Titel:
Nachbarklage, Baugenehmigung für Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage, Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans, Rücksichtnahmegebot, heranrückende Wohnbebauung an Spielfläche/Bolzplatz auf Nachbargrundstück, Betreibereigenschaft des Bolzplatzes (verneint), neuer Immissionsort (verneint), Abstandsflächenrecht, Nichthaltung der Abstandsflächen auf dem Baugrundstück, Verlagerung auf das Nachbargrundstück, rechtliche oder tatsächliche Sicherung der Nichtüberbaubarkeit, öffentliche Grünfläche, Grünanlagensatzung der Landeshauptstadt, München
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 30
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 15
BayBO Art. 6 Abs. 2 S. 1, Abs. 2 S. 2, S. 3
Schlagworte:
Nachbarklage, Baugenehmigung für Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage, Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans, Rücksichtnahmegebot, heranrückende Wohnbebauung an Spielfläche/Bolzplatz auf Nachbargrundstück, Betreibereigenschaft des Bolzplatzes (verneint), neuer Immissionsort (verneint), Abstandsflächenrecht, Nichthaltung der Abstandsflächen auf dem Baugrundstück, Verlagerung auf das Nachbargrundstück, rechtliche oder tatsächliche Sicherung der Nichtüberbaubarkeit, öffentliche Grünfläche, Grünanlagensatzung der Landeshauptstadt, München
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12332
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist für die Beklagte ohne, für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung ode Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorhe Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt als Nachbarin die Aufhebung einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung.
2
Bei der Klägerin handelt es sich um eine Wohnungseigentümergemeinschaft für das nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilte Grundstück FlNr. … Gemarkung … …, St. Straße 7 bis 13 (im Folgenden: Nachbargrundstück). Das nach dem Grundbuchblatt 33.279 m² große Nachbargrundstück ist in seinem westlichen Grundstücksbereich mit einem freistehenden Einzelgebäude (E+1+DG, R. Straße 120) und einer Wohnanlage (St. Straße 7 bis 13) bebaut, die zwischen drei und elf Vollgeschosse aufweist. Der östliche Grundstücksbereich bis zur R. Straße hin bildet den sog. „…“, der eine Fläche von 27.204 m² umfasst und im Grünanlagenverzeichnis zur Grünanlagensatzung (GrünanlagenS) der Beklagten vom 16. Mai 2012, bekannt gemacht am 10. Juli 2021 (MüABl. S. 197), geführt wird.
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Das 2.446 m² große Baugrundstück (FlNr. … Gemarkung … …, R. Straße 124, 124 b), dessen Bestandsbebauung im Zeitpunkt des gerichtlichen Augenscheins bereits beseitigt war, ist unmittelbar an der R. Straße gelegen, südöstlich des in diesem Bereich als … genutzten Nachbargrundstücks und von diesem durch einen 3,35 m breiten, zum Hinterliegergrundstück FlNr. … Gem. … … (R. Straße 124a) führenden und diesem zugehörigen Zufahrtsweg getrennt. Auf dem Nachbargrundstück befindet sich in diesem Bereich zunächst eine baumbestandene Wiesenfläche, bevor weiter nördlich, unmittelbar vom Fußgängerweg entlang der R. Straße, ein geteerter Gehweg in das Parkinnere und zu einer Kinderspielfläche („Bolzplatz“) mit zwei Spielfeldern führt. Diese sind im Vergleich zur umgebenden Grünfläche und auch im Verhältnis zum Baugrundstück abgesenkt. In Richtung des Baugrundstücks besteht dort ein Ballfangzaun mit einer Höhe von etwa 4 bis 5 m. Nordwestlich der Spielfläche befindet sich ein weiterer Kinderspielplatz mit Spielgeräten.
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Vergleiche folgenden Auszug aus dem (der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugrunde liegenden) Lageplan, Maßstab 1 : 1000, der eine Darstellung des Vorhabens und der benachbarten Grundstücke enthält, wobei das Nachbargrundstück aufgrund seiner Größe nicht vollständig dargestellt ist (nach dem Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht):
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Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. … „B. straße, Bahnlinie, R. Straße und St. Straße“ der Beklagten vom 14. Januar 1976. Dieser setzt für das Baugrundstück u.a. ein Mischgebiet („MI2“), eine Grundflächenzahl von 0,3, eine Geschossflächenzahl von 1,3, maximal sechs Vollgeschosse, durch Baugrenzen gebildete Bauräume und die Lage der Tiefgaragenrampe fest. Das Nachbargrundstück lag ursprünglich ebenfalls im Umgriff des Bebauungsplans Nr. … Zwischenzeitlich gelten für dieses jedoch die Festsetzungen des Bebauungsplan Nr. … der Beklagten (Teiländerung des Bebauungsplans Nr. …*) vom 16. Juni 1980.
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Bereits der Bebauungsplan Nr. … für das Nachbargrundstück und den gesamten nördlichen Planbereich (damals noch mit abweichenden Grundstückszuschnitten) sah vor, „die Baumassen auf den westlichen Teil des Grundbesitzes der Fa. … [zu konzentrieren], so daß der Park die notwendige Freifläche des Baugrundstückes bildet. Die Erhaltung des schützenswerten Baumbestandes wird durch eine entsprechende Festsetzung gesichert. Die Eigentümerin hat sich bereit erklärt, den „…“ für die Allgemeinheit zu öffnen und durch die Stadt Fußwege und Spieleinrichtungen herstellen zu lassen“ (aus der Begründung zum Bebauungsplan Nr. …*). Dementsprechend war in diesem Teil des Bebauungsplans ein durch Baugrenzen gebildetes Baufenster mit der Gebietsart „…“ entlang der B. straße im Westen und der Bahnlinie München – Rosenheim im Nordwesten vorgesehen, während für den östlichen Teil des Planbereichs, dem sog. …, „Fläche mit zu erhaltendem Baumbestand“ sowie „Flächen mit Gehrecht“ festgesetzt waren.
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Im Vorfeld hatte die Beklagte am 14. Januar 1975 mit den früheren Eigentümern der in diesem Teil des Plangebiets liegenden Grundstücke, zu denen auch das heutige Nachbargrundstück gehört, einen notariellen Vertrag (URNr. …, Notar Dr. … …*) über die Bestellung und Bewilligung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zugunsten der Beklagten geschlossen. In diesem wird zunächst festgehalten, dass der zur Aufstellung geplante Bebauungsplan Nr. … die ca. 26.000 m² umfassende Fläche – den „…“ – als nicht überbaubare Grundstücksfläche ausweist [Ziffer II. (1) ]. Ferner wurde (u.a.) vereinbart, dass die Grundstückseigentümer sich verpflichten, die in einem der Urkunde beigefügten Plan des Baureferats-Stadtgartendirektion ausgewiesenen Fußwege dem öffentlichen Fußgängerverkehr zur Verfügung zu stellen, die Einrichtung einer Beleuchtung zu dulden sowie eine in dem Plan schraffierte Fläche als öffentlichen Spielbereich zur Verfügung zu stellen und die Errichtung aller für einen öffentlichen Spielbereich in Betracht kommenden Einrichtungen zu dulden [Ziffer II. (3) ]. Nach Ziffer II. (4) Satz 1 der Vereinbarung ist die Stadt berechtigt, die Wege in Anzahl, Umfang und Lage bzw. den öffentlichen Spielbereich in Umfang und Lage von dem Plan des Baureferats-Stadtgartendirektion abweichend anzulegen. Die Eigentümer verpflichteten sich für diesen Fall, alle zur entsprechenden Änderung der Dienstbarkeit erforderlichen Erklärungen in grundbuchmäßiger Form abzugeben [Ziffer II. (4) Satz 2] sowie im Falle einer Veräußerung des Grundbesitzes dafür Sorge zu tragen, dass auch der Erwerber die in Ziffer II. (4) enthaltene Erklärung abgebe und sich seinerseits verpflichte, seinen Rechtsnachfolger in gleicher Weise zu binden [Ziffer II. (5) ]. Der Vertrag enthält daneben Regelungen zu einem für die Dienstbarkeit zu zahlenden, einmaligen Entgelt (Ziffer III.) sowie folgende Regelungen zu Herstellung, Unterhalt, Verkehrssicherungspflicht und Gestaltung (Ziffer IV.):
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„(1) Die Stadt übernimmt die Herstellung der Fußwege und des Spielbereiches, deren Unterhalt, Reinigung, Beleuchtung, sowie die Verkehrssicherungspflicht.
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(2) Die Gestaltung der Grünfläche werden die Eigentümer im Einvernehmen mit der Stadtgartendirektion auf ihre eigenen Kosten vornehmen.“
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Unter Ziffer V., der die Bestellung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit enthält, ist u.a. geregelt, dass die Stadt die Ausübung der Dienstbarkeit ganz oder teilweise Dritten überlassen kann.
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Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit ist mit folgendem Inhalt zu Lasten des Nachbargrundstücks im Grundbuch eingetragen:
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„Lastend am ganzen Grundstück:
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Beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Gehrecht, Recht auf Anlegung und Einrichtung eines Spielbereichs, Beleuchtungs- und Beschilderungsrecht, Unterhaltungsrecht und Duldungsverpflichtung) für die Landeshauptstadt München; gemäß Bewilligung vom 14.01.1975 URNr. … … … … (…)“.
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Mit der Änderung des Bebauungsplans Nr. … durch den Bebauungsplan Nr. … wurde – was den o.g. nördlichen Teil des Plangebiets mit dem Nachbargrundstück anbelangt – (u.a.) ein Teil der bislang festgesetzten Kerngebietsfläche in ein allgemeines Wohngebiet umgewandelt und hierfür ein Bauraum festgesetzt, in welchem heute die Bestandsbebauung auf dem Nachbargrundstück liegt. Der … liegt außerhalb dieses durch Baugrenzen gebildeten Baufensters. Der Bebauungsplan Nr. … enthält insoweit die Festsetzungen „Fläche mit zu erhaltendem Baubestand“ sowie „Flächen mit Gehrechten dinglich zu sichern zugunsten der Allgemeinheit (Landeshauptstadt München)“ und sieht verschiedene Spieleinrichtungen (Kinderspielplätze, Gerätespielplatz, Tischtennis, Ballspiele, Figurenspiele, Bahnspiele) vor.
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Vgl. hierzu nachstehenden Auszug aus der Planzeichnung des Bebauungsplans Nr. … der Beklagten (nicht maßstabsgetreu):
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Zur Änderung des Bebauungsplans Nr. … mit Bebauungsplan Nr. … wurde in dessen Begründung Folgendes ausgeführt:
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„Der seit 30. Juni 1976 rechtsverbindliche Bebauungsplan Nr. … setzt für den Bereich östlich der B. straße zwischen St. Straße und Bahnline Kerngebiet fest und bezieht dabei auch den sogenannten … an der R. Straße ein. Eine Wohnnutzung wurde aufgrund des vorhandenen hohen Baurechts und des Verkehrsaufkommens bei der Aufstellung des Bebauungsplanes nicht für möglich erachtet. Der neue Grundeigentümer hat nunmehr einer entschädigungslosen Baurechtsminderung um ca. 27.500 qm zugestimmt, so daß die ursprüngliche Absicht, hier teilweise Wohnnutzung festzusetzen, wieder aufgegriffen werden kann. Die Baurechtsreduzierung ermöglicht die für das Wohnen notwendigen größeren Frei- und Abstandsflächen.
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Zur Verwirklichung dieser Planung war die teilweise Umwidmung des Kerngebietes in allgemeines Wohngebiet notwendig. Hiernach bleibt der Bereich entlang der lauten Bahnlinie und an der St. Straße Kerngebiet. Der weiter zurückliegende Grundstücksteil an der B. straße bis zu einer Entfernung von 150 m von der Bahnlinie wird Mischgebiet und der innere Bereich allgemeines Wohngebiet (…).
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Der neue Plan (…) setzt entsprechend dem neuen Planungsziel allgemeines Wohngebiet, Kerngebiet und Mischgebiet fest. Er gliedert das Wohngebiet in einen nördlichen Teil (WA 1) mit einer GFZ von 0,5 und einen südlichen Teil (WA 2) mit einer GFZ von 2,0. Das WA 1 erfasst auch den gesamten, im Flächennutzungsplan als allgemeine Grünfläche dargestellten … Er ist der Öffentlichkeit zugänglich, so daß die Grundzüge des Flächennutzungsplanes gewahrt sind (…).
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Die nach § 17 Abs. 1 Baunutzungsverordnung höchstzulässigen Nutzungswerte werden überschritten. Diese Überschreitungen sind nach § 17 Abs. 10 Baunutzungsverordnung gerechtfertigt, weil durch die im allgemeinen Wohngebiet WA 1 vorhandene große Freifläche („…“) sichergestellt ist, dass die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht beeinträchtigt sind (…).
21
Die Erhaltung des schützenswerten Baubestandes wird durch eine entsprechende Festsetzung gesichert (…).
22
Um den Bewohnern den direkten Zugang in den Park zu ermöglichen, werden Gehrechtsflächen festgesetzt, die im Privateigentum verbleiben. Der Eigentümer hat sich verpflichtet, den Park auch für die Allgemeinheit zu öffnen und durch die Stadt Fußwege und Spieleinrichtungen herstellen zu lassen. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Park auch von der R. Straße aus über zwei Zugänge zu erschließen.“
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Unter dem 15. September 2021 erteilte die Beklagte der Beigeladenen auf deren vorherigen Antrag hin einen Vorbescheid für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage auf dem Baugrundstück in zwei Varianten (Plan-Nr. …- …*). Abgefragt wurde neben der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit nach der Art der baulichen Nutzung die Inaussichtstellung verschiedener Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … und von Abweichungen wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen zu den Grundstücken FlNrn. … und … Hinsichtlich Alternative 1 wurden die Vorbescheidsfragen mit Ausnahme der Frage nach der planungsrechtlichen Zulässigkeit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung abschlägig verbeschieden. Die Planungsalternative 2 wurde zur Art der baulichen Nutzung positiv beantwortet; ferner wurden insoweit die abgefragten Abweichungen von den Abstandsflächen sowie verschiedene Befreiungen von den Bebauungsplanfestsetzungen, z.T. unter Bedingungen, in Aussicht gestellt.
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Der Vorbescheid wurde im Amtsblatt Nr. 27 der Beklagten vom 30. September 2021 öffentlich bekannt gemacht und die Hausverwaltung der Klägerin hiervon mit formlosen Schreiben der Beklagten vom 15. September 2021 in Kenntnis gesetzt. Der Vorbescheid wurde von der Klägerin nicht angefochten.
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Auf entsprechenden Antrag vom 7. September 2022 (Eingang bei der Beklagten) hin wurde der Beigeladenen mit Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2023 eine Baugenehmigung nach Plan-Nr. … für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage auf dem Baugrundstück erteilt. Sie enthält mehrere Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. …, ferner eine Zulassung gem. § 23 Abs. 3 BauNVO sowie Abweichungen wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen zu den Nachbargrundstücken FlNrn. … und … bzw. wegen Überschreitens der Straßenmitte der R. Straße. Zum Nachbargrundstück hin wurde eine Abweichung weder beantragt noch erteilt.
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Darüber hinaus sind der Baugenehmigung mehrere Auflagen beigefügt, darunter die Auflage Ziffer 1, wonach der Beklagten spätestens mit der Baubeginnsanzeige eine notarielle „Bestätigung über die unwiderrufliche Beantragung der Eintragung der Grunddienstbarkeit zugunsten des Eigentümers des Baugrundstücks und der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zugunsten der Landeshauptstadt München im Grundbuch zur Sicherung des Wegerechts, zur Immissionsduldung, des Baurechtsverzichts und der Sicherung des Mobilitätskonzepts vom 02.09.2022 gemäß Urkunde Nr. … vom 22.03.2023 des Notars … …“ vorzulegen sei.“ Der Nachweis über den grundbuchamtlichen Vollzug der Urkunde Nr. … vom 22.03.2023 sei bis spätestens mit der Anzeige der Nutzungsaufnahme vorzulegen.
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In der Behördenakte findet sich hierzu die Kopie einer beglaubigten Abschrift einer Dienstbarkeitsbestellung (URNr. …, Notar … …*), u.a. mit Bewilligung und Beantragung einer beschränkt persönlichen Grunddienstbarkeit zugunsten der Beklagten „des Inhalts, dass der jeweilige Eigentümer des dienenden Grundstücks sämtliche von dem auf dem Nachbargrundstück FlNr. … befindlichen Bolzplatz ausgehenden Immissionen entschädigungslos duldet, soweit diese die nach den einschlägigen Regelwerken der 18. BImschV zulässigen Immissionsrichtwerte für Mischgebiete nicht übersteigen.“
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Nach den genehmigten Bauvorlagen soll der 30 m x 28,8 m umfassende Baukörper oberirdisch zwischen zwei und acht Geschossen aufweisen. Dabei soll der straßenseitige Gebäudeteil entlang der R. Straße siebengeschossig und der Gebäuderiegel zum Nachbargrundstück hin sieben- (im Osten an der R. Straße) bis achtgeschossig (Richtung Westen) mit einer dortigen Wandhöhe bis zu 25,54 m (bezogen auf das vorhandene Geländeniveau) bei einem Grenzabstand zur nordwestlichen Grundstücksgrenze von 4,698 m ausgeführt werden. Auf dem Flachdach des obersten Geschosses ist – zurückgesetzt – zudem eine Aufzugüberfahrt geplant. Erdgeschossig und im ersten Obergeschoss ist Büronutzung geplant – mit Ausnahme einer Wohneinheit im nördlichen Bereich des Erdgeschosses 2 und des Obergeschosses 1 –, in den darüber liegenden Geschossen soll Wohnnutzung stattfinden. In der zum Nachbargrundstück hin ausgerichteten Fassade sind Fensteröffnungen und bei den Wohneinheiten zusätzlich Balkone vorgesehen. Die Zufahrt zur Tiefgarage soll von der R. Straße im südlichen Bauteil erfolgen.
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Die Baugenehmigung wurde im Amtsblatt der Beklagten Nr. … vom 9. Juni 2023 öffentlich bekanntgemacht und die Hausverwaltung der Klägerin hierüber mit formlosem Schreiben der Beklagten vom 23. Mai 2023 in Kenntnis gesetzt.
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Mit Schriftsatz vom 22. Juni 2023, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, ließ die Klägerin durch ihren damaligen Prozessbevollmächtigten gegen diesen Bescheid Klage zum Verwaltungsgericht München erheben und beantragt,
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Der Bescheid der Landeshauptstadt München vom 22.05.2023, Az. … wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde – zusammengefasst – im Wesentlichen geltend gemacht, die Baugenehmigung verstoße gegen Art. 6 BayBO, da das Vorhaben die Abstandsflächen zum Grundeigentum der Klägerin hin nicht einhalte und eine Abweichung von den Abstandsflächen nach Art. 63 BayBO weder beantragt noch erteilt worden sei. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 BayBO seien nicht erfüllt. Bei der Beurteilung, ob eine Fläche des Nachbargrundstücks nicht überbaut werden könne, sei zu berücksichtigen, dass die Erstreckung einer Abstandsfläche von einem Grundstück auf ein anderes einen erheblichen Eingriff in das Grundeigentum darstelle, der nicht durch Gründe des Wohls der Allgemeinheit gedeckt sei. Die Eigentümerpositionen der Beigeladenen würden zulasten derjenigen der Klägerin erweitert. Bei den Festsetzungen eines Bebauungsplans handle es sich nicht um ausreichende Sicherungen, da die Stadt den Bebauungsplan jederzeit aufheben oder ändern könne. Auch ein durch Baumschutzverordnung geschützter Baumbestand lasse eine Erstreckung von Abstandsflächen auf das Nachbargrundstück nicht zu. Öffentlichrechtliche Bauverbote, von denen Ausnahmen zulässig seien, genügten ebenfalls nicht. Dementsprechend seien die Aufnahme der Fläche in die Grünanlagensatzung, die Biotopkartierung – ohnehin ohne konstitutive Wirkung – ohne Bedeutung. Eine Nicht-Überbaubarkeit aus einer „Zusammenschau“ genüge für die Anwendung des Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO ebenfalls nicht. Ein zivilrechtlich bindendes Bauverbot für den hier belasteten Bereich des klägerischen Grundstücks bestehe nicht und ergebe sich auch nicht aus den eingeräumten und dinglich gesicherten Rechten der Beklagten. Im Kern wolle die Beigeladene sich den Umstand zu Nutze machen, dass die Beklagte den … zwar nicht als öffentliche Grünfläche festgesetzt habe (mit der Folge entsprechender Übernahmeansprüche), diesen aber so behandle. Auch öffentlich zugängliche, aber im Privateigentum stehende Grünflächen dienten aber nicht der Abtragung von Abstandsflächen der Nachbarbebauung.
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Die erteilte Baugenehmigung verstoße darüber hinaus gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Insoweit sei anerkannt, dass eine heranrückende (Wohn-) Bebauung gegenüber einer bestehenden emittierenden Anlage das Gebot der Rücksichtnahme verletzen könne, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Anlage betrieben werde, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtere, was insbesondere dann der Fall sei, wenn durch die hinzutretende Bebauung mit nachträglichen Auflagen gerechnet werden müsse. Vorliegend habe die Beklagte es sich – ebenso wie mit Blick auf den Verkehrslärm der R. Straße – erspart, die Beeinträchtigungen überhaupt festzustellen. Die Immissionsdienstbarkeit zugunsten der Beklagten helfe der Klägerin nicht, weil die Immissionsschutzbehörde nicht von ihrer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung nach dem Immissionsschutzrecht entbunden werden könne und es ausschließlich in der Hand der Beklagten liege, etwaige Konsequenzen aus der ausschließlich zu ihren Gunsten eingetragenen dinglichen Sicherung durchzusetzen.
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Die Beklagte beantragt
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Die Baugenehmigung sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie verstoße nicht gegen Art. 6 BayBO. Die Abstandsflächen des streitgegenständlichen Vorhabens dürften gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 2, 3 BayBO auf das nachbarliche Grundstück fallen. Bei der Fläche handle es sich um eine durch den Bebauungsplan Nr. 1283 ausgewiesene Grünfläche. Die Eigentümer des … hätten sich verpflichtet, den Park der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In der Begründung zum Bebauungsplan sei ferner festgehalten, dass auf der streitgegenständlichen Fläche schützenswerter Baumbestand gesichert werden solle. Die Fläche sei – ohne Änderung des Bebauungsplans – nicht überbaubar. Im Jahr 2017 habe die Beklagte im Rahmen einer Debatte über die Erhaltung des … geäußert, die Grünfläche zu erhalten und keine Wohnbebauung auf dieser Fläche zuzulassen. Der Park sei ferner als Biotop … ausgewiesen. Auf dem Nachbargrundstück sei zudem eine beschränkt-persönliche Dienstbarkeit in Form eines (u.a.) Gehrechts und eines Rechts auf Anlegung und Einrichtung eines Spielbereichs zugunsten der Landeshauptstadt München im Grundbuch eingetragen. Es handle sich demnach um ein nicht überbaubares Grundstück, dessen Unbebaubarkeit durch die Grundbucheintragung gesichert sei. Eine Abweichung von den Abstandsflächen zum klägerischen Grundstück sei deswegen nicht erforderlich gewesen. Das Gebot der Rücksichtnahme sei ebenfalls nicht verletzt. Es liege kein Fall heranrückender Wohnbebauung vor. Auf dem Baugrundstück habe sich bereits zuvor ein Wohngebäude befunden. Eine Verschlechterung der Situation sei daher fernliegend. Zudem bestehe eine Dienstbarkeit zur Immissionsduldung zugunsten der Beklagten. Eine Verschlechterung durch nachträgliche Auflagen sei deswegen nicht zu befürchten.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls
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Die Klage sei unbegründet. Als einzig erkennbares drittschützendes Recht der Klägerin komme das Abstandsflächenrecht in Betracht. Die Erstreckung der Abstandsflächen des Bauvorhabens auf das klägerische Grundstück sei nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO zulässig, da rechtlich gesichert sei, dass diese Flächen nicht überbaut würden. Der rechtsverbindliche Bebauungsplan Nr. … setze in dem relevanten Bereich kein Baufenster fest, sondern Flächen, bei denen der vorhandene Baumbestand zu erhalten sei, außerdem Spielflächen und Gehwege. Planerisches Ziel des Bebauungsplans sei es gewesen, den sog. … auf dem Grundstück der Klägerin zu schaffen und der Öffentlichkeit freizugeben. Dafür sei das auf dem Grundstück insgesamt vorhandene Baurecht in dessen Nordwestseite gebündelt und auch entsprechend verdichtet realisiert worden. Der … sei hergestellt worden und stehe der Allgemeinheit für Erholungszwecke offen. Er werde im Grünanlagenverzeichnis der Beklagten geführt, seine Nutzung entspreche in diesem Bereich mit dem Spielplatz, den Wegeverbindungen sowie dem Baumbestand den Festsetzungen des Bebauungsplans. Mittlerweile sei der gesamte … in der Biotopkartierung der Beklagten, die zudem erklärt habe, dass eine Änderung der Nutzung dort nicht in Betracht komme, erfasst. Darüber hinaus gebe es für diesen Bereich Grunddienstbarkeiten, die die Nichtbebaubarkeit sicherten. Aufgrund der Novellierung der Bayerischen Bauordnung erfasse die Abstandsfläche ohnehin nur noch eine deutlich kleinere Teilfläche des Nachbargrundstücks. In der Nachbarschaft befänden sich ausschließlich Gebäude der Gebäudeklasse 4 bzw. 5.
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Das Gericht hat am 10. März 2025 Beweis durch Augenscheinseinnahme erhoben und eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in deren Verlauf sämtliche Beteiligten auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet und einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt haben. Auf die Protokolle des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung wird verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 22. Mai 2023 verstößt nicht gegen im vorliegend einschlägigen vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m Art. 59 Satz 1 BayBO zu prüfende, (auch) die Klägerin schützende öffentlich-rechtliche Vorschriften (§ 113 Abs. 1 Satz 1wGO).
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit auf der Verletzung von Normen beruht, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren und zumindest auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch den angefochtenen Bescheid drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden.
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1. Das Vorhaben, dessen bauplanungsrechtliche Zulässigkeit sich nach § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 939 der Beklagten richtet, verletzt keine (auch) die Klägerin schützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts. Aus diesem Grund kann offenbleiben, ob die Klägerin bereits wegen des – auch ihr gegenüber bestandskräftig gewordenen – Vorbescheids vom 15. September 2021 gehindert ist, Verstöße gegen bauplanungsrechtliche Vorgaben geltend zu machen (zur Prüfung im Rahmen der Begründetheit: vgl. BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C 14/85 – DVBl 1989, 673, juris Rn. 15).
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1.1. Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs scheidet vorliegend schon deswegen aus, weil das Bau- und Nachbargrundstück in unterschiedlichen Baugebieten liegen (vgl. zum Gebietserhaltungsanspruch: BVerwG, B.v. 15.9.2020 – 4 B 46/19 – juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 12.07.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 27 ff.; B.v. 19.11.2015 – 1 CS 15.2108 – juris Rn. 4).
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1.2. Auch aus den übrigen, gem. § 31 Abs. 2 BauGB erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans und der Zulassung nach § 23 Abs. 3 BauNVO ergibt sich keine Rechtsverletzung des Nachbargrundstücks.
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Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und über die überbaubare Grundstücksfläche sind grundsätzlich nicht drittschützend (vgl. zum Maß der baulichen Nutzung: BVerwG, B.v. 11.6.2019 – 4 B 5/19 – juris Rn. 4; B.v. 23.6.1995 – 4 B 52/95 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 11.08.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 12; B.v. 7.1.2014 – ZB 12.1787 – juris Rn. 5; U.v. 19.3.2013 – 2 B 13.99 – juris Rn. 27 m.w.N.; zur überbaubaren Grundstücksfläche: BVerwG, B.v. 11.6.2019 – 4 B 5/19 – juris Rn. 4; B.v. 13.12.2016 – 4 B 29/16 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 34; B.v. 23.11.2015 – 1 CS 15.2207 – juris Rn. 8). Da ferner auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Beklagte als Plangeberin diesen Festsetzungen (ausnahmsweise) auch nachbarschützende Funktion zukommen lassen wollte (vgl. zur nachbarschützenden Wirkung bauleitplanerischer Festsetzungen allgemein: BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 CS 21.817 – juris Rn. 17; B.v. 28.5.2014 – 9 CS 14.84 – juris Rn. 17; B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris Rn. 15; B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 11; OVG RhPf, B.v. 1.8.2016 – 8 A 10264/16 – juris Rn. 6), und erst recht nicht dafür, dass dies dann auch noch baugebietsübergreifend der Fall sein sollte (vgl. dazu: BayVGH, B.v. 1.8.2016 – 15 CS 16.1106 – juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 19.11.2015 – 1 CS 15.2108 – juris Rn. 4), kommt eine Rechtsverletzung der Klägerin in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nur unter dem Aspekt einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots in Betracht, die hier aber zu verneinen ist.
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1.3. Das Vorhaben erweist sich gegenüber dem Grundstück der Klägerin nicht als rücksichtslos.
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass auch aus dem Rücksichtnahmegebot kein Recht des Nachbarn abzuleiten ist, dass in seiner Nachbarschaft nur objektiv rechtmäßige Bauvorhaben entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 11; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 26). Das Rücksichtnahmegebot legt dem Bauherrn zudem auch keine Pflicht auf, generell die für den Nachbarn am wenigsten beeinträchtigende Alternative für seine Bauabsicht zu wählen (BVerwG, B.v. 26.6.1997 – 4 B 97/97 – NVwZ-RR 1998, 357, juris Rn. 6). Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17).
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Dieses berücksichtigend, wird der im Rahmen des Rücksichtnahmegebots notwendige Interessenausgleich zwischen hinzutretender und vorhandener Bebauung durch das Vorhaben gewahrt. Insbesondere konnte die Kammer eine erdrückende Wirkung des streitigen Vorhabens nicht feststellen; eine solche wurde von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
51
Auch aus dem Vorbringen der Klägerin im Klageverfahren ergibt sich keine andere Beurteilung.
52
1.3.1. Soweit die Klägerin geltend macht, die Beklagte habe es sich erspart, die Beeinträchtigungen festzustellen, denen das Bauvorhaben durch den Verkehrslärm der Rosenheimer Straße ausgesetzt sei, betrifft dies keine Umstände, die Nachbarrechte der Klägerin berühren.
53
1.3.2. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass von der auf dem Nachbargrundstück vorhandenen Spielfläche („Bolzplatz“) Lärmbelästigungen ausgingen, die im Fall der Umsetzung des streitgegenständlichen Bauvorhabens für dieses als unzumutbar zu bewerten wären, und aus diesem Grund die Verpflichtung der Klägerin zu nachträglichen, lärmmindernden Maßnahmen zu befürchten stände. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme kommt mit Blick auf die Fallgestaltung der sog. „heranrückenden Wohnbebauung“ im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
54
Eine heranrückende Wohnbebauung verletzt gegenüber einem bestehenden emittierenden Betrieb das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Betrieb durch die hinzutretende Bebauung mit nachträglichen Auflagen rechnen muss (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 1 CS 21.2866 – juris Orientierungssatz 2, Rn. 14; B.v. 9.6.2020 – 15 CS 20.901 – juris Rn. 27; NdsOVG, U.v. 12.6.2018 – 1 LB 141/16 – juris Rn. 23).
55
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall aus zwei jeweils selbständig tragenden Gründen nicht erfüllt. Zum einen ist die Klägerin nicht Betreiberin der auf dem Nachbargrundstück vorhandenen Spielflächen („Bolzplatz“) und hat bereits aus diesem Grund nicht mit „nachträglichen Auflagen“ zu rechnen (nachstehend 1.3.2.1.). Zum anderen werden die rechtlichen Rahmenbedingungen gegenüber der vorher gegebenen Lage nicht verschlechtert (nachfolgend 1.3.2.2.).
56
1.3.2.1. Die Spielfläche ist zwar auf dem Grundstück der Klägerin gelegen. Nicht diese, sondern die Beklagte ist jedoch Betreiberin des Spielbereichs.
57
Anlagenbetreiber ist, wer die Anlage in eigenem Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung führt. Die Eigentümerstellung ist nicht entscheidend; auch der Pächter einer Anlage kann Betreiber sein. Maßgeblich kommt es darauf an, wer unter Berücksichtigung sämtlicher konkreter, rechtlicher, wirtschaftlicher und tatsächlicher Gegebenheiten bestimmenden Einfluss auf die Einrichtung, Beschaffenheit und den Betrieb der Anlage ausübt (vgl. zum Immissionsschutzrecht: BVerwG, U.v. 22.11.2018 – 7 C 7/17 – NVwZ-RR 2019, 260, juris Rn. 30).
58
Mithin ist die Beklagte als Betreiberin der Spielfläche anzusehen, die nicht nur für dessen Errichtung und Herstellung, sondern auch für seinen Betrieb, den Unterhalt und die Verkehrssicherungspflicht verantwortlich war und ist.
59
Dies ergibt sich aus der zu Lasten des Nachbargrundstücks für die Beklagte mit notarieller Urkunde vom 14. Januar 1975 (URNr. …, Notar … …*) bestellte und bewilligte sowie unter „Lasten und Beschränkungen“ im Grundbuch eingetragene beschränkte persönliche Grunddienstbarkeit (§ 1090 BGB). Diese hat nach Ziffer II. (3) u.a. nicht nur den Inhalt (vgl. zur Auslegung von Dienstbarkeiten: BGH, B.v. 6.11.2014 – V ZB 131/13 – NVwZ-RR 2015, 208/209 – juris Rn. 10; U.v. 7.7.2000 – V ZR 435/98 – NJW 2000, 3206/3207 – juris Rn. 10; U.v. 26.10.1984 – V ZR 67/83 – NJW 1985, 385/386 – juris Ls. 2, Rn. 14; vgl. auch: Mohr in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2023, § 1090 Rn. 34, § 1018 Rn. 18, 26, 60), dass die Eigentümer (des Nachbargrundstücks) sich verpflichten, die in einem zum Bestandteil der Urkunde erklärten Plan des Baureferats-Stadtgartendirektion vom 10. Dezember 1974 rot kariert schraffierte Fläche als öffentlichen Spielbereich zur Verfügung zu stellen und die Errichtung aller für einen öffentlichen Spielbereich in Betracht kommenden Einrichtungen zu dulden [zu einer etwaigen Lageänderung vgl. Ziffer II. (4) ], sondern enthält in Ziffer IV. (1) auch die Bestimmung, dass die Beklagte die Herstellung der Fußwege und des Spielbereichs, deren Unterhalt, Reinigung, Beleuchtung, sowie die Verkehrssicherheit übernimmt. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auch nochmals bestätigt, dass die Beklagte für den Unterhalt des als „Park/Grünfläche“ gestalteten Bereichs verantwortlich sei.
60
1.3.2.2. Ein Abwehranspruch der Klägerin besteht darüber hinaus auch deswegen nicht, weil das Vorhaben der Beigeladenen nicht stärkeren Belastungen ausgesetzt ist als die bereits vorhandene Wohnbebauung auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung … … (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 5.3.1984 – 4 B 171/83 – BauR 1985, 172, juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 18.3.2021 – 9 CS 21.119 – juris Orientierungssatz 2, Rn. 18; B.v. 21.8.2018 – 15 ZB 17.2351 – juris Rn. 12; U.v. 22.1.1993 – 2 B 91.3575 – UPR 1993, 230, juris Rn. 21). Die nördliche Hausecke des Anwesens St. Straße 25, in welchem sich auf acht Geschossen Wohnräume mit Wohnraumfenstern Richtung Norden und Osten befinden, ist zur Spielfläche am nächsten gelegen. Damit würde aber dem Betreiber der Spielfläche/des Bolzplatzes gegenüber der hinzukommenden, streitgegenständlichen Nutzung nicht mehr an Rücksichtnahme abverlangt, als er gegenüber der bereits vorhandenen Wohnnutzung üben muss.
61
1.3.3. Ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme ergibt sich ferner auch nicht aus der Zahl der erteilten Befreiungen. Entscheidend ist vielmehr, ob aufgrund der Belastungswirkungen, die aus den Befreiungen – einzeln und in der Gesamtwirkung – folgen, eine unzumutbare Betroffenheit des Nachbarn resultiert (BayVGH, B.v. 6.3.2007 – 1 CS 06.2764 – juris Rn. 32 f.; B.v. 11.8.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 24). Dies ist jedoch hier nicht ersichtlich.
62
2. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt darüber hinaus auch nicht gegen (zumindest auch) dem Nachbarschutz dienende Vorschriften des Bauordnungsrechts, welche im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, insbesondere nicht gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) BayBO i.V.m. Art. 6 BayBO.
63
Zwar wird die zum klägerischen Grundstück hin erforderliche Abstandsfläche – auch unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden abstandsflächenrechtlichen Vorschriften in der durch § 4 Zweites ModernisierungsG Bayern vom 23.12.2024 (GVBl. S. 619) geänderten Fassung – unstreitig und entgegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO nicht auf dem Baugrundstück selbst eingehalten, sondern erstreckt sich vollständig auf den Erschließungsweg des unmittelbar angrenzenden Hammergrundstücks FlNr. … und – darüber hinaus – auf das Nachbargrundstück (siehe nachstehend 2.1.). Die Verlagerung der Abstandsfläche auf die angrenzenden Grundstücke ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Einzelfallumstände jedoch über Art. 6 Abs. 2 Satz 2 (hinsichtlich des Grundstücks der Klägerin) und Satz 3 (hinsichtlich des Grundstücks FlNr. …*) BayBO gerechtfertigt (siehe nachfolgend 2.2.).
64
2.1. Das Vorhaben der Beigeladenen hält vor der nordwestlichen Gebäudeaußenwand mit einer dortigen Wandhöhe von bis zu 25,54 m (bezogen auf das vorhandene Geländeniveau) und einem Grenzabstand von 4,698 m unstreitig die erforderliche (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO) Abstandsflächentiefe nicht auf dem Baugrundstück selbst (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO) ein.
65
Dies gilt nicht nur nach der im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung geltenden Rechtslage (Art. 6 BayBO i.d.F. vom 25. Mai 2021; erforderliche Abstandsflächentiefe hiernach: 1 H, vgl. Art. 6 Abs. 4 Satz 1, 2, Abs. 5a BayBO), sondern auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen und im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidungen geltenden und für den Bauherrn im vorliegenden Fall günstigeren Änderungen durch § 4 Zweites ModernisierungsG Bayern vom 23.12.2024 (GVBl. S. 619; vgl. zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage bei baurechtlichen Nachbarklagen: BVerwG, B.v. 23.4.1996 – 4 B 40.98 – BauR 1998, 995, juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 18.1.2010 – 1 ZB 07.3187 – juris Rn. 12, jeweils m.w.N.), wenngleich hiernach die Abstandsfläche in wesentlich geringerem Umfang als bisher – aber dennoch – auf dem Nachbargrundstück zu liegen kommt.
66
Durch Art. 6 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 5a Satz 1 BayBO in der seit 1. Januar 2025 geltenden Fassung wurde im Bereich der Beklagten eine Verkürzung der Abstandsflächentiefe auf 0,4 H eingeführt in Gebieten, in denen die nähere Umgebung nicht durch Gebäude der Gebäudeklassen 1, 2 oder 3 (vgl. Art. 2 Abs. 3 BayBO) geprägt ist.
67
Nach dem Ergebnis des gerichtlichen Augenscheins und unter Heranziehung der Angaben in den Bauantragsunterlagen sowie öffentlich zugänglicher Luftbilder („google maps“) ist die Umgebung des Baugrundstücks von Bebauung mit Geschossigkeiten geprägt, die deutlich über die Höhen der Gebäudeklassen 1 bis 3 hinausgehen und den Gebäudeklassen 4 bzw. 5 zuzuordnen sind (z.B. Bebauung auf dem Grundstück FlNr. … mit acht Geschossen bzw. die südöstlich angrenzende Bebauung R. Straße 128 mit bis zu sechs Geschossen) mit der Folge, dass hier Art. 6 BayBO in der durch § 4 Zweites ModernisierungsG Bayern vom 23.12.2024 geänderten Fassung zur Anwendung kommt und die erforderliche Abstandsflächentiefe (nur noch) 0,4 H beträgt. Angesichts der Wandhöhe der nordwestlichen Gebäudeaußenwand des genehmigten Vorhabens von bis zu 25,54 m (bezogen auf das vorhandene Geländeniveau) und einem Grenzabstand von 4,698 m fällt die erforderliche Abstandsfläche jedoch auch unter Zugrundelegung von 0,4 H nicht nur auf den angrenzenden, 3,35 m breiten Erschließungsweg (FlNr. …*), sondern auch noch auf das Grundstück der Klägerin.
68
2.2. Daraus folgt jedoch keine Verletzung der Klägerin in ihren Nachbarrechten. Das Vorhaben der Beigeladenen darf vorliegend sowohl (vollständig) die zur Bebauungsfläche des Grundstücks FlNr. 16360/4 führende Zuwegung (siehe 2.2.1.) als auch das Nachbargrundstück (siehe 2.2.2.) für die vor seine nordwestliche Außenwand fallende Abstandsfläche in Anspruch nehmen.
69
Art. 6 Abs. 2 Sätze 2, 3 BayBO enthalten Ausnahmen von dem Grundsatz, dass Abstandsflächen auf dem Baugrundstück selbst liegen müssen. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO dürfen Abstandsflächen auf öffentlichen Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen liegen, jedoch nur bis zu deren Mitte. Abstandsflächen dürfen sich darüber hinaus ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn rechtlich oder tatsächlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden, oder wenn der Nachbar gegenüber der Baufaufsichtsbehörde schriftlich zustimmt (Art. 6 Abs. 3 Satz 3 BayBO).
70
Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO und Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO ordnen Grundstücke, auf denen selbst keine abstandsflächenpflichtigen Anlagen errichtet werden können oder dürfen, im Interesse eines sparsamen Umgangs mit Grund und Boden abstandsflächenrechtlich bebaubaren Nachbargrundstücken zu. Dem Eigentümer des nicht überbaubaren Grundstücks ist diese abstandsflächenrechtliche Inanspruchnahme seines Grundstücks durch Nachbarn wegen des Verbots des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO, dass sich die Abstandsflächen nicht überdecken dürfen, nur zuzumuten, wenn anzunehmen ist, dass sein Grundstück auch in Zukunft unbebaubar bleibt. Die Grundstücksflächen, auf die sich die Abstandsflächen des Nachbargebäudes erstrecken, stehen nämlich so lange nicht für die Abstandsflächen eines anderen Gebäudes zur Verfügung, wie das Nachbargebäude steht. Eine Erstreckung von Abstandsflächen muss der Eigentümer eines gegenwärtig nicht bebaubaren Grundstücks deshalb nur dann hinnehmen, wenn dieses -soweit absehbar – auch in Zukunft nicht bebaut werden kann oder darf (so BayVGH, B.v. 29.9.2004 – 1 CS 04.430 – NVwZ-RR 2005, 389, juris Rn. 19 zu Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 Alt. 2 und 3 BayBO 1998 sowie Art. 6 Abs. 7 BayBO 1998).
71
2.2.1. Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO erlaubt vorliegend der Beigeladenen, die zur Bebauungsfläche führende und zum Grundstück FlNr. … gehörende Zuwegung für ihre Abstandsfläche zu beanspruchen – und zwar in vollem Umfang.
72
Der 3,35 m breite „Hammerstiel“ stellt aufgrund der Verhältnisse jedenfalls eine aus tatsächlichen Gründen nicht überbaubare Fläche dar (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Var. 2 BayBO; vgl. dazu: BayVGH, B.v. 14.7.1993 – 1 CS 93.1779 – BeckRS1993, 10831; B.v. 29.9.2004 – 1 CS 04.340 – NVwZ-RR 2005, 389, juris Rn. 18, 20 f.; B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.545 – juris Orientierungssatz 1, Rn. 52 f. m.w.N.; VG München, U.v. 2.5.2022 – M 8 K 20.3395 – juris Rn. 39, bestätigt durch BayVGH, B.v. 19.4.2023 – 2 ZB 22.1730 – juris; Dirnberger in: Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, 82. EL Juni 2024, Art. 6 Rn. 70).
73
Es ist weder die Zulassung einer Abweichung noch die Zustimmung des Verfügungsberechtigten erforderlich; die Verlagerungsmöglichkeit gilt unmittelbar kraft Gesetzes (Laser in: Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 2022, Art. 6 Rn. 60). Maßgeblich ist, dass auf der Fläche weder ein Gebäude noch eine bauliche Anlage, von der Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO), errichtet werden kann oder darf (BayVGH, U.v. 15.5.2006 – 1 B 04.1893 – BayVBl 2007, 467, juris Ls, Rn. 23; Dirnberger in: Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, 82. EL Juni 2024, Art. 6 Rn. 63). Diese Voraussetzung ist auch bei einer Fläche erfüllt, die – wie hier – auf absehbare Zeit als Zufahrt genutzt werden muss, um die straßenmäßige Erschließung eines Grundstücks, vorliegend der FlNr. … Gem. … …, sicherzustellen (BayVGH, B.v. 23.8.2010 – 2 ZB 10.1216 – juris Rn. 14; Laser in: Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 2022, Art. 6 Rn. 60).
74
Eine Verletzung der Klägerin in drittschützenden Rechten lässt sich vorliegend auch nicht daraus ableiten, dass das Bauvorhaben die gesamte Breite des Erschließungswegs in Anspruch nimmt.
75
Zwar sind in entsprechender Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO die für ein „Erstrecken“ von Abstandsflächen geeigneten, nicht überbaubaren Flächen privater Grundstücke abstandsflächenrechtlich grundsätzlich den benachbarten bebaubaren Grundstücken zu gleichen Teilen zugeordnet (BayVGH, B.v. 29.9.2004 – 1 CS 04.340 – NVwZ-RR 2005, 389, juris Rn. 23; B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.545 – juris Rn. 53; VG München, U.v. 2.5.2022 – M 8 K 20.3395 – juris Rn. 39), während vorliegend die Abstandsfläche vor der nordwestlichen Außenwand des Vorhabens auf der gesamten Breite des Zufahrtswegs zu liegen kommt. Hierdurch wird die Klägerin jedoch nicht in eigenen Rechten verletzt. Die hier entsprechend heranzuziehende Regelung in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO vermittelt bereits in direkter Anwendung dem Nachbarn einen Anspruch nur darauf, „seine“ Straßenhälfte für die Anrechnung von Abstandsflächen eigener Bauwerke zu verwenden (BayVGH, U.v. 7.2.1994 – 2 B 89.1918 – BayVBl 1994, 307 zu Art. 6 Abs. 8 BayBO 1982; Hahn/Kraus in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 156. EL Dezember 2024, Art. 6 Rn551). Die Vorschrift gewährt mithin keinen Nachbarschutz, wenn die fragliche Straßenhälfte für die Aufnahme von Abstandsflächen (planungsrechtlich) zulässiger Vorhaben des Nachbarn nicht in Betracht kommt (BayVGH, U.v. 7.2.1994 a.a.O.; B.v. 8.12.2017 – 1 CS 17.2159 – juris Orientierungssatz 4, Rn. 7; VG München, B.v. 10.6.2024 – M 8 SN 24.1792 – n.v., Beschlussumdruck Rn. 49; Laser in: Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 2022, Art. 6 Rn. 120; Waldmann in: Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Januar 2025, Art. 6 Rn. 102; Hahn/Kraus in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 156. EL Dezember 2024, Art. 6 Rn. 551). Dies ist hier der Fall, weil die im Bebauungsplan Nr. … für das Grundstück der Klägerin getroffenen Festsetzungen in diesem Bereich bauplanungsrechtlich überhaupt keine Bebauung vorsehen und damit die Klägerin an dieser Stelle auch nicht auf die Hälfte des Erschließungswegs angewiesen sein kann (vgl. BayVGH, U.v. 7.2.1994 – 2 B 89.1918 – BayVBl. 199, 307).
76
2.2.2. Eine Nachbarrechtsverletzung liegt mit Blick auf die Klägerin auch nicht deswegen vor, weil die von der nordwestlichen Gebäudeaußenwand des Vorhabens ausgelöste Abstandsfläche sich auch noch auf ihr Grundstück und den dort gelegenen … erstreckt. Die Abstandsflächenverlagerung auf das Nachbargrundstück ist durch Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO gerechtfertigt.
77
Danach dürfen Abstandsflächen auf öffentlichen Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen liegen, die an das Baugrundstück oder ein anderes Grundstück i.S.v. Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO (vgl. Laser in: Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 2022, BayBO Art. 6 Rn. 59) grenzen. Der auf dem Nachbargrundstück liegende … stellt eine öffentliche Grünfläche im vorgenannten Sinne dar.
78
Öffentlich ist eine Fläche, die für eine Nutzung durch die Allgemeinheit gewidmet oder in anderer Weise rechtlich für die genannten öffentlichen Zwecke dauerhaft gesichert ist (vgl. Schönfeld in: BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 32. Edition 1.2.2025, Art. 6 Rn. 94; Laser in: Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 2022, Art. 6 Rn. 59; Waldmann in: Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Januar 2025, Art. 6 Rn. Rn. 104). Eine bloß tatsächliche öffentliche Nutzung ohne die erforderliche rechtliche Absicherung genügt nicht. Hintergrund von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO ist, dass es das Gesetz als gesichert ansieht, dass Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen, wenn sie öffentlich sind, in der Regel ihrem Zweck entsprechend auf Dauer nicht überbaut werden und deshalb in die – von einer Bebauung freizuhaltenden – Abstandsflächen eingerechnet werden können. Dass die öffentliche Hand Eigentümerin der Flächen ist, ist hingegen nicht erforderlich (Dirnberger in: Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, 82. EL Juni 2024, Art. 6 Rn. 55; Waldmann in: Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Januar 2025, Art. 6 Rn. 104; OVG Berlin, B.v. 11.2.2002 – 2 S 1.02 – BauR 2002, 1381, juris Orientierungssatz 2, Rn. 14). Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es vielmehr nicht an (Schönfeld in: BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 32. Edition 1.2.2025, Art. 6 Rn. 94; Laser in: Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 2022, Art. 6 Rn. 59).
79
Mit dem … liegt eine öffentliche Grünfläche im vorgenannten Sinne vor. Er stellt eine Grünanlage im Sinne des § 1 Abs. 2 der auf der Grundlage der Art. 23, 24 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 GO erlassenen Grünlagensatzung (GrünanlagenS) der Beklagten i.V.m. dessen Anlage 2 dar. § 1 Abs. 1 Satz 1 GrünanlagenS bestimmt, dass Grünanlagen im Sinne der Satzung alle von der Landeshauptstadt München gärtnerisch gestalteten und von ihr unterhaltenen öffentlichen Park- und Grünflächen sind, die der Allgemeinheit unentgeltlich für Erholungs- und Freizeitzwecke einschließlich spielerischer und sportlicher Aktivitäten dienen. Insoweit handelt es sich um eine sog. öffentliche Einrichtung der Beklagten, d.h. eine Einrichtung, die im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Wirkungskreises der Gemeinde ausdrücklich oder konkludent durch einen gemeindlichen Widmungsakt – hier § 1 Abs. 1 Satz 1 GrünanlagenS – zum externen Gebrauch der Öffentlichkeit (Allgemeinheit) zur Verfügung gestellt und im öffentlichen Interesse unterhalten wird (vgl. Glaser in: Widtmann/Grasser/Glaser Bayerische Gemeindeordnung, 34. EL April 2023, Art. 21 Rn. 4). Nach den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten besteht vorliegend auch die Gewähr, dass der … als Grünfläche auf Dauer erhalten bleibt. Aufgrund der vertraglichen und über eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit auch dinglich abgesicherten Vereinbarungen ist die durch die Widmung zum Ausdruck kommende Zweckbestimmung des … bzw. dessen Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit nachhaltig gesichert. In Ziffer II. (1) des notariellen Vertrags vom 14. Januar 1975 wird zunächst festgehalten, dass der zur Aufstellung geplante Bebauungsplan Nr. … die ca. 26.000 m² umfassende Fläche – den … – als nicht überbaubare Grundstücksfläche ausweist. In Ziffer II. (2) und (3) des notariellen Vertrags vom 14. Januar 1975 haben sich die vormaligen Grundstückseigentümer gegenüber der Beklagten verpflichtet, die ausgewiesenen Fußwege dem öffentlichen Fußgängerverkehr und einen öffentlichen Spielbereich zur Verfügung zu stellen, deren Herstellung, Unterhalt, Reinigung, Beleuchtung und Verkehrssicherungspflicht die Beklagte übernommen hat (Ziffer IV. der notariellen Vereinbarung). Die vertraglichen Regelungen räumen der Beklagten die erforderliche Verfügungsgewalt ein. Im Bebauungsplan Nr. 1283 selbst ist der Bereich des … als nicht überbaubare Fläche festgesetzt (Umkehrschluss aus der Festsetzung der durch Baugrenzen gebildeten Bauräume); (u.a.) im Grenzbereich zu Grundstück FlNr. … sieht der Bebauungsplan die Festsetzung „Fläche mit zu erhaltendem Baumbestand“ vor. In der Begründung zum Bebauungsplan Nr. … wird wiederholt die Funktion des … als Ausgleichsfläche für die dichte Wohnbebauung betont und ausgeführt, der neue Grundstückseigentümer habe einer entschädigungslosen Baurechtsminderung um ca. 27.500 m² zugestimmt. Die Baurechtsreduzierung ermögliche die für das Wohnen notwendigen größeren Frei- und Abstandsflächen. Die Überschreitung der nach § 17 Abs. 1 BauNVO höchstzulässigen Nutzungswerte wurde als gerechtfertigt angesehen, weil durch den … sichergestellt sei, dass die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht beeinträchtigt seien.
80
Angesichts der Widmung als Grünfläche, der zivilrechtlichen Bindungen sowie der Bauleitplanung und deren städtebaulichen Grundlagen sind damit die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO erfüllt mit der Folge, dass sich die Abstandsfläche der nordwestlichen Gebäudeaußenwand im beschriebenen Umfang auf das Nachbargrundstück erstrecken darf.
81
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
82
Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese Sachanträge gestellt und sich dadurch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
83
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.