Inhalt

VGH München, Urteil v. 28.05.2025 – 9 B 24.1235
Titel:

Rechtmäßige Beseitigungsanordnung für eine Garage samt Nebengebäude wegen Verstoßes gegen einen übergeleiteten Baulinienplan

Normenketten:
VwGO § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1, § 125 Abs. 1
BayBO Art. 76 S. 1
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2, § 233 Abs. 3
BBauG § 173 Abs. 3
BauNVO § 23 Abs. 5
Leitsätze:
1. Eine bauplanerische Festsetzung tritt erst dann außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (hier verneint für eine festgesetzte vordere Baugrenze). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit dem Begriff der Grundzüge der Planung bezeichnet § 31 Abs. 2 BauGB die durch die Hauptziele der Planung bestimmte Grundkonzeption eines Bauleitplans. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 76 S. 1 BayBO dient dem Zweck, Zuständen materieller Illegalität entgegen zu wirken. Die Behörde bedarf daher für ihr Einschreiten bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich keiner besonderen Rechtfertigung. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, formelle Illegalität, materielle Illegalität, übergeleiteter Baulinienplan, vordere Baugrenze, Funktionslosigkeit, Grundzug der Planung, Befreiung, Berührung der Grundzüge der Planung, Nebenanlage, Ermessen, Zwangsgeldandrohung, überbaubare Grundstücksfläche, Vorgartenbereich
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 13.11.2023 – B 2 K 22.2
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12471

Tenor

I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. Novembe 2023 – B 2 K 22.2 – wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die ihm gegenüber ergangene Beseitigungsanordnung für eine Garage samt Nebengebäude.
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Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke FlNrn. 3737/7 und 3737/8 (Gemarkung Bamberg). Auf dem Grundstück FlNr. 3737/8 befindet sich ein Wohnhaus samt überdachtem und mit Brettern verkleidetem Übergang mit einer Länge von etwa 3,20 m und einer Höhe von ca. 1,80 m bis 2,50 m, in dem unter anderem Mülltonnen stehen. Das daran westlich direkt anschließende Nebengebäude samt Garage befindet sich auf den Grundstücken FlNrn. 3737/7 und 3737/8. Diese sind in nördlicher Richtung ca. 1,64 m vom Gehweg entfernt. Die Wandhöhe der Garage beträgt in der nordwestlichen Ecke ca. 2,53 m, in der südwestlichen Ecke ca. 3,76 m. Ihre Länge parallel zur Straße beträgt ca. 4,00 m, zusammen mit dem angrenzenden Nebengebäude etwa 5,60 m. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Baulinienplans 50 B vom 21. Januar 1960, genehmigt am 24. März 1960. Der Baulinienplan setzt unter anderem vordere Bebauungsgrenzen fest.
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Mit Bescheid vom 30. November 2021 verpflichtete die Beklagte den Kläger, die an der nordwestlichen Seite des Wohnhauses ohne Genehmigung errichtete Garage mit Satteldach (Nr.1) und das an der östlichen Seite der Garage sowie nördlichen Seite des Wohnhauses angrenzende, mit Hölzern verkleidete, ohne Genehmigung errichtete Nebengebäude und die dazugehörigen Dächer (Nr. 2), jeweils unter Androhung von Zwangsgeldern (Nrn. 3 und 4), innerhalb von sechs Monaten ab Bestandskraft des Bescheids zu beseitigen. Zur Begründung führte sie aus, diese baulichen Anlagen seien materiell rechtswidrig. Sie lägen im Geltungsbereich des Bebauungsplans 50 B, in dem unter anderem Bebauungsgrenzen festgesetzt seien. Diese würden durch die Errichtung der Garage und des Nebengebäudes überschritten. Eine nachträgliche Erteilung einer Genehmigung für Garage und den angrenzenden Nebenraum sei daher planungsrechtlich nicht möglich. Ebenso scheide eine Zulassung nach § 23 Abs. 5 BauNVO aus. Weder seien die baulichen Anlagen Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO noch seien es Anlagen, die nach Landesrecht in den Abstandflächen zulässig seien. Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB könne ebenfalls nicht erteilt werden, da hierdurch die Grundzüge der Planung berührt würden. Das dem Baulinienplan 50 B zugrundeliegende Planungskonzept sei von der Absicht getragen, eine einheitliche Häuserflucht hin zum Hahnenweg mit von Bebauung freizuhaltenden Vorgärten sicherzustellen. Mit Erteilung von Befreiungen würde von einer das Planungskonzept des Bebauungsplans 50 B tragenden, nicht untergeordneten Festsetzung abgewichen, die auch städtebaulich nicht vertretbar sei.
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Das Verwaltungsgericht gab der dagegen gerichteten Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. November 2023 statt und hob den Bescheid der Beklagten auf. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte hätte, um die materielle Illegalität der Anlagen bejahen zu können, eine prognostische Entscheidung dahingehend treffen müssen, ob sie im Fall der Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens eine Ausnahme, Befreiung oder Abweichung erteilen würde. Dies habe sie nicht getan, obwohl die Voraussetzungen für eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB vorgelegen hätten. Aufgrund der fehlenden Ermessensausübung bei der Entscheidung über die Erteilung der Befreiung stehe die materielle Illegalität der baulichen Anlagen nicht fest. Die Grundzüge der Planung seien nicht berührt, da jedenfalls mit Erlass des das Grundstück FlNr. 3736 betreffenden Bebauungsplans 50 J ein planerisches Grundkonzept der Beklagten, südlich des Hahnenwegs das Entstehen einer einheitlichen Häuserreihe mit damit einhergehender Freihaltung des Vorgartenbereichs sicherzustellen, allenfalls noch für die Grundstücke östlich des Grundstücks FlNr. 3736 erkennbar sei. Die Beklagte habe mit Erlass eines vom bisherigen Baugrenzenkonzept abweichenden Bebauungsplans 50 J durch teilweise Überplanung des Bebauungsplans 50 B die Verbindung des Vorhabengrundstücks zu den übrigen, südlich des Hahnenweges gelegenen Grundstücken bewusst unterbrochen, so dass für den Bereich des Vorhabengrundstücks nicht mehr angenommen werden könne, dass hier das planerische Grundkonzept, durch die Freihaltung des Vorgartenbereichs eine einheitliche Häuserzeile sicher zu stellen, weiterhin gelten soll. Auch die übrigen Befreiungsvoraussetzungen seien gegeben. Da sich der Bescheid ausschließlich auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB stütze, habe die Beklagte ihr Ermessen darüber, ob eine Befreiung erteilt werde, nicht ausgeübt.
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Die Beklagte legte gegen diesen Gerichtsbescheid die vom Senat mit Beschluss vom 22. Juli 2024 zugelassene Berufung ein. Zu deren Begründung führte sie aus, die streitgegenständliche Garage und das Nebengebäude widersprächen den Festsetzungen des Bebauungsplans 50 B, da sie außerhalb der festgesetzten Bebauungsgrenze errichtet worden seien. Wenn eine Bebauungsgrenze festgesetzt sei, dürften Gebäude und Gebäudeteile diese nicht überschreiten, § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO. Das Bauvorhaben wäre nur mit Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB genehmigungsfähig. Da die Grundzüge der Planung durch die Vorhaben berührt seien, scheide die Erteilung einer Befreiung aus. Das Verwaltungsgericht ziehe abweichende Bebauungen außerhalb des Plangebiets heran. Grundsätzlich sei jedoch nur die Situation im Plangebiet, zumindest aber die Situation in dem für das jeweilige Vorhaben relevanten Teilbereich maßgeblich. In diesem Bereich sollte durch die Festsetzung von Bebauungsgrenzen und die damit einhergehende Freihaltung des Vorgartenbereichs das Entstehen einer einheitlichen Häuserzeile sichergestellt worden. Die vom Kläger im Vorgartenbereich errichtete Garage mit Satteldach sowie das angrenzende Nebengebäude stellten einen Einzelfall dar, der diese städtebauliche Konzeption erstmalig durchbreche. Der Anbau des Klägers wurde mit großer überbauter Grundfläche sehr massiv gemauert und hat ein mit Ziegeln gedecktes Walmdach, das sich optisch als Erweiterung des Haupthauses geriere. Im Übrigen wäre eine Befreiung auch städtebaulich nicht vertretbar.
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Die Beklagte beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. November 2023 in der Sache B 2 K 22.2 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Er führt aus, die Grundzüge der Planung seien im konkreten Fall nicht berührt, da jedenfalls mit Erlass des Bebauungsplans 50 J auf dem Grundstück FlNr. 3737 ein planerisches Grundkonzept der Beklagten, südlich des Hahnenweges das Entstehen einer einheitlichen Hausreihe und damit einhergehender Freihaltung des Vorgartenbereichs sicherzustellen, nur noch für die Grundstücke östlich des Grundstücks FlNr. 3737 erkennbar sei. Dadurch, dass die Beklagte selbst die Grundzüge ihrer Planung geändert habe, könne sie sich auf solche Grundzüge, die nicht mehr existierten, nicht berufen.
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Der Senat hat das Grundstück und die nähere Umgebung in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses des Augenscheins wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift sowie die Lichtbilder vom 20. Mai 2025 Bezug genommen.
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Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Der Senat entscheidet gemäß § 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung, nachdem sich die Parteien im an den Augenschein anschließenden Erörterungstermin am 20. Mai 2025 hiermit einverstanden erklärt haben.
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2. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den vom Kläger angegriffenen Bescheid vom 30. November 2021 zu Unrecht aufgehoben, denn dieser ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der erstinstanzliche Gerichtsbescheid ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Rechtsgrundlage für die unter Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 30. November 2021 geforderte Beseitigung der baulichen Anlagen ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichteten oder geänderten Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Die ohne Baugenehmigung errichteten baulichen Anlagen sind nicht nachträglich genehmigungsfähig, da sie den wirksamen Festsetzungen des Baulinienplans 50 B widersprechen (a) und nicht durch Befreiung legalisiert werden können, weil sie die Grundzüge der Planung berühren (b) und auch weitere Befreiungstatbestände nicht in Betracht kommen (c). Die Ermessensausübung ist nicht zu beanstanden (d).
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a) Die streitgegenständlichen Anlagen sind materiell rechtswidrig, da sie den Festsetzungen des Baulinienplans 50 B hinsichtlich der vorderen Bebauungsgrenze widersprechen.
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Der als qualifizierter Bebauungsplan weitergeltende Baulinienplan 50 B setzt durch die Festsetzung einer vorderen Bebauungsgrenze abschließend die überbaubare Grundstücksfläche „nach vorne“ auf dem klägerischen Grundstücken fest (aa) und ist auch nicht funktionslos geworden (bb).
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aa) Die mit rechtskräftiger Regierungsentschließung vom 24. März 1960 festgesetzten „Baulinien und Baubeschränkungen“ – Baulinienplan 50 B – gelten nach § 173 Abs. 3 BBauG 1960, § 233 Abs. 3 BauGB als qualifizierter Bebauungsplan fort.
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Der Baulinienplan enthält verbindliche Vorgaben für das „Wie“ einer Bebauung auch auf dem klägerischen Baugrundstück. Durch die Festlegung vorderer, seitlicher und rückwärtiger Bebauungsgrenzen, dargestellt durch mit blauer (vordere Bebauungsgrenze) und violetter Farbe (seitliche und rückwärtige Bebauungsgrenzen) hinterlegte Baulinien, wird verbindlich geregelt, an welcher Stelle ein Bauvorhaben zu errichten ist, falls das Grundstück bebaubar ist. Nach dem „Ministerialerlaß betr. Baulinienplan, 1910“ (ME vom 3.8.1910 (MABl. S. 477) haben „die vorderen, seitlichen und rückwärtigen Bebauungsgrenzen die rechtliche Wirkung, daß Gebäude entweder an diese Baulinien gestellt oder in einem beliebigen Abstande hinter diesen Linien errichtet werden dürfen.“ Damit beinhaltet der Baulinienplan vom 24. März 1960 eine verbindliche Regelung, indem er die bebaubaren Grundstücksflächen sowie die Stellung der Gebäude auf dem Grundstück und damit zugleich davon nicht erfasste Flächen als nicht überbaubare Grundstücksflächen bestimmt (BayVGH U.v. 11.9.2003 – 2 B 00.1400 – juris Rn. 13).
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bb) Der übergeleitete Bebauungsplan ist in Bezug auf die hier maßgebliche Bauraumausweisung nicht funktionslos geworden. Nach den insoweit in der Rechtsprechung aufgestellten (strengen) Maßstäben tritt eine bauplanerische Festsetzung erst dann außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Entscheidend ist, ob die jeweilige Festsetzung noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Eine Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit seine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit gesprochen werden (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1977 – IV C 39.75 – juris; U.v. 3.12.1998 – 4 CN 3.97 – juris Rn. 22; B.v. 23.1.2003 – 4 B 79.02 – Rn. 7; BayVGH, U.v. 9.5.2018 – 1 B 14.2215 – Rn. 34).
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Diese Eignung ist für die hier maßgebliche Bauraumausweisung, insbesondere für die vordere Bebauungsgrenze hin zum „Am Hahnenweg“ nach wie vor deutlich ablesbar. Der Bauraumausweisung liegt erkennbar das Planungskonzept zu Grunde, die Bebauung auf eine Straßenrandbebauung entlang der Straße erst ab einer gewissen Tiefe zu ermöglichen. Dabei war beabsichtigt, im Bereich westlich des Staffelbergwegs grundsätzlich einen größeren Bereich zur Straße hin von Bebauung freizuhalten als östlich des Staffelbergwegs. Das ergibt sich auch daraus, dass im westlichen Bereich Bebauungsgrenzen (die einen Mindestabstand des Gebäudes zur Straße hin bestimmen), im östlichen Bereich hingegen bereits mit dem Baulinienplan 50 A aus dem Jahr 1958, der in den Baulinienplan 50 B übernommen wurde, grundsätzlich Gebäudefluchtlinien (die den genauen Standort bestimmen) festgesetzt wurden. Für die Reihenhauszeile, zu denen die klägerischen Grundstücke gehören, soll durch die Festsetzung der vorderen Bebauungsgrenze eine einheitliche Gebäudefluchtlinie entstehen. Wie die Beweisaufnahme durch den Verwaltungsgerichtshof ergeben hat, ist diese städtebauliche Konzeption in der Natur nach wie vor deutlich ablesbar. Die Wohnbebauung konzentriert sich im Wesentlichen auf eine mehrere Meter von der Straße entfernte Bebauung, wobei die Bebauung westlich des Staffelbergwegs weiter von der Straße entfernt situiert ist als die östlich gelegene. Grundzug der Planung ist damit ersichtlich die Freihaltung des Vorgartens von Bebauung, wobei die Gebäudefluchtlinie den Bebauungsabschluss hin zur Straße bilden soll.
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Dieses Konzept wird auch nicht durch den Bebauungsplan 50 J unterbrochen. Auch in diesem Bebauungsplan ist eine vordere Bebauungsgrenze festgesetzt. Im Übrigen war bereits im ursprünglichen Baulinienplan der Vorgartenbereich dort weniger tief als beim streitgegenständlichen Grundstück festgesetzt. Schließlich wirkt sich der Bebauungsplan J auch nicht auf die einheitliche Gebäudefluchtlinie der Reihenhäuser aus.
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Die vereinzelt vorhandenen baulichen Anlagen im Vorgartenbereich auf der südlichen Straßenseite „Am Hahnenweg“ führen ebenfalls nicht dazu, das planerische Gesamtkonzept in Frage zu stellen. Der Senat hat im Rahmen der Ortsbesichtigung festgestellt, dass diese baulichen Anlagen in Hinblick auf die Gesamtzahl der vom Baulinienplan 50 B umfassten Gebäude kaum ins Gewicht fällt, die Freihaltung der Vorgartenbereiche im Wesentlichen umgesetzt ist und die mit der Festsetzung bezweckte städtebauliche Gestaltungsfunktion weiterhin erfüllt werden kann. Zudem bleibt die bauliche Anlage auf dem östlich des klägerischen Grundstücks gelegenen Nachbargrundstück bei der Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse außer Betracht. Beim Augenschein haben die Beklagtenvertreten erklärt, dass ihnen diese bauliche Anlage neu sei. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass diese auf Dauer bestehen bleiben wird, da die Beklagte nunmehr erst eine entsprechende Prüfung der Genehmigungsfähigkeit vornehmen kann. Damit durchbrechen die baulichen Anlagen des Klägers erstmals die einheitliche Häuserzeile entlang der Reihenhäuser.
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Die sich nördlich des „Am Hahnenweg“ im Vorgartenbereich befindenden Garagen sind jedenfalls nicht geeignet, das planerische Konzept der Freihaltung des vor der Gebäudeflucht liegenden Bereichs auf dessen südlicher Straßenseite in Frage zu stellen, da diese beiden Seiten insoweit als „Teilbereiche“ betrachtet werden können.
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Die vor den Anwesen Hausnummern 61a – 61d am Hahnenweg befindlichen Anbauten bleiben bei der Prüfung der Funktionslosigkeit der Festsetzung der vorderen Bebauungsgrenze außer Betracht, da diese außerhalb des maßgeblichen Bebauungsplans liegen.
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b) Die streitgegenständlichen baulichen Anlagen des Klägers befinden sich vor der vorderen Bebauungsgrenze. Wie die Beweisaufnahme durch den Verwaltungsgerichtshof ergeben hat, ist die als zur Straße hin geplante einheitliche Gebäudefluchtlinie der Reihenhauszeile dadurch nicht mehr erkennbar. Ein Anspruch des Klägers auf Befreiung von den planerischen Festsetzungen des übergeleiteten Baulinienplans (vgl. § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 30 Abs. 1 BauGB) scheidet aus.
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Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB liegen nicht vor. Es würden die Grundzüge der Planung berührt. Mit dem Begriff der Grundzüge der Planung bezeichnet das Gesetz die durch die Hauptziele der Planung bestimmte Grundkonzeption eines Bauleitplans. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich jeweils nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Unter welchen Voraussetzungen die Grundzüge der Planung berührt werden, lässt sich nicht allgemeingültig formulieren; maßgeblich ist die jeweilige Planungssituation. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – juris; U.v. 18.11.2010 – 4 C 10.09 -juris Rn. 37). Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung Spannungen hineinträgt oder erhöht, die nur durch eine Planung zu bewältigen sind. Was den Bebauungsplan in seinen „Grundzügen“ berührt, was seine „Planungskonzeption“ verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden. Denn die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 BauGB der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.2012 – 4 C 14.10 – juris Rn. 22 m.w.N.). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein (vgl. BVerwG, B.v.29.7.2008 – 4 B 11.08 – juris Rn. 4). Eine Befreiung von einer Festsetzung, die für die Planung tragend ist, darf nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2016 – 15 ZB 15.468 – juris Rn. 9 m.w.N.).
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Ausgehend von diesen Grundzügen scheidet die Erteilung einer Befreiung von der vorderen Bebauungsgrenze aus. Die Plankonzeption bestand in der Freihaltung des Bereichs vor der durch die Häuser gebildeten Gebäudefluchtlinie, die insbesondere bei den Reihenhäusern eine einheitliche Linie bildet. Die Zulassung der Bebaubarkeit auch wegen der Bezugswirkung für die übrigen Reihenhäuser sowie für eine Vielzahl weiterer Grundstücke im Planbereich würde ein weitgehendes Abrücken von dieser planerischen Konzeption bedeuten. Dies gilt nicht nur für die Garage, die nur etwa 1,64 Meter von der Grundstücksgrenze entfernt ist, sondern auch für den überdachten Übergang. Durch seine Länge von etwa 3,20 Meter, seinem mit Ziegeln gedeckten Satteldach und durch die zur Straße hin mit Holzbrettern verkleidete Seitenwand erscheint es sehr massiv und wird nicht nur als untergeordneter Gebäudeanbau wahrgenommen.
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c) Auch eine Zulassung nach § 23 Abs. 5 Satz 1 oder Satz 2 BauNVO kommt nicht in Betracht. Weder handelt es sich bei der Garage einschließlich des Nebengebäudes um eine Nebenanlage im Sinne des § 14 BauNVO, noch handelt es sich hierbei um bauliche Anlagen, die nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO, der für Garagen einschließlich ihrer Nebenräume grundsätzlich anwendbar ist, scheitert bereits daran, dass die mittlere Wandhöhe der Garage 3 m übersteigt.
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d) Die Beklagte hat das ihr durch Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumte Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise fehlerfrei ausgeübt (Art. 40 BayVwVfG, § 114 Abs. 1 VwGO).
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Art. 76 Satz 1 BayBO dient dem Zweck, Zuständen materieller Illegalität entgegen zu wirken. Die Behörde bedarf für ihr Einschreiten bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich keiner besonderen Rechtfertigung. Es ist anerkannt, dass die Bauaufsichtsbehörden ihre Aufgaben nur erfüllen können, wenn sie in der Regel gegen ungenehmigte, materiell rechtswidrige Bauten vorgehen, soweit geboten, deren Beseitigung verlangen und die Anordnungen auch durchsetzen. Die Verhinderung und grundsätzlich auch die Beseitigung von „unheilbar“ rechtswidrigen Anlagen liegt im besonderen Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten baulichen Entwicklung (vgl. Weber in Schwarzer/König, 5. Aufl. 2022, BayBO, Art. 76 Rn. 22; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand Dezember 2024, Art. 76 Rn. 209).
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Nach diesen Maßstäben erweisen sich die hier angeordneten Maßnahmen nicht als ermessensfehlerhaft. Die Beklagte hat neben dem öffentlichen Interesse an der von Bebauung freizuhaltenden Vorgärten auch berücksichtigt, dass der Kläger bereits zwei Garagen besitzt und insoweit auf eine weitere Garage nicht unmittelbar angewiesen ist.
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e) Die Zwangsgeldandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 und 2, Art. 36 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwZVG. Die Fristsetzungen und die Höhe der angefochtenen Zwangsgelder sind nicht zu beanstanden.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
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4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.