Titel:
Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Baueinstellung, Ensemble „Hellip, Hellip nach dem Wiederaufbau“, Einbau von Kunststofffenstern in ein im (Denkmal-)Ensemble gelegenes Gebäude, das selbst kein Einzelbaudenkmal ist, Verfahrensfreiheit nach der BayBO, denkmalschutzrechtliche Erlaubnispflicht, Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften, Ermessensausübung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3, Abs. 5
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. c)
BayDSchG Art. 1 Abs. 3
BayDSchG Art. 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 1 S. 3
BayDSchG Art. 15 Abs. 1 S. 2
BayBO Art. 75
Schlagworte:
Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Baueinstellung, Ensemble „Hellip, Hellip nach dem Wiederaufbau“, Einbau von Kunststofffenstern in ein im (Denkmal-)Ensemble gelegenes Gebäude, das selbst kein Einzelbaudenkmal ist, Verfahrensfreiheit nach der BayBO, denkmalschutzrechtliche Erlaubnispflicht, Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften, Ermessensausübung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.03.2025 – 2 CS 25.231
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1247
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 6.250,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Baueinstellungsverfügung.
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Sie ist Eigentümerin des bebauten Grundstücks FlNr. 542/0 Gem. M* … 1, R* …straße 7 (im Folgenden: Vorhabengrundstück). Das unmittelbar an der R* …straße gelegene Vordergebäude weist fünf Geschosse zuzüglich ausgebauter Dachgeschossebenen auf. Nach Angaben der Antragstellerin wird es als Geschäftshaus genutzt.
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Das Vorhabengrundstück liegt im Umgriff des in der Denkmalliste des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege unter der Aktennummer … eingetragenen Ensembles „… … nach dem Wiederaufbau“. In unmittelbarer Umgebung des Vorhabengrundstücks befinden sich mehrere, als Einzelbaudenkmäler in die Denkmalliste eingetragene Anwesen, darunter das unmittelbar nordwestlich angrenzende Gebäude F* … Straße 13, FlNr. 543, Gem. M* … 1 (* …*), sowie die Gebäude R* …straße 6, R* … 10, R* …tal 1, S* … Straße 1 (* …*) und S* … Straße 2 (* …*). Die Bestandsbebauung auf dem Vorhabengrundstück selbst ist nicht als Einzelbaudenkmal in die Denkmalliste eingetragen.
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Bei einer Ortseinsicht am … November 2024 stellte die Antragsgegnerin fest, dass im zweiten Obergeschoss der straßenseitigen Fassade des Anwesens R* …straße 7 die dort bislang vorhandenen fünf Kunststofffenster ausgebaut worden waren und durch neue, gleichartige Kunststofffenster (zweiflügelig, zwei Sprossen) ersetzt werden sollten bzw. teilweise („erstes Fenster links“) bereits ersetzt worden waren. Die noch nicht verbauten Fensterelemente standen nach den Aufzeichnungen in der Behördenakte bereits zum Einbau bereit. Daraufhin wurden Bauarbeiten – laut Antragsgegnerin gegenüber dem vor Ort anwesenden Bauleiter und dem Polier – mündlich und – nach Angaben der Antragsgegnerin gegenüber dem Architekten der Bauabteilung der Bauherrin – telefonisch eingestellt.
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Mit Bescheid vom … November 2024 erließ die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin eine „Baueinstellungsverfügung“ mit folgendem Tenor:
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„1. Die Bauarbeiten hinsichtlich des Einbaus von Kunststofffenstern im 2. OG der Straßenfassade im Anwesen R* …str. 7 sind unverzüglich einzustellen.
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2. Für den Fall, dass die Bauarbeiten trotz dieses Verbots fortgesetzt werden, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000,- EUR angedroht.
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3. Die sofortige Vollziehung dieser Verfügung wird gemäß § 80 Verwaltungsgerichtsordnung angeordnet.
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4. Für diesen Bescheid werden keine Kosten erhoben.“
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Es handle sich um die schriftliche Bestätigung der gegenüber dem vor Ort anwesenden Bauleiter als auch dem Polier der Handwerker mündlich und gegenüber dem Architekten der Bauabteilung der Bauherrin telefonisch ausgesprochene Baueinstellung.
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Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, Rechtsgrundlage des Bescheids sei Art. 15 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG i.V.m. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Die festgestellten Arbeiten würden im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften, nämlich ohne die dafür notwendige Erlaubnis nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz, durchgeführt. Das Anwesen R* …straße 7 sei zwar selbst kein Baudenkmal, aber als Bestandteil des denkmalgeschützten Ensembles „Altstadt“ in die Denkmalliste eingetragen. Seine Veränderung wirke sich auf das Erscheinungsbild des Ensembles aus, zumal in der näheren Umgebung auch einige Einzelbaudenkmäler vorhanden seien. Der Austausch von Fenstern, sei es auch der von alten Kunststofffenstern gegen neue, sei als relevante Veränderung der Substanz des Gebäudes anzusehen, die sich als von außen sichtbare Änderung auf das Erscheinungsbild eines Ensembles auswirken könne. Der Grundsatz der Materialgerechtigkeit sei dabei auch hinsichtlich des Ensembleschutzes anwendbar. Die Maßnahme unterliege damit der Erlaubnispflicht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayDSchG. Der Erlass der Verfügung sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens notwendig, da nur auf diese Weise ordnungsgemäße Zustände hergestellt werden könnten; insbesondere sei die formelle Illegalität ausreichend, auf die materielle Rechtswidrigkeit der Arbeiten komme es nicht an. Dem Adressat bleibe es unbenommen, einen Antrag auf Erlaubnis zu stellen, um die Arbeiten entsprechend der im Rahmen der mündlichen Aussprache des Baueinstands erläuterten Bedingungen nach Erhalt einer Erlaubnis nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz fortführen zu können. Das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände und der damit verbundenen Gewährleistung denkmalpflegerisch vertretbarer baulicher Maßnahmen nach Abstimmung der Arbeiten mit der UDB im Rahmen eines durchzuführenden Erlaubnisverfahrens überwögen das private Interesse der Betroffenen an der Fortführung der Maßnahmen. Die Antragstellerin sei auch die richtige Adressatin der Verfügung, da sie als Bauherrin und Eigentümerin die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Anwesen und die dort durchgeführten Baumaßnahmen besitze. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit sei notwendig, da das öffentliche Interesse am Vollzug der Baueinstellung das Interesse der Adressatin an der aufschiebenden Wirkung bei Klageerhebung überwiege.
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Der Bescheid wurde der Antragspartei per Postzustellungsurkunde am … November 2024 zugestellt.
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Unter dem … Dezember 2024 stellte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis für den Austausch von Kunststofffenstern. Über diesen wurde bislang nicht entschieden.
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Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2024, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten gegen vorgenannten Bescheid Klage (M 8 K 24.7587) erheben. Zugleich ließ sie beantragen,
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Die aufschiebende Wirkung der Klage vom …12.2024 gegen die Baueinstellungsverfügung der Beklagten vom …11.2024 (Az. …*) einschließlich der am …11.2024 von der Beklagten vorab mündlich und telefonisch ausgesprochenen Baueinstellungsverfügung wird wiederhergestellt.
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Zur Begründung wird – zusammengefasst – im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei begründet, da das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Interesse an der Vollziehung überwiege. Die Anfechtungsklage habe Erfolg, da die Baueinstellungsverfügung rechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletze. Eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis sei nicht erforderlich, da die geplante Maßnahme das Erscheinungsbild des Ensembles nicht beeinträchtige. Bei der Prüfung des Erlaubnistatbestands des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 Bayerisches Denkmalschutzgesetz seien die Tatbestandsmerkmale „Veränderung“ und „Auswirkung auf das Erscheinungsbild“ eigenständig zu prüfen. Der Austausch der Kunststofffenster durch baugleiche Fenster verändere das Erscheinungsbild des Gebäudes und damit des Ensembles nicht. Die neuen Fenster entsprächen den bisherigen in Material, Form, Farbe und Maß. Der visuelle Eindruck bleibe unverändert. Die Untere Denkmalschutzbehörde behaupte, Kunststofffenster stünden nicht im Einklang mit dem Grundsatz der Materialgerechtigkeit. Maßgeblich für die richtige Materialwahl sei jedoch, von welcher Periode das Ensemble geprägt und welches Material in dieser Periode vorherrschend gewesen sei. Anders als in den einschlägigen Entscheidungen zum Austausch von Kunststofffenstern bestehe das Ensemble hier nicht in einer historischen von Holzfenstern geprägten Altstadt. Das Ensemble „… … nach dem Wiederaufbau“ werde ausdrücklich durch postmoderne Einfügungsarchitektur und Kontraste geprägt. Kunststofffenster seien spätestens seit den 1960er Jahren üblicher Baustoff und prägten das Erscheinungsbild von Gebäuden aus dieser Zeit. Da das Ensemble ausdrücklich den Wiederaufbau bis in die 1980er Jahre beschreibe, seien sie als ensembletypisches Material anzusehen. Es könne nicht allein auf die Materialauswahl ankommen, wenn das gewünschte Material für den jeweiligen Denkmalwert keine besondere Bedeutung habe und die konkrete Ausführung auf das Erscheinungsbild angemessen Rücksicht nehme. Es komme auch auf die visuelle Wirkung der das Ensemble bildenden baulichen Anlagen im Verhältnis zueinander an, also auf deren Zusammenwirken. Vorliegend sei keine visuelle Beeinträchtigung gegeben. Die betroffenen Fenster befänden sich im zweiten Obergeschoss und damit außerhalb der gewöhnlichen Blickhöhe von Passanten, die neuen Fenster stimmten mit den bisherigen in Gestaltung und Material exakt überein. Die übrigen Fenster des Gebäudes bestünden ebenfalls aus Kunststoff, daher entstehe kein Bruch im Erscheinungsbild, vielmehr werde die Harmonie gewahrt. Zudem seien lediglich fünf der insgesamt 24 straßenseitigen Fenster betroffen, der überwiegende Teil des Gebäudes bleibe unverändert. Ein Betrachter würde den Austausch nicht wahrnehmen, da sich die Maßnahme in die bestehende Fensterlandschaft nahtlos einfüge. Das Ensemble „Altstadt *ünchen nach dem Wiederaufbau“ zeichne sich durch eine besondere ästhetische Vielfalt aus, die auf den spezifischen Bedingungen des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg beruhe. Konkret werde auf „Bauen in historischer Umgebung“, „postmoderne Einfügungsarchitektur“, „teils gewohnte Brüche“ und „Kontrastarchitektur“ Bezug genommen. Daraus ergebe sich, dass das Ensemble nicht auf Homogenität, sondern gerade auf dem Spannungsverhältnis unterschiedlicher Baustile und Materialien basiere. Selbst wenn eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis erforderlich sein sollte, wäre die Verfügung ermessensfehlerhaft. Die Maßnahme sei offensichtlich genehmigungsfähig. Gewichtige Gründe des Denkmalschutzes stünden nicht entgegen, da der Austausch baugleicher Fenster das Erscheinungsbild des Ensembles nicht beeinträchtige. Die Untere Denkmalschutzbehörde habe der Antragstellerin darüber hinaus aufgegeben, einen Antrag auf Einbau von Holzfenstern zu stellen. Damit habe sie zu erkennen gegeben, dass sie nicht von der Genehmigungsfähigkeit des Einbaus von Kunststofffenstern ausgehe. Die Behauptung der materiellen Rechtswidrigkeit sei daher auch Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung mit der Folge, dass die Ermessensausübung fehlerhaft sei, sollte sich die Beurteilung der materiellen Rechtslage durch die Behörde nicht bestätigen. Zudem hätte die Baueinstellung auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht ergehen dürfen, da sich im Nahbereich mehrere Gebäude befänden, die nicht mit Holzfenstern versehen seien. Es liege ein Ermessensfehlgebrauch vor, weil die Behörde das Material offenbar als einzig relevantes Kriterium angesehen und andere relevante Gesichtspunkte nicht berücksichtigt habe. Schließlich sei die Baueinstellung auch unverhältnismäßig. Die Antragstellerin habe bereits 32.770,80 € für den Austausch der Fenster beauftragt. Der Zwang zum Einbau von Holzfenstern würde sie weitere 22.835,00 € netto kosten und die Antragstellerin unverhältnismäßig belasten. Angesichts der fehlenden Auswirkungen auf das Ensemble sei dies nicht gerechtfertigt.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Dieser sei unbegründet, da die Baueinstellung rechtmäßig erfolgt sei. Hierfür genüge die formelle Rechtswidrigkeit einer Maßnahme. Diese liege hier vor. Es sei eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis erforderlich, da im Ensemble für Veränderungen am Erscheinungsbild – insbesondere hinsichtlich eines ensembleprägenden Anwesens – eine Erlaubnispflicht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayDSchG bestehe. Die Gestaltung der Fassade einschließlich der Fenster und Türen habe eine erhebliche Bedeutung für das Erscheinungsbild des ensembleprägenden Gebäudes. Wie die in der Behördenakte enthaltenen Fotos zeigten, seien die Fenster zudem von der Straße aus gut sichtbar. Ein Antrag auf Erteilung der denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis sei erst im Nachgang eingereicht worden; eine abschließende Entscheidung hierüber stehe noch aus. Nach jetzigem Sachstand sei jedoch davon auszugehen, dass eine Umsetzung mit Kunststofffenstern nicht genehmigungsfähig sei und aufgrund des Grundsatzes der Materialgerechtigkeit nur eine Umsetzung mit Holzfenstern in Betracht kommen könne. Insofern dürfte aufgrund der zwischenzeitlich vorliegenden Unterlagen auch von einer materiellen Rechtswidrigkeit auszugehen sein. Fenster stellten „die Augen des Gebäudes“ dar und prägten das äußere Erscheinungsbild des Ensembles als wesentliche gestalterische und gliedernde Merkmale. Es handle sich schließlich auch nicht um einen Neubau, so dass die aufgezählten Bezugsfälle nicht vergleichbar seien. Entscheidend sei zudem das überlieferte Erscheinungsbild des Ensembles gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayDSchG, es komme nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht auf einen durch Bausünden vorbelasteten Zustand an. Die Ermessensausübung sei ebenfalls rechtmäßig erfolgt, insbesondere bestehe ein öffentliches Interesse an der Einstellung unerlaubt und formell rechtswidrig durchgeführter Maßnahmen. Eine abschließende Prüfung der Genehmigungsfähigkeit sei erst im Rahmen der Prüfung des Erlaubnisantrags möglich.
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Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte, auch im Verfahren M 8 K 24.7587, Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat keinen Erfolg.
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I. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt vorliegend, dass die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO) aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Damit überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der behördlichen Verfügung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18).
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1. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Baueinstellung überwiegt das private Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage, weil die Baueinstellung nach summarischer Prüfung voraussichtlich rechtmäßig ergangen ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO).
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a) Die Baueinstellungsverfügung stützt sich auf Art. 15 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG i.V.m. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage liegen vor.
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Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Für die Einstellung von Bauarbeiten genügt dabei grundsätzlich die formelle Baurechtwidrigkeit (BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.672 – juris Rn. 8 m.w.N.). Die Vorschrift dient dazu, die Schaffung vollendeter, später nicht oder nur schwer rückgängig zu machender Tatsachen zu verhindern. Dieser im Kern präventiven Zielsetzung entspricht es, dass Arbeiten eingestellt werden, sofern Anhaltspunkte für ein genehmigungspflichtiges Bauvorhaben gegeben sind; es genügt also der durch Tatsachen belegte „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2013 – 9 CS 13.1407 – juris m.w.N.).
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Zwar bedarf der Einbau von Fenster gem. Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. c) BayBO keiner Baugenehmigung. Es handelt sich jedoch um eine Maßnahme, die vorliegend jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Var. 2, Satz 3 Alt. 2, Abs. 3 BayDSchG denkmalschutzrechtlich erlaubnispflichtig ist.
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Gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 BayDSchG bedarf, wer ein Baudenkmal – hierzu gehört auch ein denkmalgeschütztes Ensemble (Art. 1 Abs. 3 Satz 1 BayDSchG; vgl. hierzu auch: BayVGH, U.v. 26.10.2021 – 15 B 19.2130 – juris Rn. 26; B.v. 8.1.2021 – 9 ZB 19.282 – juris Rn. 9) – verändern will, der denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis. Die Erlaubnispflicht ist bei einer – wie hier vorliegend – Ensembleveränderung gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayDSchG allerdings tatbestandlich eingeschränkt (vgl. hierzu: BayVGH, U.v. 26.10.2021 a.a.O. Rn 26). Hiernach bedarf es in diesem Fall einer Erlaubnis nur, wenn die Veränderung eine bauliche Anlage betrifft, die für sich genommen ein Baudenkmal ist (Alt. 1) oder wenn sie sich auf das Erscheinungsbild des Ensembles auswirken kann (Alt. 2). Bei der Beurteilung kommt es nicht auf die Anschauung des gebildeten Durchschnittsmenschen, sondern auf den Wissens- und Kenntnisstand sachverständiger Kreise an (BayVGH, B.v. 12.6.2017 – 2 ZB 16.342 – juris Rn. 5; U.v. 18.7.2005 – 14 B 04.2285 – juris Orientierungssatz 2, Rn. 19).
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Die Voraussetzungen jedenfalls des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Var. 2, Satz 3 Alt. 2 BayDSchG sind im vorliegenden Fall erfüllt.
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aa) Das Bauvorhaben ist nach dem unbestrittenen Vorbringen der Antragsgegnerin Bestandteil des nach Art. 1 Abs. 3 BayDSchG denkmalgeschützten und auch in der Denkmalliste des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege eingetragenen Ensembles „Altstadt *ünchen nach dem Wiederaufbau“. Im Nahbereich (vgl. BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 2 ZB 15.1869 – juris Rn. 4) um das streitgegenständliche Gebäude finden sich einige, in die Denkmalliste eingetragene Einzelbaudenkmäler, so etwa die Anwesen F* … Straße 13, FlNr. 543, Gem. M* … 1 (D-1-62-000-1956), sowie die Gebäude R* …straße 6, R* … 10, R* …tal 1, S* … Straße 1 (* …*) und S* … Straße 2 (* …*).
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bb) Die begonnenen Änderungsmaßnahmen – der Einbau der neuen Kunststofffenster im zweiten Obergeschoss der straßenseitigen Fassade des Gebäudes R* …straße 7 – können sich darüber hinaus auf das Erscheinungsbild des Ensembles auswirken, Art. 6 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 BayDSchG.
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Da die die Genehmigungspflicht auslösenden Tatbestände des Art. 6 Abs. 1 BayDSchG angesichts der Funktion des Genehmigungserfordernisses als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt weit auszulegen sind, genügt dabei bereits die Möglichkeit der Auswirkung (vgl. BayVGH, U.v. 25.6.2013 – 22 B 11.701 – juris Rn. 27; U.v. 22.4.2016 – 1 B 12.2353 – juris Rn. 16 m.w.N.).
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Der Austausch von Fenstern – sei es auch der von alten Kunststofffenstern gegen neue – ist als relevante Veränderung der Substanz des Gebäudes anzusehen, die sich als von außen sichtbare Änderung auch auf das Erscheinungsbild des Ensembles auswirken kann (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2021 – 9 ZB 21.521 – juris Rn. 5; B.v. 29.2.2016 – 9 ZB 15.1146 – juris Rn. 5). Das überlieferte Erscheinungsbild eines Ensembles wird durch das erhaltungswürdige Orts-, Platz- und Straßenbild (Art. 1 Abs. 3 BayDSchG) geprägt, das nicht nur aus einzelnen Teilen baulicher Anlagen, sondern aus einem Gesamteindruck besteht, zu dem auch Fenster und Türen als wesentliche gestalterische Merkmale beitragen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2021 a.a.O. Rn. 5; B.v. 29.2.2016 – 9 ZB 15.1146 – juris Rn. 10; B.v. 8.1.2020 – 1 ZB 19.1540 – juris Rn. 6; B.v. 12.12.2012 – 15 ZB 11.736 – juris Rn. 4 m.w.N.). Fenster und Türen stellen „die Augen“ des Gebäudes dar und prägen das äußere Erscheinungsbild als wesentliche gestalterische und gliedernde Merkmale maßgeblich (VG München, U.v. 25.6.2019 – M 1 K 17.1445 – juris Rn. 26; VG Ansbach, U.v. 25.11.2020 – AN 9 K 19.1350 – BeckRS 2020, 38187 Rn. 42; Eberl/Spennemann/Schindler-Friedrich/Gerstner, Bayerisches Denkmalschutzgesetz, 8. Auflage 2021, Art. 6 Rn. 86).
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Der Einwand der Antragspartei, die Fenster lägen im zweiten Obergeschoss und damit außerhalb der gewöhnlichen Blickhöhe von Passanten, vermag keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Der denkmalrechtliche Ensembleschutz will das überlieferte Erscheinungsbild bewahren und dieses in seiner Anschaulichkeit erhalten (vgl. BayVGH, U.v. 3.1.2008 – 2 BV 07.760 – BayVBl 2008, 477, juris Rn. 18 m.w.N.). Da der Erhalt der bestehenden Gestalt im Vordergrund steht, kommt es für die Frage der Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes nicht darauf an, mit welcher Wahrscheinlichkeit potentielle Betrachter ihren Blick auf die neuen Fenster richten (BayVGH, B.v. 8.1.2020 – 1 ZB 19.1540 – juris Rn. 6; vgl. auch BayVGH, B.v. 22.3.2022 – 15 ZB 21.3085 – juris Rn. 11): Unabhängig davon weitet sich die R* …straße, wie aus den in den Behördenakten enthaltenen Lageplanen und öffentlich zugänglichen Luftbildern („google maps“) erkennbar ist, auf Höhe des streitgegenständlichen Grundstücks im Kreuzungsbereich mit der F* … Straße und der Straße R* … platzartig auf und geht in weiter südlicher Richtung dann in den Platz „R* …“ über. Dies führt dazu, dass die straßenseitige Fassade des Bestandsgebäudes auf dem Vorhabengrundstück und insbesondere auch die Fenster im zweiten Obergeschoss deutlich wahrgenommen werden können.
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b) Anhaltspunkte dafür, dass die Baueinstellung unverhältnismäßig oder ermessensfehlerhaft ist, bestehen nicht. Die Antragsgegnerin hat das für den Erlass der Baueinstellungsverfügung nach Art. 75 Abs. 1 BayBO eingeräumte Ermessen pflichtgemäß und beanstandungsfrei ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO).
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aa) Eine Baueinstellung bezweckt, wie ausgeführt, primär sicherzustellen, dass vor abschließender Prüfung der Zulässigkeit des Vorhabens dessen Fortführung verhindert wird. Es ist daher regelmäßig sachgerecht, eine entsprechende Verfügung zu erlassen, wenn festgestellt wird, dass ein Bauvorhaben ohne die erforderliche Genehmigung ausgeführt wird (sog. intendiertes Ermessen, vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 1 CS 20.1979 – juris Rn. 14; B.v. 21.7.2020 – 1 CS 20.1204 – juris Rn. 11). Hinsichtlich der Begründung der Ermessensentscheidung reicht es in einem solchen Fall aus, wenn darauf hingewiesen wird, dass die Verfügung im Hinblick auf die formelle Baurechtswidrigkeit, also das Fehlen einer Genehmigung oder sonstigen Zulassungsentscheidung, erfolgt ist (vgl. Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 156. EL Dezember 2024, Art. 75 Rn. 83). Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in den Gründen des Bescheids, da sich ihnen entnehmen lässt, dass Anlass für die Verfügung der Umstand war, dass mit dem Einbau der Fenster begonnen wurde, obwohl die erforderliche denkmalschutzrechtliche Erlaubnis nicht vorlag. Die Antragspartei wurde ferner als Zustands- und Handlungsstörerin rechtlich zutreffend in Anspruch genommen. Einwände hiergegen wurden im Übrigen von der Antragspartei nicht erhoben.
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bb) Die von der Antragstellerin gerügten Ermessensfehler liegen nicht vor.
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(1) Es spricht wenig dafür, dass im Rahmendes Ermessens bei Anwendung des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit zu berücksichtigen ist (zum Streitstand: Decker in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 156. EL Dezember 2024, Art. 75 Rn. 91). Selbst wenn man diesen Gesichtspunkt berücksichtigen wollte, wäre von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit in Anbetracht der in Rede stehenden, zu prüfenden denkmalrechtlichen Fragen hier jedenfalls nicht auszugehen. Es bedürfte zur Beantwortung dieser Frage sowohl einer Auseinandersetzung mit dem Erscheinungsbild des streitgegenständlichen Gebäudes als auch seiner genaueren Umgebung. Hierfür bedarf es des dazu vorgesehenen Genehmigungsverfahrens einschließlich der Vorlage aussagekräftiger Pläne und Unterlagen.
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(2) Soweit die Antragstellerin daneben darauf verweist, dass im relevanten Nahbereich bei – im Einzelnen näher bezeichneten – Vorhaben ebenfalls Kunststofffenster vorhanden seien, und insoweit durch die Baueinstellung den Gleichbehandlungsgrundsatz als verletzt ansieht, führt dies nicht zu deren Ermessensfehlerhaftigkeit. Unbeschadet der Frage, ob überhaupt vergleichbare Sachverhalte vorlägen, ist dieser Umstand bzw. der Verweis auf bestehende Fenstereinbauten für die Ermessensausübung im Rahmen der streitgegenständlichen Baueinstellung ohne Belang. Er änderte nichts daran, dass die Antragsgegnerin gehalten ist, auf eine Beachtung der Verfahrensanforderungen hinzuwirken und die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern.
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(3) Die Baueinstellung ist, anders als die Antragspartei meint, auch nicht deswegen unverhältnismäßig, weil sie nach eigenen Angaben bereits einen fünfstelligen Betrag netto für den Austausch der Fenster aufgewandt habe und „der Zwang zum Einbau von Holzfenstern“ weitere Kosten nach sich zöge. Gegenstand dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist die Verpflichtung der Antragstellerin zur Einstellung der Bauarbeiten aufgrund der fehlenden denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis, nicht die Frage, ob Kunststofffenster oder Holzfenster (mit der Folge etwaiger Zusatzkosten für die Antragstellerin) denkmalschutzrechtlich erlaubnisfähig sind.
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2. Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 2 des angegriffenen Bescheides begegnet keinen rechtlichen Bedenken, die Antragstellerin hat diesbezüglich auch keine rechtlichen Zweifel geäußert.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 1.7.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.