Inhalt

OLG München, Beschluss v. 03.04.2025 – 9 U 4642/23 e
Titel:

Haupt- und Hilfsanträge, Außervertragliche Schuldverhältnisse, Klageerweiterung in der Berufungsinstanz, Vorabentscheidungsersuchen, Schadensersatzpflicht, Verwaltungsgerichte, Nutzungsentschädigung, Darlegungs- und Beweislast, Materiellrechtliche Ansprüche, Unerlaubte Handlung, Anschlußberufung, Privatgutachten, Ergänzungsgutachten, Rückabwicklung des Kaufvertrags, Rückgewähranspruch, Anzuwendendes Recht, Rückabwicklungsanspruch, Verbraucherschutzrecht, Zinsanspruch, Innerstaatliches Recht

Schlagworte:
Abgasskandal, Rückabwicklung, Schadensersatz, Immaterieller Schaden, Verbraucherschutz, Deliktsrecht, Anwendbares Recht
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 27.10.2023 – 63 O 3320/20
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12681

Tenor

1. Die Klagepartei wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 27.10.2023, Az. 63 O 3320/20 Die e, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Die Beklagte wird darauf hingewiesen, dass durch die Zurückweisung der Hauptberufung ihre Anschlussberufung ihre Wirkung verlöre, § 524 Abs. 4 ZPO.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
4. Innerhalb dieser Frist können sich die Parteien auch zum Streitwert des Berufungsverfahrens äußern, den der Senat beabsichtigt, auf bis zu 13.000,00 € festzusetzen.

Gründe

I.
1
Die Klagepartei macht gegenüber der Beklagten Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal geltend. In den Jahren 2019 und 2020 wurden erstinstanzlich ca. 3.300 solcher Klagen spanischer Käufer von Dieselfahrzeugen an den Landgerichten Ingolstadt (gegen Audi) und Braunschweig (gegen VW) erhoben, mit dem Ziel auf der Basis deutschen Sachrechts Rückabwicklung bzw. Schadensersatz im Zusammenhang mit Fahrzeugkäufen zu erreichen.
2
Die hiesige spanische Klagepartei erwarb mit Kaufvertrag vom 16.02.2013 von einem Dritten in Spanien einen von der Beklagten hergestellten PKW der Marke Audi A4 2.0 TDI als Gebrauchtwagen zum Kaufpreis von 18.900 €.
3
Die Beklagte führte keine Werbemaßnahmen in Spanien durch. Die Veröffentlichung, die Anpassung bestehenden Werbematerials für den spanischen Markt und teilweise sogar die eigenständige Entwicklung von Werbemaßnahmen erfolgte für die Marken Volkswagen, Volkswagen Nutzfahrzeuge, AUDI und SKODA durch die Volkswagen Audi Espana SA (nachfolgend abgekürzt: VAESA), einer spanischen Tochter mit eigener Rechtspersönlichkeit, die sich zu 100% im Eigentum der V. AG befindet (S. 2 des Landgerichtsurteils, nachfolgend abgekürzt: LGU). Die in Spanien vertriebenen Kraftfahrzeuge des VolkswagenKonzerns und damit auch die Fahrzeuge der Beklagten wurden von der VAESA nach Spanien importiert.
4
Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem vom Mutterkonzern der Beklagten, der V. AG, entwickelten und hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 Euro 5 ausgestattet und enthält eine Steuerungssoftware, durch welche auf dem Prüfstand beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus geringere Stickoxidwerte erzielt werden als im realen Fahrbetrieb (“Umschaltlogik“). Das Kraftfahrtbundesamt (nachfolgend abgekürzt: KBA) beanstandete in Deutschland die Prüfstandserkennung als unzulässige Abschalteinrichtung, ordnete einen behördlichen Rückruf und Nebenbestimmungen in Form des verpflichtenden Aufspielens eines Software-Updates an. Demgegenüber sah das spanische Innenministerium keine Veranlassung zur Anordnung eines verpflichtenden Rückrufs und gestaltete das Aufspielen des zur Beseitigung der unzulässigen Motorsteuerungssoftware entwickelten und vom KBA freigegebenen Software-Updates für – wie hier – in Spanien zugelassene Fahrzeuge als freiwillige Servicemaßnahme aus.
5
Im Fahrzeug ist unstreitig zudem ein sog. Thermofenster verbaut, das die Abgasrückführungsrate mit entsprechenden Auswirkungen auf die Emissionen des Fahrzeugs in Abhängigkeit von der Außentemperatur regelt.
6
Das Fahrzeug konnte durchgehend bis heute ohne jegliche Einschränkung wegen der verbauten Abschalteinrichtung benutzt werden.
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Hinsichtlich der Darstellung des Sach – und Streitstandes im Übrigen wird auf den ausführlichen Tatbestand im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 522 Abs. 2 S. 4 ZPO.
8
Das Erstgericht hat u.a. auf der Grundlage der im Verfahren vor dem Landgericht Ingolstadt, Az.: 81 O 3625/19 („leading case“), eingeholten Gerichtsgutachten zur Anwendbarkeit und zum Inhalt des spanischen Rechts der Sachverständigen … und einer Vielzahl von von beiden Seiten zu den Akten gegebenen Privatgutachten, worauf die Parteien mit Terminsverfügung des Erstgerichts vom 20.08.2023 (Bl. 134 LG eAkte) hingewiesen wurden, mithin umfangreich sachverständig beraten, die im Hauptantrag auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtete Klage abgewiesen und dem hilfsweise geltend gemachten Schadensersatzanspruch lediglich unter dem Gesichtspunkt eines immateriellen Schadens in Höhe von 500 € nebst Zinsen stattgegeben:
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Es erachtete dabei die Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 1 ROM II-VO als gegeben und hat, ausführlich begründet, auf den vorliegenden Sachverhalt spanisches Recht sowohl für etwaige vertragliche als auch deliktische Ansprüche angewendet.
10
Den im Hauptantrag begehrten, vertraglichen Anspruch auf Rückabwicklung gegenüber der Beklagten, die nicht Vertragspartnerin ist, hat das Erstgericht unter Prüfung sämtlicher von der Klagepartei ins Feld geführter Anspruchsgrundlagen auf vertraglicher Grundlage nach spanischem Recht, ausführlich begründet, verneint. Ebenso verneint hat es einen Rückgewähranspruch auf deliktsrechtlicher Grundlage, da der (angeblich ungewollte) Vertragsschluss – anders als im deutschen Recht – nach spanischem Recht keinen ersatzfähigen Schaden darstelle und ein auf Rückabwicklung eines Vertragsverhältnisses gerichteter Schadensersatzanspruch dem spanischen Recht fremd sei. Auch auf Bestimmungen des spanischen Verbraucherschutzgesetzes (TRLGDCU) könne die begehrte Rückabwicklung nicht gestützt werden.
11
Den im Hilfsantrag geltend gemachten materiellen Schadensersatzanspruch hat das Erstgericht verneint, da die nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs – und beweisbelastete Klagepartei, die sich nicht auf die Beweiserleichterung der „in re ipsa“ – Regel (= die Sache spricht für sich) berufen könne, schon den behaupteten materiellen Schaden nicht hinreichend dargelegt, geschweige denn bewiesen habe. Die Klagepartei habe ein technisch sicheres, jederzeit fahrbereites, in Spanien keinerlei durch das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung bedingten Nutzungsbeschränkungen unterliegendes Fahrzeug erhalten, dessen Genehmigung von der vorliegend allein zuständigen, spanischen Genehmigungsbehörde zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt worden sei. Soweit die Klagepartei behaupte, dass das Fahrzeug weniger wert gewesen sei als der von ihr bezahlte Kaufpreis, sei sie konkreten Sachvortrag sowohl bezüglich des Eintritts eines Schadens als auch zu dessen Höhe schuldig geblieben. Sie habe jedoch gemäß Art. 1101 Código Civil (nachfolgend abgekürzt: CC) in Verbindung mit der höchstrichterlichen, spanischen Rechtsprechung dem Grunde und der Höhe nach einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz in Höhe von 500 €.
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Das höchste spanische Gericht, der Tribunal Supremo (nachfolgend abgekürzt: TS), habe in seinem Urteil vom 11. März 2020, Nr. 167/2020, dem ein Kauf eines mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestatteten Fahrzeugs zugrunde lag, gestützt auf die Rechtsfigur „in re ipsa“ festgestellt, dass einem betroffenen Kunden als Kompensation für psychisches Leid infolge von Ungewissheit und Unbehagen wegen des Kaufs eines vertragswidrigen Produkts gegen den Hersteller eine Entschädigung von 500 € zustehen könne und insoweit eine Durchbrechung des Relativitätsgrundsatzes zugelassen. Dies habe er mit Urteil vom 23. Juli 2021, Nr. 561/2021, bestätigt, insbesondere auch, dass ein Betrag von 500 € „angemessen“ sei.
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Hiergegen wendet sich die Klagepartei – unter Aufrechterhaltung ihrer zuletzt gestellten Haupt – und Hilfsanträge – mit umfangreicher Berufungsbegründung (nachfolgend abgekürzt: BB) vom 03.03.2024 (Bl. 10/86 OLG eAkte) und rügt insbesondere die Anwendung spanischen statt deutschen Rechts – obwohl die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung zu Deutschland aufweise – und im Übrigen eine falsche Anwendung spanischen Rechts. Sie hat zudem ergänzend Stellung genommen mit Schriftsatz vom 28.10.2024 (Bl. 133/146 OLG eAkte).
14
Gegen das Ersturteil wendet sich auch die Beklagte mit Anschlussberufung vom 28.03.2024 (Bl. 89/127 OLG eAkte), mit der sie eine vollständige Abweisung der Klage begehrt. Im Übrigen verteidigt sie das Ersturteil und weist darauf hin, dass, selbst wenn man einen Rückabwicklungsanspruch nach spanischem Recht annehmen wollte, jedenfalls Nutzungsersatz im Wege der Vorteilsanrechnung bei einer Rückabwicklung in Abzug zu bringen wäre.
II.
15
Der Senat beabsichtigt die Berufung der Klagepartei gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen, da er nach vorläufiger Bewertung der Sach- und Rechtslage einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats durch Urteil nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
16
Die angefochtene Entscheidung des Erstgerichts ist richtig. Das Ersturteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Vielmehr rechtfertigen die Tatsachen, die der Senat im Rahmen des durch § 529 ZPO festgelegten Prüfungsumfangs der Beurteilung des Streitstoffes zugrunde zu legen hat, keine andere Entscheidung.
17
Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die ausführlichen, unter Heranziehung besonderer Sachkunde von Sachverständigen für privates spanisches Sachrecht und sorgfältiger Auswertung von Gerichts – und Privatgutachten, wohl begründeten Ausführungen des Erstgerichts, wonach auf den vorliegenden Sachverhalt spanisches Sachrecht zur Anwendung kommt, nach dem nur ein geringer immaterieller Schadensersatzanspruch besteht.
18
Dabei wird aufgrund der hier besonderen, erstinstanzlichen Vorschaltung eines sog. „leading case“ (Landgericht Ingolstadt, Az.: 81 O 3625/19), aber auch aufgrund der Berufungsrüge „zu den verwerteten Gutachten“ (S. 39 BB) vorab klargestellt, dass Grundlage der nachfolgenden Erörterungen des Senats, insbesondere was Fragen des spanischen Sachrechts betrifft, die Verwertung sämtlicher allseits bekannter Gerichts – und Privatgutachten ist, u.a.:
- die im „leading case“ eingeholten Gutachten zur Anwendbarkeit und zum Inhalt des spanischen Rechts der Gerichtssachverständigen, (Hauptgutachten vom 14.05.2021, Ergänzungsgutachten vom 24.02.2023 und Anhörung vom 20.06.2023,
- die von den Parteien vorgelegten diversen Privatgutachten, darunter auch die undatierte „Legal Opinion“ des Richters a.D. …
- das Gutachten des Gerichtssachverständigen vor dem Landgericht Braunschweig in den dortigen „Spanier – Dieselverfahren“ … vom 11.10.22 sowie dessen Anhörung vom 28.09.2023.
19
Zur Struktur der nachfolgenden Ausführungen sei klargestellt, dass sich diese an den von der Klagepartei gesetzten Prioritäten orientieren, so dass zunächst deutsches Recht in den Blick genommen wird (Ziff. 1), sodann die Frage des anzuwendenden Rechts (Ziff. 2.), dann der Hauptantrag auf Rückabwicklung (Ziff. 3), schließlich der Hilfsantrag auf materiellen und immateriellen Schadensersatz (Ziff. 4) und zuletzt aufgeworfene Vorlagefragen (Ziff. 5) abgehandelt werden. Zum besseren Verständnis wurde mithin von einer reinen Übernahme der Gliederungspunkte in der BB abgesehen, auf diese wird aber jeweils Bezug genommen.
1. Priorisierung deutschen Sachrechts durch die Klagepartei
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Bevor auf das hier richtigerweise anzuwendende Recht einzugehen sein wird, sei der Vollständigkeit halber kurz ein Blick auf das deutsche Sachrecht geworfen werden, dessen Anwendung die BB favorisiert.
21
Einen Rückabwicklungsanspruch gibt das deutsche Recht in der vorliegenden Konstellation, wo die Beklagte zwar Fahrzeugherstellerin, nicht aber Herstellerin des bemakelten Motors ist, nicht her, denn der hiesige Sachvortrag vermag eine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB bzw. §§ 826, 831 Abs. 1 BGB bei weitem nicht zu begründen (BGH, Urteil vom 08. März 2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 23).
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Ein Schadensersatzanspruch kommt nach neuerer, höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, Urteile vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21, VIa ZR 1031/22) allenfalls gerichtet auf Ersatz des sog. Differenzschadens nach § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EGFGV in Betracht. Vortrag der darlegungs- und beweispflichtigen Klagepartei zu einem etwaigen Differenzschaden im Lichte der hierfür nach deutschem Recht bzw. der deutschen, höchstrichterlichen Rechtsprechung maßgeblichen Eckpunkte, insbesondere auch zu den für eine etwaige Schadensberechnung maßgeblichen Eckpunkten, liegt nicht vor, so dass auch ein solcher Anspruch ausscheidet.
2. Anzuwendendes spanisches Sachrecht
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Auch nach Auffassung des Senats ist auf den vorliegenden Sachverhalt, in dem ein spanischer Verbraucher in Spanien von einem spanischen Händler ein nach Spanien importiertes Fahrzeug der Marke Audi gekauft hat, für etwaige Rückabwicklungs – bzw. Schadensersatzansprüche spanisches Sachrecht anzuwenden. Die Ausführungen in der BB unter dem Gliederungspunkt B. vermögen dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen, da sie das Ersturteil (S. 10/17 LGU) nicht erschüttern.
a. Art. 4 Abs. 1 Rom II – VO
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Maßgebend für das anzuwendende Sachrecht ist Art. 4 Abs. 1 VO (EG) 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (nachfolgend abgekürzt: Rom II – VO). Auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung ist, sofern – wie hier – keine vorrangigen Kollisionsnormen eingreifen, nach Art. 4 Abs. 1 Rom II – VO das Recht des Staates anzuwenden, in dem der (angebliche) Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Dies ist hier aufgrund des Schadenseintritts durch den Abschluss des (angeblich) ungewollten Vertrages mit einem Dritten in Spanien spanisches Recht (vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 27. November 2023 – VIa ZR 1425/22, NJOZ, 2024, 1129, Rn. 10ff. zum anwendbaren Sachrecht beim Kauf eines italienischen Basisfahrzeugs für ein Wohnmobil in Deutschland).
b. Art. 4 Abs. 1 Rom I – VO
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Zur Anwendung deutschen Rechts gelangt man auch nicht über Art. 4 Abs. 1 VO (EG) 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, nachfolgend abgekürzt: Rom I – VO (vgl. B.1.e. BB). Dass das spanische Recht eine Direkthaftung gegen den nicht auf Verkäuferseite agierenden Hersteller eines Produktes vertraglich qualifiziert, ändert nichts daran, dass ein etwaiger Anspruch gegen den Hersteller außervertraglich (deliktisch) zu qualifizieren ist. Wie Erwägungsgrund 11 S. 2 zur Rom II – VO betont, ist der Begriff des (außer-) vertraglichen Schuldverhältnisses unionsautonom auszulegen (BeckOGK/J. Schmidt, 01.03.2025, Rom II – VO, Art. 1 Rn. 19). Demnach ist charakteristisch für den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ nach der Rechtsprechung des EuGH, dass eine von einer Partei gegenüber einer anderen Partei freiwillig eingegangene Verpflichtung vorliegt (EuGH, Urteil vom 17. Juni 1992 – C-26/91, BeckRS 2004,75771, Rn. 15 ff.; BeckOGK/J.Schmidt, aaO, Rn. 22 mwN). Davon kann im Verhältnis Fahrzeugkäufer und – hersteller keine Rede sein.
c. Art. 4 Abs. 3 Rom II – VO
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Die von der Klagepartei vorgebrachte Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 Rom II – VO an den Handlungsort hin zur Anwendung deutschen Rechts, weil in Deutschland die Manipulation geplant, koordiniert und der PKW hergestellt worden sei (vgl. B.1.e. BB), umgeht – nicht überzeugend – den Ort des Schadenseintritts bzw. den Erfolgsort als vom Gesetzgeber vorgesehenes, maßgebliches Anknüpfungsmoment, zumal die „Gesamtheit der Umstände“ iSv Art. 4 Abs. 3 Rom II – VO „eine offensichtlich engere Verbindung“, ob quantitativ oder qualifiziert, wie von der BB differenziert, zu Deutschland vorliegend weit und breit nicht hergeben. All die von der Klagepartei basierend auf dem Gutachten Mankowski ins Feld geführten Aspekte (vgl. B.1.a.i. BB) ändern nichts daran, dass vorliegend in Spanien ein nach Spanien importiertes Fahrzeug von einem spanischen Vertragshändler an einen spanischen Käufer verkauft wurde. Auch der BGH stellt im Übrigen in seinem Urteil vom 27. November 2023 (aaO, Rn. 12) auf den Ort des Kaufvertragsschlusses ab. Der Aspekt „Massenschäden“ (vgl. B.1.a.ii. BB) erschüttert das Ersturteil nicht, insoweit wird vollumfänglich auf die in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen des Erstgerichts Bezug genommen (S. 12f. LGU). Gleiches gilt für den erneut (vgl. B.1.a.iii. BB) angeführten „Opferschutz“ (S. 13f. LGU).
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Soweit die Klagepartei Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II – VO zitiert (vgl. B.1.b. BB), ergibt sich nichts Anderes, da es schon kein „bestehendes Vertragsverhältnis“ zwischen den hiesigen Prozessparteien gibt. Auch der Vortrag zu den Werbemaßnahmen der Beklagten (vgl. A.1. BB) führt nicht weiter. Dies gilt schon deshalb, weil ausweislich der für den Senat bindenden Feststellungen im Tatbestand des Ersturteils die hiesige Beklagte nicht eigenständig in Spanien geworben hat.
d. Art. 6 Rom II – VO
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Etwaige (außer-) vertragliche Beziehungen zwischen der Klagepartei und der Beklagten würden nach Art. 6 Abs. 1 Rom II – VO (vgl. B.1.c. BB) ebenfalls spanischem Recht unterliegen, da allenfalls in Spanien die Verbraucherinteressen iSv Art. 6 Abs. 1 Rom II – VO verletzt wären. Soweit sich die Klagepartei auf das Urteil des EuGH vom 09. Juli 2020 in der Rs. C-343/19 bezieht, kann dieses Urteil nicht herangezogen werden, um zur Anwendung deutschen Rechts zu gelangen. Der vom EuGH entschiedene Fall betraf die Frage der Zuständigkeit des Landgerichts Klagenfurt in einem mit dem hiesigen Fall vergleichbaren Rechtsstreit; der EuGH hielt fest, dass die Annahme eines deliktischen Gerichtsstands am Erfolgsort im Einklang mit Art. 6 Rom II – VO stünde: „Eine Handlungsweise wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende […] kann diese Interessen in jedem Mitgliedstaat beeinträchtigen, in dessen Hoheitsgebiet das mangelhafte Produkt von den Verbrauchern gekauft wird. Der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist somit gemäß der Rom II – VO der Ort, an dem ein solches Produkt gekauft wird.” (EuGH, aaO, NJW 2020, 2869, Rn. 39). Ebenso wie in dem vom EuGH entschiedenen Fall ist der Erwerbsort des streitgegenständlichen PKWs der maßgebliche Ort einer – hier bereits nicht dargelegten, etwaigen – Wettbewerbsbeeinträchtigung nach Art. 6 Rom II – VO.
e. Art. 7 Rom II – VO
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Auch über Art. 7 Rom II – VO (vgl. B.1.d. BB) gelangt man hier nicht zur Anwendbarkeit deutschen Sachrechts. Wie das Landgericht zutreffend feststellt (S. 16f. LGU), scheidet die Anwendung von Art. 7, 1. Hs. Var. 2 Rom II – VO aus, weil bereits kein aus einer Umweltschädigung herrührender Sachschaden vorliegt. Ein vorgeblicher Vermögensschaden der Klagepartei wäre nicht kausal auf eine Umweltschädigung zurückzuführen; gleiches gilt für die in der Hauptsache begehrte Rückabwicklung des Vertragsschlusses zwischen der Klagepartei und der Beklagten.
3. Hauptantrag auf Rückabwicklung
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Der Klagepartei steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages nach spanischem Recht zu, wie vom Erstgericht zutreffend dargelegt (S. 17/25 LGU), worauf Bezug genommen wird. Zu ergänzen ist im Lichte der unter dem Gliederungspunkt C.1. erhobenen, den Hauptanspruch betreffenden Berufungsrügen folgendes:
a. Vertraglicher Anspruch auf Rückabwicklung aus Art. 1124 CC
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Ein vertraglicher Anspruch der Klagepartei auf Rückabwicklung des Vertrages gegenüber der Beklagten aus Art. 1124 CC besteht nicht. Die Beklagte ist mangels Vertragsverhältnisses mit der Klagepartei nicht passiv legitimiert. Art. 1257 CC steht einem etwaigen Anspruch entgegen, da nach dieser Vorschrift Verträge nur zwischen den Parteien Wirkungen entfalten, die sie geschlossen haben. Auch können deutsche Gerichte weder aus den spanischen Gesetzen noch aus der spanischen Rechtsprechung eine Durchbrechung dieses bzw. eine Ausnahme von diesem Grundsatz in der hiesigen Fallkonstellation für einen solchen Anspruch zulassen. Mithin erschüttern die unter der Überschrift „1. Passivlegitimation des Herstellers – Anspruch aus Art. 1124 cc“ erhobenen Berufungsrügen das Ersturteil nicht.
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aa. Nach Art. 1124 Abs. 1 CC kann eine Partei vom Vertrag zurücktreten, wenn die andere Vertragspartei ihre Verpflichtung nicht erfüllt hat, wobei es sich um eine schwerwiegende, zur Auflösung berechtigende Nichterfüllung handeln muss. Das Erstgericht hat auf der Grundlage des Gutachtens der gerichtlichen Sachverständigen … (Hauptgutachten vom 14.05.2021, S. 53, Ergänzungsgutachten vom 24.02.2023, S. 2ff, 54 und Anhörung vom 20.06.2023, S. 7, 9 Protokoll) überzeugend ausgeführt, dass sämtliche klägerseits für eine Rückabwicklung ins Feld geführten Anspruchsgrundlagen auf vertraglicher Grundlage, darunter auch ein Anspruch aus Art. 1124 CC, nur gegenüber dem unmittelbaren Vertragspartner geltend gemacht werden können (S. 17 LGU). Es hat sich dabei auch mit der spanischen Instanzrechtsprechung, der spanischen Rechtslehre und insbesondere mit den zwei im Mittelpunkt der rechtlichen Erörterungen stehenden, im EA189 – Komplex ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen des TS (Urteile vom 11.03.2020, Nr. 167/2020, und vom 23.07.2021, Nr. 561/2021) befasst, der in mit dem hiesigen Sachverhalt vergleichbaren Fallkonstellationen unter dem Titel des vierten Rechtsgrundes „Passivlegitimation des Automobilherstellers bei Schadensersatzklagen …“ eine Durchbrechung des Relativitätsgrundsatzes bezogen auf einen immateriellen Schadensersatzanspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf der Grundlage von Art. 1101 CC in Höhe von 500 € zugelassen hat. Mit einer weitergehenden Durchbrechung dieses auch im spanischen Recht wesentlichen Grundsatzes bezüglich sämtlicher vertraglicher Ansprüche befasst sich der TS nicht, insbesondere hat er – bis heute – nicht klargestellt, ob ein (vertraglicher) Rückabwicklungsanspruch des Fahrzeugkäufers gegen einen Fahrzeughersteller in Betracht kommt, was angesichts der nunmehr mehr als achtjährigen Diesel – Rechtsprechung auch in Spanien nahe gelegen hätte, worauf das Erstgericht zu Recht hinweist. Vielmehr ist es so, wie von der Klagepartei selbst in ihrer BB (vgl. C.1.a.xi. BB) eingeräumt, dass bis heute kein spanisches Gericht in einem „Dieselfall“ wie dem vorliegenden ein Rücktrittsrecht eines Verbrauchers gegenüber einem Fahrzeughersteller angenommen hat. Zwar mag dies vielleicht darauf zurückzuführen sein, dass die spanischen Gerichte in den „Dieselfällen“ nur einen geringfügigen Mangel annehmen, also gerade keine schwerwiegende Nichterfüllung, die Voraussetzung für ein Rücktrittsrecht nach Art. 1124 CC wäre. Umso mehr stellt sich dann aber die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage ein deutsches Gericht – im Widerspruch zu den spanischen Gerichten – einem spanischen Verbraucher Ansprüche jedweder Art im Zusammenhang mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, insbesondere einen Rückgewähranspruch, gegenüber dem Fahrzeughersteller zubilligen sollte. Eine valide Grundlage für diese Annahme der Klagepartei gibt es bis heute nicht, weder in spanischen Gesetzen noch in der spanischen (höchstrichterlichen) Rechtsprechung. Nicht das Landgericht, sondern die Klagepartei „spekuliert“, wenn sie „einfach“ behauptet, „das Prinzip der Erstreckung“ (der vertraglichen Haftung auf den Hersteller) müsse ausnahmslos gelten. Auch hilft es nicht weiter, wenn die Klagepartei über Sinn und Zweck einer nur eingeschränkt angenommenen „Erweiterung“ der vertraglichen Haftung des Herstellers auf immateriellen Schadensersatz durch den TS „spekuliert“ und meint, einer solchen hätte es nicht bedurft, da eine Klage auf Schadensersatz auch „rein deliktsrechtlich begründet“ gewesen wäre (vgl. C.1.a.ii. BB). Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich der TS in seinen beiden Entscheidungen wohl schon deshalb nicht mit deliktsrechtlichen Ansprüchen aus Art. 1902 CC befasst hat, weil solche Ansprüche in den Vorinstanzen nicht beantragt waren (vgl. dazu Gutachten von … vom 11.10.2022, S. 83ff.). Dies gilt auch für die weitere „Spekulation“ der Klagepartei, dass es im spanischen Verbraucherschutzrecht keine Lücke hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs gäbe, so dass auch deshalb eine nur eingeschränkte „Erweiterung“ der vertraglichen Haftung des Herstellers auf Schadensersatz durch den TS nicht geboten gewesen wäre (vgl. C.1.a.vii. BB).
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bb. Entgegen der in der BB (vgl. C.1.a.i.) wiederholten Auffassung der Klagepartei ändert auch die von ihr bereits erstinstanzlich vorgelegte, nicht datierte und nicht unterschriebene „Legal Opinion“ des 2020 emeritierten Richters a.D. …, der am Urteil des TS vom 11.03.2020 mitgewirkt hat, nichts. Dabei handelt es sich objektiv betrachtet nur um „klare Worte“ eines einzelnen, zwischenzeitlich emeritierten Mitglieds des TS, nicht etwa um solche „zur Auffassung des Tribunal Supremo“. Der Verfasser bringt dabei seine persönliche Rechtsauffassung zu einem Sachverhalt vor, der der Entscheidung des TS vom 11.03.2020 nicht zugrunde lag, nämlich zu einer „Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages“.
34
Dieser persönlichen Rechtsauffassung eines einzelnen ehemaligen Mitglieds des TS steht die Rechtsauffassung der hier herangezogenen Gerichtsgutachterin …, das von der Beklagten vorgelegte Gutachten „ihres“ Privatgutachters Richter a.D… vom 20.11.2022 (Anlage B 14), wie von der Klagepartei selbst angemerkt, sowie laute Stimmen in der Rechtslehre in Spanien entgegen, die eine weitere Aufdehnung des Grundsatzes der Relativität von Schuldverhältnissen nicht befürworten. Folglich kann vorliegend eine Einzelmeinung eines Richters das Ersturteil nicht erschüttern.
35
Zum Gutachten des Gerichtssachverständigen … und dessen Anhörung, von der Klagepartei in der BB (vgl. C.1.a.i.) angesprochen, ist anzumerken, dass, wie von Klägerseite selbst erkannt, ihre Rechtsauffassung für Ansprüche des Käufers gegen den Hersteller aus Art. 1124 CC im schriftlichen Gutachten dieses Sachverständigen vom 11.10.2022 keinen Rückhalt findet, denn dieser führt z.B. auf S. 68 (ähnlich S. 97f. unter Ziff. 8) aus: „Gegenüber der Bekl. als Herstellerin berechtigen Sachmangel als Vertragsverletzung nicht zur Auflösung des Vertrages nach Art. 1124 CC, da die Norm insoweit ebenfalls durch die Sonderregeln für Verbrauchsgüterkaufverträge (Art. 124 aF bzw. 125 nF TRLGDCU) verdrängt wird. Sonstige Gründe, welche die Annahme einer wesentlichen Vertragsverletzung iSd Art. 1124 CC rechtfertigen sind nicht ersichtlich.“ Der Sachverständige beschäftigt sich schon in seinem schriftlichen Gutachten, S. 67, mit der Frage, ob die für Schadensersatzansprüche gegen die Herstellerin aus Art. 1101 CC vom TS angenommene Passivlegitimation aus den gleichen Gründen auf die ebenfalls der Sanktionierung von Erfüllungsmängeln dienende Norm des Art. 1124 CC erstreckt werden könnte. Er schließt dies nicht grundsätzlich aus, aber stellt sodann fest: „Letztlich kommt es nicht darauf an, da eine Vertragsauflösung nach Art. 1124 CC vorliegend abzulehnen ist“. Im Lichte dieser Ausführungen, auf die der Sachverständige eingangs seiner Anhörung ergänzend Bezug genommen hat, ergibt sich, dass auch der von der Klagepartei zitierte Ausschnitt aus der Anhörung des Sachverständigen an dem Nichtbestehen eines Anspruchs nach Art. 1124 CC nichts ändert. Zudem mag manche Äußerung des TS insbesondere in seiner ausführlicheren Entscheidung vom 11.03.2020 die Frage aufwerfen, ob die dort anerkannte Aufhebung des Relativitätsgrundsatz auch im Hinblick auf andere Rechte eines Käufers, wie z.B. den Rücktritt, gelten könnte, beantwortet hat er diese Frage aber nicht (vgl. Hauptgutachten… vom 14.05.2021, S. 10).
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Unter den gegebenen Umständen kann es folglich nicht angehen, wie auch vom Erstgericht zutreffend dargelegt (S. 22 LGU), dass sich ein deutsches Gericht eine Fortentwicklung des spanischen Rechts anmaßt und dabei etwas zuspricht, was im spanischen Sachrecht keine Grundlage hat. Selbstverständlich würde es sich, entgegen der Behauptung in der BB (vgl. C.1.a.xi.), um eine Fortschreibung des spanischen Rechts handeln, denn einen (quasi-) vertraglichen Direktanspruch des Verbrauchers gegen einen Fahrzeughersteller auf Rückabwicklung hat noch kein spanisches Gericht in den „Dieselfällen“ bejaht.
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cc. Aus eben diesem Grund führen auch die von der Klagepartei nochmals ins Feld geführten, aus ihrer Sicht „durchaus vergleichbaren“ Beispiele aus dem Immobilienkauf, dem Gesellschaftsrecht und dem Wertpapierkauf wie auch der pauschale Verweis auf einen fremdfinanzierten Vertrag (vgl. C.1.a.iii. bis vi. BB), der vorliegend nicht im Raum steht, und dort angeblich vom TS zugelassene vertragliche Ansprüche gegen vertragsfremde Dritte nicht zu einem anderen Ergebnis.
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dd. Zu Recht hat das Erstgericht als weiteres Argument gegen eine Passivlegitimation der Beklagten für sämtliche vertraglichen Ansprüche, insbesondere auch für die hier im Hauptantrag begehrte Rückabwicklung, auch die fehlende Vereinbarkeit einer solchen Ausdehnung mit dem spanischen Verbraucherschutzrecht angeführt. Die hiergegen erhobene Berufungsrüge (vgl. C.a.ix. BB) geht an der Rechtswirklichkeit vorbei.
39
Da die Klagepartei beim Kauf des streitgegenständlichen PKW als Verbraucher gehandelt hat, sind rechtsdogmatisch korrekt eigentlich zunächst Ansprüche aus dem spanischen Verbraucherschutzgesetz (TRLGDCU) als lex specialis gegenüber der allgemeinen zivilrechtlichen Haftung zu prüfen. Art. 114 ff. TRLGDCU normiert Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Verkäufer, darunter auch ein Rücktrittsrecht, Art. 121 TRLGDCU. Ein solches Rücktrittsrecht verbunden mit einem Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises besteht damit für die hiesige Fallkonstellation gerade nicht, wo der Hersteller in Anspruch genommen werden soll. Art. 124 TRLGDCU gibt zwar unter bestimmten Umständen dem Verbraucher das Recht, sich wegen Mängeln der Kaufsache statt an den Verkäufer direkt an den Hersteller zu wenden. Dieser Direktanspruch hat aber nur eine begrenzte Bedeutung und gibt kein Rücktrittsrecht bzw. keinen Rückerstattungsanspruch, wie vom Erstgericht völlig zutreffend auf S. 25 dargelegt (vgl. auch ergänzend Gutachten von …, aaO, S. 10). Mithin gibt das speziellere Verbraucherschutzrecht in Spanien dem Verbraucher gerade keinen unmittelbaren Regressanspruch gegen den Hersteller, wie von der Klagepartei begehrt. Damit wäre die Gewährung weitergehender Rechte nach allgemeinen Rechtsvorschriften nicht vereinbar. Im Übrigen hat sich der TS in seinen beiden Entscheidungen vom 11.03.2020 und 23.07.2021 schon deshalb nicht mit dem Verbraucherschutzrecht befasst, da Ansprüche auf dieser Grundlage nicht bei ihm anhängig waren (vgl. Hauptgutachten … vom 14.05.2021, S. 7; Ergänzungsgutachten Dr. Sala vom 24.02.2023, S. 6; Gutachten von Prof. Dr. Sachsen Gessaphe, aaO, S. 12f.).
40
ee. Vor dem Hintergrund der europäischen Haftungsgrundsätze drängt sich jedenfalls nicht eine noch weitere Durchbrechung des Relativitätsgrundsatzes auf, wie vom Erstgericht zu Recht ausgeführt. Der Vortrag in der BB (vgl. C.1.a.xi.) erschüttert das Ersturteil nicht.
b. „Ansprüche aus Verbraucherschutzrecht“
41
Auch auf Bestimmungen des spanischen Verbraucherschutzgesetzes (TRLGDCU) kann die begehrte Rückabwicklung, entgegen der BB (vgl. C.2.), nicht gestützt werden, da solche Ansprüche gegen die Beklagte als Herstellerin dort nicht vorgesehen sind. Zur Begründung nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts (S. 23/25 LGU) und obige Ausführungen unter Ziff. II.3.a.dd. Bezug und ergänzt nur kurz:
42
aa. Der Rechtsauffassung des Erstgerichts, wonach es nicht angebracht erscheint, die nur zu Ansprüchen nach Art. 1101 CC ergangene Rechtsprechung des TS in seinen Urteilen vom 11.03.2020 und 23.07.2021 auf die Vorschriften des Verbraucherschutzgesetzes auszudehnen (S. 25 LGU), tritt der Senat, wie bereits dargelegt, bei. Diese Rechtsauffassung liegt keineswegs „eindeutig neben der Sache“, sondern sie ergibt sich „aus der Sache“.
43
bb. Die weitere Argumentation der Klagepartei zu Art. 121 TRLGDCU blendet „einfach“ aus, dass diese Bestimmung nur einen Anspruch gegenüber dem Verkäufer, nicht gegenüber dem Hersteller gewährt.
44
cc. Der Aspekt, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung im Lichte der jüngeren EuGH – Rechtsprechung nicht mehr als geringfügiger Mangel bzw. unerhebliche Vertragswidrigkeit eingestuft werden kann, „liegt auf der Hand“ (vgl. Ergänzungsgutachten … v. 24.02.2023, S. 20). Dies gilt aber entgegen der BB nicht für die Frage, ob mit dieser Erkenntnis in den vorliegenden Dieselfällen auch ein Rücktrittsrecht des Verbrauchers unmittelbar gegen den Hersteller einhergeht. Die Gerichtssachverständige … lehnt ein solches angesichts des Grundsatzes der Relativität, der Rechtsprechung des TS und des Verbraucherschutzrechts, wo der Gesetzgeber eine bewusste Entscheidung getroffen habe, dem Verbraucher dem Hersteller gegenüber bei den dort geregelten Ansprüchen keine direkten Rücktrittsrechte einzuräumen, weiterhin ab (Anhörung vom 20.06.2023, S. 7 des Protokolls) und die Rechtsprechung in Spanien trotz dieses „Knackpunktes“ offensichtlich auch. Der in den Raum gestellte weitere Hinweis der Klagepartei auf die Unzulässigkeit des Thermofensters ändert daran auch nichts.
45
dd. Art.124 TRLGDCU gewährt dem Verbraucher, worauf das Erstgericht zutreffend hinweist, nach dessen Wortlaut zwar einen Direktanspruch gegen den Hersteller, aber nur gerichtet auf Ersatzlieferung oder Nachbesserung (vgl. Hauptgutachten … vom 14.05.2021, S. 12f. mit Wiedergabe des Gesetzestextes und Anhörung … vom 28.09.2023, S. 3), so dass auch hieraus – anders als die BB meint – jedenfalls ein Direktanspruch auf Rücktritt gegenüber dem Hersteller nicht hergeleitet werden kann.
46
ee. Soweit die Klagepartei das Institut der „Actos Proprios“ bemüht, gibt das spanische Sachrecht bzw. die dazu ergangene Rechtsprechung, auch wenn der Hersteller eines Dieselfahrzeugs „eine eigene Haftung anerkannt hat – in dem er die Nachbesserung angeboten hat“, keinen Anspruch des Verbrauchers gegen den Hersteller auf Rückabwicklung her.
47
ff. Auch der Hinweis in der BB (vgl. C.2.e.) auf eine Auslegung des TRLGDCU im Lichte der am 31.12.2021 außer Kraft getretenen Verbrauchsgüterkaufrichtlinie EG 44/1999, dort Art. 1 (Abs. 2) e in Verbindung mit Art. 6 Abs. 5, führt schon ausweislich deren Wortlauts im hiesigen Fall, wo sich u.a. schon die Frage nach dem Vorliegen einer „Garantie“ stellt, offensichtlich nicht zu einem Direktanspruch des Verbrauchers gegen den Hersteller auf Rückerstattung des Kaufpreises.
c. „Weitere Anspruchsgrundlagen nach spanischem Recht auf Rückzahlung des Kaufpreises“
48
Auch nach Art. 6 Nr. 3 CC iVm Art. 1303 CC bzw. Art. 1269, 1270 Abs. 1 CC iVm Art. 1303 CC ergibt sich – entgegen den Ausführungen in der BB im Abschnitt C. „Weitere Anspruchsgrundlagen nach spanischem Recht auf Rückzahlung des Kaufpreises“ – kein Anspruch auf Rückabwicklung bzw. Rückzahlung des Kaufpreises, da auch deren Voraussetzungen hier nicht vorliegen.
49
aa. Anspruch gemäß Art. 6 Abs. 3 CC iVm Art. 1303 CC Die diesbezüglichen, eher rechtstheoretischen Ausführungen in der BB vermögen einen solchen Anspruch nicht zu begründen.
50
Eine von Amts wegen zu beachtende absolute Nichtigkeit des Kaufvertrages wegen Verstoßes gegen zwingendes Recht iSv Art. 6 Abs. 3 CC bewirkt zwar gemäß Art. 1303 CC ex lege die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Die spanische Rechtsprechung wendet aber Art. 6 Abs. 3 CC sehr restriktiv an, sofern die Norm, gegen die verstoßen wurde, nicht ausdrücklich die Nichtigkeitsfolge anordnet. Eine direkte spanische Verbotsnorm in Bezug auf die hier verwendete Abschaltvorrichtung ist nicht ersichtlich und auch von der Klagepartei nicht vorgetragen. Bei dem von der Klagepartei in der BB benannten Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EU) 715/2007 handelt es sich zwar um eine Verbotsnorm, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH, aber einen damit einhergehenden Verstoß iSv Art. 6 Abs. 3 CC mit Nichtigkeitsfolge wurde bislang noch von keinem spanischen Gericht, schon gar nicht vom TS, angenommen. Dementsprechend kommen sowohl die hiesige Gerichtssachverständige… (Hauptgutachten vom 14.05.2021, S. 24f., 53) als auch der Gerichtssachverständigen vor dem Landgericht Braunschweig… (Gutachten vom 11.10.2022, S.32 ff., 96) zum Ergebnis, dass auch hieraus der im Hauptantrag geltend gemachte Anspruch gegen die Beklagte nicht hergeleitet werden kann.
51
bb. Anspruch gemäß Art. 1269 oder 1270 CC iVm Art. 1303 CC Eine Rückabwicklung des Kaufvertrages aufgrund Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung oder sog. beiläufiger Arglist scheidet ebenfalls aus, die Berufungsrügen erschüttern das Ersturteil nicht.
52
Zunächst ist festzuhalten, dass in bisher in vergleichbaren Fällen ergangenen Entscheidungen spanischer Gerichte das Vorliegen einer schweren oder beiläufigen Täuschung iSv Art. 1269, 1270 CC entweder gar nicht thematisiert oder im Ergebnis ohne nähere Begründung abgelehnt wurde (Gutachten … vom 11.10.2022, S. 53). Es steht also wieder eine Rechtsfortbildung zum spanischen Sachrecht im Raum, die aus grundsätzlichen, oben bereits dargelegten Gründen abzulehnen ist.
53
Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, geregelt in Art. 1269 CC, müsste sich zudem gegen die andere Vertragspartei richten und innerhalb einer vierjährigen Ausschlussfrist, Art. 1301 CC, beginnend mit dem Vollzug des Kaufvertrages bzw. mit der Erbringung der den Parteien obliegenden Leistungen aus dem Vertrag, erfolgen.
54
Die in Art. 1270 CC geregelte, sog. beiläufige Arglist führt allenfalls zu einem Entschädigungsanspruch vertraglicher Natur, bei dem der Unterschied zwischen der bezahlten Gegenleistung und dem tatsächlichen Wert des Vertragsgegenstandes zu ersetzen ist, mithin gerade nicht zu einem Anspruch auf Rückabwicklung, schon gar nicht gegenüber der Beklagten, die nicht Vertragspartnerin ist.
55
Infolgedessen konstatieren auch die Gerichtssachverständige… (Hauptgutachten vom 14.05.2021, S. 29ff., 33) wie auch der Gerichtssachverständige … (Gutachten vom 11.10.2022, S. 61f., S. 97), dass eine Rückabwicklung des Kaufvertrages infolge einer Anfechtung im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt.
d. Außervertraglicher Anspruch auf Rückabwicklung
56
Auch aus „gesetzlichen Ansprüchen“ ergibt sich kein Anspruch auf Rückabwicklung. Das Erstgericht hat zu Recht einen Rückgewähranspruch auf deliktsrechtlicher Grundlage aus Art. 1902 CC verneint (S. 22f. LGU), da der (angeblich ungewollte) Vertragsschluss – anders als im deutschen Recht – nach spanischem Recht keinen ersatzfähigen Schaden darstellt und ein auf Rückabwicklung eines Vertragsverhältnisses gerichteter deliktischer Schadensersatzanspruch dem spanischen Recht fremd sei.
4. Hilfsantrag auf materiellen und immateriellen Schadensersatz
57
Zu Recht hat das Erstgericht einen Anspruch der Klagepartei auf materiellen Schadensersatz verneint (S. 26/29 LGU).
58
Einen Anspruch auf höheren immateriellen Schadensersatz als die zugesprochenen 500 € nebst Zinsen hat die Klagepartei nicht (S. 29/36 LGU).
a. Materieller Schadensersatz
59
Zutreffend hat das Erstgericht entschieden, dass der Klagepartei kein Anspruch auf materiellen Schadensersatz zusteht, weil die beweisbelastete Klagepartei unabhängig von der möglichen Anspruchsgrundlage den materiellen Schaden nicht hinreichend dargelegt und bewiesen hat. Die hiergegen in der BB erhobenen Einwände greifen nicht durch. aa. Der Senat legt seiner Entscheidung folgende Rechtsgrundsätze zugrunde:
60
Ein Vermögensschaden besteht in der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Stand des Vermögens des Geschädigten und demjenigen, den es ohne das schädigende Ereignis hätte (Gutachten … vom 11.10.2022, S. 73).
61
Nach dem Urteil Nr. 692/2008 des TS „werden Schäden und Nachteile nicht vermutet, sondern müssen von demjenigen, der eine Entschädigung verlangt, sowohl im Hinblick auf ihre Existenz (an) als auch im Hinblick auf deren Höhe (quantum) bewiesen werden […]. Diese Lehre, die unumstritten und gefestigt ist, findet eine Ausnahme in der Rechtsprechung, die eine Vermutung der Existenz des Schadens für richtig hält, wenn eine Situation vorliegt, in der sich die Schäden und Nachteile als wahr und effektiv offenbaren. Es handelt sich um Sachverhalte, in denen die Existenz des Schadens zwangsläufig aus der unerlaubten Handlung oder aus der Nichterfüllung abgeleitet werden kann oder die die natürliche, zwangsläufige und unvermeidbare Folge der unerlaubten Handlung oder der Nichterfüllung sind oder wenn es sich um unbestreitbare, offenkundige oder eindeutige Schäden handelt […]. Es entsteht eine Situation, in der die Sache selbst spricht (ex re ipsa), mit der Folge, dass ein Beweis nicht erforderlich ist, weil die Tatsachen auf unbestreitbarer Art und Weise sprechen. […] Tritt die Nichterfüllung nicht mit der oben beschriebenen Relevanz ein, muss der Kläger bzw. der Gläubiger den erforderlichen Beweis der Tatsachen erbringen, die seinen Schadensersatzanspruch begründen, es sei denn, es gibt ausnahmsweise eine Vorschrift, die eine Entschädigungspflicht mit dem bloßen rechtswidrigen Handeln verbindet, oder es wurde die Zahlung einer Summe im Falle einer Nichterfüllung vereinbart […].“ (zitiert nach dem Gutachten … vom 24.02.2023, S. 28).
62
bb. Bei Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze hat das Erstgericht zu Recht einen Anspruch auf Ersatz von materiellem Schaden verneint, da die Klagepartei einen solchen materiellen Schaden nicht hinreichend dargelegt und bewiesen hat.
63
(1) Die re-ipsa-Regel kommt hier nicht zur Anwendung, da die Voraussetzungen ihrer Anwendung nicht vorliegen.
64
Wie aus den zitierten Ausführungen des TS ersichtlich ist, handelt es sich bei der re-ipsa-Regel um eine an das materielle Recht anknüpfende richterrechtlich entwickelte Vermutung, für die somit Art. 22 Abs. 1 Rom II – VO gilt (vgl. MüKoBGB/Junker, 9. Aufl. 2025, Rom II-VO Art. 22 Rn. 6, 7; Engel in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., Art. 22 Rom IIVO Rn. 4). Bei der hier erfolgenden Anwendung spanischen Rechts ist damit auch diese Regel zu berücksichtigen.
65
Der TS hat über die Frage der Anwendung der re-ipsa-Regel in Bezug auf materielle Schäden von vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugkäufern bisher nicht entschieden; die spanische Instanzrechtsprechung ist uneinheitlich (vgl. Gutachten… vom 24.02.2023, S. 27/30). Die Gerichtssachverständige selbst ist der Ansicht, die Anwendung der Regel im Zusammenhang mit materiellen Schäden könnte mit guten Argumenten vertreten werden (vgl. Gutachten … vom 24.02.2023, S. 55).
66
Der Senat stellt die grundsätzliche Möglichkeit der Anwendung dieser Regel auf materielle Schäden nicht in Frage. Es handelt sich hier aber nicht um einen Sachverhalt, in dem die Existenz des Schadens zwangsläufig aus der unerlaubten Handlung oder aus der Nichterfüllung abgeleitet werden kann oder in dem die Existenz des Schadens die natürliche, zwangsläufige und unvermeidbare Folge der unerlaubten Handlung oder der Nichterfüllung ist. Es handelt sich auch nicht um einen Fall des unbestreitbaren, offenkundigen oder eindeutigen Schadens.
67
Denn es ist unstreitig, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über die gesamte Zeit seit seinem Kauf der Klagepartei uneingeschränkt zur Nutzung zur Verfügung stand und dass ein verpflichtender Rückruf in Spanien bisher nicht erfolgt ist, sondern nur eine freiwillige Servicemaßnahme. Die Zwangsläufigkeit, Natürlichkeit, Unvermeidbarkeit, Unbestreitbarkeit, Offenkundigkeit oder Eindeutigkeit eines materiellen Schadens liegt damit nicht vor.
68
Die hiergegen erhobenen Einwände der Klagepartei bleiben ohne Erfolg.
69
(a) Die Ausführungen der Klagepartei zur (angeblichen) Unsicherheit über Genehmigungen in Spanien in Folge der Entscheidungen des VG Schleswig gehen – jedenfalls in Bezug auf die reipsa-Regel – an der Sache vorbei. Die re-ipsa-Regel kommt zur Anwendung, wenn Zwangsläufigkeit, Unvermeidbarkeit o.ä. besteht, also Sicherheit, dass ein Schaden vorliegt. Unsicherheit über das Fortbestehen von Genehmigungen ist nicht mit der Sicherheit der Existenz eines materiellen Schadens gleichzusetzen.
70
(b) Ebenso hat der von der Klagepartei angeführte Umstand, dass die Klassifizierung eines Fahrzeugs nach der Euro 4- oder Euro 5-Norm für die Wertbestimmung des Fahrzeugs relevant sei, mit der Anwendung der re-ipsa-Regel nichts zu tun.
71
(c) Es mag zutreffen, dass es für die Klagepartei schwer festzustellen ist, ob die vorgetragene Verletzung von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007 zu einem höheren Verbrauch, zu einer verminderten Leistung oder zu einer Beschränkung der Lebensdauer führt (vgl. C.4.c.iv3 BB). Wenn aber etwas schwer festzustellen ist, kann daraus nicht geschlossen werden, dass es sicher eingetreten ist. Im Übrigen stellen die Ausführungen zur Feststellbarkeit von Schäden im Gutachten … vom 24.02.2023, S. 29, ein Zitat aus dem vereinzelt gebliebenen Urteil der Audiencia Provincial Madrid vom 01. Juli 2019 Nr. 301/2019 dar und nicht eine Ansicht der Sachverständigen.
72
Die Ausführungen der Klagepartei dazu, dass das Fahrzeug wegen des Thermofensters ein „Minus“ gegenüber dem, was sie gekauft habe, sei, steht im Widerspruch zum unstreitigen Sachverhalt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über die gesamte Zeit seit seinem Kauf der Klagepartei uneingeschränkt zur Nutzung zur Verfügung stand. Sicher eingetretene materielle Schäden ergeben sich hieraus nicht.
73
(d) Das gleiche gilt für die behauptete Überzahlung durch den Verbraucher. Auch hier verweist die Klagepartei auf S. 29 des Gutachtens … vom 24.02.2023, in dem die Audiencia Provincial Madrid zitiert wird. Wenn das streitgegenständliche Fahrzeug der Klagepartei über die gesamte Zeit seit seinem Kauf uneingeschränkt zur Nutzung zur Verfügung stand und Zwangsmaßnahmen durch die Behörden in Spanien nicht erfolgt sind, so ist eine Überzahlung nicht sicher gegeben.
74
Der Hinweis auf S. 4 des Gutachtens des Richters a.D. … ist untauglich, denn dort äußert sich dieser nicht zur re-ipsa-Regel. Ausführungen macht er hierzu vielmehr auf S. 5 unten/S. 7 seines Gutachtens. Allerdings geht er von einem Sachverhalt aus, der hier nicht vorliegt, nämlich einer fehlenden Verkehrstauglichkeit des Fahrzeugs mit ungültigen Genehmigungen (S. 6 oben), so dass aus seinen Ausführungen keine Rückschlüsse auf die hier zu entscheidende Fallkonstellation gezogen werden können.
75
Es spielt auch keine Rolle, ob das Urteil der Audiencia Provincial Madrid vom 01. Juli 2019 Nr. 301/2019 rechtskräftig ist, und welche – durch nichts belegte – Spekulationen die Klagepartei zu den Erwägungen des „Konzerns der Beklagten“ vornimmt. Ein sicher vorliegender materieller Schaden ergibt sich hieraus nicht.
76
(e) Ein kartellrechtlicher Fall liegt hier nicht vor, so dass Ausführungen zum Kartellrecht nicht hilfreich sind.
77
(f) Deutsches Recht ist an dieser Stelle nicht zu prüfen, ebenso wenig hilft der Verweis auf in Deutschland abgeschlossene Vergleiche.
78
(g) Auch aus der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris) folgt nicht die Anwendung der re-ipsa-Regel.
79
Zutreffend zitiert zwar die Klagepartei (vgl. C.4.c.iv7 BB), dass nationale Rechtsvorschriften, die es dem Käufer eines Kraftfahrzeugs praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erhalten, der ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 enthaltene Verbot entstanden ist, nicht mit dem Grundsatz der Effektivität in Einklang stünden (EuGH, aaO, juris Rn. 93).
80
Die Klagepartei meint, die Rechtsprechung des EuGH sei dahingehend auszulegen, dass der materielle Schaden, der dem Verbraucher entstanden sei, in einer effektiven Größe ersetzt werden müsse. Dabei übersieht die Klagepartei jedoch, dass hier die Existenz eines materiellen Schadens schon nicht sicher feststeht. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH besteht die Schadensersatzpflicht nur, „… wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. “ (EuGH, aaO, juris Rn. 91). Ist schon nicht – wie hier – ausreichend dargelegt und bewiesen, dass überhaupt ein materieller Schaden vorliegt, kommt es auf den Ersatz in einer effektiven Größe nicht an. Aus der Rechtsprechung des EuGH folgt jedenfalls nicht, dass es geboten sein könnte, mittels der re-ipsa-Regel einen nicht sicher bestehenden Schaden zu fingieren.
81
(h) Die re-ipsa-Regel kommt damit hier in Bezug auf den materiellen Schaden nicht zur Anwendung.
82
(2) Zutreffend hat das Erstgericht ausgeführt, dass die Klagepartei – unabhängig von der Anspruchsgrundlage – einen hinreichend konkreten materiellen Schaden nicht dargelegt hat (S. 27/29 LGU).
83
Darlegungslast und Beweislast sind nach spanischem Recht zu beurteilen, Art. 22 Abs. 1 Rom IIVO. Welche Tatsachen und Einzelheiten erforderlich und ausreichend sind, einen bestimmten materiellrechtlichen Anspruch schlüssig darzulegen, ist eine Frage des sachlichen Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 1977 – VIII ZR 184/75, juris Rn. 21; MüKoBGB/Junker, aaO, Rom II-VO Art. 22 Rn. 11, 12; Engel in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, aaO, Art. 22 Rom IIVO Rn. 7).
84
Kommt die re-ipsa-Regel nicht zur Anwendung, müssen die geltend gemachten Schadenspositionen nach spanischem Recht hinreichend bestimmt von der Klagepartei dargelegt und bewiesen werden, wirtschaftlich berechenbar sein und dürfen nicht rein hypothetisch sein (Gutachten … vom 11.10.2022, S. 73ff., 79, 82, 84; Gutachten Dr. Sala vom 14.05.2021, S. 43ff.) .
85
Dem ist die Klagepartei weder erstinstanzlich noch in der BB nachgekommen. Vielmehr leitet sie die geltend gemachte Schadenshöhe aus der Rahmenvereinbarung zwischen der (deutschen) Verbraucherzentrale und der VW AG aus dem vor dem OLG Braunschweig geführten Musterfeststellungsverfahren her (S. 6 LGU). Ein Bezug zum hiesigen Rechtsstreit und zum streitgegenständlichen Fahrzeug ist dabei nicht erkennbar.
86
Soweit die BB auf angebliche, erstinstanzliche, übergangene Beweisangebote verweist, ist dies nicht zielführend, da eine Beweisaufnahme schon mangels ausreichender Darlegung nicht in Betracht.
87
Auch in den weiteren Ausführungen zum materiellen Schaden erfolgt keine hinreichende Darlegung. Weder aus der angeblichen Unsicherheit über spanische Genehmigungen noch aus der Benennung wertbildender Faktoren oder aus der Qualifizierung der betroffenen Fahrzeuge als angebliches „Minus“ ist ersichtlich, welchen konkreten Schaden die Klagepartei geltend machen will. Die Klagepartei behauptet auch eine Überzahlung durch den Verbraucher, leitet hieraus aber keinen bestimmten Schaden ab. Letztlich ergibt sich auch aus den Ausführungen zum Kartellrecht, zum deutschen Recht und zum Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts nichts Konkreteres.
88
(3) Die Darlegungs- und Beweislast folgt aus dem spanischen Gesetz und der Rechtsprechung des TS und hat mit möglichen Eingeständnissen der ein oder anderen Partei nichts zu tun.
89
(4) Eine Beweislastumkehr in Bezug auf die Existenz eines materiellen Schadens vermag der Senat aus Art. 1107 Abs. 2 CC nicht zu erkennen.
90
Die BB führt folgendes aus: „Es gilt damit die Beweisvermutung, dass jeder Schaden, der durch die betrügerische Handlung entstanden ist, auch wenn diese verursacht wurde. Es liegt also grundsätzlich an der Beklagten, das Gegenteil zu beweisen. Diesen Beweis hat sie nicht erbracht.“
91
Was die Klagepartei damit zum Ausdruck bringen möchte, erschließt sich dem Senat nicht. Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass hier bereits streitig ist, ob der Klagepartei überhaupt ein materieller Schaden entstanden ist. Eine Beweislastumkehr dahingehend, dass die Beklagte die Nicht-Existenz eines materiellen Schadens der Klagepartei beweisen müsste, beinhaltet Art. 1107 Abs. 2 CC schon seinem Wortlaut nach jedenfalls nicht (vgl. Gutachten… vom 14.05.2021, S. 47; Gutachten … vom 11.10.2022, S. 75).
92
(5) Der mit Schriftsatz vom 20.03.2025 im Verfahren 9 U 245/25 e vorgelegte Hinweis des OLG Braunschweig vom 27.02.2025 im dortigen Verfahren 2 U 10/24 gebietet keine andere Entscheidung. Die Erwägung des OLG Braunschweig, den materiellen Schaden nach § 287 ZPO und den Grundsätzen des BGH zum Differenzschaden zu bemessen, steht auch nach dortiger Ansicht unter dem Vorbehalt, dass ein Anspruch der Klagepartei auf Ersatz materiellen Schadens grundsätzlich zu bejahen ist. Letzteres ist jedenfalls hier mangels Darlegung eines hinreichend konkreten materiellen Schadens nicht der Fall.
b. Immaterieller Schadensersatz
93
Einen Anspruch auf höheren immateriellen Schadensersatz als die zugesprochenen 500 € nebst Zinsen hat die Klagepartei nicht.
94
Das Erstgericht hat in Bezug auf den immateriellen Schaden die re-ipsa-Regel angewendet und der Klagepartei einen pauschalen Betrag in Höhe von 500 € zugesprochen (S. 29/39 LGU).
95
Nach Ansicht des Senats ist der immaterielle Schaden der Klagepartei jedenfalls nicht höher als 500 €.
96
aa. Bei Anwendung der re-ipsa-Regel muss die Klagepartei das Bestehen eines immateriellen Schadens nicht beweisen. Die konkrete Bestimmung der Schadenshöhe – ggf. unter Berücksichtigung des Vortrags der Klagepartei – obliegt dem Gericht. Weder im allgemeinen Vertragsrecht noch im TRLGDCU oder in den allgemeinen Vorschriften zur außervertraglichen Haftung finden sich Richtlinien für die Bestimmung des immateriellen Schadens. Die Rechtsprechung folgt auch keinen einheitlichen Kriterien. Laut dem TS „bestehen aufgrund seines affektiven Charakters und seiner Eigenschaft als Schmerzensgeld keine objektiven Grundlagen für die Bestimmung des immateriellen Schadens. Deswegen muss er mit einer vernünftigen Summe bewertet werden, die immer eine gewisse subjektive Komponente haben wird. Aus diesem Grund müssen sämtliche Umstände des Falles berücksichtigt werden“ (Gutachten Dr. Sala vom 24.02.2023, S. 24).
97
Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung des immateriellen Schadens nach dem spanischen Recht grundsätzlich keine Straffunktion (punitive damages) und keine deklarative Funktion (nominal damages) erfüllen darf. Die Entschädigungssumme kann allerdings kaum zu einer tatsächlichen Entschädigung des Schmerzens bzw. des psychischen Leidens, wohl aber zu einer gewissen „Kompensation“ führen (Gutachten … vom 24.02.2023, S. 25).
98
bb. Nach diesem Maßstab hat die Klagepartei keinen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz, der über 500 € hinausgeht.
99
Der Senat orientiert sich dabei wie das Erstgericht an der Rechtsprechung spanischer Gerichte, die den gleichen Betrag zugesprochen haben, nicht zuletzt an der Entscheidung des TS Nr. 561/2021 vom 23.07.2021, wenngleich eine Bindung hieran nicht besteht (vgl. Gutachten … vom 24.02.2023, S. 25/27).
100
Der Senat berücksichtigt wie der TS in der zitierten Entscheidung unter: “Siebentens 3.“ und das Erstgericht (S. 32 LGU): „Der immaterielle Schaden, den der Kläger erlitten hat, ist nicht so sehr dadurch verursacht worden, dass die tatsächlichen Schadstoffemissionen bestimmte Grenzwerte überschritten haben, sondern durch die Ungewissheit und das Unbehagen, die sich daraus ergeben, dass im Rahmen eines schweren öffentlichen Skandals festgestellt worden ist, dass das von ihm gekaufte Fahrzeug mit einer illegalen Vorrichtung ausgestattet war, die die Ergebnisse der Typgenehmigungsprüfung des Fahrzeugs hinsichtlich der Schadstoffemissionen verfälschte, mit ungewissen Folgen (Auswirkungen des am Fahrzeug vorzunehmenden Eingriffs, steuerliche Sanktionen, Möglichkeit der Entziehung der Betriebserlaubnis, weil das Fahrzeug aufgrund der nach Artikel 5.1 der Verordnung 715/2007 verbotenen Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ entspricht., die Möglichkeit, den Zugang zu bestimmten städtischen Gebieten zu beschränken usw.), wobei zu berücksichtigen ist, dass es für einen Autokäufer wichtig ist, sicher zu sein, dass er nicht – auch nicht vorübergehend – seiner Nutzung beraubt oder auf bestimmte Gebiete beschränkt wird.“
101
Das Alter des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Entdeckung des Dieselskandals führt entgegen der Ansicht der Klagepartei zu keinem anderen Ergebnis.
102
Der TS hat zwar mit dem Alter des Fahrzeugs in der zitierten Entscheidung (unter „Siebentens 8. “) argumentiert, um eine offenkundig unverhältnismäßige Forderung von 11.376 € zu reduzieren. Dass er sich bei der Bemessung des Betrags in Höhe von 500 € (unter „Siebentens 9.“) entscheidend vom Fahrzeugalter hat leiten lassen, ergibt sich aus seiner Entscheidung aber nicht.
103
Aber auch wenn der Senat das hier vorgetragene Fahrzeugalter gleichwohl berücksichtigen würde, ist kein höherer Betrag zuzusprechen. Denn die Annahme eines immateriellen Schadens in Höhe von 500 € ist ohnehin großzügig bemessen angesichts des Umstands, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über die gesamte Zeit seit seinem Kauf der Klagepartei uneingeschränkt zur Nutzung zur Verfügung stand und nur einer freiwilligen Servicemaßnahme unterlag. Es kann also davon ausgegangen werden – soweit nicht im Einzelfall konkret anderes vorgetragen wird –, dass Ungewissheit und Unbehagen sich in Grenzen gehalten haben. Auf das Software-Update kommt es dabei dem Senat nicht maßgeblich an.
104
Aufgrund der Entscheidungen des VG Schleswig vom 01. März 2023 und 17. Januar 2024 ist nichts anderes veranlasst. Eine bestehende Ungewissheit berücksichtigt der Senat – wie ausgeführt – ohnehin. Erstinstanzliche Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte sind nach Auffassung des Senats aber nicht geeignet, Ungewissheit und Unbehagen spanischer Autokäufer derart zu beeinflussen, dass hieraus generell ein höherer immaterieller Schaden resultiert. Zum konkreten Einzelfall trägt die Klagepartei jedoch nicht vor.
105
cc. Das Erstgericht hat die Beklagte zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils verurteilt (S. 39 LGU). Einen höheren Anspruch hat die Klagepartei nicht.
106
Soweit sich die Klagepartei auf einen Zinsanspruch nach Art. 1108 CC beruft, bleibt dies ohne Erfolg. Denn ein Zinsanspruch nach Art. 1108 CC setzt Verzug voraus, der sich auch nach spanischem Recht grundsätzlich nur nach Mahnung ergibt (Gutachten … vom 11.10.2022, S. 88/89). Hierzu trägt die Klagepartei aber nicht vor. Im Übrigen hat das Erstgericht zu Recht einen Zinsanspruch nach Art. 1108 CC schon deshalb nicht gewährt, da sich die Klageforderung und der zuzusprechende Betrag in einem Missverhältnis befanden (vgl. Entscheidung des TS Nr. 561/2021 vom 23. Juli 2021, unter „Siebentens 10.“), hier verlangt die Klagepartei immerhin ein Vielfaches an immateriellem Schaden.
5. Keine Vorlage an den EuGH
107
Entgegen der Ansicht der Klagepartei (vgl. D.2. BB) ist eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht geboten.
108
Wenn gegen eine Entscheidung eines einzelstaatlichen Gerichts kein Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts gegeben ist, ist dieses Gericht grundsätzlich verpflichtet, den Gerichtshof gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV anzurufen, wenn sich in einem bei ihm anhängigen Verfahren eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts oder der Gültigkeit eines Akts des abgeleiteten Unionsrechts stellt (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2024, C-144/23, juris Rn. 34).
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Ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, kann von der Pflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nur dann befreit werden, wenn es festgestellt hat, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende Vorschrift des Unionsrechts bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (EuGH, aaO, juris Rn. 36).
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Unabhängig von der Frage, ob hier eine letztinstanzliche Entscheidung erfolgt, ist weder aufgrund der von der Klagepartei formulierten Anträge noch aus sonstigen Gründen eine Vorlage an den EuGH geboten.
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a. Mit ihren Vorlageanträgen zu Art. 4 Abs. 3 Rom II – VO will die Klagepartei nicht die Auslegung von Unionsrechts geklärt haben, sondern sie begehrt eine Subsumtion des hiesigen Sachverhalts unter das Tatbestandsmerkmal „offensichtlich engere Verbindung“. Dies ist jedoch nicht Aufgabe des EuGH, sondern der nationalen Gerichte.
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Im Übrigen besteht Einigkeit, dass Art. 4 Abs. 3 Rom II – VO ein Abweichen von der Regel erlaubt, wenn die Regel konkret ihre Funktion verfehlt, das mit dem Sachverhalt am engsten verbundene Recht zu bezeichnen. Die Ausweichklausel ist eine Ausnahmeklausel; die im Rahmen einer Abwägung zu überwindende Hürde ist insbesondere aufgrund der Voraussetzung „offensichtlich“ nicht niedrig (vgl. Privatgutachten Mankowski vom 26.09.2019, S. 22; MüKoBGB/Junker, aaO, Rom II-VO Art. 4 Rn. 64/65; BeckOK BGB/Spickhoff, 73. Ed. 1.8.2024, VO (EG) 864/2007 Art. 4 Rn. 13). Die richtige Auslegung von Art. 4 Abs. 3 Rom II – VO ist also offenkundig und eindeutig, eine Vorlage an den EuGH ist daher auch deshalb nicht geboten.
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b. Auch den Vorlageanträgen der Klagepartei zu Art. 7 Rom II – VO ist nicht nachzukommen.
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Es besteht angesichts des Wortlauts von Art. 7 Rom II – VO kein vernünftiger Zweifel, dass die Voraussetzungen von Art. 7 Rom II – VO nur dann erfüllt sind, wenn der geltend gemachte Schaden aus einer Umweltschädigung herrührt. Es besteht auch kein vernünftiger Zweifel, dass die hier geltend gemachten Schäden – im Falle ihres Vorliegens – aus dem behaupteten Verbau von Abschalteinrichtungen im Fahrzeug der Klagepartei und nicht aus einer Umweltschädigung, vgl. Erwägungsgrund 24, herrühren würden.
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c. Eine Anrufung des EuGH zur Prüfung der Angemessenheit des zugesprochenen Schadensersatzes kommt nicht in Betracht.
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Die EuGH hat darauf verwiesen, dass es keine einschlägigen unionsrechtlichen Schadensersatzvorschriften gibt und es daher Sache der Mitgliedsstaaten ist, Schadensersatz zu gewähren (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 92, 96). Die Angemessenheit des zugesprochenen Schadensersatzes ist somit keine Frage der Auslegung von Unionsrecht, sondern eine Frage des nationalen Rechts, und kann nicht Gegenstand einer Prüfung des EuGH sein.
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Der unionsrechtliche Grundsatz der Effektivität (vgl. EuGH, aaO, juris Rn. 93) ist zweifellos gewahrt, denn die Klagepartei erhält ihren gesamten festgestellten Schaden ersetzt. Dass die Klagepartei keinen Anspruch auf Ersatz von materiellen Schäden hat, widerspricht Unionsrecht nicht, denn die Mitgliedsstaaten müssen Schadensersatz nur vorsehen, wenn dem Käufer durch die Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (vgl. EuGH, aaO, juris Rn. 91), was hier in materieller Hinsicht nicht ersichtlich ist. Insoweit ist eine Auslegung durch den EuGH bereits erfolgt, eine nochmalige Vorlage ist entbehrlich.
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d. Das von der Klagepartei erwähnte Vorabentscheidungsersuchen des LG Ravensburg vom 09.11.2023 ist nicht entscheidungserheblich.
III.
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Die Beklagte wird darauf hingewiesen, dass im Fall der aus den vorstehend erläuterten Gründen beabsichtigten Zurückweisung der Hauptberufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ihre Anschlussberufung gemäß § 524 Abs. 4 ZPO ipso iure ihre Wirkung verlöre. Es besteht daher für den Senat gegenwärtig keine Veranlassung, zu den Erfolgsaussichten der Anschlussberufung Stellung zu nehmen Die Klagepartei wird darauf hingewiesen, dass auch die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz bei Zurückweisung der Berufung ihre Wirkung verlöre, § 524 Abs. 4 ZPO analog (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2014 – IX ZR 204/13, juris Rn. 2).
IV.
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1. Aufgrund obiger Ausführungen regt der Senat aus Kostengründen – eine Rücknahme der Berufung würde zu einer Kostenersparnis in Höhe von zwei Gerichtsgebühren führen, Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses – an, die Berufung zurückzunehmen.
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Unabhängig davon bleibt es den Parteien unbenommen, zur Erzielung eines einheitlichen Verfahrensausgangs für die zahlreichen beim OLG München anhängigen Parallelverfahren die Rechtsstreitigkeiten gütlich, z.B. innerhalb der Stellungnahmefrist zu beenden, worauf der Senat bereits im Verfahren 9 U 4653/23 schriftlich und im Übrigen telefonisch gegenüber beiden Seiten hingewirkt hat.
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2. Angesichts der Berufungsanträge wird der Streitwert für das Berufungsverfahren unter Berücksichtigung der bislang bekannten Nutzungsentschädigung und der Anschlussberufung auf bis zu 13.000 € festzusetzen sein, der gestellte Hilfsantrag, über den auch der Senat, wie aufgezeigt, zu entscheiden beabsichtigt, fällt dabei nicht gesondert ins Gewicht. Abzustellen ist allein auf den höheren Anspruch, hier den Hauptanspruch, gemäß der diesbezüglichen Antragstellung, die den Rechtszug einleitet, § 40 GKG.
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Ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch wird nach § 45 Abs. 1 S. 2 GKG mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung über ihn ergeht, es sei denn die Ansprüche betreffen denselben Gegenstand, dann ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend, § 45 Abs. 1 S. 3 GKG. Der Gegenstandsbegriff entspricht dabei nicht dem Begriff des Streitgegenstandes im Sinne des Prozessrechts, sondern beschreibt einen eigenständigen kostenrechtlichen Begriff, der sich an der wirtschaftlichen Betrachtung der Ansprüche orientiert (Toussaint/Elzer, GKG, 53. Aufl. 2023, § 45 Rn. 13 mwN). Wirtschaftliche Identität liegt nach der sog. Identitätsformel (Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 45. Aufl. 2024, § 5 Rn. 6 mwN) vor, wenn beide Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander bestehen können, dass, das Eventualverhältnis hinweg gedacht, allen stattgegeben werden könnte (wirtschaftliche Wertehäufung), sondern dass die Anerkennung des einen Anspruchs notwendigerweise die Aberkennung des anderen Anspruchs nach sich zöge (BeckOK KostR/Schindler, GKG, 44. Ed. 1.1.2024, § 45 Rn. 12). Gemessen an diesen Grundsätzen betreffen die von der Klagepartei geltend gemachten Haupt- und Hilfsanträge denselben Gegenstand iSv § 45 Abs. 1 S. 3 GKG und sind bei der Bemessung des Streitwertes nicht zusammenzurechnen. Die Klagepartei macht ausweislich ihrer Klage Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal geltend. Aus demselben, nach dem Klagevortrag schadensursächlichen Lebenssachverhalt begehrt sie hilfsweise, falls ihr die Rückabwicklung versagt bleibt, Schadensersatz. Dies zeigt, dass die mit Haupt – und Hilfsantrag geltend gemachten Ansprüche, das Eventualverhältnis hinweg gedacht, nicht nebeneinander bestehen können, mithin auch nicht zu einer wirtschaftlichen Wertehäufung führen können: Denn dringt die Klagepartei mit ihrem Hauptantrag durch, wird sie so gestellt, wie sie ohne Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages stehen würde, und könnte Rückabwicklung des Kaufvertrages erlangen. Daneben kommt kein materieller, kein immaterieller Schadensersatz und auch kein Differenzschadensersatz aus demselben Lebenssachverhalt in Betracht.
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3. Zu diesen Hinweisen können die Parteien binnen der oben gesetzten Frist, bei der die Osterfeiertage bereits berücksichtigt wurden, Stellung nehmen. Der Senat soll nach der gesetzlichen Regelung die Berufung unverzüglich durch Beschluss zurückweisen, wenn sich Änderungen nicht ergeben.
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Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit einer einmaligen Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss nur in absoluten Ausnahmefällen und bei Glaubhaftmachung konkreter, triftiger Gründe – wozu im Allgemeinen nicht eine nur allgemein geltend gemachte Arbeitsüberlastung zählt – gerechnet werden kann (OLG Rostock OLGR 2004, 127 ff.)