Inhalt

LG München I, Endurteil v. 25.04.2025 – 3 HK O 9060/24
Titel:

Abmahnungspauschale, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Gesonderte Erklärung, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch, Versicherungsvertrag, Ordnungshaft, Versicherungsnehmer, Gesonderte Unterschrift, Unterlassungsantrag, Unterlassungspflicht, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Sicherheitsleistung, Verbraucherverband, Verbraucherversicherungsvertrag, Marktverhaltensregel, Widerrufsbelehrung

Schlagworte:
Unterlassungsklage, Beratungsverzicht, Verbraucherrecht, Wettbewerbsverstöße, Abmahnungspauschale, Textformanforderung, Kostenentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13460

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, mit Verbrauchern Versicherungsverträge zu schließen und dabei einen Verzicht des Verbrauchers auf eine Beratung einzuholen, wenn dieser Verzicht nicht vom Verbraucher gesondert erklärt wird, wie geschehen im Schreiben der Beklagten an die Verbraucherin nach Anlage K1.
2. Der Beklagten wird für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 1 genannte Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 € (ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Wochen) oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken am Geschäftsführer der Beklagten, angedroht.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 243,51 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 23.08.2024 zu bezahlen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
5. Das Urteil ist hinsichtlich der Ziffer 2. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 €, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht mit der am 23.08.2024 zugestellten Klage einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend.
2
Der Kläger ist ein qualifizierter Verbraucherverband im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, der in die Liste nach § 4 des Unterlassungsklagegesetzes eingetragen ist.
3
Die Beklagte gehört zu dem und bietet unter anderem Versicherungsleistungen im Zusammenhang mit dem Kraftfahrzeugverkehr an.
4
Im April 2024 erhielt die Zeugin das als Anlage K1 vorgelegte Werbeschreiben der Beklagten für den Versicherungtarif Unfallschutz exklusiv“. Vorgesehen war, dass der Versicherungsvertrag zustande kommt, wenn der Verbraucher die Überweisung durch Zeichnung des dem Schreiben beigefügten Überweisungsträger vornimmt (Anlage K2).
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Das Schreiben enthält im Fließtext auf Seite 2 folgenden, durch Umrahmung grafisch hervorgehobenen Hinweis:
Beratungsverzicht: im Rahmen dieses Abschlusses verzichte ich auf eine persönliche oder telefonische Beratung. Selbstverständlich können Sie bei Fragen weiterhin auf uns zukommen.
Wir weisen Sie aufgrund gesetzlicher Vorgaben darauf hin, dass sich ein Verzicht negativ auf ihre Möglichkeit auswirken kann, gegen uns als Versicherer einen Schadensersatzanspruch im Hinblick auf eine Verletzung der Beratungs- und Dokumentationspflicht geltend zu machen.
6
Mit Anwaltsschreiben vom 06.06.2024 (Anlage K4) ließ der Kläger die Beklagte abmahnen und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern, was erfolglos blieb.
Der Kläger ist der Ansicht,
der geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei aufgrund §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG begründet, da in dem Schreiben nicht vorgesehen sei, dass der Beratungsverzicht durch gesonderte Erklärung erklärt werde. Bei § 6 Abs. 3 VVG handele es sich um eine Marktverhaltensregel im Sinne des § 3a UWG.
7
Der Anspruch auf Zahlung der Abmahnungpauschale folge aus § 13 Abs. 3 UWG.
8
Der Kläger hat auf Hinweis des Gerichts im Termin folgende Anträge gestellt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, mit Verbrauchern Versicherungsverträge zu schließen und dabei einen Verzicht des Verbrauchers auf eine Beratung einzuholen, wenn dieser Verzicht nicht vom Verbraucher gesondert erklärt wird, wie geschehen im Schreiben der Beklagten an die Verbraucherin nach Anlage K1.
2. Der Beklagten wird für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 1 genannte Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 € (ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Wochen) oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken am Geschäftsführer der Beklagten, angedroht.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 243,51 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
9
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung
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Die Beklagte trägt vor,
der Unterlassungsanspruch bestehe nicht, weil der Beratungsvertrag ausdrücklich im Anschreiben aufgenommen und durch einen separaten Kasten sowie die in Fettdruck hervorgehobene Überschrift „Beratungsverzicht“ für den Kunden deutlich erkennbar sei. Zudem sei bei Verträgen im Rahmen des Fernabsatzes eine Erklärung in Schriftform nicht erforderlich, erst recht nicht eine Erklärung im Rahmen eines gesonderten Dokuments.
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Bestritten werde, dass die geltend gemachte Pauschale dem durchschnittlichen Personalaufwand für eigene Abmahnungen entspreche. Da darüber hinaus zwei von in der Abmahnung insgesamt enthaltenen drei geltend gemachten Verstößen nicht mehr aufrechterhalten worden seien, könne der Kläger auch nicht die Abmahnungspauschale in voller Höhe verlangen.
12
Zur Ergänzung des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
13
Die zulässige Unterlassungsklage ist gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3, 3 Abs. 1, 3a UWG in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG begründet.
14
Bei § 6 Abs. 3 VVG handelt es sich um eine gesetzliche Vorschrift, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Die Vorschrift dient dem Schutz des Verbrauchers. So sollen die Beratungspflichten des § 6 VVG dem individuellen Beratungsbedarf des Versicherungsnehmers im Einzelfall Rechnung tragen (Langheid/Wandt/Armbrüster, 3. Aufl. 2022, VVG § 6 Rn. 1, beck-online). Das Erfordernis einer gesonderten Verzichtserklärung soll dem Verbraucher die Bedeutung seiner Erklärung bewusst vor Augen führen (BT-Drs. 16/3945).
15
Das Erfordernis einer „gesonderten Erklärung“ ist dahingehend auszulegen, dass der Beratungsverzicht entweder durch gesonderte, d.h. nach allgemeinem Sprachgebrauch (ab) getrennte oder separate, schriftliche Unterschrift (im Falle des § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG) oder durch gesonderte in Textform abzugebende Erklärung im vorgenannten Sinne (im Falle des § 6 Abs. 3 Satz 2 VVG) abzugeben ist. Die zu unterzeichnende Formulierung muss vom übrigen Fließtext gestalterisch getrennt und vom Versicherungsnehmer separat zu unterzeichnen sein (Langheid/Rixecker/Rixecker, 7. Aufl. 2022, VVG § 6 Rn. 28, beck-online).
16
So fehlt es in analoger Weise auch an einer „gesonderten Unterschrift“ im Sinne des § 1b Abs. 2 Satz 3 AbzG, wenn die Unterschrift sich nicht nur auf die Widerrufsbelehrung, sondern zugleich auf die Bestätigung der Aushändigung einer Vertragsabschrift sowie der Belehung selbst bezieht BGH, GRUR 1993, 66). Selbiges gilt auch nach BGH, Urteil vom 27-04-1988 – VIII ZR 84/87 für den Fall einer „gesonderten“ Erklärung der Mithaftung in einem Leasingvertrag.
17
Vorliegend konnte die Erklärung des Beratungsverzichts nicht durch gesonderte Unterschrift bzw. durch gesonderte Erklärung in Textform abgegeben werden, sondern war nur grafisch innerhalb des Fließtextes hervorgehoben. Dies genügt den Anforderungen § 6 Abs. 3 VVG, wie gezeigt, nicht.
18
Die Kammer ist allerdings der Ansicht, dass die gesonderte Erklärung nicht im Rahmen eines gesonderten Dokuments abzugeben ist. Für diese zum Teil in der Literatur vertretene Auffassung (Nachweise vgl. Langheid/Wandt/Armbrüster, 3. Aufl. 2022, VVG § 6 Rn. 178, beck-online) können nach Ansicht des Gerichts dem Gesetzeswortlaut keine belastbaren Anhaltspunkte entnommen werden.
19
Der Kläger hat auf Anregung des Gerichts im Termin, den Unterlassungsantrag klarstellend dahingehend zu ändern, dass das Wort „ausdrücklich“ durch „gesondert“ ersetzt wird, den Unterlassungsantrag entsprechend geändert. Da die Bedeutung der im Gesetz verwendeten Formulierung „gesondert“ nicht zweifelhaft ist, kann vorliegend der Gesetzeswortlaut im Antrag übernommen werden (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, 43. Aufl., § 12 UWG Rn. 1.40a mwN).
II.
20
Der Anspruch auf Zahlung der Abmahnungspauschale in Höhe von 243,51 € brutto ergibt sich aus § 13 Abs. 3 UWG. Einem Verband ist es zuzumuten, typische und durchschnittliche schwer zu verfolgende Wettbewerbsverstöße selbst abzumahnen. In diesen Fällen kommt nur ein Anspruch auf anteiligen Ersatz der Personal- und Sachkosten in Form einer Kostenpauschale in Betracht. Die Höhe kann vom Gericht nach § 287 Abs. 1 ZPO geschätzt werden (Köhler/Bornkamm/Feddersen § 13 UWG Rn. 132). Die vom Kläger geltend gemachte Pauschale ist angemessen und liegt unter der Pauschale, die die Rechtsprechung bei anderen Wettbewerbsverbänden zugesprochen hat (Nachweise vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen aaO).
21
Der Umstand, dass vorliegend der Kläger die Abmahnung an einen Rechtsanwalt „ausgelagert“ hat, lässt den Anspruch nicht entfallen. So entsteht dem Kläger letztlich derselbe – und nicht nur ein fiktiver – Kostenaufwand; die Beklagte wird durch diese Handhabung nicht benachteiligt.
22
Die Kostenpauschale ist auch in voller Höhe zu zahlen, wenn, wie hier, die Abmahnung eines Verbandes nur teilweise berechtigt war, weil sich die Höhe der Pauschale nicht nach der Anzahl oder Schwere der abgemahnten Verstöße richtet, sondern nach dem entstandenen Aufwand (BGH WRP 1999, 503).
23
Der Ausspruch zur Verzinsung folgt aus § 291 BGB.
III.
24
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 PO.
Streitwert: § 51 Abs. 2 GKG.es