Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 11.06.2025 – RO 7 S 25.1158
Titel:

Nachbarschutz, Verwaltungsgerichte, Beiladung, Erteilte Baugenehmigung, Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren, Grundstücksgrenze, Vorhandene Grenzbebauung, Verwaltungsgerichtsverfahren, Abstandsflächenrecht, Abstandsflächentiefe, Grenzgarage, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Baugrundstück, Öffentliche Verkehrsfläche, Prozeßbevollmächtigter, Einstweiliger Rechtsschutz, Streitwertfestsetzung, Sach- und Rechtslage, Prozeßkostenhilfeverfahren, Abweichungszulassung

Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Baugenehmigung, Nachbarschutz, Abstandsflächen, Rücksichtnahmegebot, Grenzbebauung, Interessenabwägung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13506

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
2
Er ist Miteigentümer des Grundstücks Fl. Nr. 1* … der Gemarkung A* … (ebenso alle nachfolgend genannten Flurnummern). Das Vorhabengrundstück Fl. Nr. 2* … grenzt östlich an das Grundstück des Antragstellers an.
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Der Beigeladene beantragte am 24. September 2024 die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Fertiggarage mit einer Länge von 6 m, einer Holzlege und einer Kellertreppenüberdachung auf dem Grundstück Fl. Nr. 2* … Er stellte jeweils einen Antrag auf Abweichung von § 2 Abs. 1 der Garagen- und Stellplatzverordnung (GaStellV) sowie von Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO.
4
Mit Bescheid des Landratsamtes Neustadt a. d. Waldnaab (nachfolgend: Landratsamt) vom 14. März 2025 wurde dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung erteilt. Von § 2 Abs. 1 GaStellV wurde hinsichtlich der Reduzierung des erforderlichen Abstands zwischen Garage und öffentlicher Verkehrsfläche von 3 m auf 2,25 m eine Abweichung erteilt (Ziffer II.a.). Von Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO wurde hinsichtlich der Überschreitung der maximal zulässigen Länge der die Abstandsflächentiefe gegenüber Grundstücksgrenzen nicht einhaltenden Bebauung (20,23 m statt 15 m) eine Abweichung erteilt (Ziffer II.b.). Die Abweichung von der Garagen- und Stellplatzverordnung habe nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt werden können. Wegen der Sicht auf die öffentliche Verkehrsfläche bestünden keine Bedenken. Ein Einund Ausfahren unter Beachtung des Verkehrs sei hinreichend möglich, zumal es sich bei der Lage der Garage um das Ende einer Sackgasse mit Wendehammer in einem Wohngebiet, welches mit „Zone 30“ beschildert sei, handle. Auch die Abweichung von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts habe nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt werden können. In Verbindung mit der bereits im Bestand vorhandenen Grenzbebauung an der östlichen Grundstücksgrenze zur Fl. Nr. 179/4 mit einer Länge von insgesamt 14,225 m betrage die Gesamtlänge der maßgeblichen Bebauung 20,225 m. Die maximal zulässige Länge von 15 m werde damit um 5,225 m überschritten und die geplante Grenzgarage sei damit grundsätzlich abstandsflächenpflichtig. Vorliegend könne die Entstehung eines Einmauerungseffekts durch das Bauvorhaben bzw. durch die beantragte Abweichung ausgeschlossen werden. Durch die Grenzgarage an der westlichen Grundstückgrenze zur Fl. Nr. 1* … würden die abstandsflächenrechtlich geschützten nachbarlichen Belange in keiner Weise eingeschränkt.
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Am 16. Mai 2025 führte das Landratsamt eine Baukontrolle durch. An der westlichen Grundstücksgrenze des Vorhabengrundstücks seien eine Metallkonstruktion mit Pultdach zur Holzlagerung und ein Blechgartenhaus mit versetztem Pultdach festgestellt worden, die in den Bauantragsunterlagen nicht enthalten gewesen seien. Nach Rücksprache mit dem Beigeladenen sei das Blechgartenhaus freiwillig entfernt bzw. auf dem Grundstück so versetzt worden, dass die gesetzlich vorgeschriebene Mindestabstandsfläche von 3 m zu den Grundstücksgrenzen eingehalten werde.
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Am 4. April 2025 hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben lassen (Az. RO 7 K 25.758), über die noch nicht entschieden ist. Mit Schreiben vom 13. Mai 2025 hat er um einstweiligen Rechtschutz nachsuchen lassen.
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Zur Begründung des Antrags wird im Wesentlichen vorgetragen: Die erteilten Abweichungen von den Abstandsflächenvorschriften seien rechtswidrig und das Gebot der Rücksichtnahme werde verletzt. Das Landratsamt gehe von einem falschen Maß der Gesamtlänge der abstandsflächenfreien Grenzbebauung auf dem Baugrundstück aus. Das ebenfalls an der westlichen Grundstücksgrenze des Baugrundstücks errichtete Gerätehaus aus Metall werde nicht berücksichtigt. Daher werde das Maß der maximal zulässigen abstandsflächenfreien Grenzbebauung nicht nur um ca. 5 m, sondern um ca. 8,40 m überschritten. Aus diesem Grund sei das Bauvorhaben rechtswidrig, da es Art. 6 BayBO nicht entspreche und keine hinreichende Abweichung erteilt worden sei. Zudem seien die Voraussetzungen des Art. 63 BayBO nicht erfüllt. Auf dem Baugrundstück entstehe eine dritte Garage, welche zu einem massiven Einmauerungseffekt führe. An der Grundstücksgrenze werde eine über 9 m lange, fast grenzständige Bebauung mit einer mittleren Wandhöhe von ca. 3 m errichtet. Hierdurch würden die Belange der Belüftung und Belichtung des Grundstücks sowie der soziale Wohnfriede massiv gestört und die Nutzung des Vorgartens massiv beeinträchtigt. Die Abweichung von § 2 Abs. 1 Satz 1 GaStellV sei ebenfalls rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Rechten. Eine Unterschreitung von 0,75 m sei nicht geringfügig. Der erforderliche Mindestraum befinde sich direkt an der östlichen Grundstücksgrenze vor der Ausfahrt des Grundstücks des Antragstellers, so dass es dort zu einer verkehrsgefährdenden Situation komme.
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Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 4. April 2025 gegen den Bescheid des Landratsamts Neustadt a. d. Waldnaab vom 14. März 2025 anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Die erteilte Abweichung von den Vorschriften des Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO sei rechtmäßig und verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Es sei zwar zutreffend, dass in den Bauantragsunterlagen ein bereits bestehendes Metallgerätehaus an der Grundstücksgrenze nicht aufgeführt gewesen sei. Der Beigeladene habe das Gerätehaus zwischenzeitlich so versetzt, dass die – sofern überhaupt erforderlichen – Abstandsflächen eingehalten würden. Bei der Abdeckung für die bestehende Holzlagerung handle es sich weder um ein Gebäude noch um eine Anlage mit gebäudeähnlicher Wirkung. Die Holzlagerung bleibe daher bei der Beurteilung der nach Art. 6 Abs. 7 Sätze 1 und 2 BayBO maximal zulässigen Grenzbebauung unberücksichtigt. Die Länge der Grenzbebauung betrage damit – wie auch im Genehmigungsbescheid angenommen – 20,225 m. Zu berücksichtigen seien die bestehende Grenzgarage (6,56 m) mit angebautem Abstellraum und ein überdachter Freisitz (7,665 m) an der östlichen Grundstücksgrenze sowie die nunmehr genehmigte Fertiggarage (6 m) an der westlichen Grundstücksgrenze. Der vorgetragene „Einmauerungseffekt“ könne nicht nachvollzogen werden. Auch die erteilte Abweichung von § 2 Abs. 1 GaStellV sei rechtmäßig. Die Pflicht, sich beim Einfahren aus einem Grundstück auf die Straße so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei, obliege dem Fahrzeugführer. Dass sich zwei Grundstückszufahrten in einer Überecklage befänden, sei gerade am Ende eines Wendehammers in Wohngebieten keine Seltenheit.
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Der Beigeladene hat sich weder zur Sache geäußert noch einen Antrag gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten im Eil- und Hauptsacheverfahren Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Baugenehmigung vom 14. März 2025 hat keinen Erfolg.
14
1. Er ist zwar zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, weil die gegen die Baugenehmigung erhobene Klage des Antragstellers keine aufschiebende Wirkung entfaltet (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB).
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2. In der Sache erweist sich der Antrag jedoch als unbegründet.
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Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat dann Erfolg, wenn das Aussetzungsinteresse des Nachbarn das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des streitgegenständlichen Verwaltungsakts bzw. das Vollzugsinteresse des Bauherrn überwiegt. Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung richtet sich regelmäßig nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage.
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Dabei kommt es im Rahmen einer Nachbarklage nicht darauf an, ob eine erteilte Baugenehmigung in objektiver Hinsicht umfassend rechtmäßig ist. Ein Nachbar kann eine Genehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn die Genehmigung ihm zustehende subjektiv-öffentliche Rechte verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblich ist daher, ob der Nachbar in subjektiven Rechten verletzt wird, d.h. ob die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch seinem Schutz dienen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – juris). Eine Rechtsverletzung kommt ferner nur insoweit in Betracht, als die Baugenehmigung überhaupt Regelungs- bzw. Feststellungswirkung entfaltet, d.h. soweit die ggf. verletzte drittschützende Rechtsvorschrift überhaupt zum Prüfgegenstand im Genehmigungsverfahren gehört.
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Hiervon ausgehend ergibt die gebotene Interessenabwägung des Gerichts ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Baugenehmigung bzw. ein überwiegendes Vollzugsinteresse des Beigeladenen als Bauherrn gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Die Klage wird bei summarischer Prüfung nach Aktenlage keinen Erfolg haben, da die streitgegenständliche Baugenehmigung den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Baugenehmigung wurde gem. Art. 59 BayBO im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 Satz 1 BayBO die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB (Nr. 1a), mit den Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO (Nr. 1b) und mit den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinn des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Nr. 1c), beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Nr. 2) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Nr. 3).
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a) Zunächst ergibt sich keine Rechtsverletzung des Antragstellers wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO, der gem. Art. 59 Satz 1 Nr. 1b BayBO zum Prüfungsumfang gehört. Die Gesamtlänge der nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO abstandsflächenrechtlich privilegierten Bebauung von 9 m an der Grundstücksgrenze zum Antragsteller wird eingehalten.
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aa) Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung. Nachträgliche Änderungen zulasten des Bauherrn haben außer Betracht zu bleiben, wohingegen nachträgliche Änderungen zu dessen Gunsten zu berücksichtigen sind. Die erteilte Baugenehmigung vermittelt dem Bauherrn eine Rechtsposition, die sich, wenn ein Nachbar die Genehmigung anficht, gegenüber während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eintretenden Änderungen der Sach- und Rechtslage durchsetzen kann (vgl. BVerwG, B.v. 8.11. 2010 – 4 B 43/10 –, Rn. 9, juris, m.w.N.; BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 –, Rn. 97, juris, m.w.N.).
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Hiervon ausgehend ist das vormals nahe der westlichen Grenze des Vorhabengrundstücks befindliche Gartenhaus aus Metall bei der Länge der Grenzbebauung nicht mehr zu berücksichtigen, da dieses nach dem unbestrittenen Vortrag des Landratsamtes zwischenzeitlich so auf dem Grundstück versetzt wurde, dass die erforderlichen Abstandsflächen eingehalten werden. Diese Änderung zu Gunsten des Bauherrn ist im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen.
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bb) Die bei der Baukontrolle am 16. Mai 2025 dokumentierte Metallkonstruktion mit Pultdach nahe der westlichen Grenze des Vorhabengrundstücks ist nicht abstandsflächenrelevant, da es sich weder um ein Gebäude noch um eine Anlage mit gebäudeähnlicher Wirkung handelt, Art. 6 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayBO.
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Gebäude sind nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 2 BayBO selbstständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können. Eine Betretbarkeit ist nur gegeben, wenn ein erwachsener Mensch mit Durchschnittsgröße in aufrechter Haltung mühelos in die bauliche Anlage gelangen kann und erfordert im Regelfall eine lichte Höhe von 2,00 m; darunter kann eine Betretbarkeit lediglich im Einzelfall bei Gebäuden aus „früherer Zeit“ zu bejahen sein (vgl. BeckOK BauordnungsR Bayern/Spannowsky, 32. Ed. 1.11.2019, BayBO Art. 2 Rn. 21, beck-online; Busse/Kraus/Dirnberger, 156. EL Dezember 2024, BayBO Art. 2 Rn. 251, beck-online). Die Metallkonstruktion weist eine Traufhöhe von 1,32 m und eine Firsthöhe von 1,45 m auf, so dass es an einer Betretbarkeit fehlt.
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Von der Metallkonstruktion geht auch keine gebäudeähnliche Wirkung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO aus.
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Ob eine Anlage oder Einrichtung eine gebäudeähnliche Wirkung hat, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung des Zwecks des Abstandsflächenrechts, v.a. eine ausreichende Belichtung und Belüftung des Baugrundstücks und der Nachbargrundstücke zu gewährleisten, zu entscheiden. Neben der für die Beurteilung in erster Linie maßgebenden Größe der Anlage oder Einrichtung können auch die Art der Bauausführung, das verwendete Material und die Nutzung der Anlage von Bedeutung sein (vgl. BayVGH, B.v. 12.11.2001 – 2 ZB 99.3484 – juris; HessVGH, B.v. 22.2.2010 – 4 A 2410/08 – juris; Schwarzer/König/Laser, 5. Aufl. 2022, BayBO Art. 6 Rn. 31, beck-online). Aus der Freistellung von Stützmauern und geschlossenen Einfriedungen mit einer Höhe bis zu zwei Metern in Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO ergibt sich, dass jedenfalls eine Höhe einer Anlage von über zwei Metern regelmäßig eine gebäudeähnliche Wirkung auslöst (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2020 – 15 ZB 18.946 –, Rn. 12, juris). Zwar hat der bayerische Landesgesetzgeber auf eine beispielhafte Aufzählung von Anlagen, denen keine gebäudeähnliche Wirkung zukommt, verzichtet. Gleichwohl können die Regelungen der Bauordnungen anderer Länder zumindest einen gewichtigen Anhaltspunkt für die Beurteilung geben (vgl. Busse/Kraus/Kraus, 156. EL Dezember 2024, BayBO Art. 6 Rn. 40, beck-online). So sind nach § 6 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 der Hessischen Bauordnung (HBO) keine Wirkungen wie von Gebäuden bei Abfalleinrichtungen bis zu 1,50 m Höhe über der Geländeoberfläche anzunehmen.
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Die Metallkonstruktion mit Pultdach weist eine maximale Höhe von 1,45 m, eine Länge von 4,30 m und eine Breite von 0,70 m auf und wird zur Holzlagerung genutzt. Das Höhe des Daches fällt von der Grundstücksgrenze des Antragstellers aus ab, so dass die – ohnehin geringe – Tiefe von 0,70 m nicht massiv ins Auge fällt. Hinzu kommt, dass sich auf dem Grundstück des Antragstellers im maßgeblichen Grenzbereich eine dichte Heckenbepflanzung befindet, die die Metallkonstruktion höhenmäßig deutlich überragt (vgl. Lichtbilder, Bl. 48, 50 und 52 d. Schriftverkehrsakte). Von der Optik und Nutzungsintensität ist die Anlage vergleichbar mit einem „Mülltonnenhäuschen“. Eine gebäudeähnliche Wirkung ist daher unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und der Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts zu verneinen.
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cc) Die zur Genehmigung gestellte Garage hält folglich mit einer Wandhöhe von weniger als 3 m und einer Länge von 6 m die Anforderungen des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO ein.
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b) Die in Ziffer II.a. des Bescheides erteilte Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von § 2 Abs. 1 Satz 1 GaStellV verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
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Hinsichtlich des Nachbarschutzes ist bei bauordnungsrechtlichen Abweichungen gem. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO zu differenzieren: Bei einer Abweichungszulassung von einer nachbarschützenden Norm begründet jeder Fehler bei der Anwendung des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO eine Nachbarrechtsverletzung. Ist hingegen eine Abweichung von einer den Nachbarn nicht schützenden Norm zugelassen worden, richtet sich der Nachbarschutz über die gem. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO geforderte „Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange“ nach denselben Maßstäben bzw. Abwägungskriterien wie beim bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2021 – 15 CS 21.2449, BeckRS 2021, 34528 Rn. 19, beck-online, m.w.N.).
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aa) § 2 Abs. 1 Satz 1 GaStellV vermittelt mangels Schutznormqualität keinen unmittelbaren Nachbarschutz. Die Vorschrift legt eine Mindestlänge von Zu- und Abfahrten zwischen Garagen und öffentlichen Verkehrsflächen von 3 m fest. Grund für diese Regelung ist die Notwendigkeit einer freien Sicht bei der Ausfahrt aus einer Garage. Der Fahrzeuglenker muss, ohne sich bereits mit dem Fahrzeug innerhalb des öffentlichen Straßenraums zu befinden, erkennen können, ob eine sichere Einfahrt möglich ist (vgl. Busse/Kraus/Dirnberger, 156. EL Dezember 2024, GaStellV § 2 Rn. 56, beck-online). Eine Abweichung von der Mindestlänge kann nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GaStellV gestattet werden, wenn wegen der Sicht auf die öffentliche Verkehrsfläche keine Bedenken bestehen. Die Vorschrift dient demnach nicht dem Nachbarschutz, sondern dem allgemeinen öffentlichen Interesse an der Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs (vgl. VG Regensburg, U.v. 3.7.2024 – RN 6 K 23.1911, m.w.N.)
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bb) Dass die erteilte Abweichung (Verkürzung des Abstandes zwischen Garage und öffentlicher Verkehrsfläche von 3 m auf 2,25 m) zu einer nachbarrechtswidrigen, unzumutbaren Beeinträchtigung für den Antragsteller führt, vermag das Gericht nicht zu erkennen.
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Die Grundstücke des Beigeladenen und des Antragstellers liegen in einer Sackgasse mit Wendehammer in einem Wohngebiet, in dem die Geschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt ist und in der nach den Angaben der Polizeiinspektion Neustadt a. d. Waldnaab kein Durchgangsverkehr vorhanden ist. Gerade in solchen Stichstraßen kommt die Erteilung einer Abweichung in Betracht (vgl. Busse/Kraus/Dirnberger, 156. EL Dezember 2024, GaStellV § 2 Rn. 58, beck-online). Es ist nicht ersichtlich, dass durch die Situierung der Garage das Sichtfeld des Antragstellers bei der Ausfahrt aus seinem Grundstück unzumutbar beeinträchtigt würde, da die Garage nicht über die nördliche Flucht des Wohnhauses des Antragstellers hinausgehend errichtet werden soll. Die vorliegende Ein- und Ausfahrtssituation erfordert aufgrund der Ecklage ohnehin eine besondere Vorsicht. Im Übrigen hat sich nach § 10 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) derjenige, der aus einem Grundstück auf die Fahrbahn einfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen. Der Antragsteller hat keinen Rechtsanspruch, dass Nachbarn ihre baulichen Anlagen so situieren, dass eine Ausfahrt mit möglichst freier Sicht gegeben ist (vgl. VG Regensburg, U.v. 11.5.2023 – RO 7 K 20.2170).
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c) Aus der in Ziffer II.b. erteilten Abweichung von Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO resultiert ebenfalls keine Rechtsverletzung des Antragstellers.
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aa) Zutreffend ist, dass die streitgegenständliche Garage mit einer Länge von 6 m zusammen mit der an der östlichen Grenze des Baugrundstücks vorhandenen Bebauung mit einer Länge von 14,225 m die nach Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO zulässige Länge von 15 m überschreiten.
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bb) Diese Beschränkung der Gesamtlänge entfaltet jedoch keinen unmittelbaren Drittschutz zugunsten des Antragstellers. Das Gericht folgt der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2 .Februar 2009, Az. 3 S 2875/08, der bei der inhaltlich vergleichbaren Regelung des § 6 Abs. 1 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg davon ausgeht, dass nur die Festsetzung, dass die Grenzbebauung entlang der eigenen Grundstücksgrenze des Nachbarn eine Länge von 9 m nicht überschreiten darf, nachbarschützend ist, nicht aber die Regelung, dass die (Gesamt-)grenzbebauung entlang aller Nachbargrenzen 15 m nicht überschreiten darf (vgl. VG Regensburg, B.v. 7.8.2014, RO 7 S 14.1204; Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Art. 6 BauO BY, Rn. 307).
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Die Längenbegrenzung soll ausweislich der Gesetzesbegründung „Einmauerungseffekten“ vorbeugen (vgl. LT-Drs. 15/7161, S. 44) und dient somit städtebaulichen Zielen und nicht dem Schutz individueller Nachbarrechte. Die Norm unterscheidet sich von den übrigen abstandsflächenrechtlichen Regelungen, die darauf abzielen, einzelne Nachbarn vor Beeinträchtigungen der Belichtung, Besonnung, Belüftung sowie des Wohnfriedens zu schützen.
38
Zudem ist der grundsätzliche Drittschutz des Abstandsflächenrechts auf eine subjektive Betroffenheit beschränkt. Ein Nachbar kann sich gerade nicht auf eine Rechtsverletzung an einer anderen Grundstücksgrenze berufen, weil er dadurch nicht in seinen eigenen Rechten betroffen ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2000 – GrS 1/1999 –, Rn. 20, juris). Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO regelt die Gesamtlänge abstandsflächenrechtlich privilegierter Grenzbauten auf dem gesamten Baugrundstück, unabhängig davon, welche Grundstücksgrenzen betroffen sind. Damit fehlt es an einer unmittelbaren Betroffenheit des Nachbarn, wenn die 15-Meter-Grenze an einer anderen Grundstücksgrenze überschritten wird.
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cc) Die erteilte Abweichung (Überschreitung der maximal zulässigen Länge der Abstandsflächentiefe gegenüber Grundstücksgrenzen nicht einhaltenden Bebauung [20,23 m statt 15,00 m]) erweist sich gegenüber dem Antragsteller nicht als rücksichtslos.
40
Die Ausführungen unter Ziffer II.2.b) zugrunde gelegt richtet sich der Nachbarschutz nach dem Gebot der Rücksichtnahme.
41
An der Grundstücksgrenze zum Antragsteller werden die Anforderungen des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO eingehalten (s.o.) und es nicht erkennbar ist, inwieweit sich die auf der gegenüberliegenden Grundstücksseite des Vorhabengrundstücks liegenden Grenzbauten in einem Abstand von über 15 m negativ auf das Antragstellergrundstück auswirken könnten.
42
d) Im Übrigen ist ein Verstoß gegen andere nachbarschützende Vorschriften, insbesondere das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
43
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war daher abzulehnen.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entsprach nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, da dieser keinen Antrag gestellt hat und somit kein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5. und 9.7.1. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.