Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 21.03.2025 – 15 Wx 1493/23
Titel:

Europäisches Nachlasszeugnis, Beschwerdegericht, Kosten des Beschwerdeverfahrens, Klärungsbedürftigkeit, Nachlaßgericht, Prüfungskompetenz, Klageerhebung, Staatsangehörigkeitsrecht, Prüfungsumfang, Festsetzung des Geschäftswerts, Rechtswirksamkeit des Testaments, Erbrecht, Verwaltungsgerichte, Kostenentscheidung, Beschwerdeberechtigte, Prozeßbevollmächtigter, Grenzüberschreitender Bezug, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, notarielle Urkunden, Aussetzungsbeschlüsse

Normenketten:
EuErbVO Art. 67 Abs. 1, Abs. 2, 72 Abs. 1
IntErbRVG § 35, § 43
Leitsätze:
1. Ein Europäisches Nachlasszeugnis darf nicht ausgestellt werden, wenn im Ausstellungsverfahren Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt erhoben werden (vgl. EuGH Urt. vom 23.01.2025 – C-187/23, Albausy).
2. Auch das Beschwerdegericht überprüft in solchen Fällen aufgrund des Gleichlaufs der Prüfungskompetenzen lediglich das Vorliegen der angegebenen Ablehnungsgründe und nicht die sachliche Begründetheit der erhobenen Einwände.
Schlagworte:
Testierfähigkeit, Europäisches Nachlasszeugnis, Erbenstellung, Beschwerdeverfahren, Nachlassgericht
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 05.05.2023 – 37 VI 6942/19
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12699

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 05.05.2023, Az. 37 VI 6942/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
4. Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren wird zurückgestellt.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten zu 2) und 3) sind die Söhne des Erblassers aus dessen einziger, im Jahr 2001 geschiedener Ehe. Die Beteiligte zu 1) war seine langjährige Lebensgefährtin.
2
Mit notariell beurkundetem Testament vom 25.09.2019, in amtliche Verwahrung genommen am 08.10.2019, setzte er die Beteiligte zu 1) als Alleinerbin ein. Dabei traf er auch eine Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts als sein Staatsangehörigkeitsrecht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Urkunde (URNr. R 3394/2019 des Notars Dr. R., Bl. 4/7 d.A.) Bezug genommen.
3
Der Beteiligte zu 3) erhob mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigen vom 02.03.2020 Einwände gegen die Rechtswirksamkeit des notariellen Testaments, insbesondere stimme die Unterschrift nicht mit der üblichen Unterschrift überein und der Erblasser sei aufgrund seines Gesundheitszustandes (Diabetes, hoher Blutzuckergehalt, dadurch Verlust des Sehvermögens, und Bauchspeicheldrüsenkrebs mit stationärer Behandlung seit 21.09.2019) am 25.09.2019 nicht testierfähig gewesen. Auf Bl. 29/30 d.A. wird Bezug genommen.
4
Im Wesentlichen dieselben Einwendungen erhob der Beteiligte zu 2) mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 21.09.2020 (Abweichungen der Unterschrift, fortgeschrittene Krebserkrankung, Palliativbehandlung). Darüber hinaus habe der Erblasser auf Nachfrage am 27.09.2019 erklärt, während seines Klinikaufenthalts keine Schriftstücke unterzeichnet zu haben. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz (Bl. 50/52 d.A.) mit Anlagen (Vergleichsunterschrift Bl. 53/54 d.A.) Bezug genommen.
5
Die Beteiligte zu 1) beantragte mit notarieller Urkunde vom 30.09.2022 (UVZ-Nr. S 3848/2022 des Notars Dr. S., die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden: ENZ), das sie als Alleinerbin ausweist, als Nachweis der Erbenstellung für die in Rumänien belegenen Nachlassgegenstände (Miteigentumsanteil an einer Wohnung in …, Haus in …, Gesellschaftsanteil an der …). Wegen der Einzelheiten wird auf die Urkunde mit Anlagen (Bl. 72/78 d.A.) Bezug genommen.
6
Mit Beschluss vom 05.05.2023 lehnte das Erstgericht den Antrag ab. Dabei führte es im Wesentlichen aus, dass der im hiesigen Verfahren erhobene Widerspruch nach Art. 67 Abs. 1 S. 3 lit. a EuErbVO die Ausstellung eines ENZ hindere. Die Vorschrift betreffe nämlich nicht nur Einwände, die in einem anderen Verfahren außerhalb des Ausstellungsverfahrens erhoben wurden, sondern auch solche im Ausstellungsverfahren selbst. Unter ausführlicher Darlegung und Würdigung des Streitstands in Literatur und Rechtsprechung kommt es zu dem Ergebnis, dass ein ENZ in einem streitigen Verfahren nicht erteilt werden könne. Auf Bl. 89/94 d.A. wird Bezug genommen.
7
Gegen den ihr am 24.06.2023 zugestellten Beschluss wendet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1) im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.06.2023 (Bl. 98/99 d.A.). Das Amtsgericht Nürnberg hat der Beschwerde mit Beschluss vom 17.07.2023 nicht abgeholfen (Bl. 101/102 d.A.).
8
Der Senat hat das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 29.11.2023 bis zur Erledigung der Rechtssache des Europäischen Gerichtshofs, …, …, nach § 21 FamFG ausgesetzt (Bl. 113/117 d.A.) und nach dem Urteil in dieser Sache vom 23.01.2025 wieder aufgenommen.
II.
9
1. Die Beschwerde zum Oberlandesgericht gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts als Ausstellungsbehörde des ENZ ist nach Art. 72 Abs. 1 EuErbVO, § 43 Abs. 1 IntErbRVG statthaft. Die Beschwerde der beschwerdeberechtigten Beteiligten zu 1) ist auch formgerecht innerhalb der Frist des § 43 Abs. 3 IntErbRVG erhoben worden.
10
2. Die Beschwerde hat in der Sache allerdings keinen Erfolg.
11
a) Zutreffend hat das Erstgericht die Zurückweisung des Antrags damit begründet, dass die Beteiligten zu 2) und 3) im hiesigen Verfahren Einwände gegen die Rechtswirksamkeit des Testaments, auf das sich die Beschwerdeführerin beruft, erhoben hatten, so dass die Ausstellung des ENZ nach Art. 67 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) EuErbVO nicht erfolgen könne.
12
Dass diese Auslegung der Vorschrift nicht zu beanstanden ist, steht aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 23.01.2025 – C-187/23, Albausy (ZEV 2025, 189), nunmehr fest (wegen des früheren Meinungsstreits wird auf die Ausführungen des Erstgerichts sowie des Senats im Aussetzungsbeschluss vom 29.11.2023 Bezug genommen). Nach überzeugender Argumentation mit dem Wortlaut, dem Kontext und den Zielen der EuErbVO hat der EuGH nämlich entschieden, dass das ENZ „nicht ausgestellt werden darf, wenn im Ausstellungsverfahren Einwände erhoben worden sind, aus denen sich ergibt, dass der zu bescheinigende Sachverhalt nicht als feststehend angesehen werden kann“ (EuGH a.a.O. Rn. 54, beck-online). Dies gilt selbst dann, wenn die Einwände „unbegründet oder unsubstantiiert erscheinen“ (EuGH a.a.O. Rn. 63, beck-online).
13
Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da die Beteiligten zu 2) und 3) im Ausstellungsverfahren Einwände gegen die Urheberschaft des Erblassers hinsichtlich des Testaments vom 25.09.2019 und gegen seine Testierfähigkeit zu diesem Zeitpunkt erhoben haben, die auch noch nicht in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig zurückgewiesen worden sind. Daher konnten vorliegend die Wirksamkeit des Testaments und damit die Erbenstellung der Beteiligten zu 1) nicht als feststehend angesehen werden, so dass das Erstgericht den Antrag auf Ausstellung des ENZ zu Recht zurückgewiesen hat.
14
b) Eine Sachentscheidung über die Begründetheit der erhobenen Einwände kann vorliegend auch im Beschwerdeverfahren nicht erfolgen. Zwar hat der EuGH eine solche grundsätzlich für zulässig gehalten („Das mit einem Rechtsbehelf befasste Gericht kann ggf. die Begründetheit der Einwände prüfen, die der Ausstellung des Zeugnisses entgegenstanden“, EuGH a.a.O. Rn. 65, beck-online), und zwar vor dem Hintergrund, dass das Erstgericht bei der Entscheidung über die Ausstellung eines ENZ „keine gerichtliche Funktion“ ausübe (EuGH a.a.O. Rn. 66, beck-online).
15
Allerdings gelten für das Beschwerdeverfahren gegen die Versagung eines ENZ nach § 35 IntErbRVG grundsätzlich die Vorschriften des FamFG, soweit sich aus § 43 IntErbRVG nichts Abweichendes ergibt (Burandt/Rojahn/Kroiß, 4. Aufl. 2022, IntErbRVG § 43 Rn. 2). Dabei kann der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts, das folglich vergleichbar einem Verwaltungsgericht tätig wird, das den Bescheid einer Ausgangsbehörde überprüft, kein anderer sein als der des Nachlassgerichts. „Die Prüfungskompetenzen von Nachlassgericht und Beschwerdegericht decken sich“ nämlich (OLG Stuttgart, Beschluss vom 15.12.2020 – Az. …, ZEV 2021, 320; Zimmermann ZErb 2015, 342, 343; Burandt/Rojahn/Kroiß, a.a.O. Rn. 7; Hüßtege/Mansel/DaunerLieb/Heidel/Ring, BGB, Rom-Verordnungen, IntErbRVG § 43 Rn. 8). Das Beschwerdegericht hat also die „inhaltliche Richtigkeit des Nachlasszeugnisses“ bzw. die Gründe der Ablehnung zu prüfen sowie etwaige Verfahrensfehler der Ausstellungsbehörde (Dutta/Weber/Dutta, 2. Aufl. 2021, IntErbRVG § 43 Rn. 21; Sternal/Zimmermann, 21. Aufl. 2023, IntErbRVG § 43 Rn. 19).
16
Aufgrund dieses Gleichlaufs der Prüfungskompetenzen ist es nach deutschem Recht daher nicht möglich, dass in der Beschwerdeinstanz – erstmals – eine verbindliche Klärung von Sachfragen vorgenommen wird, die der Ausstellungsbehörde als erster Instanz nach Art. 67 Abs. 1 UAbs. 2 EuErbVO gerade versagt ist. Auch mit Art. 72 Abs. 2 UAbs. 2 EuErbVO steht dieses Ergebnis im Einklang, denn nach dieser Vorschrift beschränkt sich der Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts darauf, ob die Versagung der Ausstellung gerechtfertigt war, d.h. „aufgrund der bloßen Geltendmachung eines Einwands der Versagungsgrund des Art. 67 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) EuErbVO vorlag“ (Kleinschmidt in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., Art. 67 EuErbVO (Stand: 22.10.2024), Rn. 29).
17
Zudem können die Beteiligten eine verbindliche Klärung ihres Erbrechts durch Klageerhebung vor den zuständigen Prozessgerichten erreichen, so dass ihnen effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht. Es besteht daher aus hiesiger Sicht auch kein Bedürfnis dafür, in dem auf „zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug“ (vgl. Erwägungsgrund 67) angelegten und einvernehmlich ausgestalteten ENZ-Verfahren (inklusive der Rechtsmittelinstanz), streitige Fälle umfassend zu prüfen und aufzuklären, so dass die entsprechenden Ausführungen des EuGH („… kann ggf. … prüfen“) nur so verstanden werden können, dass dies für die Länder gilt, die für diese Fälle eine gerichtliche Klärung gerade im Rahmen des ENZ-Verfahrens vorsehen und keine anderen Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stellen.
III.
18
Die Kostenentscheidung folgt aus § 35 Abs. 1 IntErbRVG, § 84 FamFG.
19
Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren bleibt bis zur Festsetzung des Nachlasswerts durch das Nachlassgericht vorbehalten Gründe:
für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 44 IntErbRVG, 70 Abs. 2 FamFG lagen vor. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, da die Rechtsfrage, ob das Beschwerdegericht in Fällen der gerechtfertigten Ablehnung einer ENZ-Ausstellung nach Art. 67 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) EuErbVO durch das Erstgericht die Begründetheit der erhobenen Einwände unter umfassender Sachverhaltsaufklärung und Beweiserhebung selbst zu prüfen hat, im Hinblick auf die Häufigkeit ihres Auftretens sowie zur Rechtsfortbildung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung klärungsbedürftig ist.