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LG Ingolstadt, Endurteil v. 28.01.2025 – 21 O 307/23 Ver
Titel:

Nachweis unfallbedingter Invalidität bei Ruptur der vorgeschädigten Patellasehne

Normenketten:
ZPO § 287
VVG § 178, § 180
AUB 2.2.1
Leitsätze:
1. Der Kläger muss einen unfallbedingten Invaliditätsgrad von mindestens 50 % nachweisen, wenn dieser nach den zum Vertrag vereinbarten Bedingungen Voraussetzung für Zahlung einer Unfall-Rente ist. (Rn. 19 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Stehen sowohl der Unfall als auch die Verletzung fest, derentwegen Ansprüche geltend gemacht werden, gilt für die unfallbedingte Invalidität der Beweismaßstab des § 287 ZPO. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Nachweis der unfallbedingten Invalidität von mindestens 50 % ist bei Ruptur einer Patellasehne nicht geführt, wenn es zu dieser nur aufgrund einer Vorschädigung gekommen sein kann und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden darf, dass diese Vorschädigung ursächlich für den Eintritt der Ruptur war. (Rn. 27 und 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Unfallversicherung, Invalidität, Grad, Beweismaß, Unfallrente, Vorschädigung, Ruptur, Patellasehne
Fundstellen:
FDVersR 2025, 001245
BeckRS 2025, 1245

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 219.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung.
2
Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag über eine private Unfallversicherung mit der Versicherungs-Nr. … … … Wegen der Einzelheiten wird auf den Versicherungschein, Anlage K1, Bezug genommen. Wegen der Versicherungsbedingungen wird auf die Anlage K2 verwiesen.
3
Am 22.08.2020 stürzte der Kläger an einer Rolltreppe. Der Kläger erlitt hierbei einen Teil-Patellarsehnenabriss am rechten Kniegelenk.
4
Der Kläger trägt vor, bei ihm sei kausal durch das Unfallereignis herbeigeführt eine Invalidität von mindestens 50 % eingetreten. Es sei nämlich von mindestens 8/10 Beinwert auszugehen. Dies ergäbe einen Gesamtinvaliditätsgrad von insgesamt 56 %. Der Kläger meint daher, er habe die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag.
5
Der Kläger beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 93.000,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 01.03.2023 eine monatliche Unfallrente in Höhe von 3.000,00 Euro zu bezahlen, zahlbar jeweils monatlich im Voraus, nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt.
3. Nebenforderung: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für bereits entstandene, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten eine Nebenforderung in Höhe von 5.619,18 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
6
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
7
Die Beklagte bestreitet, dass bei dem Kläger außer einer geringen Bewegungseinschränkung eine dauerhafte unfallbedingte Beeinträchtigung beim Kläger vorliegt. Es wird mithin das Vorliegen einer unfallbedingten Invalidität im Sinne der Versicherungsbedingungen bestritten.
8
Das Gericht hat gem. § 358 a ZPO Beweis erhoben gem. Beweisbeschluss vom 26.05.2023 durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. A.  H.. Auf den Beweisbeschluss wird verwiesen.
9
Unter dem Datum 29.08.2023 erstattete der Sachverständige sein schriftliches Gutachten. Auf dieses wird wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme verwiesen.
10
Weiter wurde Beweis erhoben gem. Beschluss vom 02.02.2024 durch Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. … H…. Auf den Beweisbeschluss wird ebenfalls verwiesen.
11
Unter dem Datum 07.08.2024 erstattete der Sachverständige das Ergänzungsgutachten. Auf dieses wird ebenfalls verwiesen.
12
Weitere Einwendungen gegen die Begutachtung wurden durch die Parteien nicht erhoben, es wurden auch keine weiteren Ergänzungsfragen gestellt.
13
Wegen des übrigen Parteivorbringens und der Einzelheiten wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
14
Das Gericht hat mit Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO entschieden. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht wurde der 16.12.2024 bestimmt. Weitere Schriftsätze sind nicht eingegangen.

Entscheidungsgründe

I.
15
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Ingolstadt aufgrund des Streitwerts sachlich und örtlich nach § 215 VVG zuständig. Die Klägerpartei wohnt im hiesigen Bezirk.
16
Der Anregung der Klagepartei in der Klage, den Rechtsstreit auf die Kammer zu übertragen, war nicht nachzukommen. Es handelt sich vorliegend um einen eher einfach gelagerten Sachverhalt. In der Replik wird auf die Anregung auch nicht mehr Bezug genommen, obwohl sich die Beklagtenpartei in der Klageerwiderung gegen eine Übertragung auf die Kammer aussprach. In der Anregung, welche bereits in der Klageschrift enthalten ist, wird Bezug genommen auf eine vorliegende Klageerwiderung, die zum Zeitpunkt der Klageeinreichung naturgemäß noch nicht vorgelegen haben kann. Es handelt sich um einen Standardfall, die Entscheidung des Gerichts hängt letztlich in erster Linie vom Ausgang des gerichtlichen Sachverständigengutachtens ab, so wie es auch die Parteien sehen.
II.
17
Die Klage ist aber nicht begründet.
18
Der Kläger hat gegen die Beklagte wegen des streitgegenständlichen Unfallereignisses keine Ansprüche gegen die Beklagte aus dem zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherungsvertrag. Andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
19
1. Voraussetzung für einen Anspruch auf Unfall-Rente wäre nach Nummer 2.2.1 der AUB nämlich, dass ein Invaliditätsgrad von mindestens 50 % beim Kläger erreicht wäre.
20
Eine entsprechende Überzeugung konnte sich das Gericht aber aufgrund der vorliegenden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H… nicht bilden.
21
Das Unfallereignis und die hierbei eingetretene Primärverletzung (Teil-Patellarsehnenabriss) ist unter den Parteien nicht streitig.
22
Für die haftungsausfüllende Kausalität gilt das Beweismaß des § 287 Abs. 1 ZPO.
23
Nach den vorliegenden Sachverständigengutachten spricht keinerlei Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei dem Kläger in Folge des Sturzes und der hierdurch erlittenen Primärverletzung eine Invalidität von über 50 % eingetreten sein könnte.
24
Dies folgt aus den Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H… vom 29.08.2023 und vom 07.08.2024.
25
Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird davon abgesehen, umfangreich aus den Gutachten zu zitieren. Auf die Gutachten wird hier nochmals umfassend verwiesen.
26
Der Sachverständige kommt bereits in seinem ersten Gutachten vom 29.08.2023 nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass aus dem Sturzereignis vom 22.08.2020 für den Kläger keine bedingungsgemäße Invalidität von 56 % oder 8/10 Beinwert resultiert. Der Sachverständige begründet dies schon damit, dass das Unfallereignis nach Art, Richtung und Schwere hinsichtlich seiner energetischen anzunehmenden Kräfte nicht in der Lage gewesen ist, eine auch nur annähernd intakte Patellarsehne zur Ruptur zu bringen. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Patellarsehne beim Kläger bereits einen erheblichen sog. Vorschaden hatte, der aufgrund seiner klinischen Inapparenz als Schadensanlage bezeichnet werden müsse.
27
Es müsse daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Schadensanlage überwiegend ursächlich für den Eintritt der Ruptur verantwortlich gemacht werden kann.
28
Weiter kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass eine Invalidität von 56 % entsprechend 8/10 Beinwert jdenfalls als weit überhöht anzusehen wäre.
29
Der Sachverständige führt aus, selbst bei wohlwollender Betrachtungsweise – vollkommen unabhängig von Unfallfolgen und Schadenslage – würde sich maximal ein Beinwert von 3/20 bis 4/20 ergeben.
30
Vor diesem Hintergrund kann das Gericht nicht zu der Annahme kommen, dass das streitgegenständliche Unfallereignis zu einer Invalidität des Klägers von 50 % oder darüber geführt haben könnte.
31
In seinem Ergänzungsgutachten vom 07.08.2024 arbeitet der Sachverständige Ergänzungsfragen des Klägers ab. Eine Änderung am Gutachtensergebnis nimmt der Sachverständige nicht vor.
32
2. Die im Schriftsatz der Klagepartei vom 19.12.2023 unter 1.) aufgelisteten Fragen waren dem Sachverständigen nicht vorzulegen.
33
Diese Fragen zielen erkennbar nur darauf ab, festzustellen, ob gegen den Sachverständigen ein Befangenheitsantrag gestellt werden könnte. Inhaltlich haben diese Fragen mit den in der Sache zu beantwortenden Gutachtensfragen nichts zu tun.
34
Auf die entsprechenden Fragen kommt es aber nicht an, da ein Befangenheitsantrag bereits verspätet und unzulässig wäre. Ein Befangenheitsantrag hätte bereits nach der Bestellung des Sachverständigen erfolgen müssen. Klägerseits wird in der entsprechenden Fragestellung nicht einmal angegeben, warum überhaupt Anlass bestand, derartige Fragen zu stellen.
35
3. Zweifel an dem vom Sachverständigen gefundenen Gutachtensergebnis sind nach Meinung des Gerichts nicht angebracht.
36
Herr Professor Dr. H… ist dem Gericht zwischenzeitlich aus zahlreichen Verfahren als ausgewiesener Experte auf seinem Fachgebiet bekannt. Er bearbeitet sämtliche Gutachtensaufträge stets gewissenhaft und mit großer Genauigkeit. Bei jedem Gutachtensauftrag beschäftigt er sich umfassend mit der zu beurteilenden Fragestellung. Er orientiert sich hierbei genauestens an der Fragestellung des jeweiligen Beweisbeschlusses, so auch im vorliegenden Fall. Er berücksichtigt, wie auch hier, die im Zeitpunkt der Begutachtung bereits vorliegenden sonstigen ärztlichen Stellungnahmen und würdigt diese. Auch dies ist vorliegend umfassend und nachvollziehbar geschehen. Herr Professor Dr. H… zieht für die Gutachtenserstellung stets auch die einschlägige Literatur heran. Soweit es für die Gutachtenserstellung zu beachtende Richtlinien gibt, sind ihm diese ausnahmslos bekannt und er wendet sie zutreffend an. Sofern es nach dem Beweisbeschluss zur Erfüllung des Gutachtensauftrages erforderlich ist, führt er stets eine persönliche akribische Untersuchung der betroffenen Person durch. Auch dies ist vorliegend erfolgt. Seine Gutachtensergebnisse sind, wie auch im vorliegenden Fall, anschaulich erläutert, schlüssig, in sich frei von Widersprüchen und auch für einen medizinischen Laien gut nachvollziehbar.
37
Seitens der Parteien werden auch keine Einwendungen gegen das abschließende Gutachtensergebnis erhoben.
III.
38
Die Klage war auch hinsichtlich der Nebenforderungen (vorgerichtlich entstandene Anwaltsgebühren, Zinsen) abzuweisen. Diese teilen das Schicksal der Hauptforderung.
IV.
39
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.