Inhalt

VGH München, Beschluss v. 28.05.2025 – 5 CE 25.701
Titel:

Rechtsschutz gegen eine bestandskräftige Pfändungs- und Überweisungsverfügung wegen Rückforderungen von Leistungen nach dem SGB II

Normenketten:
VwZVG Art. 26 Abs. 7
ZPO § 850b Abs. 1 Nr. 1, § 906, § 907
SGB II § 6a Abs. 1, § 19 Abs. 2, § 41a Abs. 6
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Begehrt ein Antragsteller die Aufhebung einer Verfügungsbeschränkungen für sein Pfändungsschutzkonto, die infolge der Kontopfändung entstanden sind, und ist die Pfändungs- und Überweisungsverfügung bestandskräftig geworden, kommt nur ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht, mit dem auch die Art und Weise der Zwangsvollstreckung gerügt werden kann. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vollstreckungsbehörde hat im Falle der Pfändung eines Pfändungsschutzkontos nach § 906 Abs. 2 ZPO auf entsprechenden Antrag des Vollstreckungsschuldners einen vom Pfändungsfreibetrag abweichenden Betrag festzusetzen, sofern sich dies aus bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften ergibt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, Pfändungsschutzkonto, Kontopfändung, Forderung, Einziehung, Verfügungsbeschränkung, Rechtschutzbedürfnis, Pfändungsfreibetrag
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 18.11.2024 – Au 4 E 24.2387
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12442

Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen Vollstreckungsmaßnahmen der Antragsgegnerin wegen offener Geldforderungen aus einem bestandskräftigen Bescheid vom 14. Januar 2021, mit dem die Antragsgegnerin die Erstattung von Leistungen nach dem SGB II für die Monate Februar bis Juni 2020 in Höhe von insgesamt 1.991,80 Euro gefordert hatte. Zur Vollstreckung erließ die Antragsgegnerin zwei Pfändungs- und Überweisungsverfügungen, mit denen sie die Kontopfändung des Antragstellers bei der Sparkasse B. (B.v. 19.7.2023) – einem Pfändungsschutzkonto – und der Sparkasse A. (B.v. 21.5.2024) sowie jeweils die Einziehung der gepfändeten Forderung anordnete.
2
Im Laufe des angestrengten Eilverfahrens stellte die Sparkasse A. auf Bitte der Antragsgegnerin die Pfändungs- und Überweisungsverfügung während des Eilverfahrens ruhend. Die Sparkasse B. lehnte eine Ruhendstellung ab. In der Folge wurden von dem Pfändungsschutzkonto mehrere Teilzahlungen (mit Datum vom 2.8.2024, 3.9.2024, 5.11.2024 sowie 4.3.2025) in Höhe von insgesamt 1.843,41 Euro an die Antragsgegnerin überwiesen.
3
Mit Beschluss vom 18. November 2024 lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg im Verfahren Au 4 E 24.2387 den am 30. September 2024 gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des antragstellerischen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegen die Pfändungs- und Überweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 21. Mai 2024 (bezüglich Sparkasse A.) ab. Die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen lägen vor. Der Rechtmäßigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses stünden auch keine Pfändungsschutzvorschriften entgegen.
4
Gegen die Ablehnung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhob der Antragsteller Beschwerde und verwies darauf, dass das Konto bei der Sparkasse B. als Pfändungsschutzkonto geführt werde. Der erkennende Senat bewilligte dem Antragsteller auf seine Beschwerde hin mit Beschluss vom 4. Februar 2025 (Az. 5 CE 24.2012) unter entsprechender Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses Prozesskostenhilfe für das Verfahren in erster und zweiter Instanz und ordnete ihm mit Beschluss vom 28. März 2025 für das Beschwerdeverfahren seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten bei.
5
Das Pfändungsschutzkonto wurde am 3. April 2025 aufgelöst und ab diesem Zeitpunkt das Konto bei der Sparkasse A. als Pfändungsschutzkonto geführt.
6
Mit der am 7. April 2025 eingegangenen Beschwerde gegen den ablehnenden Eilbeschluss verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.
7
Er beantragt,
8
1. den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18.11.2024, Au 4 E 24.2387, in Ziffer I und II aufzuheben,
9
2. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 19. Juli 2023 wiederherzustellen und
10
3. die Aufhebung der Vollziehung des Pfändung- und Überweisungsbeschlusses der Antragsgegnerin vom 19. Juli 2023 anzuordnen.
11
Er macht u.a. geltend, die Antragsgegnerin sei auf den konkludent gestellten Antrag gemäß § 907 ZPO des Antragstellers verpflichtet gewesen, die unpfändbaren Beträge ausdrücklich festzusetzen und gegenüber der Drittschuldnerin bekannt zu geben.
12
Die Antragsgegnerin verteidigt den Beschluss des Verwaltungsgerichts und beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
13
Der Antragsgegnerin lägen bis auf den Grundsicherungsbescheid des Landratsamts Oberallgäu keine weiteren Nachweise vor. Ihr erschließe sich schon nicht, woraus sich die Festsetzung unpfändbarer Leistungen mit einem Grundfreibetrag von monatlich 1.500 Euro ergeben solle. Eine Anhebung dieser Schutzgrenze setze voraus, dass der Schuldner einen begründeten und nachvollziehbar belegten Antrag stelle, der die Notwendigkeit der Erhöhung gemäß den maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorgaben darlege. Die Voraussetzungen des § 907 ZPO seien ersichtlich nicht gegeben.
14
Auf gerichtliche Nachfrage vom 5. Mai 2025 erklärte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 6. Mai 2025, dass sich der Rechtstreit trotz der Auflösung des Kontos, dessen Guthaben mit der angegriffenen Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 19. Juli 2023 gepfändet worden sei, nicht erledigt habe. Die Auflösung ändere nichts daran, dass die Antragsgegnerin aufgrund der angefochtenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse die an sich unpfändbaren Bezüge des Antragstellers über einen Zeitraum erhalten und behalten habe.
15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
16
Die Beschwerde ist unzulässig.
17
1. Gegenstand des Eilantrags ist – anders als das Verwaltungsgericht annahm – nicht die Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 21. Mai 2024 (Sparkasse A.), sondern die Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 19. Juli 2023 (Sparkasse B.). Bereits seinem Antrag auf einstweiligen Rechtschutz vom 30. September 2024 vor der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts hatte der Antragsteller (nur) einen Kontoauszug der Sparkasse B. beigefügt. In seinem Schriftsatz vom 9. Dezember 2024 hat der Antragsteller bekräftigt, sein Rechtschutzbegehren beziehe sich „primär“ auf das bei der Sparkasse B. bestehende Konto, da nur dieses als Pfändungsschutzkonto geführt werde. In der Sache begehrt der Antragsteller die Aufhebung der Verfügungsbeschränkungen für sein Pfändungsschutzkonto, die infolge der Kontopfändung entstanden sind. Gleichzeitig forderte er die Rückbuchung der von dem Konto eingezogenen Forderungen. Dieses Verständnis liegt auch seinem Antrag im Beschwerdeschriftsatz vom 7. April 2025 zugrunde, den der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 6. Mai 2025 unverändert aufrechterhalten hat. Der Antrag bezieht sich eindeutig nur auf das inzwischen aufgelöste Pfändungsschutzkonto bei der Sparkasse B.
18
2. Die so verstandene Beschwerde ist unzulässig (geworden).
19
a) Die Beschwerde wurde zwar form- und fristgerecht eingereicht. Die Frist des § 147 Abs. 1 VwGO konnte gem. § 58 Abs. 1 VwGO nicht zu laufen beginnen, da die dem Beschluss des Verwaltungsgerichts beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig war. Diesbezüglich verweist der Senat auf seine Ausführungen im Beschluss vom 4. Februar 2025 im Verfahren Az. 5 CE 24.2012.
20
b) Der Beschwerde fehlt allerdings das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Rechtschutzbedürfnis, da der Antragsteller sein Rechtsschutzziel mit Hilfe des Eilantrags nicht (mehr) erreichen kann (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2024, § 123 Rn. 120 f. m.w.N.).
21
aa) Da der Antragsteller gegen die Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 19. Juli 2023 weder Widerspruch eingelegt noch Klage erhoben hat, ist diese in Bestandskraft erwachsen. Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 VwGO ist daher unzulässig.
22
bb) In Betracht kommt daher nur ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, mit dem auch die Art und Weise der Zwangsvollstreckung gerügt werden kann (vgl. Giehl/Adolph/Fabisch, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: August 2024, Art. 26 VwZVG Rn. 117). Denn vollstrecken Gemeinden gem. Art. 26 Abs. 5 Satz 1 VwZVG ihre Forderungen selbst, haben sie gem. Art. 26 Abs. 7 Satz 1 VwZVG die Vorschriften des Achten Buchs der Zivilprozessordnung anzuwenden und zu beachten, wobei die Verwaltungsgerichte gem. Art. 26 Abs. 7 Satz 3 VwZVG weiterhin zur Entscheidung über hiergegen gerichtete Rechtsbehelfe berufen sind. Um eine solche Forderung handelt es sich auch bei den hier auf Grundlage von § 41a Abs. 6 Satz 3 SGB II vom örtlichen Jobcenter festgesetzten Erstattungen, dessen alleinige Trägerin die Antragsgegnerin ist (§ 6a Abs. 1 SGB II i.V.m. Anlage 1 KomtrZV).
23
Für den Antrag nach § 123 VwGO besteht aber kein Rechtschutzbedürfnis mehr, weil die Vollstreckungsmaßnahme mit der Auflösung des Pfändungsschutzkontos bei der Sparkasse B. am 3. April 2025 abgeschlossen ist, so dass eine auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung gerichtete Sicherungsanordnung ins Leere ginge. Die vom Antragsteller begehrte „Rückbuchung“ der gepfändeten Beträge stellt demgegenüber einen in der Hauptsache im Wege der Leistungsklage zu verfolgenden Realakt dar, was im Falle der Stattgabe im Eilverfahren einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkäme. Eine solche Vorwegnahme der Hauptsache im Wege einer Regelungsanordnung kommt nur dann in Betracht, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass andernfalls schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohen (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3/13 – NVwZ-RR 2014, 558 Rn. 5). Hierzu wurde nichts vorgetragen.
24
3. Vor dem Hintergrund, dass nunmehr das Konto bei der Sparkasse A. als Pfändungsschutzkonto geführt wird, für das die Antragsgegnerin ebenfalls eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung erlassen hat, die nach Auskunft der Antragsgegnerin nach Abschluss des Verfahrens weiterhin vollstreckt werden soll, sieht sich der Senat zur Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits zu nachfolgenden Hinweisen veranlasst.
25
a) Zu den von der Antragsgegnerin nach Art. 26 Abs. 7 Satz 1 VwZVG zu beachtenden Vorschriften zählen insbesondere die §§ 899 ff. ZPO. Der Senat schließt sich diesbezüglich der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs an, der für die vergleichbare Regelung in § 319 AO davon ausgeht, dass die im Achten Buch der Zivilprozessordnung dem Vollstreckungsgericht eingeräumten Befugnisse aufgrund der angeordneten entsprechenden Anwendung grundsätzlich den Finanzbehörden in ihrer Eigenschaft als Vollstreckungsbehörde zugewiesen werden, soweit diese nicht ausdrücklich auf den Zivilrechtsweg verweisen, den Zivilgerichten bestimmte Befugnisse vorbehalten oder sonst zwingende Gründe ersichtlich sind (BFH, U.v. 24.10.1996 – VII R 113/94 – BFHE 181, 552 Rn. 13 f.; Koenig, AO, 5. Auflage 2024, § 319 Rn. 1; Martini in BeckOK AO, Stand: 1.4.2025, § 319 Rn. 7 ff. m.w.N; noch offenlassend BAG, U.v. 15.2.1989 – 4 AZR 401/88 – NJW 1989, 2184 = juris Rn. 16). Der Gesetzgeber hat diesen Ansatz bei der Neuregelung des Pfändungsschutzkontos im Jahr 2020 in § 910 Satz 2 ZPO ausdrücklich aufgegriffen (vgl. BT-Drs. 19/23171, S. 46).
26
b) Die Vollstreckungsbehörde hat daher im Falle der Pfändung eines Pfändungsschutzkontos gem. § 906 Abs. 2 ZPO auf entsprechenden Antrag des Vollstreckungsschuldners einen vom Pfändungsfreibetrag (gegenwärtig 1.555 Euro, vgl. Nr. 1 a) der PfändfreiGrBek v. 11.4.2025, BGBl. I Nr. 110) abweichenden Betrag festzusetzen, sofern sich dies aus bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften ergibt (vgl. VGH BW, B.v. 17.5.2017 – 2 S 894/17 – juris Rn. 12). Von dieser Generalklausel werden insbesondere § 850b ZPO und § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII umfasst (vgl. Kemper in Saenger, ZPO, 10. Auflage 2023, § 906 Rn. 6; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 22. Auflage 2025, § 906 Rn. 3). In Betracht kommt eine Erhöhung daher etwa in Folge des Bezugs von Grundsicherung im Alter gem. § 19 Abs. 2 SGB XII (vgl. Richter in Henning/ Lackmann/Rein, Privatinsolvenz, 2. Auflage 2022, ZPO, § 906 Rn. 23) oder des Bezugs einer § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO unterfallenden (vgl. BGH, U.v. 3.12.2009 – IX ZR 189/08 – MDR 2010, 408) Berufsunfähigkeitsrente (Richter a.a.O. Rn. 15). Damit lassen sich auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 907 Abs. 1 ZPO zur Festsetzung der Unpfändbarkeit bei einem Pfändungsschutzkontos entgegen der von der Antragsgegnerin vertretenen Ansicht nicht von vornherein verneinen.
27
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 188 Satz 2 VwGO.
28
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO).