Inhalt

LG Landshut, Endurteil v. 31.01.2025 – 13 S 2418/24
Titel:

Unwirksame Rechtswahl- und Erstattungsklauseln in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen einer Fluggesellschaft

Normenketten:
Rom-I-VO Art. 3 Abs. 5, Art. 10 Abs. 1
EGBGB § 46b
BGB § 307, § 648 S. 2
Richtlinie EG 93/13 Art. 3 Abs. 1, Art. 5
Leitsätze:
1. In einer Rechtswahlklausel in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen einer Fluggesellschaft (hier walisisches und englisches Recht) genügt der Zusatz, "Von der Rechtswahl bleiben diejenigen Bestimmungen unberührt, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf, insbesondere der Übereinkommen, der APR 2019 oder der Verordnung (EG) 261/2004 (zu den Begriffen, siehe den Abschnitt ‚Definitionen‘).", nicht, um einem durchschnittlichen Verbraucher Klarheit darüber zu verschaffen, von welchen Vorschriften nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Klausel, nach der bei Nichtantritt des Fluges durch den Fluggast der Anspruch auf Erstattung von Steuern und Gebühren auf die Luftverkehrssteuer beschränkt wird, ist unwirksam (Übertragung von BGH BeckRS 2023, 20424). (Rn. 35 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fluggastrechte, Beförderungsvertrag, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Rechtswahlklausel, Ausnahmen, Erstattung, Steuern und Gebühren, Beschränkung, Luftverkehrssteuer
Vorinstanz:
AG Erding, Endurteil vom 01.08.2024 – 102 C 1872/24
Fundstellen:
ReiseRFD 2025, 95
BeckRS 2025, 1253
LSK 2025, 1253

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 01.08.2024, Az. 102 C 1872/24, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Erding bleibt ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 30,14 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten über die Rückerstattung von Gebühren, die nur für diejenigen Passagiere erhoben werden, die tatsächlich mitfliegen, nach dem Nichtantritt eines Fluges durch den Fluggast aus abgetretenem Recht.
2
Herr N.N buchte für N.N. bei der Beklagten einen Flug mit der Beklagten von London Gatwick nach München für den 04.02.2023, Flugnummer U28641 und bezahlte hierfür den vereinbarten Flugpreis an die Beklagte. Frau N.N. erschien nicht zur Abfertigung und trat den Flug nicht an. Dadurch fielen die Luftverkehrssteuer sowie Gebühren des Startflughafens in Höhe von insgesamt 30,14 € nicht an. Unter Verweis auf ihre AGB erstattete die Beklagte nur die Luftverkehrssteuer. Mit der Klage wird die Erstattung der übrigen Gebühren geltend gemacht.
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Das Amtsgericht gab der Klage vollumfänglich statt.
4
Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 648 S.2, S.3, 812 Abs. 1 S.2 BGB i.V.m. § 398 BGB wegen der Kündigung des mit der Beklagten geschlossenen Personenluftbeförderungsvertrages auf Erstattung auch der Gebühren, die mangels Beförderung tatsächlich nicht angefallen sind, in Höhe von 30,14 €.
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Die Aktivlegitimation liege vor. Das Gericht sei aufgrund der Anlage K1 davon überzeugt, dass Herr N.N die streitgegenständlichen Ansprüche an die Klägerin abgetreten habe. Die Abtretung sei auch wirksam. Auf den Beförderungsvertrag und auf die Abtretung der aus diesem Vertrag resultierenden Ansprüche sei vorliegend nach Art. 5 Abs. 2 S.1 RomI-VO deutsches Recht anzuwenden, weil der in Karlsruhe wohnhafte Fluggast seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Bundesgebiet habe, in welchem sich der Abflugort des Hinfluges und der Bestimmungsort des Rückfluges befänden. Die Rechtswahlklausel in 21.1. der AGB der Beklagten verstoße gegen die europäische Klauselrichtlinie (EG 93/13) und sei daher unwirksam, mit der Konsequenz, dass nicht walisisches und englisches Recht, sondern deutsches Recht Anwendung finde.
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Eine Beschränkung der Rückerstattungspflicht auf eine bestimmte Steuer oder Abgabe stelle nach Auffassung des Gerichts eine unangemessene Benachteiligung des Fluggastes gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB dar. Aus diesem Grund sei Ziffer 5.4. der AGB unwirksam, sodass eine Begrenzung der Erstattungspflicht lediglich auf die Luftverkehrssteuer nicht wirksam vereinbart worden sei. Die Regelung in § 648 Satz 2 BGB diene dem Zweck, einen ausgewogenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Falle einer Kündigung ohne besonderen Grund zu gewährleisten. Zu diesem Interessenausgleich gehöre es, den Unternehmer vor Nachteilen aufgrund der Kündigung zu bewahren (BGH, Urteil vom 12. Juli 2007 – VII ZR 154/06, NJW 2007, 3423 Rn. 18). Sinn und Zweck sei es aber nicht, dem Unternehmer so einen finanziellen Vorteil aufgrund der Kündigung zu verschaffen (BGH, Urteil vom 01.08.2023 – X ZR 118/22). Insoweit seien die Aufwendungen, welche er sich aufgrund der Kündigung erspart habe, anzurechnen und entgegenstehende Klauseln in den AGB unwirksam, da sie von dem Grundsatz abwichen.
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Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz, des weiteren Parteivortrags sowie der Anträge der Parteien in erster Instanz wird gem. § 540 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
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Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil.
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Das Amtsgericht Erding bzw. das Landgericht Landshut seien für die Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit bereits nicht zuständig. Die EuGVVO finde ausweislich seines Art. 4 Abs. 1 EuGVVO keine Anwendung. Eine internationale Zuständigkeit ergebe sich auch nicht aus § 29 ZPO analog. Der vertragliche Erfüllungsort im Zusammenhang mit Beförderungsverträgen liege beim Ablieferungsort bzw. Bestimmungsort. Dieser liege im Vereinigten Königreich.
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Im Übrigen sei durch die Beklagte bestritten worden, dass N.N seine Forderung an die Klägerin abgetreten und diese die Abtretung angenommen hätten. Die Echtheit der vorgelegten Abtretungserklärungsei sei bestritten worden. Das Gericht hätte über den Abtretungsvorgang und über die Echtheit der Abtretungsurkunde gem. §§ 440, 441 ZPO oder durch Einvernahme von Zeugen Beweis erheben müssen.
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Soweit das Amtsgericht Erding der Auffassung sei, die Klausel in Art. 5.1, 5.4 der AGB verstieße gegen § 307 Abs. 1 BGB, handele es sich hierbei bereits um einen falschen Prüfungsmaßstab. Die richterlich zitierte EuGH Rechtsprechung zum Verbraucherstatut (EuGH NJW 2016, 2727, 2730) oder zu Gerichtsstandsklauseln (EuGH Urteil vom 18.11.2020 – C-519/19) beantwortete die Frage nicht, unter welchen Voraussetzungen eine Rechtswahl im Anwendungsbereich des Beförderungsstatuts aus Art. 5 Rom I-VO möglich sei. Allein die Art. 3 ff. Rom-I-VO setzten den Maßstab für die Grenzen der Rechtswahl. Sachnormen der lex fori hätten darüber nicht zu befinden. Die §§ 305a ff. BGB griffen erst dann ein, wenn deutsches materielles Recht auf Verweisungs- und Hauptvertrag anwendbar sei. Bei Maßgeblichkeit ausländischen Rechts gelten dessen Regeln. Es sei bedenklich, mit Hilfe des materiellen Rechts, auf das man verwiesen werde, die Anknüpfung zu korrigieren. Ferner hätte das Amtsgericht die Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion berücksichtigen müssen.
12
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt zuletzt,
Das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 01.08.2024 – 2 C 1872/24 wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
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Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
14
Mit Hinweisbeschluss vom 21.11.2024 hat die Kammer darauf hingewiesen, dass die Berufung nach vorläufiger Würdigung der Kammer keine Aussicht auf Erfolg haben werde, weil das Amtsgericht die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs gemäß §§ 648 S.2, S.3, 812 Abs. 1 S.2 BGB i.V.m. § 398 BGB zutreffend bejaht habe.
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Die Kammer hat auf Grundlage des Beschlusses vom 18.12.2024 mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren entschieden.
16
Ergänzend wird auf den Hinweisbeschluss vom 21.11.2024 sowie die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
17
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
18
Die Klage ist zulässig und die Klägerin hat aus abgetretenem Recht nach Kündigung des mit der Beklagten geschlossenen Personenluftbeförderungsvertrages einen Anspruch aus §§ 648 S.2, S.3, 812 Abs. 1 S.2 BGB i.V.m. § 398 BGB auf Erstattung sämtlicher entrichteten Taxen, Steuern und Gebühren, die mangels Beförderung tatsächlich nicht angefallen sind. Es sind daher auch die streitgegenständlichen Gebühren in Höhe von insgesamt 30,14 € zu erstatten.
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1. Die internationale Zuständigkeit ist gegeben.
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Soweit die EuGVVO nicht anwendbar ist, begründet § 29 ZPO neben der örtlichen auch die internationale Zuständigkeit. Für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen ist das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist, § 29 ZPO (Musielak/Voit/Heinrich, 20. Aufl. 2023, ZPO § 29 Rn. 45). Der maßgebliche Erfüllungsort i.S.d. 269 Abs. 1 BGB für die von der Beklagten geschuldete Hin- und Rückbeförderung liegt – jedenfalls auch – am Ankunftsort, dem Flughafen München.
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2. Die Klägerin ist aktivlegitimiert.
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Die Kammer ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Feststellung des Erstgerichts gebunden, wonach der Zedent N.N die Abtretung der streitgegenständlichen Ansprüche an die Klägerin erklärt hat. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen liegen nicht vor. Das Erstgericht hätte insbesondere nicht, wie die Beklagtenpartei meint, über den Abtretungsvorgang und über die Echtheit der Abtretungsurkunde gem. §§ 440, 441 ZPO oder durch Einvernahme von Zeugen Beweis erheben müssen. Grund hierfür ist, dass die amtsgerichtliche Entscheidung im Wege des vereinfachten Verfahrens gemäß § 495a ZPO ergangen ist. Das Erstgericht war deshalb nicht an die Vorschriften der §§ 355-455 ZPO gebunden (MüKoZPO/Deppenkemper, 6. Aufl. 2020, ZPO § 495a Rn. 14). Das Erstgericht war auch nicht auf Strengbeweis beschränkt (MüKoZPO/Deppenkemper, 6. Aufl. 2020, ZPO § 495a Rn. 35). Die Überzeugungsfindung des Amtsgerichts verstößt auch nicht gegen Denkgesetze. Die Vorlage einer eingescannten Abtretungserklärung ist per se schon ein gewichtiges Indiz für das Vorhandensein eines Originaldokuments. Neben der eingescannten Abtretungserklärung hat die Klagepartei auch eine Ablichtung des Personalausweises des Zedenten vorgelegt. In der Zusammenschau bestehen daher keine vernünftigen Zweifel an der erklärten Abtretung. Es ist nicht ersichtlich, wie die Klagepartei ansonsten in Besitz einer Ausweiskopie des Fluggastes hätte kommen sollen.
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3. Vorliegend ist deutsches Rechts anwendbar.
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3.1. Das Amtsgericht hat zutreffend die Unwirksamkeit der in den AGB der Beklagten enthaltenen Rechtswahlklausel angenommen und die Anwendbarkeit deutschen Rechts bejaht.
25
Zustandekommen und Wirksamkeit einer Rechtswahl richten sich gem. Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO nach dem Recht, das anzuwenden wäre, wenn die Rechtswahl wirksam wäre. Die Wirksamkeit der Rechtswahl ist also für die Frage, welcher Prüfungsmaßstab bei der Untersuchung der Wirksamkeit und des Zustandekommens anzulegen ist, zu unterstellen (vgl. BeckOK-BGB/Spickhoff, 56. Edition [Stand: 01.11.2020], Art. 3 Rom I-VO Rn. 14; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 13.12.2018 – 16 U 15/18, RdTW 2019, S. 472, 474 Rz. 18). Dies wäre hier walisisches oder englisches Recht. Daneben unterliegen die Rechtswahlklauseln in AGB im Verhältnis zu Verbrauchern auch der Missbrauchskontrolle gemäß der RL 93/13/EWG (Klausel-Richtlinie). Dies gilt vorliegend auch und gerade im Hinblick darauf, dass das Recht eines Landes gewählt werden soll, welches nicht mehr Mitglied der Europäischen Union ist. Die Rechtsprechungsgrundsätze des Europäischen Gerichtshofs auch in dieser Konstellation zum Tragen zu bringen, ist kollisionsrechtlich aufgrund von Art. 46b EGBGB vorgesehen und geboten (vgl. Hierzu LG Frankfurt a. M., Urteil vom 15.03.2023 – 3-08 O 43/21).
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Soweit die Beklagte ausführt, das Amtsgericht habe in Bezug auf die Rechtswahlklausel den falschen Prüfungsmaßstab herangezogen, weil ein Verstoß gegen § 307 BGB bejaht werde, so verkennt sie, dass das Amtsgericht die Wirksamkeit der Rechtswahlklausel nicht anhand § 307 BGB, sondern anhand der europäische Klauselrichtlinie (EG 93/13) beurteilt hat. Die Ausführungen der Beklagten, wonach für eine Anwendbarkeit der §§ 305a ff. BGB zunächst deutsches Recht anwendbar sein müsse, gehen daher ins Leere.
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3.2. Die Kammer schließt sich der Auffassung des Erstgerichts an, wonach die streitgegenständliche Rechtswahlklausel wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 der Klausel-Richtlinie unwirksam ist. Auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts und die dort zitierten Entscheidungen wird zunächst Bezug genommen.
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Nach Art. 3 Satz 1 der Klausel-Richtlinie ist eine Rechtswahlklausel unwirksam, wenn sie treuwidrig zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte des Verbrauchers darstellt. Die Missbräuchlichkeit einer Rechtswahlklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann sich dabei aus einer Formulierung ergeben, die nicht dem in Art. 5 der Klausel-Richtlinie aufgestellten Erfordernis einer klaren und verständlichen Abfassung genügt (Transparenzgebot). Das Transparenzgebot ist im Hinblick auf das regelmäßig vorherrschende Informationsgefälle zwischen Verbraucher und Unternehmer weit auszulegen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2016 – C-191/15). Allgemeine Geschäftsbedingungen müssen deshalb so gestaltet sein, dass der Verbraucher klare und verlässliche Auskunft über seine Rechtsposition erhält. Dem durchschnittlichen Verbraucher muss zur Vermeidung einer Irreführung hinreichend deutlich werden, welches bindende Recht im Einzelnen die Rechtswahlabrede beeinflussen könnte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 29.1.2021 – 9 U 184/20).
29
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist die streitgegenständliche Klausel als intransparent, irreführend und daher als rechtsmissbräuchlich einzustufen.
30
Zwar führt die Beklagtenpartei zutreffend an, dass die streitgegenständliche Rechtswahlklausel – anders als diejenige der oben zitierten Entscheidung des OLG Köln – einen ausdrücklichen Hinweis auf die Verordnung (EG) 261/2004 enthält. Dennoch bleibt der Anwendungsbereich der Ausnahme von der Anwendbarkeit des Rechts von England und Wales für den Verbraucher als Adressaten unklar. Denn für den durchschnittlichen Verbraucher ohne juristische Vorkenntnisse ist weder aus dem Wortlaut der Klausel noch aus dem gesamten Klauselwerk heraus ableitbar, welche Bestimmungen von der Rechtswahlabrede ausgenommen sind.
31
Die Formulierung unter Ziff. 21.1 Abs. 2, Hs. 1 „Von der Rechtswahl bleiben diejenigen Bestimmungen unberührt, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf, (…)“ ist für einen durchschnittlichen Verbraucher ohne juristische Vorkenntnisse ohnehin unverständlich. Aber auch der sich anschließende Halbsatz „(…), insbesondere der Übereinkommen, der APR 2019 oder der Verordnung (EG) 261/2004 (zu den Begriffen, siehe den Abschnitt „Definitionen“).“ verschafft einem durchschnittlichen Verbraucher keine Klarheit darüber, von welchen Vorschriften nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Aufgrund der (bloß) beispielhaften Aufzählung diverser Bestimmungen bleibt für den durchschnittlichen Leser offen, welche nationalen oder internationalen Rechtsvorschriften im Einzelnen gemeint sein könnten. Durch die unklaren Formulierungen kann der rechtsunkundige Verbraucher über die tatsächliche Rechtslage getäuscht werden.
32
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 1.8.2023 – X ZR 118/22 die Ausführungen und Bezugnahmen des Landgerichts Memmingen zur Unwirksamkeit der dort verwendeten Rechtswahlklausel gebilligt hat. Das Landgericht Memmingen hat sich, wie auch das hiesige Erstgericht, dabei u.a. auf die Entscheidung OLG Köln, Beschluss vom 29.01.2021, Az. 9 U 184/20 gestützt.
33
3.3. Eine Fortgeltung der Rechtswahlklausel im Wege der geltungserhaltende Reduktion scheidet im Übrigen aus. Eine solche würde dem gebotenen Abschreckungseffekt und dem Zweck des effektiven Verbraucherschutzes zuwiderlaufen (vgl. etwa EuGH (1. Kammer), Urt. v. 14. 6. 2012 − C-618/10).
34
4. Das Amtsgericht hat auch die weiteren Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs gemäß §§ 648 S.2, S.3, 812 Abs. 1 S.2 BGB i.V.m. § 398 BGB zutreffend bejaht.
35
Die Beklagte hat sämtliche Steuern und Gebühren zu erstatten, die sie sich erspart hat. Die in Ziff. 5.1 der AGB der Beklagten enthaltene Beschränkung auf die Erstattung der Luftverkehrssteuer ist unwirksam. Der Bundesgerichtshof hat durch Urteil vom 01.08.2023 – X ZR 119/22 entschieden, dass sich ein Luftverkehrsunternehmen ersparte Aufwendungen gemäß § 648 Satz 2 BGB auch dann anrechnen lassen muss, wenn es sie – wie hier behauptet – nicht in die Kalkulation des Endpreises einbezogen hat. Das Erstgericht hat unter Bezugnahme auf die dortigen Erwägungen des Bundesgerichtshofs zutreffend ausgeführt, dass eine Beschränkung der Rückerstattungspflicht auf eine bestimmte Steuer oder Abgabe eine unangemessene Benachteiligung des Fluggastes gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellt. Mit einer solchen Beschränkung würde der Unternehmer durch die Kündigung im Vergleich zur ungekündigten Situation einen Vorteil erlangen. Die Regelung ist deshalb mit dem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar (vgl. auch Messerschmidt/Voit/Oberhauser, 4. Aufl. 2022, BGB § 648 Rn. 62; BeckOK BGB/Voit, 68. Ed. 1.11.2022, BGB § 648 Rn. 26).
36
Dem steht auch nicht entgegen, dass grundsätzlich das freie Kündigungsrecht in den Beförderungsbedingungen eines Luftfahrtunternehmens wirksam ausgeschlossen werden kann (BGH Urteil vom 20.03.2018 – X ZR 25/17). Im vom BGH entschiedenen Fall war zwar die Stornierung der Tickets ausgeschlossen. Dort war jedoch auch geregelt, dass nicht verbrauchte Steuern und Gebühren erstattbar sind. Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass diese Regelung den Fluggast nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige und daher der Inhaltskontrolle des § 307 III 1 BGB standhalte. Der vorliegende Fall unterscheidet sich hiervon grundlegend dadurch, dass nicht verbrauchte Gebühren nicht erstattbar sein sollen und auf diese Weise die Airline im Vergleich zur vertragsmäßigen Beförderung des Fluggastes einen Vorteil erlangen würde, der nicht gerechtfertigt ist und den Fluggast unzumutbar belasten würde. Soweit vertreten wird, dass bei einem nicht stronierbaren Ticket auch die Steuern und Gebühren nicht zu erstatten seien, soweit die Tarifbestimmungen nichts anderes vorsehen (vgl. Anmerkung zum o.g. Urteil des BGH NJW 2018, 2039, 2042), lässt sich dies der Entscheidung des BGH gerade nicht entnehmen. Soweit ersichtlich ist diese Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt.
III.
37
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
38
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging gem. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
39
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gem. § 47 GKG festgesetzt.
40
Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen, da angesichts der unbestimmten Vielzahl vergleichbarer Fälle ein Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Handhabung des Rechts besteht.