Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 16.05.2025 – 15 U 1767/24 Ins
Titel:

Leistungsverweigerungsrecht, Veräußerungs- und Zahlungsverbot, Insolvenzschuldner, Inkongruente Deckung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Gläubigerbenachteiligung, Insolvenzgläubiger, Auszahlungsverbot, Auszahlungsrhythmus, Elektronische Bekanntgabe, Rückgewähranspruch, festgestellter Sachverhalt, Geschäftsführung, Neuer Geschäftsführer, Früherer Geschäftsführer, Geschäftsführerwechsel, Inkongruenz, Elektronischer Verwaltungsakt, Aufhebung, Fehlende Bekanntgabe

Normenketten:
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1
KWG §§ 5 Abs. 1, 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Nr. 4
BGB § 275 Abs. 1, Abs. 2
FinDAG § 4f
Leitsätze:
1. Eine Anweisung an die Geschäftsleitung nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG, keine gläubiger- bzw. insolvenzmasseschädlichen Auszahlungen mehr vorzunehmen, begründet jedenfalls ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB.
2. Unter Verstoß gegen eine solche Anweisung vorgenommene Auszahlungen können daher als inkongruente Leistungen angefochten werden. Sie gewähren dem Empfänger eine Befriedigung, die er nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte.
Schlagworte:
Insolvenzanfechtung, Gläubigerbenachteiligung, Inkongruente Deckung, Zahlungsverbote, Pflichtenkollision, Prozesszinsen
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 13.08.2024 – 61 O 2208/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12696

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 13.08.2024, Az. 61 O 2208/23 Ins, abgeändert wie folgt:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 35.654,37 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.12.2023 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Regensburg ist, soweit es aufrechterhalten bleibt, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 35.654,37 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Das Landgericht Regensburg hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 35.654,37 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.09.2023 verurteilt. Zugrunde liegt eine Forderung des Klägers, der seit Insolvenzeröffnung am 01.11.2020 Insolvenzverwalter über das Vermögen der (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) ist, auf Rückzahlung aufgrund einer Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
2
Der Beklagte, der eine Apotheke betreibt, hatte mit der Insolvenzschuldnerin, die Abrechnungsdienstleistungen im Gesundheitssektor erbrachte, vertraglich vereinbart, dass diese für ihn Abrechnungen gegenüber Kostenträgern durchführt und die erhaltenen Gelder an ihn ausbezahlt. Am 10.09.2020 hatte die BaFin einen Bescheid erlassen, in dem die Geschäftsleitung der Insolvenzschuldnerin angewiesen wurde, „bis zur Klärung der insolvenzrechtlichen Situation dafür Sorge zu tragen, dass keine gläubiger- bzw. insolvenzmasseschädlichen Auszahlungen seitens des Instituts vorgenommen werden“ (Anlage K2). Zur Überwachung dieser Anordnung wurde ein Mitarbeiter der Deutschen Bundesbank zum Sonderbeauftragten gemäß § 45c Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 8, 3. Alt KWG bestellt. Am folgenden Tag wies die Insolvenzschuldnerin Zahlungen in Millionenhöhe an verschiedene Apotheken an, u.a. an den Beklagten in Höhe der streitgegenständlichen 35.654,37 €.
3
Wegen der weiteren Einzelheiten des festgestellten Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 96/99 d.A.) Bezug genommen.
4
Im Berufungsverfahren beantragt der Beklagte, das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
5
Der Kläger beantragt, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
6
Der Beklagte beruft sich im Wesentlichen darauf, für die streitgegenständliche Zahlung sei durch die BaFin eine Befreiung vom Zahlungsverbot erklärt worden, was unstreitig sei. Zudem sei das Zahlungsverbot ohnehin unwirksam und auch nicht wirksam bekannt gegeben worden. Es fehle im Übrigen auch an der Inkongruenz.
7
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen und auf das Sitzungsprotokoll vom 11.04.2025 Bezug genommen.
II.
8
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb verlängerter Frist begründet.
9
Die Berufung hat in der Sache jedoch nur im Zinsausspruch Erfolg, da die am 11.09.2020 an den Beklagten erfolgte Auszahlung aufgrund des Verstoßes gegen die behördliche Anweisung eine inkongruente Deckung i.S.v. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstellt, so dass dem Kläger ein Rückgewähranspruch nach § 143 Abs. 1 InsO zusteht.
10
1. Die Einwendung der Berufung gegen die Sachverhaltsfeststellung des Erstgerichts greift nicht durch, denn die Behauptung des Beklagten, die streitgegenständliche Zahlung sei von der BaFin autorisiert worden (es liege also eine partielle Aufhebung des Zahlungsverbots vor), ist weder unstreitig noch beweisbedürftig.
11
Konkret hat der Beklagte dazu im Schriftsatz vom 05.08.2024 zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erster Instanz Folgendes vorgetragen: „Dass Herr F. als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin … eigenmächtig Zahlungen vom Konto der Insolvenzschuldnerin vorgenommen oder jedenfalls autorisiert hat, erscheint lebensfremd. Wir gehen daher von einer Autorisierung durch die BaFin, mithin einer entsprechende partiellen Aufhebung des (angeblichen) Zahlungsverbots, u.a. auch bzgl. der streitgegenständlichen Zahlung, aus.“
12
a) Dies wurde zwar vom Kläger im Folgenden nicht mehr ausdrücklich bestritten. Allerdings handelte es sich bei diesem nach vorherigem Austausch mehrerer Schriftsätze erfolgten Vorbringen des Beklagten wiederum lediglich um ein Bestreiten der vorherigen klägerischen Behauptung, die streitgegenständliche Zahlung habe gegen das im Bescheid der BaFin angeordnete Zahlungsverbot vom 10.09.2020 verstoßen. In einem solchen Fall ist anerkannt, dass es von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ob ein späteres Vorbringen einer Partei bereits durch vorangegangenes gegenteiliges Vorbringen des Gegners als bestritten zu gelten hat, wobei bisher streitige Tatsachen nur dann als zugestanden angesehen werden können, wenn die Partei die Absicht, sie bestreiten zu wollen, „unmissverständlich“ fallen gelassen hat (BGH, Beschluss vom 25.02.2008 – Az., NJW-RR 2008, 865; BeckOK ZPO/von Selle, 56. Ed. 1.3.2025, ZPO § 138 Rn. 21, beck-online). Vorliegend ist dies aber nicht der Fall, vielmehr geht die Absicht des Bestreitens i.S.v. § 138 Abs. 3 ZPO aus den übrigen Erklärungen der Klagepartei, die ihren Anspruch maßgeblich auf die Behauptung eines Verstoßes der Auszahlung gegen das Zahlungsverbot stützt, hervor. Damit sollte erkennbar jegliche Einwendung des Beklagten gegen den behaupteten Verstoß – gleich aus welchem Grund (vermeintliche Unwirksamkeit des Zahlungsverbots, fehlende Bekanntgabe, angebliche Erteilung einer Autorisierung im Einzelfall usw.) – bestritten werden.
13
b) Einer Beweisaufnahme über das streitige Vorbringen bedurfte es dennoch nicht. Denn das zitierte Beklagtenvorbringen bezüglich einer Aufhebung des Zahlungsverbots bzw. Autorisierung der streitgegenständlichen Zahlung ist vollkommen unsubstantiiert und erfolgte ersichtlich ins Blaue hinein, da weder mitgeteilt wird, durch wen, noch wann, noch wie, noch wem gegenüber eine solche explizite Autorisierung erteilt worden sein sollte. Die Formulierung lässt vielmehr erkennen, dass es sich um eine reine Mutmaßung des Beklagten handelt, der – nur weil er ein eigenmächtiges Handeln des Geschäftsführers für „lebensfremd“ hält – von einer Autorisierung durch die BaFin ausgeht.
14
Dabei erscheint es aus hiesiger Sicht keineswegs lebensfremd, dass in der Krise solche Zuwiderhandlungen vorkommen. Konkret war nämlich im vorliegenden Fall gerade am Tag der Auszahlungen hierfür durch den Alleingesellschafter der Insolvenzschuldnerin eigens der Geschäftsführer ausgetauscht worden, nachdem der frühere Geschäftsführer (B.) bereits am Vortag die umgehende Stellung eines Insolvenzantrags für erforderlich angesehen hatte (vgl. Anlage K3). Ein bewusster Verstoß erscheint daher sogar lebensnäher als eine Erlaubnis der BaFin, der es gerade um die Sicherung des vorhandenen Vermögens ging und die keinerlei Anlass gehabt hätte, Zahlungen in Millionenhöhe an eine Vielzahl einzelner Apotheker freizugeben. Hinzu kommt, dass auch eine rein mündliche Autorisation des neuen Geschäftsführers, sozusagen „auf Zuruf“, hätte erfolgt sein müssen, da keine diesbezüglichen Bescheide vorliegen. Auch dies spricht gegen die Vermutung des Beklagten, genauso dass das KWG in § 46 Abs. 2 lediglich Ausnahmen für Zahlungsverbote nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 u. 6 KWG vorsieht und nicht für die hier erfolgte Anordnung nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG.
15
Daher ist die vom Beklagten aufgestellte Behauptung nach § 138 Abs. 1 ZPO unbeachtlich und keiner Beweiserhebung zugänglich, da das Gericht sie „für eine willkürliche, ohne greifbare Anhaltspunkte ausgesprochene Vermutung“ hält (BGH Urt. v. 14.03.1968 – II ZR 50/65 NJW 1968, 1233, 1234).
16
Der von der Berufung in Bezug genommene Internet-Artikel (“Apotheke Adhoc“) vom 15.09.2020 (Anlage B1) (Bl. 49/50 d.BA) rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar wird darin eine Freigabe von Zahlungen durch die BaFin thematisiert: „Der neue Geschäftsführer bestätigt, dass die Bafin-Mitarbeiter in der Zentrale das Sagen übernommen haben. Jede Auszahlung an Apotheken muss von der Bafin freigegeben werden und wird aus vorhandenen Guthaben bezahlt. Das erklärt den unregelmäßigen Auszahlungsrhythmus der letzten Tage. Die Konten der Zahlungseingänge von den Krankenkassen dürfen laut Feck nur noch für Auszahlungen an die Apotheken angetastet werden“. Aus dem Zusammenhang ergibt sich aber, dass dieser Artikel sich auf die Übernahme der Geschäfte durch einen „starken“ Sonderbeauftragten der BaFin bezieht, nachdem im Bescheid vom 10.09.2020 nur ein „schwacher“ Sonderbeauftragter zur Überwachung des Auszahlungsverbots bestellt worden war. Der Artikel thematisiert nämlich gerade den stattgefundenen Geschäftsführerwechsel am „Sonntag“, d.h. am 13.09.2020. Von genau diesem Tag datiert aber der Bescheid der BaFin, in dem – ausdrücklich wegen der zuvor am 11.09.2020 erfolgten Auszahlungen – ein Sonderbeauftragter berufen wurde, dem nach § 45c Abs. 3 S. 1 KWG „sämtliche Aufgaben und Befugnisse des Geschäftsleiters“ übertragen wurden (vgl. Anlage K12: „Trotz dieser Maßnahmen wurden auf Anweisung des Vorstands der Inhaberin am Freitag, den 11.09.2020, rd. 183 Mio. EUR von den Konten des Instituts angewiesen, nachdem er zuvor den ehemaligen Geschäftsleiter, B., mit sofortiger Wirkung abberufen hatte.“). Der Artikel bezieht sich daher nur auf den Zeitraum ab 13.09.2020 und nicht schon auf die Zahlungen vom 11.09.2020. Es kann daher dahinstehen, dass sich auch hieraus keine konkreten Anhaltspunkte für eine Beweiserhebung durch einen bestimmten Mitarbeiter der BaFin ergeben.
17
2. Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts ist das Erstgericht im Ergebnis zu Recht zu einer Verurteilung des Beklagten gekommen, denn der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 35.654,35 € gemäß §§ 131 Abs. 1 Nr. 1, 143, 129 InsO.
18
a) Die Insolvenzschuldnerin nahm am 11.09.2020, also im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag vom 15.09.2020, eine Rechtshandlung vor, indem ihr neuer Geschäftsführer die Zahlung an den Beklagten anwies. Diese verschaffte ihm als Insolvenzgläubiger eine Befriedigung, da die Insolvenzschuldnerin unstreitig vertraglich zur entsprechenden Zahlung verpflichtet war. Dadurch trat eine Gläubigerbenachteiligung i.S.v. § 129 Abs. 1 InsO ein, weil der Vermögensabfluss die Aktivmasse verkürzte und die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger in ihrer Gesamtheit verschlechterte.
19
b) Die Verfügung verstieß auch gegen eine wirksame Anweisung der BaFin nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG, was die Annahme einer Inkongruenz i.S.v. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet.
20
aa) Die Anordnung ist vom 10.09.2020 war ausreichend bestimmt und richtig adressiert.
21
Vorliegend konnte nur eine Anweisung an die Geschäftsführung nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG (die bis 28.12.2020 gültige Fassung der Vorschrift entspricht der heutigen) ergehen, da der Erlass eines Zahlungsverbots nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 KWG bei Factoring-Unternehmen i.S.v. § 1 Abs. 1a S. 2 Nr. 9 KWG gemäß § 2 Abs. 7a KWG nicht anwendbar ist. Gewollt war aber ersichtlich, dass in Anbetracht der bevorstehenden Insolvenz die spätere Insolvenzmasse gesichert werden sollte durch ein Verbot von Auszahlungen, die für die Gläubiger der Schuldnerin als Gesamtheit schädlich sind (gläubigerschädlich), weil sie die den Gläubigern zu ihrer Befriedigung zur Verfügung stehende (potenzielle) Insolvenzasse mindern (insolvenzmasseschädlich). Dies ist für einen Geschäftsführer, der ohnehin dabei ist, seine Pflichten im Zusammenhang mit der Krise der Gesellschaft zu erfüllen (vgl. Anlage K3), ohne weiteres verständlich.
22
Adressaten aller Maßnahmen nach § 46 Abs. 1 KWG sind Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute i.S.v. § 1 Abs. 1b KWG (vgl. Schwennicke/Auerbach/Schwennicke/Herweg, 4. Aufl. 2021, KWG § 46 Rn. 12). Eine Anweisung nach Nr. 1 muss sich nach dem Gesetzeswortlaut an die „Geschäftsführung des Instituts“ richten. So ist dies vorliegend auch umgesetzt worden. Sie richtet sich ersichtlich nicht an eine bestimmte natürliche Person als Geschäftsführer, sondern ist adressiert mit: „An die Geschäftsführung AvP Deutschland GmbH“. Lediglich bei der Höflichkeitsanrede (“Sehr geehrter Herr B.“) wurde der damalige Geschäftsführer namentlich erwähnt, wohingegen die erste Ziffer unter der Überschrift „Bescheid“ dementsprechend wieder lautet: „Sie als Geschäftsleiter werden angewiesen…“. Damit ist ausreichend klar, dass es sich nicht um eine individuelle Anweisung an Herrn B. handelte, sondern sie sich auf seine Stellung als Alleingeschäftsführer der Insolvenzschuldnerin bezog. Nur letztere konnte nämlich Adressatin der Gefahrabwendungsmaßnahmen des § 46 KWG sein, als GmbH kann sie dabei aber nach außen nur durch die Geschäftsführung, die sie organschaftlich vertritt, handeln. Auch im Innenverhältnis hatte die Geschäftsführung aufgrund ihrer Weisungskompetenz gegenüber den Mitarbeitenden die Umsetzung sicherzustellen. Da sich das Zahlungsverbot damit an die Insolvenzschuldnerin, vertreten durch ihre Geschäftsführung, richtete, kam es auf den Geschäftsführerwechsel am 11.09.2024 nicht mehr an. Vielmehr blieb die Anweisung an die Geschäftsführung unabhängig von der konkreten Person des Geschäftsführers gültig.
23
bb) Der Bescheid vom 10.09.2020 wurde am selben Tag wirksam bekannt gegeben.
24
Wie sich aus der vom Erstgericht erholten amtlichen Auskunft der BaFin vom 27.05.2024 (Anlage K19) ergibt, wurde er um 20:19 Uhr in elektronischer Form auf dem WebMail-Server der BaFin („totemo-mail ® WebMaiL-Postfach“) bereitgestellt. Darüber wurde der damalige Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin ebenfalls um 20:19 Uhr per E-Mail informiert (vgl. auch Anlage K13). Um den verschlüsselten Bescheid empfangen und lesen zu können, muss sich der jeweilige Empfänger zuvor zum einen für das Verschlüsselungsverfahren registriert haben, wie sich dies aus der Beschreibung des von verschiedenen Behörden verwendeten Verschlüsselungsverfahrens „totemomail“ in Anlage K17 ergibt. Zum anderen muss der Empfänger über einen Zugang zum WebMail-Server der BaFin verfügen, bei dem er sich als WebMail-User zuvor registriert haben muss. Vorliegend war dies der Fall, denn nur so konnte der frühere Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin den Bescheid mittels Passwort über den ihm in der E-Mail (Anlage K13) mitgeteilten Link („https://securemail.bafin.de/responsiveUI/login/webmailLogin.xhtml?…“) abrufen. Um 20:24 Uhr bestätigte er den Empfang des Bescheides per E-Mail (Anlage K19).
25
Diese Vorgehensweise genügt für eine wirksame Bekanntgabe. Verwaltungsakte aufgrund des KWG können gemäß § 5 Abs. 1 KWG nach § 4f des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes (FinDAG) „abweichend von § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes“ elektronisch bekanntgegeben werden, so dass die Ausführungen der Berufung zu § 41 Abs. 2, 2a VwVfG und einer angeblichen späteren Zugangsfiktion neben der Sache liegen. Das in § 4f Abs. 1 S. 1 normierte Verfahren zwischen der BaFin und den dauerhaft unter Aufsicht stehenden Unternehmen weicht von der elektronischen Bekanntgabe nach § 41 Abs. 2a VwVfG für Personen, die nur vereinzelt Adressaten sind, ab und verlangt insbesondere keine Einwilligung der Beteiligten (Dreher/Redenz, 14. Aufl. 2024, FinDAG § 4f Rn. 4). „Demgegenüber besteht zwischen der BaFin und den Beaufsichtigten ein enges und dauerhaftes Aufsichtsverhältnis und die Beteiligten haben ein gesteigertes Eigeninteresse am Verwaltungsverfahren, das im beiderseitigen Interesse eine einfachere und rechtssichere elektronische Bekanntgabe von Verwaltungsakten auch ohne eine obligatorische Einwilligung rechtfertigt“ (Nomos-BR/Laars FinDAG/Laars, 6. Aufl. 2024, FinDAG § 4f Rn. 2).
26
Daher bedarf es auch nicht bei jeder einzelnen Bekanntgabe einer Überprüfung der Identität des – vorher schon dauerhaft registrierten – Empfängers, vielmehr bedeutet die „Authentifizierung“ in § 4f Abs. 1 S. 2 FinDAG lediglich, dass die Behörde „durch Einsatz geeigneter Identifizierungsmittel“ sicherstellen muss, dass nur Berechtigte auf den Verwaltungsakt zugreifen können (vgl. BT-Drs. 18/8434, 122, unter Verweis auf eine Handreichung des IT-Planungsrates von Bund und Ländern, die auf der Website des Planungsrates heute nicht mehr verfügbar ist; NK-VwVfG/Daniel Couzinet/Daniel Fröhlich, 2. Aufl. 2019, VwVfG § 41 Rn. 116; BeckOK VwVfG/Tiedemann, 66. Ed. 1.1.2025, VwVfG § 41 Rn. 82c, beck-online), so dass auch ein einfacher Passwortschutz – wenn es sich dabei auch um eine relativ schwache Sicherung im Vergleich zur heute üblichen 2-Faktor-Authentifizierung handelt – ausreichen kann.
27
Im Übrigen ist die Authentifizierung nicht Voraussetzung einer wirksamen Bekanntgabe, wenn nur der Abruf erfolgt ist (Schoch/Schneider/Baer/Wiedmann, 6. EL November 2024, VwVfG § 41 Rn. 67; NK-VwVfG a.a.O. Rn. 117), was hier jedenfalls feststeht.
28
Vorliegend gilt daher der nach § 4f Abs. 1 FinDAG „zum Abruf über öffentlich zugängliche Netze bereitgestellte“ Bescheid, nachdem der Adressat der Bekanntgabe den elektronischen Zugang freiwillig eröffnet hatte (S. 1) und auch ein sicheres Verfahren verwendet wurde (S. 2), nach § 4f Abs. 2 FinDAG „im Zeitpunkt des Abrufs“ als bekannt gegeben.
29
cc) Die Bekanntgabe ist auch nicht wegen eines fehlenden Bekanntgabewillens unwirksam.
30
Es handelte sich trotz des (wohl versehentlich angebrachten) Zusatzes „vorab per E-Mail“ nicht nur um eine unverbindliche Ankündigung, sondern bereits um eine mit Bekanntgabewillen erfolgte Bekanntgabe. Hierfür kommt es auf „den objektiven Erklärungsinhalt eines Verwaltungsaktes, also darauf an, wie der Empfänger die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der für ihn erkennbaren Umstände bei objektiver Betrachtung verstehen musste.“ (VGH Kassel Beschluss vom 8.10.2019 – 2 B 1758/19, BeckRS 2019, 35726, beck-online).
31
Nach diesen Maßstäben war vorliegend zu berücksichtigten, dass angesichts der Geltung der oben erwähnten Sondervorschriften des FinDAG eine schriftliche Bestätigung des elektronischen Verwaltungsakts objektiv und aus Sicht des Empfängers nicht zu erwarten war. Der Bescheid wurde von der BaFin hier bewusst elektronisch nach § 4f FinDAG zum Abruf bereit gestellt, ohne dass eine erneute spätere schriftliche Bekanntgabe beabsichtigt war. Dies alles war für den Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin auch erkennbar, da es sich hier, wie oben bereits ausgeführt, um ein dauerhaft unter Aufsicht stehendes Unternehmen handelt, dessen Geschäftsführer sich für die elektronische Bekanntgabe über das WebMail-Postfach der BaFin gerade registriert hatte, um diesen vereinfachten Kommunikationsweg ständig zu nutzen.
32
Zum anderen wusste er bei dem vorgenommenen Abruf bereits, dass ein verbindlicher Bescheid bekanntgegeben werden würde. Er war nämlich seit 07.09.2020 im telefonischen Kontakt mit den zuständigen Mitarbeitern der BaFin gestanden und am 10.09.2025 konkret zum beabsichtigten Erlass des Bescheides angehört worden. Dies ergibt sich bereits aus dem Bescheid selbst (Anlage K2) sowie aus dem E-Mail-Verkehr (Anlagen K14a, K14b) und wurde vom Kläger in der Replik näher ausgeführt (Bl. 30 d.A., Ziff. 25.), ohne dass dies erstinstanzlich vom Beklagten bestritten worden wäre (obwohl er sich auf Bl. 64 d.A., Ziff. 5. zu der vorgebrachten telefonische Anhörung äußert). Das Bestreiten der Berufung (Bl. 48 d. BA) ist daher verspätet.
33
dd) Die Auszahlung hat dem Beklagten vorliegend auch eine Befriedigung gewährt, die er nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, § 131 Abs. 1 InsO.
34
Zwar stand dem Beklagten unstreitig aufgrund des mit der Insolvenzschuldnerin geschlossenen Vertrages ein entsprechender fälliger Anspruch gegen diese zu. Sie war aber berechtigt, ihre Leistung aufgrund des Zahlungsverbots wegen vorübergehender rechtlicher Unmöglichkeit zu verweigern, was zur Inkongruenz führt.
35
(1) Für Verfügungen, die gegen ein angeordnetes Veräußerungs- und Zahlungsverbot nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 KWG verstoßen, ist anerkannt, dass diese die Annahme einer Inkongruenz begründen, da der betroffene Schuldner für die Dauer des Zahlungsverbots analog § 275 Abs. 1 BGB vorübergehend an der Leistung verhindert ist, so dass der Gläubiger zu dieser Zeit keine Befriedigung beanspruchen kann. Nach der Entscheidung des BGH v. 12.03.2013 – XI ZR 227/12 (NJW 2013, 3437) führt die „Anordnung des Zahlungsverbots nach § 46 a I 1 Nr. 1 KWG“ (bezieht sich auf die bis 31.12.2010 gültige Fassung, die § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 KWG n.F. entspricht) „zu einem vorübergehenden Leistungshindernis für die Erfüllung der Zahlungsansprüche der Gläubiger analog § 275 I BGB“.
36
(2) Diese zum Zahlungsverbot nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 KWG geltenden Erwägungen müssen nach Auffassung des Senats auch auf den Fall einer Anweisung an die Geschäftsleitung, keine gläubiger- bzw. insolvenzmasseschädlichen Auszahlungen mehr vorzunehmen, nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG, Anwendung finden.
37
Der Kläger beruft sich nämlich zu Recht darauf, dass die Interessenlage bei allen Tatbeständen des § 46 KWG vergleichbar ist. Sie ermöglichen der BaFin ein Eingreifen zur Sicherstellung der Unternehmensgesundheit, es handelt sich um sog. „Gefahrenmaßnahmen“. Der Unterschied liegt nur darin, dass die bei Factoring-Unternehmen zulässigen Maßnahmen nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 – 3 KWG sich ihrem Zweck nach ausschließlich auf den Innenbereich des Instituts auswirken, wohingegen die nur für „echte“ Kreditinstitute zulässigen Maßnahmen nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 – 6 KWG auch nach außen wirken. Das gesetzgeberische Ziel war dabei, eine „offene“ Insolvenz des Kreditinstituts mit dem Risiko eines schwerwiegenden Vertrauensverlustes in das Kreditgewerbe zu vermeiden (Jahn/Schmitt/Geier, Bankensanierung, A. Sanierung und frühzeitiges Eingreifen I. Überblick Sanierung und frühzeitiges Eingreifen Rn. 76, 77, beck-online; BT-Drs. 7/4631, S. 8), was bei reinen Factoring-Unternehmen (mangels vergleichbaren Vertrauens des Rechtsverkehrs) als nicht notwendig angesehen wurde. Die Anordnung nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG war daher vorliegend die wirksamste Maßnahme, die die BaFin zum Zwecke des Gläubigerschutzes bei der Schuldnerin treffen konnte, und ist genauso zu behandeln (ähnliche Erwägungen tragen im Übrigen auch die vom Kläger zitierten Verurteilungen der Instanzgerichte in Parallelverfahren, Anlagen K20, K21 und BK1).
38
Auch andere Leistungsverweigerungsrechte (z.B. aufgrund der Verjährungseinrede) führen im Übrigen anerkanntermaßen zur Inkongruenz i.S.v. § 131 Abs. 1 InsO (Uhlenbruck/Borries/Hirte, 15. Aufl. 2019, InsO § 131 Rn. 5). Dies gilt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung und einem großen Teil der Literatur auch für vorübergehende Leistungsverweigerungsrechte wie § 273 BGB, die nämlich dazu führen, dass der Gläubiger die Leistung „nicht zu der Zeit“ beanspruchen kann (BGH Urt. v. 19.01.2012 – IX ZR 2/11, Tz 14, NZI 2012, 177 (179); MüKoInsO/ Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, InsO § 131 Rn. 40; BeckOK InsR/Raupach, 37. Ed. 1.11.2024, InsO § 131 Rn. 20.4, beck-online; K. Schmidt InsO/Ganter/Weinland 20. Aufl. 2023, InsO § 131 Rn. 60; KPB/Schoppmeyer 102. Lieferung 12.2024, § 131 Rn. 68). Auch dies spricht für die Annahme eine Inkongruenz aufgrund der hier getroffenen behördlichen Anweisung.
39
Gegen eine Anwendung von § 275 Abs. 1 BGB kann zwar vorgebracht werden, dass die unter Missachtung der ergangenen Anordnung ausgeführten Verfügungen zivilrechtlich wirksam sind, so dass die Insolvenzschuldnerin sowohl tatsächlich als auch rechtlich mit Erfüllungswirkung an den Beklagten leisten konnte. Es kann daher vertreten werden, dass es ihr also weder objektiv noch subjektiv unmöglich war, die geschuldete Leistung zu erbringen.
40
Allerdings liegen aus hiesiger Sicht jedenfalls die Voraussetzungen des § 275 Abs. 2 BGB vor, da die Erfüllung des Anspruchs des Beklagten zwar rechtlich und tatsächlich möglich ist, aber der Schuldner durch die Erbringung der Leistung der tatsächlichen Gefahr von Sanktionen ausgesetzt wird. Ein grobes Missverhältnis zwischen dem Leistungsinteresse des Gläubigers und dem dafür erforderlichen Aufwand des Schuldners liegt daher hier nahe. Drohende Sekundärsanktionen für den Schuldner können die Einrede des grob unverhältnismäßigen Aufwands begründen. Es kann von dem zur Leistung Verpflichteten nicht verlangt werden, behördlichen Verboten zuwiderzuhandeln oder sie zu umgehen (Caspers, in Staudinger BGB (2019), § 275, Rn. 43). Zudem ist ein Verstoß gegen eine Anweisung nach § 56 Abs. 2 Nr. 3n KWG auch mit einem Bußgeld bedroht. Dies führt zu einer Pflichtenkollision, da die Insolvenzschuldnerin, vertreten durch ihren Geschäftsführer, zivilrechtlich (aufgrund zwischen ihr und dem Beklagten bestehenden Vertragsverhältnisses) verpflichtet ist, die vereinnahmten Gelder an den Beklagten auszukehren, während dem Geschäftsführer durch den Bescheid aber gerade verboten wurde, masseschädliche Zahlungen anzuweisen. Dieser Wertungswiderspruch ist über die Anerkennung eines vorübergehenden Leistungsverweigerungsrechts nach § 275 Abs. 2 BGB für die Dauer des Bestehens des Zahlungsverbots zu lösen, so dass im Ergebnis jedenfalls eine Inkongruenz vorliegt.
41
Dagegen spricht auch nicht, wie die Berufung zuletzt mit Schriftsatz vom 24.04.2025 einwendete, der Vergleich mit § 15b Abs. 1 S. 1 InsO. Insbesondere ist es nicht „willkürlich, dieses Zahlungsverbot (nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG) als inkongruenzbegründend anzusehen, ein anderes insolvenzspezifisches Zahlungsverbot hingegen nicht.“ Die Berufung verkennt insoweit, dass Adressatin des vorliegenden Verbotes die Insolvenzschuldnerin selbst ist (s. oben unter aa)) – anders als bei § 15 b Abs. 1 S. 1 InsO, der die „Mitglieder des Vertretungsorgans“ persönlich erfasst (BeckOK InsR/Wolfer, 38. Ed. 1.2.2025, InsO § 15b Rn. 3, beck-online). Letztere sind aber dem Vertragspartner gegenüber nicht persönlich zur Leistung verpflichtet, so dass es an einer vergleichbaren Pflichtenkollision fehlt.
42
c) Dem Kläger stehen auch Zinsen auf die Hauptforderung zu.
43
Allerdings können Zinsen seit Inkrafttreten des § 143 Abs. 1 S. 3 InsO (gültig ab 05.04.2017) nicht mehr schon ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlangt werden, sondern erst dann, wenn die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs oder des § 291 BGB vorliegen.
44
Da die erstmalige Zahlungsaufforderung vom 07.08.2023 (mit Fristsetzung zum 01.09.2023) hier noch keine verzugsbegründende Mahnung darstellt und die Voraussetzungen des § 286 Abs. 2 bzw. 3 BGB nicht vorliegen, konnten vorliegend nur Prozesszinsen nach §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB ab 28.12.2023 zugesprochen werden.
III.
45
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
46
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
47
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO. Insbesondere ist die im hiesigen Verfahrenskomplex in einer Vielzahl von Einzelfällen auftretende Frage, ob der Verstoß gegen eine Anweisung nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG – vergleichbar einem Verstoß gegen ein Zahlungsverbot nach § 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 KWG – zu einer inkongruenten Deckung führt, noch nicht höchstrichterlich geklärt. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit Bezug genommen.