Titel:
Entlassung eines Beamten auf Probe, hier: unrechtmäßig, wenn Fehlverhalten außerhalb der Probezeit liegt
Normenketten:
BeamtStG § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
VwGO § 80 Abs. 5
BayBesG Art. 84 S. 1
Leitsätze:
1. Das Aussetzungsinteresse überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, wenn sich der angefochtene Entlassungsbescheid aus dem Beamtenverhältnis auf Probe bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgebend für die Beurteilung, ob sich ein Beamter auf Probe bewährt hat, ist allein sein Verhalten in der laufbahnrechtlichen Probezeit. Mängel, die aus in der Vergangenheit liegenden, vor Beginn der Probezeit abgeschlossenen Sachverhalten herrühren, rechtfertigen die Entlassung nicht (ebenso BVerwG BeckRS 2022, 16249). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn das Dienstvergehen bei einem Beamten auf Lebenszeit mit der erforderlichen Sicherheit zu einer Kürzung der Dienstbezüge oder einer noch schwereren Sanktion führen würde, ist ein Entlassungsgrund für einen Probebeamten gegeben. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beamtenverhältnis auf Probe, Entlassung wegen Nichtbewährung in der Probezeit, Unbeachtlichkeit eines Fehlverhaltens vor Beginn der Probezeit, aufschiebende Wirkung, Aussetzungsinteresse, Beamtenrecht, Beamter auf Probe, Pflichtverletzung, persönliche Eignung, innerhalb der Probezeit, Vollzugsinteresse, Kürzung der Dienstbezüge, Entlassungsgrund
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 13.03.2025 – B 5 S 25.154
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12434
Tenor
I. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. März 2025 wird abgeändert.
II. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Entlassungsverfügung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 27. Januar 2025 wird wiederhergestellt.
III. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
IV. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 8.525,33 Euro festgesetzt.
Gründe
1
1. Die zulässige Beschwerde mit dem Antrag
2
unter Abänderung des Beschlusses der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. März 2025 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Entlassungsverfügung des Bayerischen Staatsministerium der Justiz vom 27. Januar 2025 (Gz. 5 p W 1376) wiederherzustellen, hilfsweise die sofortige Vollziehung aufzuheben,
3
hat in der Sache Erfolg.
4
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehung ihrer mit Bescheid vom 27. Januar 2025 verfügten Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe zum Ablauf des 31. März 2025. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 13. März 2025 den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Widerspruchs, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist, abgelehnt.
5
Die Gründe, die die Antragstellerin fristgemäß nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegt hat und auf deren Prüfung der Senat in der Sache beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse. Denn die mit dem angefochtenen Bescheid verfügte Entlassung der Antragstellerin aus dem Beamtenverhältnis auf Probe erweist sich bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig. Es besteht kein anzuerkennendes überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines aller Voraussicht nach rechtswidrigen Verwaltungsaktes, zumal durch das einstweilige Fortbestehen der Wirkungen des Probebeamtenverhältnisses der Antragstellerin keine auf Dauer wirkenden vollendeten Tatsachen geschaffen werden.
6
1.1 Die Entlassung erweist sich als rechtswidrig, weil weder die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG noch die Voraussetzungen eines anderen Entlassungstatbestandes erfüllt sind.
7
Die Antragstellerin befand sich zur Ableistung ihres Vorbereitungsdienstes vom 3. Februar 2020 bis zum Ablauf des 31. Juli 2021 im Beamtenverhältnis auf Widerruf. Am 9. Juli 2021 wurde gegen die Antragstellerin ein Disziplinarverfahren wegen des Vorwurfs einer persönlichen Beziehung zu einem Häftling eingeleitet. Mit Wirkung zum 1. August 2021 wurde sie in das Beamtenverhältnis auf Probe berufen und zur Obersekretärin im Justizvollzugsdienst ernannt.
8
1.1.1 Die Entlassungsverfügung vom 27. Januar 2025 wird ausweislich ihres Tenors und der Gründe allein auf eine Nichtbewährung der Antragstellerin in der Probezeit (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG) gestützt. Die Nichtbewährung wird damit begründet, dass die Antragstellerin bis Juni 2021 einen dienstpflichtwidrigen engeren persönlichen Kontakt zu einem Häftling pflegte. Zwischen den beiden habe jedenfalls eine Umarmung stattgefunden und es habe einen Briefkontakt gegeben, bei dem die Antragstellerin von dem Häftling mindestens zwei Briefe erhalten habe. Diese Beziehung habe sie entgegen Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) gegenüber ihrem Dienstherrn nicht offengelegt und den Briefverkehr durch die Verwendung einer Berliner Anschrift verschleiert. Wegen dieses Verhaltens sei gegen die Antragstellerin ein Disziplinarverfahren durchgeführt und am 21. November 2023 eine Geldbuße i.H.v. 500,- Euro verhängt worden. Laut der in Bezug genommenen Probezeitbeurteilung wiege dieser Sachverhalt allein für sich genommen schwer genug, dass der Antragstellerin die persönliche Eignung für das Beamtenverhältnis in der Fachlaufbahn Justiz, fachlicher Schwerpunkt Allgemeiner Vollzugsdienst fehle. Ansonsten werden der Antragstellerin in der Probezeitbeurteilung, die Gegenstand eines noch anhängigen Klageverfahrens ist, zufriedenstellende Leistungen bescheinigt.
9
Der Einwand der Antragstellerin, dass ihre Pflichtverletzung vor Beginn der Probezeit erfolgt und deshalb nicht zur Beurteilung ihrer Bewährung in der Probezeit verwendet werden darf, greift durch. Die Auffassung des Antragsgegners, dass es nicht darauf ankomme, in welchem Statuszeitraum – im Beamtenverhältnis auf Widerruf oder im Beamtenverhältnis auf Probe – sich der Sachverhalt ereignet habe, ist nicht zutreffend.
10
Maßgebend für die Beurteilung, ob sich ein Beamter auf Probe bewährt hat oder wegen mangelnder Bewährung nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG entlassen werden kann, ist allein sein Verhalten in der laufbahnrechtlichen Probezeit. Mängel, die aus in der Vergangenheit liegenden, vor Beginn der Probezeit abgeschlossenen Sachverhalten herrühren, rechtfertigen die Entlassung nach dieser Vorschrift nicht. Maßgebend für die Beurteilung sind ausschließlich das Verhalten und das Persönlichkeitsbild des Beamten während der laufbahnrechtlichen Probezeit (BVerwG, U.v. 27.4.1999 – 2 C 34.98 – BVerwGE 109, 68/73 = juris Rn. 24; B.v. 19.5.2022 – 2 B 41.21 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 6.7.1950 – Nr. 45 III/49 – DVBl 1950, 652; Brockhaus, in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Stand März 2025, § 23 BeamtStG Rn. 143; v. Roetteken in v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, Stand Dezember 2024, § 23 BeamtStG Rn. 415 und 541). Aus Art. 12 Abs. 5 LlbG ergibt sich nichts anderes. Der Tatbestand der mangelnden Bewährung umfasst auch die fehlende Eignung. Die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe ist vorrangig in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG geregelt. Art. 12 Abs. 5 LlbG stellt lediglich klar, dass die mangelnde Bewährung zur Entlassung führt und insoweit kein Ermessen des Dienstherrn besteht (Baßlsperger, in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand April 2025, Art. 12 LlbG Rn. 37).
11
Bei dem Fehlverhalten der Antragstellerin, aus dem der Antragsgegner ihre Nichtbewährung herleitet, handelt es sich um einen noch vor der Begründung des Beamtenverhältnisses auf Probe und damit vor dem Beginn der Probezeit abgeschlossenen Sachverhalt. Die Antragstellerin hat ihr Fehlverhalten nicht während der Probezeit fortgesetzt. Eine Fortsetzung des Fehlverhaltens kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht darin gesehen werden, dass die Antragstellerin es fortgesetzt unterlassen hätte, ihre Beziehung zu dem Häftling zu offenbaren (BA S. 13). Abgesehen davon, dass der Antragsgegner eine solche Erwägung nicht in den Gründen seiner Entlassungsverfügung anstellt, stellt dieses Unterlassen kein Fehlverhalten während der Probezeit dar. Der Verstoß der Antragstellerin gegen Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 DSVollz war zu Beginn ihrer Probezeit bereits beendet. Auch die Verwendung einer fremden Anschrift für den Briefverkehr mit dem Gefangenen und die damit verbundene Täuschung ihres Dienstherrn waren abgeschlossen. Denn der Vorwurf gegen die Antragstellerin bezieht sich darauf, bis Juni 2021 mit einem Strafgefangenen in einem engen Kontakt gestanden zu haben. D.h. im Zeitpunkt des Beginns der Probezeit am 1. August 2021 bestand diese Beziehung nach Aktenlage nicht mehr. Die Antragstellerin war während ihrer Probezeit für den betreffenden Gefangenen auch nicht mehr zuständig. Denn sie war ab dem 1. August 2021 an eine andere Justizvollzugsanstalt abgeordnet. Danach hat die Antragstellerin keine zusätzliche Pflichtverletzung begangen, indem sie ihr Fehlverhalten nicht offenlegte. Sie war dienstrechtlich nicht mehr verpflichtet, diese Beziehung oder Details hierzu zu offenbaren. Ein Beamter ist auch nicht verpflichtet, aktiv an einer auf Selbstüberführung hinauslaufenden Aufklärung eines Dienstvergehens mitzuwirken (BVerwG, U.v. 16.12.1980 – 1 D 129.79 – juris Rn. 17).
12
Der Antragsgegner kann sich nicht darauf berufen, dass er die Antragstellerin im Sinne der Unschuldsvermutung trotz Kenntnis von Umständen, die den Verdacht einer Dienstpflichtverletzung begründen, in das Beamtenverhältnis auf Probe berufen hat, ohne die endgültige straf- und disziplinarrechtliche Klärung des Sachverhalts abzuwarten. Die Berufung in ein Beamtenverhältnis darf nur bei bestehender Eignung erfolgen (§ 9 BeamtStG). Zweifel an der Eignung sind vor der Ernennung aufzuklären bzw. stellen einen Grund dar, die Ernennung abzulehnen (vgl. OVG NW, B.v. 18.10.2023 – 1 B 1131/13 – juris Rn. 7-9).
13
1.1.2 Die Entlassung der Antragstellerin lässt sich auch nicht auf § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG stützen. Es liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entlassung aus diesem Grund nicht vor. Nur wenn das Dienstvergehen bei einem Beamten auf Lebenszeit mit der erforderlichen Sicherheit zu einer Kürzung der Dienstbezüge oder einer noch schwereren Sanktion geführt hätte, ist dieser Entlassungsgrund gegeben (BayVGH, U.v. 3.12.1987 – 3 B 87.00505 – NVwZ 1989, 83 m.w.N.). Maßgeblich ist, wie die zuständige Behörde oder das zuständige Disziplinargericht entschieden hätte (BVerwG, U.v. 9.6.1981 – 2 C 24.79 – BVerwGE 62, 280/282 = juris Rn. 25; Brockhaus, in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Stand März 2025, § 23 BeamtStG Rn. 106). Aus der in den Akten enthaltenen Disziplinarverfügung vom 21. November 2023 ist festzustellen, dass die zuständige Behörde bei der die Umstände des konkreten Einzelfalls berücksichtigenden Maßnahmezumessung die Auferlegung einer Geldbuße für „erforderlich, aber auch ausreichend“ erachtet hat.
14
1.2 Da die Beschwerde der Antragstellerin bereits aus diesem Grund Erfolg hat, ist auf ihr übriges Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen.
15
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO.
16
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 40, 47 i.V.m. § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, wonach für die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe als Streitwert die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu bezahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen anzusetzen ist. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes reduziert sich der Streitwert auf die Hälfte des Streitwerts des Hauptsacheverfahrens (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
17
Die Änderung des vom Verwaltungsgericht für das erstinstanzliche Verfahren festgesetzten Streitwerts erfolgt gemäß § 63 Abs. 3 GKG von Amts wegen. Bei der Berechnung des Streitwerts durch das Verwaltungsgericht (BA S. 16) ist der Erhöhungsbetrag gemäß Art. 84 Satz 1 BayBesG nicht einbezogen worden. Außerdem blieb unberücksichtigt, dass die Antragstellerin in Teilzeit (zuletzt vier Fünftel der regelmäßigen Arbeitszeit) tätig war. Unter Berücksichtigung dieses Umstands (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2019 – 3 CE 19.1578 – juris Rn. 11) und unter Einberechnung des Erhöhungsbetrags beträgt der Streitwert für beide Rechtszüge jeweils 8.525,33 Euro.
18
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 2 und 3 GKG).