Titel:
Öffentliche Zugänglichmachung, Strafzumessung, Kostenentscheidung, Aufhebung, Nationalsozialistische Kennzeichen, Amtsgerichte, Verfassungswidrigkeit, Angefochtenes Urteil, Urteilsgründe, Lange Verfahrensdauer, Keine Feststellung, Facebook, Tatbestandsmerkmal, Verwendung, Sachverhaltsmitteilung, Gesamtstrafe, Gesamtbetrachtung, Weiteres Verfahren, Strafmilderungsgrund, Terroristische Vereinigung
Schlagworte:
Revision, Verbreitungsbegriff, Öffentliche Verwendung, Einziehung von Tatmitteln, Strafzumessung, Verfahrensdauer, Empfängerkreis
Vorinstanz:
AG München, Urteil vom 07.02.2025 – 822 Cs 117 Js 200913/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 13145
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 7. Februar 2025 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts München zurückverwiesen.
Gründe
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1. Die zulässige Revision erweist sich als begründet.
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Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Vereinigungen (§ 86a StGB) nicht.
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a) Zwar hat das Amtsgericht den Inhalt der verfahrensgegenständlichen Abbildung von Adolf Hitler rechtsfehlerfrei als §§ 86a Abs. 1, 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB unterfallend gewürdigt. Auf die umfassende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 8. Mai 2025, der sich der Senat anschließt, wird insoweit verwiesen.
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b) Das amtsgerichtliche Urteil enthält jedoch keine ausreichenden Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal des „Verbreitens“ oder der „öffentlichen Verwendung“ des nationalsozialistischen Inhalts.
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Der Begriff der Verbreitung bezeichnet das öffentliche Zugänglichmachen einer Sache im Sinne der Auslieferung an einen größeren Personenkreis (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 3. Dezember 1986 – Ws 156/86 –, juris, Leitsatz).
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Ein öffentliches Verwenden liegt vor, wenn das nationalsozialistische Kennzeichen selbst oder eine Abbildung davon für jedermann erkennbar offen ausliegt (BGH, Urteil vom 25. Juli 1979 – 3 StR 182/79 (S) –, BGHSt 29, 73-85, zit. nach juris, dort Rn. 19).
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Entsprechendes gilt für die Verbreitung oder Verwendung eines Inhalts i. S. d. § 11 Abs. 3 StGB.
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Das angefochtene Urteilt enthält insoweit lediglich die Feststellung, der Angeklagte habe den gegenständlichen „Sticker“ mittels seines Mobiltelefons „auf der Internetplattform Facebook unter seinem Profilnamen ‚X. Y.‘ veröffentlicht“ (UA S. 3). Im Weiteren teilt das Urteil noch mit, der Angeklagte habe das Bild „gepostet“, seine Absicht sei es gewesen, „ein Statement zu setzen, da er sich über Facebook oft politisch geäußert habe“ (UA S. 4).
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Diese Feststellungen lassen weder erkennen, welcher Personenkreis für welchen Zeitraum von der inkriminierten Abbildung tatsächlich Kenntnis nehmen konnte, noch auf welchen Empfängerkreis sich der Verbreitungsvorsatz des Angeklagten bezog.
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Senatsbekannt ermöglicht die Internetplattform „Facebook“ die Erstellung einer „Profilseite“, die im Internet aufrufbar ist. Auf dieser kann jeder Benutzer von Facebook, zu denen der Angeklagte zählte, sich vorstellen, Dokumente, Fotos und Videos hochladen und dabei auch festlegen, welcher Besucher der von ihm gestalteten Seite was zu sehen bekommt.
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Das angefochtene Urteil lässt jegliche Feststellung dazu vermissen, für wen der vom Angeklagten auf seinem Facebook-Profil „gepostete“ inkriminierte Inhalt tatsächlich sichtbar war. Aus der vom Amtsgericht verwendeten Formulierung, die Abbildung sei vom Angeklagten „veröffentlicht“ worden, die letztlich nur den Gesetzestext wiedergibt, kann jedenfalls nicht auf den (potentiellen) Empfängerkreis geschlossen werden. Sollte es sich nur um eine kleine Gruppe gehandelt haben, könnte es zweifelhaft sein, dass der „Sticker“ damit verbreitet oder öffentlich verwendet wurde (zu einer geschlossenen Whats-App-Gruppe: OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. Juli 2024 – 1 Ws 171/23 –, juris) zumal dem Angeklagten im kleineren Familien- oder Freundeskreis auch der Schutz der Privatsphäre zu Gute kommen könnte (vgl. (Beleidigung in einem Brief eines Strafgefangenen an Familienangehörige) BVerfG, Beschluss vom 17.03.2021, 2 BvR 194/20, zitiert nach juris, Leitsatz und Rn. 32ff.).
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Das angefochtene Urteil war daher mit den ihm zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben und an eine andere Abteilung des Amtsgerichts München zurückzuverweisen, §§ 353, 354 Abs. 2 StPO.
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2. Die Kostenentscheidung war der Endentscheidung vorzubehalten.
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3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Das Amtsgericht hat das vom Angeklagten genutzte Mobilfunktelefon als Tatmittel eingezogen, was grundsätzlich nicht zu beanstanden ist (Lohse in Leipziger Kommentar zum StGB, 14. Aufl. 2024, Rn. 18b zu § 74 m. w. N.). Die Einziehungsentscheidung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (Fischer/Lutz, Kommentar zum StGB, 72. Auflage 2025, Rn. 22 zu § 74). Dass sich dieser dessen bewusst war, sollte aus den Urteilsgründen hervorgehen.
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b) Wird dem Täter durch die Einziehung ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, so ist dieser Wert grundsätzlich zu ermitteln und bei der Gesamtbetrachtung der Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 11.02.2020, 4 StR 525/19, zitiert nach juris, dort Rn. 3; Fischer, a.a.O., Rn. 3, 22 zu § 74; jeweils m. w. N.).
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c) Der nicht unerhebliche Zeitablauf seit der Begehung der Tat am 21. November 2021 hat jedenfalls dann in die Erwägungen zur Strafzumessung einzufließen, wenn die inkriminierten Inhalte nicht dauerhaft sichtbar waren, wozu das angefochtene Urteil keine Feststellungen enthält. Eine lange Verfahrensdauer und ihre nachteiligen Auswirkungen auf den Angeklagten sind nämlich regelmäßig gewichtige Strafmilderungsgründe nach § 46 Abs. 2 StGB bei der Zumessung der Strafe (vgl. z. B. für einen zeitlichen Abstand zwischen Tat und Aburteilung von ca. drei Jahren: BGH, Beschluss vom 02.03.2022, 2 StR 541/21, zitiert nach juris, dort Rn. 6 m. w. N.)
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d) Der neue Tatrichter wird bei der Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 12. Oktober 2022 gegebenenfalls sowohl deren Höhe als auch den Umstand mitzuteilen haben, dass die Strafe noch nicht vollständig vollstreckt ist. Es empfiehlt sich in diesem Falle überdies, den dem Urteil zu Grunde liegenden Sachverhalt mitzuteilen, um insbesondere einen etwaigen engen situativen, sachlichen und zeitlichen Zusammenhang der Taten, welcher bei der Bildung der Gesamtstrafe zu beachten wäre (Fischer, a.a.O., Rn. 7a zu § 54), feststellen oder ausschließen zu können.