Titel:
Vorbescheid, Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme (verneint)
Normenketten:
BayBO Art. 71 S. 1
BauGB § 34
Schlagworte:
Vorbescheid, Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme (verneint)
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 16.12.2024 – M 8 K 23.2943
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12428
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 10.000, – EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor.
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1. Das angegriffene Urteil begegnet keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.). Der Rechtsmittelführer muss mit schlüssigen Gegenargumenten darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unrichtig ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, Rn. 61 zu § 124a). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. Kuhlmann in Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2025, § 124 Rn. 15 m.w.N.). Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich solche Zweifel nicht.
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1.1. Die Frage, ob die Abstandsflächen durch das Bauvorhaben eingehalten werden, ist für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage nicht entscheidungserheblich.
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Soweit die Kläger unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags einwenden, das im Vorbescheid abgefragte Vorhaben halte die Abstandsflächen nicht ein, vermögen sie nicht durchzudringen. Wie das Verwaltungsgericht in zulassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt hat (UA Rn. 28), wurde in den zur Prüfung gestellten Fragen 2 bis 5 des Vorbescheids nur die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens abgefragt, nicht aber die nach der Bayerischen Bauordnung zu bestimmende bauordnungsrechtliche Zulässigkeit. Die Frage, ob das Vorhaben die Abstandsflächen einhält, wurde daher nicht mit abgefragt, sodass der Vorbescheid keine Aussage dazu trifft, ob die Abstandsflächen eingehalten werden, der Vorbescheid also diesbezüglich keine Bindungswirkung hat. Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften im Verfahren gegen den Vorbescheid scheidet daher aus. Eine spätere Geltendmachung etwaiger Verstöße gegen die Abstandsflächenvorschriften in der Baugenehmigung bleiben, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, davon unberührt.
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1.2. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen.
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Das Verwaltungsgericht hat die von der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38; BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 28) entwickelten Maßstäbe, wonach eine „erdrückende“ Wirkung nur bei nach Höhe, Breite und Volumen „übergroßen“ Baukörpern, die in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden errichtet werden, bei seiner Entscheidungsfindung beachtet. Es kam unter Berücksichtigung der konkreten Situation vor Ort nach Inaugenscheinnahme der örtlichen Verhältnisse und unter Heranziehung der vorgelegten Planunterlagen sowie unter Berücksichtigung der von den Klägern vorgebrachten Argumente zu einem nach Ansicht des Senats zulassungsrechtlich unter Beachtung der freien Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts nach § 108 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2014 – 15 ZB 13.1167 – juris Rn. 19) nicht zu beanstandenden Ergebnis. Dass eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts vorliegt, weil die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind, haben die Kläger weder aufgezeigt noch sind solche ersichtlich; allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2024 – 6 ZB 23.1745 – juris Rn. 10; B.v. 17.1.2022 – 9 ZB 20.18 – juris Rn. 13; B.v. 21.1.2013 – 8 ZB 11.2030 – juris Rn. 17 m.w.N.).
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Maßgebend für die Frage der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch das Bauvorhaben der Beigeladenen gegenüber den Klägern sind die Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, U. v. 20.12.2012 – 4 C 11.11 – juris Rn. 32). Das Verwaltungsgericht ist hierbei im Rahmen einer Würdigung der Gesamtumstände zu dem zulassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gekommen, dass das genehmigte Bauvorhaben gegenüber den Klägern nicht rücksichtslos ist. Hiergegen ist auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens nichts zu erinnern.
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Der Einwand der Kläger, das Erstgericht habe nur auf die Höhe des Vorhabens abgestellt – das Bauvorhaben ist mit zwei Geschossen zuzüglich zweier ausgebauter Dachgeschosse nur um ein Geschoss höher als das zweigeschossige Nachbargebäude mit einem ausgebauten Dachgeschoss –, hätte aber richtigerweise eine Gesamtschau der Kriterien zur Bemessung des Volumens des Bauvorhabens aus Höhe, Länge sowie Distanz der baulichen Anlage zur Nachbarbebauung vornehmen müssen, geht fehl. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich (UA Rn. 38), dass das Verwaltungsgericht in seine (Gesamt-)Bewertung auch die zukünftige Belichtung und Belüftung des klägerischen Grundstücks – diese wird auch wesentlich von der Länge des Bauvorhabens beeinflusst – eingestellt und auch den Umstand, dass auf dem klägerischen Grundstück nur Freiflächen in geringem Umfang vorhanden sind, da der Abstand des Bauvorhabens zum klägerischen Grundstück gering ist, berücksichtigt hat. Das Bauvorhaben erscheint auch nach Ansicht des Senats nicht derartig übermächtig, dass das Grundstück der Kläger überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird und dem Grundstück der Kläger wegen seiner Ausmaße, seiner Baumasse und seiner massiven Gestaltung förmlich „die Luft nimmt“ (vgl. BayVGH, B. v. 8.8.2016 – 9 ZB 14.2808 – juris Rn. 6). Auch das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung seines Grundstücks verschont zu bleiben (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2022 – 9 ZB 22.1076 – juris Rn. 12).
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1.3. Soweit die Kläger vortragen, die von Ihnen dargelegte Verletzung der Abstandsflächen durch das Bauvorhaben sei als Indiz für eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme zu werten, überzeugt dies nicht. Zwar hat die Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften eine Indizwirkung insbesondere dafür, dass von dem Bauvorhaben keine erdrückende Wirkung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 9 ZB 18.912 – juris Rn. 10; B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris Rn. 14; BVerwG, B.v. 27.3.2018 – 4 B 50.17 – juris Rn. 4). Umgekehrt indiziert aber selbst eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften allein keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme (vgl. Anders in Schwarzer/König/Laser, 5. Aufl. 2022, BayBO Art. 6 Rn. 128; BayVGH, B.v. 21.10.2019 – 9 ZB 17.1335 – juris Rn. 13; B.v. 20.12.2016 – 9 CS 16.2088 – juris Rn. 16; B.v. 23.3.2016 – 9 ZB 13.1877 – juris Rn. 7 m.w.N.).
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2. Die Rechtssache weist zudem keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Sie verursacht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine größeren, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigenden Schwierigkeiten und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen und kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2000 – 23 ZB 00.643 – juris Rn. 8). Vielmehr ist der Rechtsstreit im tatsächlichen Bereich überschaubar und die entscheidungserheblichen rechtlichen Fragen durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt (vgl. oben Ziffer 1).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO). Denn ein Beigeladener setzt sich im Berufungszulassungsverfahren unabhängig von einer Antragstellung grundsätzlich keinem eigenen Kostenrisiko aus (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 15 ZB 16.562 – juris Rn. 18 m.w.N.). Ein Grund, der es gebieten würde, die außergerichtlichen Kosten aus Billigkeitsgründen ausnahmsweise als erstattungsfähig anzusehen, ist nicht ersichtlich.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3 i.V.m. 1 GKG, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt als Anhang in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022) und folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).