Inhalt

OLG München, Beschluss v. 06.06.2025 – 16 UF 108/25 e
Titel:

Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts eines Kindes infolge gerichtlicher Umgangsregelung

Normenketten:
GG Art. 6 Abs. 2
BGB § 1671, § 1684 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1, S. 3
FamFG § 70 Abs. 2, § 81 Abs. 1, § 84, § 156 Abs. 1 S. 3
FamGKG § 40, § 45
Leitsätze:
1. In von Amts wegen geführten Kindschaftsverfahren hat der Rechtsmittelführer im Interesse des Kindeswohls eine Schlechterstellung durch die Entscheidung über die Beschwerde hinzunehmen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine gerichtliche Umgangsregelung kann im Ergebnis dazu führen, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht mehr bei dem bislang betreuenden, sondern bei dem anderen Elternteil liegt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Veränderung der Betreuungsanteile der Eltern erfolgt ausschließlich im Umgangsverfahren durch eine Regelung des Umgangs beider Eltern im Rahmen der tatsächlichen Ausübung der elterlichen Sorge, ohne dass es einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und damit eines Eingriffs in den Sorgestatus bedarf. Dessen Regelung ist lediglich dann erforderlich, wenn ein Umzug des Kindes zusammen mit einem Elternteil beabsichtigt ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Umgangsrecht, Umgangspflegschaft, Kindeswille, elterliche Sorge, Neuaufteilung der Betreuungsanteile, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Veränderung der Betreuungsanteile, Unverhältnismäßigkeit eines Sorgerechtseingriffs, Verbot der reformatio in peius, Bindungstoleranz, Wohlverhaltenspflicht, Anordnung von Erziehungsberatung
Vorinstanz:
AG Erding, Beschluss vom 18.12.2024 – 206 F 507/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13206

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Erding vom 18.12.2024 (Az. 206 F 507/23) wird abgeändert. Die Betreuungszeiten des gemeinsamen Sohns …, geb. am ... 04.2015 durch die Antragsgegnerin werden wie folgt geregelt:
1.1 Am Montag, den 09.06.2025 von 10:00 Uhr bis 14:00 Uhr.
1.2 Am Montag, den 16.06.2025 von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr.
1.3 Ab dem 20.06.2025 in den ungeraden Wochen von Freitag 13:00 Uhr bzw. nach Schulschluss bis Montag 08.00 Uhr bzw. bis Schulbeginn.
1.4 In den geraden Wochen, beginnend ab dem 26.06.2025 findet ein telefonischer Kontakt zwischen der Antragsgegnerin und … donnerstags in der Zeit von 18:00 Uhr bis 18:30 Uhr statt. Der Antragsteller ist verpflichtet, sicherzustellen, dass … zu dieser Zeit erreichbar ist und ohne seine Anwesenheit mit der Antragsgegnerin sprechen kann.
2. Die Übergaben erfolgen jeweils auf dem Gelände der von … besuchten Schule. Die Übergaben unter Ziff. 1.1 und 1.2 werden durch die Umgangspflegerin begleitet.
3. Im Übrigen verbleibt es hinsichtlich der Betreuungszeiten in den Ferien bei der Regelung gemäß Beschluss des Amtsgerichts vom 18.12.2024, Ziff. 1. C) (3) mit der Maßgabe, dass der Abholort auch hier die Schule ist. Auch die Regelungen Ziff. 3 und 4 dieses Beschlusses bleiben aufrechterhalten mit der Maßgabe, dass die in Ziff. 3 genannte Verpflichtung nicht die Antragsgegnerin, sondern den Antragsteller trifft.
4. Eine gemeinsame Beratung beider Eltern an einer durch das Kreisjugendamt … vorgeschlagenen Beratungsstelle wird angeordnet. Beide Beteiligte haben die Terminvereinbarung und die Wahrnehmung des ersten Termins dem Amtsgericht – Familiengericht – Erding bis spätestens 31.07.2025 nachzuweisen.
5. Die gemäß Ziff. 5 des Beschlusses des Amtsgerichts angeordnete Umgangspflegschaft bleibt aufrechterhalten mit der Maßgabe, dass der Wirkungskreis der Umgangspflegschaft um die Begleitung der Übergaben nach Ziff. 1.1 und 1.2 und ggf. weiterer Übergaben, soweit erforderlich, erweitert und sie bis 20.06.2026 verlängert wird.
6. Bei jedem Fall der zu vertretenden Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Regelung des Umgangsrechts kann das Gericht gegenüber dem Verpflichteten ein Ordnungsgeld in Höhe von jeweils bis zu 25.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft für eine Dauer von bis zu 6 Monaten anordnen. Verspricht die Anordnung von Ordnungsgeld keinen Erfolg, so kann das Gericht sofort Ordnungshaft für eine Dauer von bis zu 6 Monaten anordnen. Weiterhin kann das Gericht zur Vollstreckung unmittelbaren Zwang anordnen, wenn die Festsetzung von Ordnungsmitteln erfolglos geblieben ist, die Festsetzung von Ordnungsmitteln keinen Erfolg verspricht oder eine alsbaldige Vollstreckung unbedingt erforderlich erscheint.
7. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden hälftig geteilt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
8. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.
9. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten sind die seit ... 06.2024 rechtskräftig geschiedenen, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern des Kindes …, geb. am ... 04.2015. Nach der Trennung im Dezember 2022 hatte … seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Haushalt der Antragsgegnerin. Bis April 2023 hatte der Antragsteller regelmäßig Umgang mit …, bis dieser ihn wegen angeblicher Gewalt durch den Antragsteller verweigerte. Am 22.05.2023 schlossen die Beteiligten im Verfahren 206 F 201/23 vor dem Amtsgericht eine Vereinbarung, in der sie sich verpflichteten, Erziehungsberatung unter Einbeziehung von … wahrzunehmen und zusammen mit der Verfahrensbeiständin eine Umgangsregelung zu entwickeln. Dies erfolgte durch schriftliche Vereinbarung vom 31.05.2023, in der Umgang freitags nach der Schule bis zum Abendessen vereinbart wurde. Ab dem 31.07.2023 wurde der Umgang durch die Antragsgegnerin wegen erneuter angeblicher Gewalt des Antragstellers gegen … ausgesetzt. Mit Antrag vom 09.10.2023 beantragt der Antragsteller im gegenständlichen Verfahren die Regelung des Umgangs zwischen ihm und dem Kind in den ungeraden Kalenderwochen von Donnerstag nach der Schule bis Montag Schulbeginn und in den geraden Kalenderwochen von Donnerstag nach Schulende bis Freitag Schulbeginn. Im Verfahren 206 F 506/23 zur Regelung einer einstweiligen Anordnung schlossen die Beteiligten vor dem Amtsgericht am 06.11.2023 eine Vereinbarung über begleitete Umgänge des Antragstellers mit … bis zur Erledigung der Hauptsache, in welcher ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben wurde. In ihrem Zwischenbericht vom 03.04.2024 führte die Sachverständige aus, dass nach telefonischer Rücksprache mit der Umgangsbegleitung diese eine positive Beziehungsqualität zwischen Vater und Sohn feststellte und … den Wunsch äußerte, mehr Zeit mit dem Vater verbringen zu können. So äußerte sich … auch der Sachverständigen gegenüber anlässlich der Interaktionsbeobachtung am 28.03.2024. Anlässlich der Interaktionsbeobachtung am 10.05.2024 wiederholte … diesen Wunsch und gab ihr gegenüber an, die Antragsgegnerin habe die Telefonnummer des Antragstellers von seinem Handy gelöscht und schimpfe, wenn er mit dem Antragsteller telefonieren wolle (Zwischenbericht vom 16.05.2024). Vor dem Amtsgericht schlossen die Beteiligten am 03.06.2024 erneut eine Zwischenvereinbarung, die unbegleiteten Umgang jeden Freitag von 12:25 bis 15:30 Uhr und Telefonate 2x wöchentlich zum Gegenstand hatte. Zudem wurde eine Umgangspflegschaft eingerichtet. Durch Vermittlung der Umgangspflegerin konnten auf Wunsch des Kindes zwei Übernachtungsumgänge erfolgen, am 06.09.2024 und 13.09.2024. Am 30.09.2024 erstattete die Sachverständige ihr Gutachten, in dem sie Umgang des Antragstellers mit dem Kind 14-tägig von Freitag bis Montag sowie an einem Tag in den dazwischen liegenden Wochen empfahl. Am 01.11.2024 informierte die Antragsgegnerin die Umgangspflegerin, dass … nicht zum Umgang wolle. Sie verbrachte … zur Polizei in Poing. Dort wurde er von der Umgangspflegerin abgeholt und zum Umgang zum Antragsteller gefahren, der ohne Übernachtung aber im übrigen harmonisch in ihrer Begleitung stattfinden konnte. Ein weiterer Umgang fand am 03.11.2024 in Begleitung der Umgangspflegerin statt (Bericht der Umgangspflegerin vom 03.11.2024). Anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 18.11.2024 äußerte die Sachverständige angesichts der Ergebnisse der Begutachtung ihre Verwunderung über diese Entwicklung, aber auch darüber, dass für … trotz der gestellten Diagnosen noch keine Therapie begonnen wurde. Er sei nicht altersgemäß entwickelt (Vermerk vom 18.11.2024). Anlässlich seiner Anhörung am 05.12.2024, die auf Wunsch von … ohne die Verfahrensbeiständin erfolgte, äußerte das Kind, sein Vater sei ein sehr böser Mensch und dass er ihn nicht mehr sehen wolle (Vermerk vom 05.12.2024). Der nächste planmäßige Umgang am 06.12.2024 wurde daher von der Umgangspflegerin begleitet. Vor dem Klassenzimmer hätte jedoch neben dem Antragsteller auch die Mutter der Antragsgegnerin gewartet. … habe sich zu einem Besuch des Spielplatzes bereit erklärt und seinen Vater durch eine spontane Umarmung herzlich begrüßt. Beide spielten unbeschwert und der Antragsteller brachte ihn zur Antragsgegnerin zurück. Der Umgang wurde durch die Großmutter ms. gestört (Bericht der Umgangspflegerin vom 06.12.2024).
2
Mit Beschluss vom 18.12.2024 regelte das Amtsgericht – Familiengericht – Erding den Umgang des Antragstellers mit dem gemeinsamen Kind … wie folgt:
„Der Umgang des Antragstellers mit dem gemeinsamen Kind … geboren am ... 04.2015, wird wie folgt geregelt: a) Ein persönlicher Umgang findet an den Wochenenden in den ungeraden Kalenderwochen von Freitag nach der Schule bis Montag vor Schulbeginn statt. Diese Wochenendumgänge beginnen in der Kalenderwoche 1/2025.
Der Antragsteller holt … am Freitag auf eigene Kosten an der Schule ab und bringt ihn am Montag wieder dorthin zurück. Die Antragsgegnerin hat hierbei nicht anwesend zu sein. An Schließ- oder Krankheitstagen (bei Transportfähigkeit des Kindes) erfolgen die Abholung am Freitag um 13:00 Uhr und/oder die Rückgabe am Montag um 09:00 Uhr am Wohnort der Antragsgegnerin (gegenwärtig …).
b) Ein persönlicher Umgang findet in den geraden Kalenderwochen von Donnerstag nach der Schule bis Freitag vor Schulbeginn statt. Dieser zusätzliche Umgang beginnt in der Kalenderwoche 2/2025. Der Antragsteller holt … auf eigene Kosten an der Schule ab und bringt ihn wieder dorthin zurück. Die Antragsgegnerin hat hierbei nicht anwesend zu sein. An Schließ- oder Krankheitstagen (bei Transportfähigkeit des Kindes) erfolgen die Abholung am Donnerstag um 13:00 Uhr und/oder die Rückgabe am Freitag um 09:00 Uhr am Wohnort der Antragsgegnerin (gegenwärtig …).
c) In den bayerischen Schulferien (hierbei teilweise abweichend von a) bis b) und den dortigen Regelungen insoweit vorgehend) findet ein persönlicher Umgang wie folgt statt:
(1) Weihnachtsferien: 20.12.2024 – 25.12.2024. Der Antragsteller holt … am Freitag auf eigene Kosten an der Schule ab. Die Antragsgegnerin hat hierbei nicht anwesend zu sein. Bei einem Krankheitstag (bei Transportfähigkeit des Kindes) erfolgt die Abholung um 13:00 Uhr am Wohnort der Antragsgegnerin (gegenwärtig …). Die Rückführung erfolgt am 25.12.2024 um 15:00 Uhr am Wohnort der Antragsgegnerin (gegenwärtig ….“
(2) Jeweils in den gesamten Herbstferien. Der Antragsteller holt … am Freitag vor den Ferien auf eigene Kosten an der Schule ab und bringt ihn am Montag wieder dorthin zurück. Die Antragsgegnerin hat hierbei nicht anwesend zu sein. Die Abholung erfolgt hierbei jeweils nach der Schule, an Schließ- oder Krankheitstagen (bei Transportfähigkeit des Kindes) um 13:00 Uhr am Wohnort der Antragsgegnerin (gegenwärtig …). Eine Rückführung erfolgt dann jeweils am Sonntag um 15:00 Uhr am Wohnort der Antragsgegnerin (gegenwärtig …).
(3) In den übrigen Ferien mit Ausnahme der Faschingsferien erfolgt grundsätzlich eine hälftige Teilung der Betreuungszeiten, wobei der Antragsteller … in der jeweils ersten Ferienhälfte, beginnend mit dem Freitag, 13:00 Uhr betreut. Die Abholung erfolgt hierbei jeweils nach der Schule (die Antragsgegnerin hat hierbei nicht anwesend zu sein), an Schließ- oder Krankheitstagen (bei Transportfähigkeit des Kindes) um 13:00 Uhr am Wohnort der Antragsgegnerin (gegenwärtig …). Eine Rückführung erfolgt dann jeweils am Sonntag um 15:00 Uhr am Wohnort der Antragsgegnerin (gegenwärtig …
3
Unter den Ziffern 2-4 wurden flankierende Anordnungen getroffen und unter Ziff. 5 die Umgangspflegschaft angeordnet.
4
Das Amtsgericht begründet seine Entscheidung maßgeblich mit den Feststellungen der Sachverständigen. Der angeordnete Umgang entspreche auch dem Wohl und Willen des Kindes. Zwar habe … in der Anhörung am 05.12.2024 geäußert, seinen Vater nicht mehr sehen zu wollen. Dieser Wille sei aber nicht als zielorientiert, intensiv, stabil und autonom einzuordnen. Er beruhe vielmehr auf einer bewussten oder unbewussten Beeinflussung durch die Antragsgegnerin. Dies ergebe sich aus den vorherigen Willensäußerungen des Kindes, der von den Fachkräften festgestellten positiven Beziehung zum Antragsteller und dem Wissen des Kindes um Vorfälle und Zustände der Eltern, die ausschließlich deren Verhältnis zueinander beträfen.
5
Gegen diesen, der Antragsgegnerin am 19.12.2024 zugestellten Beschluss legte sie mit Schriftsatz vom 20.01.2025, eingegangen beim Amtsgericht Erding am selben Tag, Beschwerde ein, die mit Schriftsatz vom 14.02.2025 begründet wurde.
6
Ziel ihrer Beschwerde ist ein Umgangsausschluss für die Dauer von sechs Monaten. Die Antragsgegnerin befürworte den Umgang des Kindes mit dem Antragsteller. … wehre sich jedoch massiv gegen den Umgang, nässe ein und müsse sich übergeben. Er wolle nicht mehr zur Schule gehen aus Angst, dort vom Antragsteller abgeholt zu werden. Sein Wille sei autonom, intensiv und stabil.
7
Der Antragsteller befürwortet die Entscheidung des Amtsgerichts, aber auch einen möglichen Wechsel des Kindes in seinen Haushalt. Nach der Trennung der Eltern habe er regelmäßig Umgang gehabt. Erst als er von einem möglichen Wechselmodell gesprochen habe, sei der Umgang abgebrochen worden. Sowohl die sich daran anschließenden begleiteten Umgangskontakte, als auch die unbegleiteten seien harmonisch und unproblematisch verlaufen.
8
Die Verfahrensbeiständin verwies in ihrem Bericht vom 26.02.2025 auf die hohe Zahl von Fehltagen in der Schule, die … aufzuweisen habe und auf die kinderpsychiatrischen Diagnosen nach dem Gutachten des … vom 29.11.2023, die nicht behandelt würden. Der Wille des Kindes sei massiv manipuliert. Das Kind äußere suizidale Gedanken und habe in der Schule gesagt: „Für meine Mutter würde ich sterben“. Sie empfahl eine ambulante kinderpsychiatrische Behandlung.
9
Auch das Jugendamt hält gemäß Bericht vom 19.03.2025 eine therapeutische Anbindung von … für zwingend erforderlich.
10
… wurde durch den Senat am 08.04.2025 persönlich in Anwesenheit der Verfahrensbeiständin angehört. Er lehnte den Kontakt zum Antragsteller ab. Auf den Inhalt des Vermerks vom 08.04.2025 im Verfahren 16 UF 108/25 wird Bezug genommen.
11
Mit Verfügung vom 25.03.2025 leitete der Senat ein Verfahren zur Regelung des Umgangs im Wege der einstweiligen Anordnung ein (16 UFH 1/25e). Nach Anhörung aller Beteiligten erging am 07.05.2025 eine geänderte Regelung der Betreuungszeiten wie folgt:
„1. Der Umgang des Antragstellers mit dem gemeinsamen Sohn … geb. am ... 04.2015 wird ab 07.05.2025 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache wie folgt geregelt:
Der Antragsteller hat Umgang mit dem Kind von 08.05.2025 vormittags, spätestens nach Schulschluss bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 20.06.2025 13:00 Uhr.
2. Der Wirkungskreis der durch Beschluss des Amtsgerichts vom 18.12.2024 angeordneten Umgangspflegschaft umfasst zusätzlich, … am 07.05.2025 oder einem nachfolgenden Schultag, an dem … die Schule besucht, von der Schule abzuholen und an den Antragsteller zu übergeben. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, sich am Tag der Abholung nicht an der Schule aufzuhalten und dafür Sorge zu tragen, dass sich auch ihre Eltern dort nicht aufhalten.
3. Beginnend mit dem 20.06.2025, 13 Uhr, hat die Antragsgegnerin Umgang mit … an jedem zweiten Wochenende von Freitag nach Schulschluss bis Montag zur Schule."
12
Auf den Inhalt dieses Beschlusses wird Bezug genommen.
13
Nach Erlass des Beschlusses erfolgte die Abholung von … durch den Vater mit Hilfe der Umgangspflegerin und der Sachverständigen am 08.05.2025. … befindet sich seither in Obhut des Antragstellers.
14
Die Verfahrensbeiständin führte am 23.05.2025 einen Hausbesuch beim Antragsteller durch. Sie konnte … sprechen und ihn in Interaktion mit dem Vater erleben. Auf den Inhalt des Berichts vom 28.05.2025 wird Bezug genommen. Sie empfiehlt regelmäßige Umgangskontakte mit der Mutter und die Installation einer sozialpädagogischen Familienhilfe und/oder einer Erziehungsbeistandschaft.
15
Am 27.05.2025 fand ein Gespräch beider Eltern und … bei der Sachverständigen statt. Die Sachverständige berichtete davon in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2025. Auf diesen Vermerk wird Bezug genommen. Sie empfiehlt die Beibehaltung des durch die einstweilige Anordnung angeordneten Betreuungswechsels.
16
...wurde am 02.06.2025 erneut durch den Senat persönlich angehört. Entgegen seiner vormaligen Haltung war er nun sichtlich entspannter und gab an, sich auch längere Aufenthalte beim Vater vorstellen zu können. Auch wenn er keine genauen Wünsche zu einem bestimmten Betreuungssystem äußerte, gab er an, bei der Antragsgegnerin leben zu wollen.
17
Die Beteiligten wurden im Termin am 04.06.2025 persönlich angehört. Auf den Inhalt des Vermerks wird Bezug genommen. Die Antragsgegnerin hielt die Hauptsache für nicht entscheidungsreif und stellte hierzu keinen Antrag. Der Antragsteller beantragte, die Regelung der einstweiligen Anordnung aufrecht zu erhalten und zunächst begleiteten Umgang des Kindes mit der Antragsgegnerin anzuordnen.
II.
18
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Erding vom 18.12.2024 ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und wurde fristgerecht beim Amtsgericht erhoben, §§ 58, 63, 64 FamFG.
19
2. Die Beschwerde führt zu einer Abänderung und Neuregelung der Betreuungszeiten des Kindes durch die Eltern, wenngleich nicht im Sinne der Beschwerde. Der Senat ist jedoch an einer für die Beschwerdeführerin nachteiligen Regelung nicht gehindert. Ein Verbot der reformatio in peius besteht nicht, da in Kindschaftssachen die Dispositionsmaxime nicht gilt und deshalb von der Rechtsmittelführerin im Interesse des Kindeswohls eine Schlechterstellung durch die Entscheidung über die Beschwerde hinzunehmen ist (BGH FamRZ 2016, 1752).
20
a) Die Neuregelung der Betreuungszeiten führt im Ergebnis dazu, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nicht mehr bei der Antragsgegnerin, sondern beim Antragsteller liegt. Dies stellt gleichwohl eine Regelung des Umgangs und nicht der elterlichen Sorge dar und konnte daher im gegenständlichen Verfahren getroffen werden. Sorgerecht und Umgang sind verschiedene Verfahrensgegenstände, die nach der eindeutigen gesetzlichen Konzeption in eigenständigen Verfahren zu behandeln und entscheiden sind (BGH Beschluss vom 05.03.2025 – XII ZB 88/24 – juris Rn. 13). Während die Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 BGB eine Regelung der rechtlichen Befugnisse der Elternteile enthält, betrifft eine gerichtliche Umgangsregelung die tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge (BGH a.a.O.). Die Sorgerechtsregelung wirkt demnach rechtsgestaltend und bedarf, anders als die Umgangsregelung, keiner Durchsetzung (BGH FamRZ 2024, 950). Vorliegend sollen die tatsächlichen Betreuungszeiten des Kindes durch beide Eltern geregelt werden. Auch wenn die Regelung im Kern nur die Umgangszeiten der Antragsgegnerin mit dem Kind benennt, trifft sie doch inzident auch eine Regelung der Betreuungszeiten bzw. des Umgangs durch den Antragsteller. Das Gesetz macht keine Vorgaben, in welchem Umfang Betreuungszeiten durch die Eltern maximal angeordnet werden können (BGH FamRZ 2017, 532 Rn. 16). Demnach unterliegt auch eine Umkehrung der Betreuungszeiten einer Regelung des Umgangs, nicht der elterlichen Sorge (KG FamRZ 2018, 1329 für die Umkehrung eines Betreuungsmodells von 9 : 5 Tagen in 5 : 9 Tage).
21
Soweit in der bisher noch überwiegenden Praxis der Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes von einem Elternteil zum anderen als Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, demnach der elterlichen Sorge begriffen wird, ist festzuhalten, dass mit der Übertragung dieses Teils der elterlichen Sorge eine Regelung der Betreuungszeiten gerade nicht verbunden ist. Insbesondere beinhaltet die Inhaberschaft des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht zwangsläufig die Betreuung im Residenzmodell (BGH FamRZ 2022, 601 Rn. 13; 2020, 255 Rn. 15). Eine Veränderung der Betreuungsanteile der Eltern erfolgt damit ausschließlich im Umgangsverfahren durch eine Regelung des Umgangs beider Eltern im Rahmen der tatsächlichen Ausübung der elterlichen Sorge, ohne dass es einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und damit eines Eingriffs in den Sorgestatus bedarf. Dessen Regelung ist lediglich dann erforderlich, wenn ein Umzug des Kindes zusammen mit einem Elternteil beabsichtigt ist (Hammer in Anmerkung zu BGH FamRZ 2022, 601). Auch wenn die bisherigen Entscheidungen des BGH ganz überwiegend das Wechselmodell betrafen, ist damit zur Überzeugung des Senats geklärt, dass jede Änderung der Betreuungsverteilung unter den Eltern ausschließlich umgangsrechtlich erfolgt, auch wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes von einem zum anderen Elternteil wechselt (Hammer a.a.O.). Für einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts bestünde demnach kein Rechtsschutzbedürfnis (OLG Frankfurt FamRZ 2023, 289). Der Senat folgt hier der Einschätzung des 6. Senats des OLG Frankfurt, wonach verfassungsrechtliche Erwägungen im Hinblick auf das gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht nur einen verhältnismäßigen Eingriff zulassen (BVerfG FamRZ 2019, 802). Ein Eingriff in die elterliche Sorge – hier das Aufenthaltsbestimmungsrecht – kann jedoch nicht verhältnismäßig sein, wenn er einerseits nicht geeignet ist, die offene Frage der tatsächlichen Betreuungszeiten des Kindes durch den jeweiligen Elternteil zu klären und er andererseits dem durch die Entscheidung begünstigten Elternteil eine höhere Rechtsmacht verleiht, als er bedarf. Wie oben dargestellt beinhaltet die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts keine Aussage zur Aufteilung der Betreuungsanteile. Sie würde es dem Inhaber aber auch ermöglichen, mit dem Kind an einen anderen Ort umzuziehen und geht daher über das Regelungsziel hinaus (OLG Frankfurt FamRZ 2023, 289).
22
b) Gemäß § 1684 Abs. 1 BGB hat das Kind ein Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Das Umgangsrecht eines Elternteils steht unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Es ermöglicht dem umgangsberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Absprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und einer Entfremdung vorzubeugen, sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen (BVerfG FamRZ 1995, 86). Sowohl Sorge- als auch Umgangsrecht erwachsen aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und müssen von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden. Der Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, muss demgemäß grundsätzlich den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ermöglichen. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt. Die Gerichte müssen sich im Einzelfall um eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte bemühen.
23
Das Familiengericht kann gemäß § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln. Mit seiner Entscheidung hat das Familiengericht das Umgangsrecht jedes Elternteils zu gewährleisten, v.a. aber das Wohl des Kindes zu wahren (Münchener Kommentar/Hennemann, 9. Aufl. 2024, § 1684 Rn. 24). Können sich die Eltern über die Häufigkeit des Umgangs nicht verständigen, ist sicherzustellen, dass regelmäßige und nicht zu seltene Kontakte die persönliche Bindung des Kindes zu jedem Elternteil erhalten und fördern (MüKo/Hennemann a.a.O. Rn. 30). Vorliegend hat das Amtsgericht den Umgang des Antragstellers mit dem gemeinsamen Sohn, der sich zu diesem Zeitpunkt seit der Trennung der Eltern bei der Antragsgegnerin befand, geregelt. Diese Regelung hat sich als ungeeignet erwiesen, den Kontakt des Antragstellers zu … aufrecht zu erhalten und den Bindungen des Kindes an seinen Vater gerecht zu werden. Obgleich das Kind während des Verfahrens gegenüber verschiedenen Personen (der Umgangsbegleiterin, der Verfahrensbeiständin, der Umgangspflegerin und der Sachverständigen) äußerte, seinen Vater zunehmend länger sehen zu wollen, konnte ein regelmäßiger Umgang nicht stattfinden, da er durch die Antragsgegnerin unter Berufung auf einen entgegenstehenden kindlichen Willen nicht zugelassen wurde. Der Senat ist angesichts der Entwicklung der kindlichen Willensäußerung davon überzeugt, dass das Kind anlässlich der Anhörung am 05.12.2024 durch das Amtsgericht und am 08.04.2025 durch den Senat nicht seinen wirklichen Willen mitteilte.
24
c) Der vom Kind geäußerte Wille hat nicht nur Erkenntniswert hinsichtlich seiner persönlichen Bindungen auch zum Umgangsberechtigten (vgl. BVerfG FamRZ 2016, 1917; ZKJ 2015, 319; FamRZ 2007, 1078), sondern ist mit zunehmendem Alter als Ausdruck der Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit und damit seiner Selbstbestimmung bedeutsam (§ 1626 Abs. 2 S. 2 BGB; BVerfG ZKJ 2016, 457; JAmt 2009, 201). Nur dadurch, dass der wachsenden Fähigkeit eines Kindes zu eigener Willensbildung und selbständigem Handeln Rechnung getragen wird, kann das mit dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verfolgte Ziel, dass ein Kind sich durch Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln kann, erreicht werden (vgl. BVerfG FamRZ 2008, 1737). Weil der Kindeswille nur insoweit zu berücksichtigen ist, als er dem Kindeswohl entspricht (BVerfG FamRZ 1981, 124; FamRZ 2008, 1737) und in tatsächlicher Hinsicht in Rechnung zu stellen ist, dass ein durch einen Elternteil maßgeblich beeinflusster Kindeswille nicht beachtlich ist (vgl. BGH FamRZ 1985, 169; BVerfG FamRZ 2009, 399), muss das Kind im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit erhalten, seine wirklichen persönlichen Beziehungen zum Umgangsberechtigten erkennbar werden zu lassen (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 1622). Der Wille des Kindes ist beachtlich, wenn er zielorientiert, intensiv, stabil und autonom gebildet wurde. Kennzeichnend für einen autonomen, zielgerichteten Willen ist, dass er Ausdruck der eigenen Bedürfnisse und nicht nur Reaktion auf die gegebenenfalls auch nur vermeintlichen Wünsche eines Elternteils oder einer Bezugsperson ist. Danach muss das Kind eine bestimmte Vorstellung von den Folgen seines Wunsches haben. Ein stabiler Wille setzt voraus, dass eine Willenstendenz über eine gewisse Zeit, auch unter unterschiedlichen Umständen, beibehalten wird. Intensiv ist der Wille, wenn er Ausdruck eines Herzenswunsches, d.h. dem Kind wichtig ist (KG FamRZ 2013, 709). All diese Merkmale können angesichts der Feststellungen und Beobachtungen der am Verfahren beteiligten Fachkräfte und unter Berücksichtigung der Äußerungen des Kindes in zwei Anhörungen durch den Senat nicht festgestellt werden. Anlässlich der Anhörung am 02.06.2025 gab das Kind an, seine Mutter zu vermissen und wieder zu ihr zu wollen. Allerdings gab … auch zum Ausdruck, dass es ihm beim Vater gut gehe und er sich möglicherweise eine paritätische Betreuung vorstellen könne. Angesichts des sehr diversen Aussageverhaltens des Kindes kann seinem geäußerten Willen keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Vielmehr sind die erkennbaren Bindungen und die wahrnehmbaren Erkenntnisse zur Erziehungsfähigkeit der Eltern maßgebend für die Frage, welchem Elternteil die größeren Betreuungsanteile zuzumessen sind.
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d) Während die Kontinuität der bisherigen Betreuung für die Antragsgegnerin als Hauptbezugsperson sprechen würde, spricht die Förderkompetenz eindeutig für eine wesentliche Betreuung des Kindes durch den Antragsteller. Nach den Feststellungen des Kinderpsychiaters … vom 29.11.2023 wurden bei …folgende Diagnosen gestellt: Anpassungsstörung, Konzentrationsstörung, emotionale Störung des Kindesalters, Lese- und Rechtschreibstörung, motorische Entwicklungsstörung. Gleichwohl ist über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr keine therapeutische Anbindung des Kindes durch die Antragsgegnerin veranlasst worden. Als zu Beginn dieses Jahres eine Anbindung versucht wurde, wurde dem Kind durch die Antragsgegnerin signalisiert, dass es wegen des Vaters zur Therapie gehen müsse und es diese eigentlich nicht brauche (Vermerk der Kindesanhörung vom 08.04.2025). Nach Wahrnehmung der Sachverständigen und der Verfahrensbeiständin liegen bei … erhebliche Entwicklungsverzögerungen vor, die durch die Antragsgegnerin nicht angegangen werden. Nach Mitteilung des Jugendamts fehlte … im vergangenen Schuljahr an 30 Tagen. Auch in diesem Schuljahr sind erhebliche Fehlzeiten zu vermerken.
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e) Ausschlaggebend für die Änderung der Betreuungsanteile ist vorliegend jedoch die fehlende Bindungstoleranz der Antragsgegnerin. Sie konnte auch nach Verhängung eines Ordnungsgeldes die von ihr angeblich befürwortete Umgangsregelung nicht zulassen mit der Folge, dass der Antragsteller vom 06.12.2024 bis 07.05.2025 keinen Kontakt zu … hatte. Dass dies nicht am Widerstand des Kindes lag, zeigt die relativ problemlose Übergabe … am 08.05.2025 durch die Umgangspflegerin an den Antragsteller. Der Kontakt des Kindes zum Vater ist für seine persönliche Entwicklung erforderlich. Dies gilt einerseits, da eine enge Bindung beider bei verschiedenen Interaktionsbeobachtungen wahrzunehmen war. Andererseits ist der Kontakt zum Vater für die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung des Kindes – wie oben beschrieben – unbedingt erforderlich, um die offenkundig bei der Mutter bestehenden Defizite aufzufangen. … hat in nur vier Wochen im Haushalt des Vaters eine deutlich positive Entwicklung genommen, die durch alle Fachkräfte, die Schule und den Senat wahrgenommen werden konnte. Es ist – auch angesichts des Prozessverhaltens der Antragsgegnerin – nicht zu erwarten, dass in dieser kurzen Zeit bei ihr ein Umdenken dahingehend stattfand, dass sie künftig einen regelmäßigen Umgang des Kindes mit dem Antragsteller zulassen wird. Die im Rahmen der einstweiligen Anordnung getroffene Entscheidung war daher aufrecht zu erhalten.
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f) Dem steht eine durch die Antragsgegnerin vermutete Aggressivität des Antragstellers gegenüber dem Kind nicht entgegen. Zu Beginn der elterlichen Auseinandersetzung teilte das Kind gegenüber der Verfahrensbeiständin keine väterliche Gewalt mit. Spätere Schilderungen des Kindes zu körperverletzenden Handlungen des Antragstellers werden in keinem größeren Zusammenhang erzählt, sondern sehr knapp geschildert. Auffallend in der Genese der Aussagen des Kindes ist, dass es bei genauerem Nachfragen vorgebrachte Gewaltanwendungen des Vaters relativiert. Anlässlich der ersten Anhörung durch den Senat am 08.04.2025 ließ sich … bei genauerem Nachfragen jedoch sogar dazu verleiten, mögliche Schläge durch den Vater noch häufiger und auch in Anwesenheit der Umgangspflegerin zu schildern, was von dieser verneint wurde. Objektive Anhaltspunkte für körperliche Gewalt durch den Antragsteller liegen dem Senat nicht vor.
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g) Im Sinne der Neuaufteilung der Betreuungsanteile zwischen den Eltern war demnach nun der Umgang der Antragsgegnerin mit dem Kind gemäß § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB zu regeln. Die Antragsgegnerin war jedenfalls seit der Trennung der Beteiligten Hauptbezugsperson für … und … hat offenkundig eine enge Bindung an sie. Diese zu respektieren und aufrechtzuerhalten gebietet das Kindeswohl. Angesichts der gegen den Antragsteller negativen Beeinflussungen des Kindes in der Vergangenheit und einer zwar geäußerten, aber nicht durch eine sichtbare Verhaltensänderung wahrnehmbare positive Einstellung der Antragsgegnerin zu dem Vater-Kind-Kontakt, ist der Aufenthalt des Kindes im Haushalt der Antragsgegnerin noch zeitlich zu beschränken. Im Sinne einer schrittweisen Hinführung sieht die getroffene Regelung zunächst zwei stundenweise Kontakte während der Ferien vor, um dann in einen ausgedehnten Wochenendumgang zu münden. Die Übergaben an den ersten beiden Umgangstagen sind durch die Umgangspflegerin zu begleiten, um ggf. fachlich auf das Befinden des Kindes reagieren zu können. Eine weitergehende Umgangsbegleitung hält der Senat in Anlehnung an die Empfehlung der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich. Ab den Sommerferien dürfte nach derzeitiger Einschätzung des Senats ein normaler Ferienumgang möglich sein. Die Sachverständige sah mittel – bis langfristig auch eine Betreuung von … im Wechselmodell als möglich an. Dies wird die künftige Entwicklung zeigen.
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3. Die Anordnung der Umgangspflegschaft beruht auf § 1684 Abs. 3 Satz 3 BGB. Sie war zur Unterstützung der Eltern weiterhin aufrecht zu erhalten. Der Verlauf des Verfahrens hat gezeigt, dass sich die Eltern mit der Einhaltung der Wohlverhaltenspflicht nach § 1684 Abs. 2 BGB schwer tun.
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4. Die Anordnung der gemeinsamen Beratung beruht auf § 156 Abs. 1 Satz 3 FamFG. Die Beteiligten haben bereits in der Vergangenheit Erziehungsberatung wahrgenommen. Allerdings hat das Gespräch am 27.05.2025 bei der Sachverständigen gezeigt, wie sehr das Kind durch das Erleben seiner Eltern in einem einvernehmlichen Miteinander entspannt wird. Es ist daher im Sinne des Kindeswohls die Aufgabe der Beteiligten hieran weiter zu arbeiten.
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5. Die Entpflichtung der Verfahrensbeiständin – wie im einstweiligen Anordnungsverfahren erneut beantragt, war nicht veranlasst. Auf die Gründe des Beschlusses vom 03.06.2025 wird Bezug genommen. Auch die Äußerung der Verfahrensbeiständin in der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2025 gibt hierfür keinen Anlass. Sie mögen den Interessen der Antragsgegnerin widersprechen, wahren jedoch ausdrücklich die Interessen des Kindes, die mit seinem geäußerten Willen nicht zwingend übereinstimmen müssen.
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6. Die Androhung der Ordnungsmittel beruht auf §§ 89, 90 FamFG.
III.
33
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 81 Abs. 1 FamFG. Die Entscheidung zum Verfahrenswert beruht auf §§ 40, 45 FamGKG.
34
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 70 Abs. 2 FamFG zuzulassen, da die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts insoweit erfordern, als der Senat die Umkehr der Betreuungsanteile im Rahmen einer umgangsrechtlichen Entscheidung traf. Das Verhältnis von sorgerechtlichen und umgangsrechtlichen Regelungen ist gerade nach den Entscheidungen des BGH zur Begründung und Auflösung eines Wechselmodells noch nicht endgültig geklärt, was insbesondere die unterschiedliche Rechtsprechung der verschiedenen Senate des OLG Frankfurt zeigt (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2023, 289). Der Senat überträgt die durch den BGH für das Wechselmodell aufgestellten Grundsätze auf jede Form der Regelung der Betreuungsanteile. Dies geht über die bisher geklärten Fälle hinaus.