schutzbereich der Achtung des Familienlebens fällt. Dies greift wiederum Erwägungsgrund 14 der Dublin III-VO auf. Unabhängig von der Frage, ob insoweit überhaupt ein einklagbarer Rechtsanspruch des betroffenen Ausländers in Betracht kommt (dagegen etwa VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 39; Vollrath in Decker/Bader/Kothe, BeckOK, Migrations- und Integrationsrecht, 19. Ed., Stand: 1.7.2024, Art. 17 Rn. 4), so hat hier der Antragsteller keinen.
47
Selbst wenn man eine auch nach deutschem Recht gültige Ehe zwischen dem Antragsteller und Frau … annimmt, trägt dies keine Ermessensreduzierung auf Null. Eine Ermessensreduzierung auf Null, sprich, dass jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre, kann nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommen (BayVGH, B.v. 13.12.2023 – 24 ZB 23.50020 – juris Rn. 12; VG München, U.v. 18.1.2024 – M 10 K 23.50905 – juris Rn. 24). Einen solchen sieht das Gericht hier nicht. Zunächst bleibt der Vortrag zu einem über das rechtliche Band der Ehe hinausgehenden tatsächlichen Familienleben (Jarass in Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 7 GRCh Rn. 18 f.) zu oberflächlich. Das Gericht hat den Antragstellerbevollmächtigten mit Schreiben vom 26. November 2024 aufgefordert, zum etwaigen Vorliegen einer tatsächlich gelebten familiären Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau vorzutragen. Im darauffolgenden Schriftsatz des Antragstellerbevollmächtigten vom 26. November 2024 trug dieser jedoch vor allem zum Vorliegen einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG vor. Zum Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO wurde lediglich unter Verweis auf Art. 8 EMRK und Art. 7 GRCh, jedoch ohne weitere argumentative Unterfütterung ausgeführt, dass der Verbleib des Antragstellers in Deutschland aus humanitären Gründen dringend geboten sei. Auch im bisherigen Schriftverkehr seit Klage- bzw. Antragserhebung findet sich kein vertiefter Vortrag zu einer tatsächlich gelebten ehelichen Gemeinschaft, sondern allenfalls einzelne Versatzstücke, die auch in einer Zusammenschau nicht das nötige Gewicht für die Annahme einer solchen entfalten (s. Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 4. September 2023, S. 2: Frau … sei bereit, den Kläger bei sich aufzunehmen, beide beabsichtigten, in naher Zukunft einen Eheschließungstermin vor einem deutschen Standesamt wahrzunehmen; Schriftsatz vom 18. September 2023, S. 5: Die Beziehung des Antragstellers mit Frau … habe die Natur einer Ehe, eine Überstellung des Antragstellers nach Lettland würde dem tatsächlich bestehenden Familienbund schaden und die Ehe aufs Spiel setzen; Schriftsatz vom 24. Oktober 2023, S. 1: Laut Angaben der Ehefrau des Antragstellers sei für den 26. Oktober 2023 vor dem Standesamt … ein Termin zur Anmeldung der Eheschließung vereinbart worden; Schriftsatz vom 27. Oktober 2023, S.1: Es werde eine Bescheinigung über die Wahrnehmung des Termins beim Standesamt … übersandt; Schriftsatz vom 12. Februar 2024, S. 1: Es werde auf die beigefügte Korrespondenz der Ehefrau des Antragstellers und dem Standesamt … verwiesen. Beide hätten dem Standesamt … beglaubigte Übersetzungen der legalisierten Ledigkeitsbescheinigungen aus T. vorgelegt und warteten auf eine Terminvergabe. Sie hätten somit alles in ihrer Macht Stehende getan, um die in der Bundesrepublik gelebte Ehe zu formalisieren; Schriftsatz vom 13. September 2024, S. 1: Es werde die beglaubigte Übersetzung der tadschikischen Heiratsurkunde des Antragstellers vorgelegt, die Eheschließung sei am … erfolgt.). Zwar ist zu berücksichtigten, dass der Antragsteller durch seine Verpflichtung zur Wohnsitznahme in Bayern nicht ohne weiteres zu Frau … nach … ziehen und einen gemeinsamen Wohnsitz begründen kann (umgekehrt jedoch könnte Frau …, eine entsprechende Arbeitsstelle vorausgesetzt, zum Antragsteller ziehen). Zudem kann auf das Erfordernis eines Zusammenlebens auch verzichtet werden, insbesondere dann, wenn andere Anhaltspunkte belegen, dass eine Beziehung beständig genug ist, um familiäre Bindungen zu schaffen oder die Gründe für das unterbleibende Zusammenleben nicht dem Grundrechtsträger zuzurechnen sind (Jarass in Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 7 GRCh Rn. 18). Jedoch erschöpft sich der Vortrag des Antragstellers im Wesentlichen in der Behauptung einer tatsächlich gelebten Ehe in Deutschland, ohne dies zu substantiieren, etwa durch Darlegung eines regelmäßigen Kontaktes, Besuchen, gemeinsamen Aktivitäten, et cetera. Die Unzumutbarkeit einer (vorübergehenden) räumlichen Trennung lässt sich daraus nicht ableiten. Nach alldem ist das der Antragsgegnerin im Rahmen des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zustehende weite Ermessen nicht dahingehend reduziert, dass keine andere Entscheidung, als das Asylverfahren des Antragstellers in Deutschland durchzuführen, in Betracht kommt.
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e) Schließlich stehen einer Abschiebung weder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die das Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG – „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“ – zu prüfen hat, noch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
49
aa) Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis liegt nicht vor. Insbesondere ist der Antragsteller nicht gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK aus Gründen des Schutzes des Ehe- und Familienlebens zu dulden. Denn es führen nicht schon der Bestand der Ehe als solcher und auch nicht jedwede familiäre Beziehung regelmäßig zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung (SächsOVG, B.v. 1.10.2024 – 3 B 130/24 – juris Rn. 23; Kluth/Breidenbach in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 42. Ed. 1.7.2024, § 60a AufenthG Rn. 15 ff.). Auch ist der Verweis des Ausländers auf das Visumverfahren zur Familienzusammenführung grundsätzlich zumutbar und der mit der Durchführung dieses Verfahrens einhergehende Zeitablauf regelmäßig hinzunehmen (BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 10 CE 20.326 – juris Rn. 20). Umgekehrt muss es der Betroffene nicht hinnehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung der bestehenden familiären Bindungen im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner seinen Aufenthalt zu nehmen (BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – BeckRS 2011, 52471 Rn. 13 ff.).
50
Wie schon unter II. 2. d) bb) ausgeführt, mangelt es dem Vortrag des Antragstellers zur tatsächlich gelebten Ehe- und Beistandsgemeinschaft an der hinreichenden Substantiierung, um die Hürde einer unverhältnismäßigen Vernachlässigung der Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK zu überschreiten.
51
Schließlich hat der Antragsteller (derzeit) auch keinen Anspruch auf eine Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG, weshalb dahinstehen kann, ob entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Freiburg (U.v. 19.5.2021 – A 14 K 173/20 – juris Rn. 35 ff.) schon dann feststeht, dass eine Abschiebung im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht durchgeführt werden kann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 AufenthG vorliegen, auch wenn noch keine solche erteilt worden ist.
52
Eine Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG setzt in der Variante des § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG u.a. voraus, dass der Asylbewerber eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf aufgenommen hat. Eine qualifizierte Berufsausbildung ist gemäß § 2 Abs. 12a AufenthG dann gegeben, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist. Der seitens des Antragstellers vorgelegte Ausbildungsvertrag vom 21. November 2024 mit der …, hat jedoch ausweislich dessen § 2 Abs. 1 eine Ausbildungsdauer von einem Jahr (1. September 2025 – 31. August 2026).
53
In der Variante des § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AufenthG genügt die Aufnahme einer Assistenz- oder Helferausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf, an die eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf, für den die Bundesagentur für Arbeit einen Engpass festgestellt hat, anschlussfähig ist und dazu eine Ausbildungsplatzzusage vorliegt. Eine solche Ausbildungsplatzzusage für eine qualifizierte Berufsausbildung liegt nicht vor. Abgesehen davon, kann der Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 3 Satz 1 AufenthG frühestens sieben Monate vor Beginn der Berufsausbildung gestellt werden. Der Gesetzgeber legt damit den frühestmöglichen Zeitpunkt fest, zu dem ein Duldungsantrag eine gesicherte Anwartschaft auf Erteilung einer Ausbildungsduldung begründen kann (Röder in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 19. Ed. 1.7.2024, § 60c AufenthG Rn. 86). Ausbildungsbeginn zum Pflegefachhelfer wäre laut des vorgelegten Ausbildungsvertrages der 1. September 2025, also könnte ein Antrag auf Ausbildungsduldung erst zum 1. Februar 2025 gestellt werden.
54
Schließlich kommt auch § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht zum Tragen, da dieser zum einen auf die Aufnahme einer Berufsausbildung im Sinne des § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
55
AufenthG Bezug nimmt, die eben nicht gegeben ist (s.o.). Zum anderen ist der Antragsteller noch nicht drei Monate im Besitz einer Duldung, § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG.
56
bb) Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt ebenfalls nicht in Betracht. Wie bereits unter II. 2. c) erörtert, besteht für den Antragsteller bei einer Abschiebung nach Lettland insbesondere mit Blick auf die dortigen Lebensumstände für Asylsuchende bzw. anerkannte Schutzberechtigte nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Die Angabe des Antragstellers vor dem Bundesamt, in Lettland könne ihm alles Mögliche passieren und er habe sich nicht sicher gefühlt, bleibt zu unsubstantiiert, um hieraus ernsthaft drohende Gefahren für den Antragsteller abzuleiten.
57
Schließlich ist auch für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nichts ersichtlich.
58
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
59
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.