Titel:
Formelle Anforderungen an den Beratungsverzicht des Versicherungsnehmers
Normenketten:
VVG § 6 Abs. 3
BGB § 138 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die gesonderte schriftliche Erklärung, mit der der Versicherungsnehmer gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG auf eine Beratung verzichtet, setzt nicht zwingend voraus, dass sie in einer vom Antragsformular körperlich losgelösten eigenen Urkunde erfolgt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass sich die Erklärung und die hierauf bezogene Unterschrift des Versicherungsnehmers deutlich vom übrigen Text des Antrags abheben (entgegen LG Saarbrücken, NJW-RR 2013, 809). (Rn. 13 und 17 – 20)
2. Im Einzelfall kann der Beratungsverzicht Ausdruck eines Verhandlungsungleichgewichts zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer sein und bei einem für den Versicherer offensichtlichen Beratungsbedarf dem Unwirksamkeitseinwand nach § 138 Abs. 1 BGB begegnen. (Rn. 26)
Ein Beratungsverzicht des Versicherungsnehmers kann auch aufgrund einer vorformulierten Erklärung in einem Antragsformular erklärt werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Privatversicherungsrecht, Sonstiges Bürgerliches Recht vorgehend:, Lebensversicherung, Beratungspflicht, Verzicht, gesonderte Erklärung, vorformuliert, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Wirksamkeitskontrolle, Verhandlungsungleichgewicht, Sittenwidrigkeit
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 19.07.2024 – 34 O 1349/23
Weiterführende Hinweise:
Berufungsrücknahme nach diesem Hinweis.
Fundstellen:
NJW-RR 2025, 422
BeckRS 2025, 1294
FDVersR 2025, 001294
LSK 2025, 1294
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 19.07.2024, Az. 34 O 1349/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit dem Abschluss einer fondsgebundenen Basis-Rentenversicherung (sog. „Rürup-Rente“).
2
Dem Vertragsabschluss ging ein ca. 45-minütiges Telefongespräch zwischen dem Kläger und einem Mitarbeiter der Beklagten voraus. Anschließend wurde dem Kläger mit E-Mail vom 22.12.2021 ein 8-seitiges Antragsformular nebst allgemeiner Vertragsinformationen, Produktinformationsblatt und Fondsinformationen übersandt (Anlage K 2). Das Antragsformular war seitens der Beklagten bereits teilweise ausgefüllt worden. Unter anderem war auf Seite 6 in dem Kasten „Dokumentation der Beratung“ das Feld „Ich verzichte auf die Beratung“ bereits angekreuzt. In diesem Kasten war ein gesondertes Feld für die Eintragung des Datums und der Unterschrift des Antragstellers vorgesehen. Der Kläger nahm weitere Eintragungen vor und unterschrieb das Antragsformular an allen vorgesehenen Stellen, darunter auch in dem auf Seite 6 befindlichen Kasten „Dokumentation der Beratung“ (Anlage K 3 / B 1).
3
Die Beklagte nahm den Antrag an und übersandte dem Kläger mit Schreiben vom 03.01.2022 den Versicherungsschein (Anlage K 1). Vereinbarter Vertragsbeginn war der 01.12.2021. Rentenzahlungen sollen ab dem 01.06.2034 erfolgen. Der einmalig zu zahlende Beitrag von 30.000,00 € wurde seitens des Klägers erbracht.
4
Der Kläger macht geltend, er sei falsch beraten worden. Der Versicherungsvertrag entspreche nicht der von ihm gewünschten Altersvorsorge. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte er den Vertrag nicht geschlossen.
5
Er forderte daher in erster Instanz Schadensersatz in Höhe von 31.029,34 € sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.626,49 €.
6
Das Landgericht hat diese Klage ohne Beweisaufnahme vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Kläger wirksam auf eine Beratung verzichtet habe und daher seitens der Beklagten keine Verletzung der Beratungspflicht vorliege. Für die Erklärung des Verzichts sei ein eigenes, vom Antragsformular körperlich getrenntes Schriftstück nicht erforderlich gewesen. Ferner sei der Kläger deutlich erkennbar auf die Verzichtserklärung hingewiesen worden. Diese Erklärung könne der Kläger auch nicht mehr wegen Irrtums anfechten. Im Übrigen würde eine Haftung der Beklagten am überwiegenden Mitverschulden des Klägers scheitern. Denn er habe es unterlassen, die Beschreibung in dem 2-seitigen Produktinformationsblatt darauf zu überprüfen, ob die Versicherung seinen Wünschen entspreche.
7
Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich gestellten Klageanträge weiterverfolgt.
8
Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
9
Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus § 6 Abs. 5 Satz 1 VVG verneint und die gesamte Klage abgewiesen. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.
10
1. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger im Zuge der Anbahnung des Versicherungsvertrages keine Beratungspflicht nach § 6 Abs. 1 VVG verletzt. Eine solche Beratung war nicht geschuldet, denn der Kläger hat – wie die Vorinstanz zutreffend entschieden hat (LGU 5/6) – wirksam auf eine Beratung verzichtet (§ 6 Abs. 3 Satz 1 VVG). Daher kann sich der Kläger nicht darauf berufen, ihm hätte ein anderes Produkt empfohlen werden müssen. Dies entspricht letztlich schon dem Gedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB), denn es handelt sich um einen Fall des venire contra factum proprium, wenn ein Kunde zunächst auf eine angebotene Dienstleistung verzichtet, um sich dann anschließend darauf zu berufen, dieselbe (Beratungs-)Leistung sei nicht oder fehlerhaft erbracht worden.
11
a) Der Verzicht erfolgte im Streitfall durch eine gesonderte schriftliche Erklärung des Klägers am 28.12.2021.
12
aa) Auf Seite 6 des Antragsformulars (Anlage K 3 / B 1) befand sich in einem optisch abgesetzten Kasten der mit einer entsprechenden Zwischenüberschrift deutlich gekennzeichnete Bereich „Dokumentation der Beratung“. Dort war das Feld „Ich verzichte auf die Beratung“ angekreuzt. Diese Aussage hat der Kläger unstreitig innerhalb des dafür vorgesehenen Feldes handschriftlich mit dem Datum des 28.12.2021 versehen und eigenhändig mit Namensunterschrift unterzeichnet. Damit hat er die in der „Ich“-Form gehaltene Verzichtserklärung als eigene Willensäußerung übernommen und gegenüber der Beklagten verwendet. Die Erklärung ist ihrem Inhalt nach eindeutig und bringt zum Ausdruck, dass der Kläger eine Beratung ablehnt. Sie ist der Beklagten unstreitig zugegangen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB).
13
bb) Die gesetzlich geforderte „gesonderte“ schriftliche Erklärung setzt nicht zwingend voraus, dass sie in einer vom Antragsformular körperlich losgelösten eigenen Urkunde – d.h. auf einem sog. „Extrablatt“ – erfolgt (vgl. MüKo-VVG/Armbrüster, 3. Aufl., § 6 Rn. 178; Prölss/Martin/Rudy, VVG, 32. Aufl., § 6 Rn. 40; Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 6 Rn. 28; Michaelis in: Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, Praxiskommentar zum VVG, 4. Aufl., § 61 Rn. 56; Leverenz, VersR 2008, 709, 710; a.A. LG Saarbrücken, NJW-RR 2013, 809, 811; MüKo-VVG/Reiff, a.a.O., § 61 Rn. 30; HK-VVG/Münkel, 4. Aufl., § 6 Rn. 31; Ebers in: Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, a.a.O., § 6 Rn. 55).
14
§ 6 Abs. 1 Satz 1 VVG wurde durch die VVG-Reform zum 01.01.2008 neu eingeführt (BGBl. I 2007, 2631). Der zugrundeliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung verweist diesbezüglich auf die für Versicherungsvermittler vorgesehene Parallelvorschrift des § 42c Abs. 2 VVG a.F. bzw. § 61 Abs. 1 VVG-E und die hierfür gegebene Entwurfsbegründung (BT-Drs. 16/3945, 58, 77). Zu dem vom 22.05.2007 bis 31.12.2007 geltenden § 42c Abs. 2 VVG a.F. (BGBl. I 2006, 3232) hatte die Bundesregierung im zugrundeliegenden Gesetzentwurf ausgeführt (BT-Drs. 16/1935, 24):
„Um dem Kunden den Verzicht bewusst vor Augen zu führen, muss die Verzichtserklärung zum Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung in einem eigenen Dokument gemacht und vom Kunden unterschrieben werden.“
15
Hinsichtlich des mit der VVG-Reform ebenfalls neu geschaffenen § 7 Abs. 1 Satz 3 HS 2 VVG und der dort geforderten „gesonderte(n) schriftlichen Erklärung“ hatte die Bundesregierung ausgeführt (BT-Drs. 16/3945, 60; vgl. ferner BGH, Urteil vom 28.06.2017 – IV ZR 440/14, NJW 2017, 3387 Rn. 17):
„Um … zu vermeiden, dass ein Verzicht des Versicherungsnehmers formularmäßig vereinbart wird, bedarf er zu seiner Wirksamkeit einer ausdrücklichen Erklärung in einem gesonderten vom Versicherungsnehmer unterschriebenen Schriftstück.“
16
Dies alles hat jedoch im Wortlaut der §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 61 Abs. 1 Satz 1 VVG keinen Niederschlag gefunden. Der Verzicht ist schon keine „Vereinbarung“, sondern eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Versicherungsnehmers. Im Übrigen gebieten weder der Wortlaut noch der Zweck der genannten Vorschrift ein Dokument in Gestalt einer völlig eigenständigen Urkunde (vgl. VersRHdb/Rixecker, 3. Aufl., § 18a Rn. 22).
17
Im Sinne der Einheitlichkeit der Rechtsordnung kann auf den Begriff „gesonderte Erklärung“ in dem – ebenfalls einer erhöhten Aufmerksamkeit des Kunden dienenden – § 309 Nr. 11 a) BGB verwiesen werden (vgl. zur einheitlichen Auslegung BGH, Urteil vom 19.07.2001 – IX ZR 411/00, NJW 2001, 3186 zu II. 1. m.w.N.; ferner Leverenz, VersR 2008, 709, 712). Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass eine „gesonderte Erklärung“ im Sinne der vorbenannten Vorschrift keine eigenständige Urkunde erfordert, sondern auch im Hauptvertrag enthalten sein kann, solange sich die Erklärung und die hierauf bezogene Unterschrift deutlich vom Wortlaut des Vertrages absetzen (vgl. BGH, Urteile vom 27.04.1988 – VIII ZR 84/87, NJW 1988, 2465, 2466 und vom 04.09.2002 – VIII ZR 251/01, NJW 2002, 3464 [jeweils zu § 11 Nr. 14 a AGBG]; BeckOGK/Weiler, BGB, § 309 Nr. 11 Rn. 77 f. [Stand: 01.12.2024]; MüKo-BGB/Wurmnest, 9. Aufl., § 309 Nr. 11 Rn. 7). Nichts anderes gilt für das in § 309 Nr. 12 BGB angesprochene Empfangsbekenntnis und die dort geforderte gesondert unterschriebene Erklärung des Verbrauchers (vgl. zu der hier maßgeblichen Frage auch Gaul, VersR 2007, 21, 23).
18
Im versicherungsvertraglichen Kontext ist „gesondert“ mithin nicht anders zu verstehen als in §§ 19 Abs. 5 Satz 1, 28 Abs. 4 VVG. Auch dort ist anerkannt, dass der Hinweis in das Antragsformular integriert werden kann, solange er sowohl drucktechnisch als auch hinsichtlich seiner Platzierung so gestaltet ist, dass er sich deutlich vom übrigen Text abhebt und vom Versicherungsnehmer nicht übersehen werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 09.01.2013 – IV ZR 197/11, NJW 2013, 873 Rn. 15 ff. und vom 27.04.2016 – IV ZR 372/15, r+s 2016, 281 Rn. 13).
19
Mit diesem Verständnis wird auch dem Hauptanliegen des Gesetzgebers Rechnung getragen, wonach die Verzichtserklärung nicht versteckt im Bedingungswerk untergehen soll. Hierbei geht es ersichtlich nicht um eine bestimmte Zahl von Druckstücken, sondern um die Vermeidung von Überraschungseffekten für den Kunden (vgl. Leverenz, VersR 2008, 709, 710).
20
So liegt der Fall auch hier und Aspekte des Verbraucherschutzes gebieten keine engere Auslegung. Die gegenständliche Verzichtserklärung wurde durch die drucktechnische Gestaltung des Antragsformulars deutlich vom übrigen Text abgesetzt und der eigenständige Erklärungsgehalt konnte von einem aufmerksamen Versicherungsnehmer nicht übersehen werden. Das auf die Erklärung bezogene Unterschriftsfeld war hier in einen zusätzlichen pinkfarbenen Rahmen gesetzt. Damit korrespondierend befand sich am unteren Ende der Seite die farbig unterlegte Aufforderung „Diese Seite bitte vollständig ausgefüllt an uns zurücksenden!“. Damit wurde dem Versicherungsnehmer verdeutlicht, dass er eine weitergehende Erklärung abgibt, d.h. sein besonderes Erklärungsbewusstsein war in ausreichender Weise geschärft (vgl. dazu BGH, Urteil vom 28.06.2017 – IV ZR 440/14, NJW 2017, 3387 Rn. 18). Die informatorische Befragung des Klägers in erster Instanz hat nichts Gegenteiliges ergeben.
21
cc) Es steht der gesetzlichen Regelung auch nicht entgegen, dass die Erklärung vom Versicherer vorformuliert worden ist und vom Kläger nur noch unterschrieben werden musste (vgl. MüKo-VVG/Reiff, a.a.O., § 61 Rn. 30; BeckOK-VVG/Filthuth, § 6 Rn. 32 [Stand: 01.11.2024]); Langheid/Rixecker, a.a.O., § 6 Rn. 28; HK-VersR/Baumann, 3. Aufl., VVG, § 61 Rn. 35). Das folgt schon aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG, wonach der Warnhinweis des Versicherers (dazu sogleich unter dd) „in der“ schriftlichen Verzichtserklärung enthalten sein muss, sowie aus dem Umkehrschluss zu § 6 Abs. 4 Satz 2 VVG. Dies verdeutlicht die gesetzgeberische Grundentscheidung, dass der Versicherungsnehmer wirksam auf Beratung oder Dokumentation verzichten können soll, wenn die in § 6 Abs. 3 VVG ausdrücklich genannten Anforderungen eingehalten werden.
22
Es mag einer Idealvorstellung entsprechen, dass der mündige Versicherungsnehmer eine vollständig eigeninitiative Entscheidung über den Beratungsverzicht trifft. Dies spiegelt aber nur bedingt die Gegebenheiten und Erfordernisse des Vertriebs von Versicherungsprodukten über das Internet und unter Nutzung zeitgemäßer Kommunikationsmittel wider (vgl. dazu auch Beenken, r+s 2017, 617, 620). Das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Erklärung würde die Möglichkeit des Verzichts auch ohne Grund erschweren (vgl. VersRHdb/Rixecker, 3. Aufl., § 18a Rn. 23), so dass hierfür praktisch kein Raum bliebe (vgl. Gaul, VersR 2007, 21, 23). Dass sich der Beratungsaufwand des Versicherers auch auf dessen Kosten und damit letztlich auf die Prämienkalkulation auszuwirken vermag, sei hier nur am Rande erwähnt.
23
Die vom Versicherer vorformulierte Verzichtserklärung wird damit nicht zu einer Allgemeinen Geschäftsbedingung, die einer Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB zu unterziehen wäre (vgl. Schwintowski in: Bruck/Möller, VVG, 10. Aufl., § 6 Rn. 54; a.A. Ebers in: Schwintowski/Brömmelmeyer/ Ebers, a.a.O., § 6 Rn. 56). Denn es handelt sich um eine einseitige Willenserklärung des Versicherungsnehmers, die die vorvertraglichen Pflichten des Versicherers betrifft, nicht den Vertragsinhalt (vgl. Küster, VersR 2010, 730, 734). Jedenfalls aber hatte der Kläger die Möglichkeit, das Formular zu ändern oder zu ergänzen und hat hiervon auch an anderer Stelle Gebrauch gemacht. Ihm verblieb also eine Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen, so dass der Verzicht nicht i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB „gestellt“ worden ist. Unterstellt man gleichwohl, dass es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt, so hielte diese einer Wirksamkeitskontrolle stand (vgl. hierzu MüKo-VVG/Armbrüster, a.a.O., § 6 Rn. 170 f.; HK-VVG/Münkel, a.a.O., § 6 Rn. 32).
24
dd) Die Erklärung enthält ferner den ausdrücklichen Hinweis des Versicherers, dass sich der Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des Klägers auswirken kann, einen Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 5 VVG geltend zu machen. Hierauf wurde der Kläger durch den mit „*“ gekennzeichneten Zusatz unmissverständlich aufmerksam gemacht. Da das Gesetz konkret festlegt, worauf ausdrücklich hingewiesen werden soll, muss es auch ausreichend sein, wenn diese Formulierung („nachteilig … auswirken“) in der Verzichtserklärung übernommen wird (vgl. MüKoVVG/Armbrüster, a.a.O., § 6 Rn. 181; Prölss/Martin/Rudy, a.a.O., § 6 Rn. 41; Looschelders/ Pohlmann, VVG, 4. Aufl., § 6 Rn. 112; HK-VersR/Schneider, 3. Aufl., VVG, § 6 Rn. 61; a.A. Ebers in: Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, a.a.O., § 6 Rn. 57).
25
b) § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG ist europarechtskonform (vgl. MüKo-VVG/Armbrüster, a.a.O., § 6 Rn. 165; Baumann in: Looschelders/Pohlmann, a.a.O., § 61 Rn. 25). Die Regelungen der Richtlinie (EU) 2016/97 (Versicherungsvertriebsrichtlinie/IDD, ABl. 2016, L 26 S. 19) stehen nicht entgegen. Denn diese Richtlinie schreibt keine zwingende Beratungspflicht für Versicherungsvertreiber vor, wie sich insbesondere aus Art. 18 Buchst. a) ii) und Erwägungsgrund 45 ergibt. Wenn ein Mitgliedstaat von der in Art. 22 Abs. 3 UAbs. 3 der Richtlinie vorgesehenen Option Gebrauch macht und eine Beratungspflicht einführt, kann er ohne Verstoß gegen europäische Vorgaben auch einen Verzicht auf den damit bewirkten Verbraucherschutz vorsehen (vgl. Prölss/Martin/Dörner, a.a.O., § 61 Rn. 34). Die gesetzliche Verzichtsmöglichkeit ist im Übrigen Ausdruck der Privatautonomie und stellt sicher, dass die Beratung dem mündigen Versicherungsnehmer nicht aufgezwungen wird (vgl. MüKo-VVG/Armbrüster, a.a.O., § 6 Rn. 162 f.; HK-VVG/Münkel, a.a.O., § 6 Rn. 30).
26
c) Im Einzelfall kann der Beratungsverzicht Ausdruck eines Verhandlungsungleichgewichts zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer sein und bei einem für den Versicherer offensichtlichen Beratungsbedarf nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sein (vgl. Langheid/Rixecker, a.a.O., § 6 Rn. 28; HK-VVG/Münkel, a.a.O., § 6 Rn. 32). Solche Umstände behauptet die Berufung zwar pauschal, ohne sie jedoch konkret darzulegen (vgl. zur Darlegungslast BeckOK-BGB/Wendtland, § 138 Rn. 39 m.w.N. [Stand: 01.11.2024]). Unklar bleibt insbesondere, woraus sich die auf der Hand liegende Unerfahrenheit des Klägers ergeben soll. Im Rahmen seiner informatorischen Befragung vor dem Landgericht hat der Kläger erklärt, er habe nicht verstanden, warum er einen Beratungsverzicht unterschrieben habe, nachdem er doch ca. 45 Minuten mit einem Mitarbeiter der Beklagten telefoniert habe. Er habe sich die Unterlagen, die er bekommen habe, nicht mehr genau angesehen und sie nur überflogen. Der Vertragsabschluss sei „auch ein bisschen eilig“ gewesen, um das Ganze noch im Jahr 2021 steuerlich geltend machen zu können. Dessen ungeachtet sei ihm der Vertrag „quasi aufgedrängt“ worden. Dies genügt nicht, um ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten festzustellen. Im Gegenteil spricht viel dafür, dass es dem Kläger angesichts der Eile des Vertragsschlusses nicht auf eine ausführliche Beratung ankam.
27
d) Bei dieser Sachlage kommt es auf die weiteren Feststellungen des Landgerichts zum überwiegenden Mitverschulden des Klägers (§ 254 Abs. 1 BGB; LGU 7) nicht mehr entscheidungserheblich an.
28
2. Mangels Hauptforderung schuldet die Beklagte auch keine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
29
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).