Inhalt

VGH München, Beschluss v. 21.05.2025 – 15 ZB 25.509
Titel:

Nachbarklage, Schreinerei, faktisches Dorfgebiet, fehlende Bestimmtheit der Baugenehmigung, Gebietserhaltungsanspruch

Normenketten:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BauNVO § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5
Schlagworte:
Nachbarklage, Schreinerei, faktisches Dorfgebiet, fehlende Bestimmtheit der Baugenehmigung, Gebietserhaltungsanspruch
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 22.10.2024 – RN 6 K 20.3062
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12393

Tenor

I. Der Antrag des Beigeladenen auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Beigeladene wendet sich gegen die Aufhebung der ihm erteilten Baugenehmigung zum Neubau einer Schreinerei durch Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg auf die Klage des benachbarten Klägers.
2
Mit Unterlagen vom 19. Mai 2020, im Verfahren ergänzt um neue Pläne und eine Betriebsbeschreibung, beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zum Neubau einer Schreinerei, die ihm vom Landratsamt mit Bescheid vom 9. November 2020 erteilt wurde. Auf Klage des östlich benachbarten Klägers hob das Verwaltungsgericht die Baugenehmigung mit Urteil vom 22. Oktober 2024 auf. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass mangels hinreichender Bestimmtheit der Baugenehmigung nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Gebietserhaltungsanspruch des Klägers durch das Bauvorhaben verletzt wird. Hiergegen wendet sich der Beigeladene mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.
3
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
5
Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Beigeladene als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Aus seinem Zulassungsvorbringen ergeben sich solche hier allerdings nicht.
6
Eine Baugenehmigung ist hinreichend bestimmt (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG), wenn sie – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – das genehmigte Vorhaben, insbesondere Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung, eindeutig erkennen lässt. Die am Verfahren Beteiligten (vgl. Art. 13 Abs. 1 BayVwVfG) müssen die mit dem Genehmigungsbescheid getroffene Regelung nachvollziehen können. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2025 – 15 ZB 24.782 – juris Rn. 9).
7
Was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll, bestimmt der Bauherr durch seinen Bauantrag. Der Inhalt der (erlassenen) Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstige Unterlagen. Wird in der Baugenehmigung auf den Antrag oder auf bestimmte Antragsunterlagen verwiesen, ist die Baugenehmigung hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die in Bezug genommenen Antragsunterlagen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft, wenn also wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen bzw. mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen der Gegenstand und / oder der Umfang der Baugenehmigung und damit des nachbarlichen Störpotenzials bei deren Umsetzung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. (vgl. BayVGH, B.v. 11.1.2022 – 15 CS 21.2913 – juris Rn. 23).
8
Von diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Es hat sodann darauf abgestellt, dass die Betriebsbeschreibung des Beigeladenen weder mit einem Genehmigungsvermerk versehen, noch auf diese Bezug genommen wurde (UA S. 11). Dem tritt der Beigeladene nicht ausreichend entgegen; dass die Betriebsbeschreibung der immissionsschutzfachlichen Stellungnahme zugrunde lag, genügt – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht, solange nicht anderweitig im Genehmigungsbescheid oder in den (gestempelten) Bauvorlagen – vergleichbar der „Andeutungstheorie“ bei der Auslegung von Testamenten – auf diese Bezug genommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2022 – 15 ZB 21.2871 – juris Rn. 17; B.v. 22.1.2024 – 1 CS 23.2030 – juris Rn. 9).
9
Das Verwaltungsgericht führt dann weiter aus, dass aufgrund dieser Unbestimmtheit der Baugenehmigung nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Gebietserhaltungsanspruch des Klägers durch das streitgegenständliche Bauvorhaben verletzt werde (UA S. 11). In Übereinstimmung mit dem Beigeladenen geht es hierbei vom Vorliegen eines faktischen Dorfgebiets nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO aus (UA S. 13).
10
In Bezug auf nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zulässige Betriebe zur Be- und Verarbeitung und Sammlung land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse stellt das Verwaltungsgericht darauf ab, dass die Be- und Verarbeitung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse bei der betrieblichen Tätigkeit im Vordergrund stehen muss (UA S. 14) und es sich bei „typischen“ Schreinereien nicht um Betriebe handelt, die unmittelbar forstwirtschaftliche Erzeugnisse be- und verarbeiten (UA S. 15). Soweit der Beigeladene hiergegen einwendet, Betriebe zur Möbelherstellung fielen unter § 5 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO und der Beigeladene fertige ausschließlich Möbel, verkennt er, dass sich dies der erteilten Baugenehmigung gerade nicht entnehmen lässt, da die angeführte Betriebsbeschreibung nicht Gegenstand der Baugenehmigung geworden ist.
11
Gleiches gilt in Bezug auf einen der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieb (§ 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 6 BauNVO). Das Verwaltungsgericht stellt auch insoweit auf fehlende Angaben hierzu ab (UA S. 15), womit sich der Beigeladene nicht auseinandersetzt.
12
Nach der Begründung des Verwaltungsgerichts kann auch nicht abschließend beurteilt werden, ob der genehmigte Betrieb des Beigeladenen als sonstiger Gewerbebetrieb nach § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO zulässig ist (UA S. 15 f.). Das Verwaltungsgericht führt hierzu aus, dass Bewohner eines Dorfgebiets zwar auch mit Geräuschen Holz verarbeitender Betriebe zu rechnen haben, die Gebietsverträglichkeit aber mangels hinreichender Angaben zum genehmigten Umfang des Betriebes nicht beurteilt werden kann (UA S. 17). Zur Begründung stellt es dabei darauf ab, dass allein die genehmigten Flächen in Verbindung mit der beauflagten Betriebszeit und den zulässigen Lackier- und Spritzarbeiten nicht ausreichend seien, weil Angaben zu den Mitarbeitern, Lieferverkehr, im Hinblick auf die Anordnung des Lagers und der Werkstatt zum Fahrverkehr auf dem Baugrundstück, den eingesetzten Maschinen etc. fehlen (UA S. 17). Soweit der Beigeladene hiergegen einwendet, eine typisierende Betrachtungsweise führe wegen der großen Variationsbreite an Betriebsformen nicht weiter und es sei vielmehr auf den konkreten Betrieb in seiner genehmigten Form abzustellen (vgl. BayVGH, U.v. 27.9.2021 – 15 B 20.828 – juris Rn. 35 f.), hilft dies nicht weiter. Denn das Verwaltungsgericht hat gerade festgestellt, dass der genehmigte Umfang des konkreten Betriebes nicht abschließend beurteilt werden kann (UA S. 17). Insoweit genügt auch allein die Beauflagung von Immissionswerten in der angefochtenen Baugenehmigung nicht, um – mangels Bestimmtheit derselben – von einer Gebietsverträglichkeit des Betriebes des Beigeladenen ausgehen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2016 – 9 ZB 14.1496 – juris Rn. 11).
13
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, 3 Halbsatz 1 VwGO.
14
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).