Titel:
Sperrverfügung gegen ..., Telemedienangebot mit pornografischen Inhalten, Jugendschutz, Rechtsschutzbedürfnis (verneint)
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
JMStV § 20 Abs. 5 Satz 3
Schlagworte:
Sperrverfügung gegen ..., Telemedienangebot mit pornografischen Inhalten, Jugendschutz, Rechtsschutzbedürfnis (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 12170
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine von der Antragsgegnerin gegenüber der Beigeladenen angeordnete Sperrung ihres Telemedienangebotes …
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Die Antragstellerin, eine Gesellschaft mit Sitz auf Z., betreibt als … mehrere Internetseiten mit pornografischen Inhalten, darunter unter anderem die streitgegenständliche Internetseite. Diese Inhalte werden durch die …, … … …, in den … gespeichert und durch die …, der Beigeladenen, wird Internetnutzern in Deutschland der Zugang zu diesen Inhalten vermittelt. Mit Bescheid vom 16. Juni 2020 stellte die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM NRW) fest, dass die Antragstellerin als Anbieterin des Telemedienangebotes … gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV), § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und Abs. 4 JMStV sowie gegen § 7 Abs. 1 Satz 2 JMStV verstoße. In Ziffer 2 des Bescheids vom 16. Juni 2020 wurde eine Beanstandung gegenüber der Antragstellerin gem. § 20 Abs. 1 JMStV i.V.m. § 59 Abs. 3 des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien (RStV) ausgesprochen. Die Verbreitung des Angebots in dieser Form wurde zukünftig untersagt. Die Antragstellerin erfülle ihre Verpflichtung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 JMStV, wenn sie die pornografischen Inhalte von ihrem Angebot entferne oder eine geschlossene Benutzergruppe einrichte, durch die sichergestellt werde, dass nur Erwachsene Zugang zu den pornografischen Inhalten erhielten.
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Den hiergegen erhobenen Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht Düsseldorf ab (B.v. 30.11.2021 – 27 L 1415/20). Die gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf erhobene Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen zurück (B.v. 7.9.2022 – 13 B 1912/21). Der durch die Antragstellerin gegen den Bescheid vom 16. Juni 2020 erhobenen Anfechtungsklage wurde durch das Verwaltungsgericht Düsseldorf nur in dem Umfang stattgegeben soweit der Bescheid auf einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und Abs. 4 JMStV sowie gegen § 7 Abs. 1 S. 2 JMStV gestützt wurde; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen (U.v. 4.4.2023 – 27 K 3905/20). Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat über die vom Verwaltungsgericht Düsseldorf zugelassene und von der Antragstellerin insofern eingelegte Berufung bislang noch nicht entschieden.
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Da die Antragstellerin dem, infolge der Erfolglosigkeit des entsprechenden Eilverfahrens, sofort vollziehbaren Bescheid vom 16. Juni 2020 nicht nachkam, drohte die LfM NRW der Antragstellerin zunächst mit Bescheid vom 21. September 2023 ein Zwangsgeld an und setzte dieses dann mit Bescheid vom 24. Oktober 2023 fest, wogegen die Antragstellerin in beiden Fällen Klage vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf erhob. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2023 hat die Antragstellerin bei der LfM NRW erfolglos beantragt, den Bescheid vom 16. Juni 2020 mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. In Bezug auf diesen Antrag ist sowohl eine Verpflichtungsklage als auch ein Eilantrag der Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf anhängig. Einen Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung in diesem Verfahren lehnte das Verwaltungsgericht Düsseldorf ab (B.v. 17.4.2024 – 27 L 806/24). Einen Antrag der Antragstellerin, die LfM NRW im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es in Bezug auf das Angebot … zu unterlassen, Maßnahmen gegen die betroffenen … zu richten, wurde durch das Verwaltungsgericht Düsseldorf abgelehnt (B.v. 9.1.2024 – 27 L 3303/23).
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Mit Bescheid vom 2. April 2024 hat die Antragsgegnerin der Beigeladenen gegenüber gemäß §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV i.V.m. § 109 Abs. 3 Medienstaatsvertrag (MStV) die Sperrung des Telemedienangebots … für den Abruf aus Deutschland angeordnet (Ziffer 1 des Bescheids). Gemäß Ziffer 2 des Bescheids erfülle die Beigeladene ihre Verpflichtung aus Ziffer 1, wenn sie den Zugriff auf das Angebot mittels einer DNS-Sperre unterbinde.
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Zur Begründung des Bescheids vom 2. April 2024, der im Rahmen eines koordinierten Vorgehens der Landesmedienanstalten gegen mehrere in der Bundesrepublik ansässige … erfolgte, führte die Antragsgegnerin aus, dass das Internetangebot … gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 JMStV verstoße, indem es die Verabsolutierung sexuellen Lustgewinns, die Reduzierung auf eine apersonale Sexualität sowie die Degradierung des Menschen zum bloßen auswechselbaren Objekt vermittele, ohne dass sichergestellt werde, dass die zur Verfügung gestellten pornografischen Inhalte nur Erwachsenen zugänglich seien. Nach dem bislang erfolglosen Vorgehen gegen die Inhalte-Anbieterin und wegen der Ineffektivität eines Vorgehens gegen die in den Vereinigten Staaten ansässige … habe sich die Antragsgegnerin zu einer Sperrverfügung gegen die … entschlossen. Die durch die Antragsgegnerin angeordnete Sperrverfügung sei der … technisch möglich, zumutbar und verhältnismäßig. Die Sperrung der Internetseite verstoße nicht gegen den Grundsatz der Netzneutralität, da diese durch eine gerichtliche oder behördliche Anordnung zur Sperrung eines Angebots gerechtfertigt sein könne. An der Zuständigkeit der Antragsgegnerin hätten auch weder die Neufassung des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) noch der Digital Services Act (DSA) etwas geändert. Auch sei der JMStV anwendbar, da § 2 Abs. 1 Satz 4 JMStV nicht dazu führe, dass der JMStV nicht für im EU-Ausland ansässige Video-Sharing-Plattformen anwendbar sei. Im Übrigen verstoße die Sperrverfügung nicht gegen das in der RL 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (E-Commerce-Richtlinie – ECRL) verankerte Herkunftslandprinzip, da insoweit maßgeblich sei, dass die … in Deutschland niedergelassen sei. Eine etwaige mittelbare Betroffenheit der Inhalte-Anbieterin ändere daran nichts.
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Gegen den Bescheid vom 2. April 2024 erhob die Beigeladene am 29. April 2024 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 17 K …). Die Kammer ordnete auf Antrag der dortigen Beteiligten durch Beschluss vom 28. August 2024 das Ruhen des Verfahrens an. Einen gegen die Sperrverfügung gerichteten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz stellte die Beigeladene nicht.
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Am 19. September 2024 hat die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 2. April 2024 erhoben (M 17 K …). Am 24. Januar 2025 hat sie den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt und beantragt,
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1. die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 19. September 2024 (Az. M 17 K …) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. April 2024 (Az … …) anzuordnen, mit dem die Antragsgegnerin gegenüber der … … … … … die Sperrung des Angebots … für den Abruf aus Deutschland angeordnet hat,
2. die … … … … … … … … …, dem vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren beizuladen.
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Zur Begründung trug die Antragstellerin insbesondere vor, der Eilantrag sei zulässig, da sie durch die Sperrverfügung in drittschützenden Rechten verletzt worden sei. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung der Sperrverfügung, da die Anfechtungsklage der Antragstellerin Erfolg haben werde. Bei der mangelnden Benachrichtigung der Antragstellerin vor der Verfahrenseinleitung und der Verfahrensdurchführung ohne Beteiligung der Antragstellerin handele es sich um besonders schwerwiegende und offensichtliche Verfahrensfehler, sodass der Bescheid schon deswegen nichtig bzw. jedenfalls formell rechtswidrig sei. Im Übrigen sei der Bescheid auch materiell rechtswidrig. Die Vorschriften des JMStV könnten nicht mehr als Rechtsgrundlage herangezogen werden, da sie durch den DSA verdrängt worden seien. Infolge der vollharmonisierenden Wirkung des DSA seien im vorliegenden Fall ausschließlich die Europäische Kommission bzw. der zypriotische Koordinator für digitale Dienste für die Sperrung des Internetangebots bzw. der Forderung eines Altersverifikationssystems zuständig. Es bleibe insofern kein Raum für eine nationale jugendmedienschutzrechtliche Regulierung von Online-Plattformen.
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Weiterhin könne die Antragsgegnerin die Sperrverfügung nicht auf § 4 Abs. 2 JMStV stützen, da die Vorschrift gegen das Herkunftslandprinzip, welches eine abstrakt-generelle Regulierung ausländischer digitaler Dienste untersage, verstoße. Im Übrigen falle die vorliegende Konstellation schon nicht in den Geltungsbereich des § 2 Abs. 1 Satz 4 JMStV . Jedenfalls fehle es an der erforderlichen Notifizierung gegenüber der Europäischen Kommission der als Rechtsgrundlage herangezogenen Normen, sodass diese unanwendbar seien. Die Verfügung greife in maximalem Ausmaß in die Grundfreiheiten der Antragstellerin ein, ohne dass durch diese Maßnahme eine messbare Steigerung des Jugendschutzes erreicht werden könne.
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Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 9. Mai 2025,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Antragsgegnerin meint, der Eilantrag sei bereits mangels Rechtschutzbedürfnisses der Antragstellerin unzulässig. Aus dem Vorgehen der Antragstellerin würden sich schon keine rechtlichen Vorteile für diese ergeben, da sie nicht Adressatin des Verwaltungsakts sei und daher dessen Aufhebung oder die Aussetzung seiner sofortigen Vollziehbarkeit keine Veränderung der Rechtsstellung der Antragstellerin bedeuten würde. Auch schützenswerte tatsächliche Vorteile für die Antragstellerin in zeitlicher oder finanzieller Hinsicht seien nicht erkennbar. Der vorliegende Eilantrag diene der Sache nach ausschließlich dem von der Rechtsordnung nicht geschützten Versuch, sich über die rechtskräftig sofort vollziehbare Grundverfügung hinwegzusetzen. Die Antragstellerin könne das verfolgte Ziel einfacher und effektiver erreichen, indem sie der Grundverfügung Folge leiste. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet, da bereits die gebotene Interessenabwägung dazu führe, dass das Begehren der Antragstellerin abzulehnen sei. Angesichts der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20 Abs. 5 Satz 3 JMStV und des gewichtigen Schutzguts des Jugendschutzes müssten die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin zurückstehen.
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Auch nach dem Inkrafttreten des DSA könnten die Mitgliedstaaten konkret-individuelle Maßnahmen zur Regulierung rechtswidriger Inhalte gegenüber den Anbietern von Vermittlungsdiensten ergreifen. Auch ein Verstoß gegen das Herkunftslandprinzip liege nicht vor, da die streitgegenständliche Sperrverfügung sich allein an die in Deutschland niedergelassene Beigeladene richte und lediglich das Angebot deren Dienstes im deutschen Hoheitsgebiet betreffe. Schließlich liege im Falle eines in Deutschland niedergelassenen … kein Fall des § 2 Abs. 1 Satz 4 JMStV vor; es sei überdies nicht erkennbar, dass § 2 Abs. 1 Satz 4 JMStV eine ausnahmslose Geltung des Herkunftslandprinzips für Anbieter von Video-Sharing-Diensten etablieren solle. Weiterhin könne in Bezug auf die streitgegenständlich relevanten Überarbeitungen des JMStV nicht von einem Verstoß gegen die Notifizierungspflicht gegenüber der Europäischen Kommission ausgegangen werden. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Dienstleistungs- und Berufsfreiheit der Antragstellerin sei nicht erkennbar. Es sei davon auszugehen, dass die Sperrverfügung zu einer spürbaren Steigerung des Jugendmedienschutzes führen werde.
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Die Beigeladene, deren Beiladung mit Beschluss vom 8. April 2024 erfolgte, hat keinen Antrag gestellt. Mit Schreiben vom 30. Mai 2025 führte die Beigeladene aus, die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Gunsten der Antragstellerin aus. Es fehle der Antragsgegnerin sowohl an einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage, als auch an der Zuständigkeit zum Erlass der streitgegenständlichen Sperrverfügung. Im vollharmonisierten Regelungsbereich des DSA fänden die Bestimmungen des JMStV keine Anwendung. Im Übrigen sei die von der Antragsgegnerin angeführte Ermächtigungsgrundlage wegen Verstoßes gegen das Herkunftslandprinzip unanwendbar und es fehle an der erforderlichen Notifizierung des § 20 Abs. 4 JMStV gegenüber der Europäischen Kommission. Auch sei die Sperrverfügung nicht hinreichend bestimmt, da unklar sei, ob diese sich lediglich auf pornografische Inhalte oder auf das gesamte Internetangebot der Antragstellerin beziehe. Überdies habe die Antragsgegnerin vorrangig gegen die Inhalte-Anbieterin und die … vorgehen müssen. Es liege ein Ermessensfehlgebrauch vor, da die Antragsgegnerin die Zumutbarkeit der Sperrverfügung gegenüber der Beigeladenen nicht hinreichend gewürdigt habe. Die Sperrverfügung sei unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtspositionen unverhältnismäßig, da die DNS-Sperre, deren Einrichtung mit erheblichem Aufwand verbunden sei, sehr einfach zu umgehen sei und zu einem Overblocking führe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Hauptsacheverfahren M 17 K … sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO ).
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Der Antrag nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. April 2024 hat keinen Erfolg, da er bereits unzulässig, aber jedenfalls unbegründet ist.
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1. Der Antrag nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 VwGO ist zwar statthaft, da der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. April 2024 gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20 Abs. 5 Satz 3 JMStV keine aufschiebende Wirkung zukommt. Auch von dem Vorliegen der Antragsbefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog ist auszugehen. Es erscheint jedenfalls möglich, dass die Antragstellerin in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten der Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 ff. AEUV bzw. der Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt ist, unabhängig davon, ob bei ausländischen juristischen Personen Art. 12 Abs. 1 GG direkt herangezogen wird oder der entsprechende Schutzgehalt unter Zuhilfenahme des Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet wird. Die hier streitbefangene Sperrverfügung trifft die Antragstellerin nicht im Rahmen eines bloßen Reflexes, sondern ist im Kern gerade dazu bestimmt, das zu ihrer Erwerbstätigkeit gehörende Angebot unter … – welches zugleich eine Dienstleistung eines im EU-Ausland (Z.) ansässigen Unternehmens darstellt – in Deutschland unzugänglich zu machen (vgl. VG Neustadt an der Weinstraße, B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW, S. 23; B.v. 28.4.2025 – 5 L 77/25.NW – S. 23; VG Düsseldorf, B.v. 9.1.2024 – 27 L 3303/23 – juris Rn. 11; VG Düsseldorf, U.v. 29.11.2011 – 27 K 3883/11 – juris Rn. 29 ff.).
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Jedoch fehlt es auf Seiten der Antragstellerin im vorliegenden Fall an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Das Gericht schließt sich insofern der überzeugenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgericht Berlin (B.v. 24.4.2025 – 32 L 25/25 – juris Rn. 25 ff.; B.v. 24.4.2025 – 32 L 26/25 – juris Rn. 25 ff.) und des Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße in den entsprechenden Parallelverfahren an (B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW – S. 23 ff.; B.v. 28.4.2025 – 5 L 77/25.NW – S. 23 ff.). Das Rechtsschutzbedürfnis, welches auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Zulässigkeitsvoraussetzung ist, ist in der Regel zu bejahen, wenn der Antragsteller antragsbefugt ist, weil er geltend machen kann, durch die angegriffene Rechtsvorschrift in seinen Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Allerdings fehlt es dann an dem Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Antragsteller infolge der Inanspruchnahme des Gerichts seine Rechtsstellung nicht durch die Erlangung eines rechtlichen oder tatsächlichen Vorteils verbessern kann und die gerichtliche Befassung daher für ihn nutzlos ist, wobei sich dies im Wesentlichen nach den jeweiligen Verhältnissen im Einzelfall richtet (vgl. BVerfG, B.v. 10.6.2020 – 2 BvR 297/20 – juris Rn. 14; BVerwG, B.v. 28.8.1987 – 4 N 3/86 – juris Rn. 19; B.v. 9.2.1989 – 4 NB 1/89 – juris Rn. 6; U.v. 13.12.2018 – 4 CN 3/18 – juris Rn. 14; U.v. 10.10.2019 – 10 C 3/19 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 10.2.2025 – 2 N 22.1743 – juris Rn. 23; Ehlers in Schoch/Schneider, VwGO, 46. EL August 2024, vor § 40 Rn. 94 ff.).
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Vorliegend ist eine solche Verbesserung der Rechtstellung der Antragstellerin ausgeschlossen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die an die Beigeladene adressierte Sperrverfügung vom 2. April 2024 kann die Rechtstellung der Antragstellerin nicht verbessern. Denn Folge einer solchen Anordnung wäre lediglich, dass die Beigeladene für die Dauer des Klageverfahrens die Sperrverfügung nicht befolgen müsste. Rechte und Pflichten der Antragstellerin wären durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Sperrverfügung nicht unmittelbar betroffen. Insbesondere aufgrund des Umstands, dass die Antragstellerin auch bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Sperrverfügung infolge der sofort vollziehbaren Grundverfügung vom 16. Juni 2020, die weiterhin bestünde, die unveränderte Zurverfügungstellung pornografischer Inhalte auf … nicht wiederaufnehmen dürfte, bliebe eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung ohne rechtlichen Nutzen für die Antragstellerin.
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Rechtliche Auswirkungen in der Form, dass die Antragstellerin auch der Grundverfügung vom 16. Juni 2020 nicht Folge leisten müsste, wären mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung im vorliegenden Verfahren nicht verbunden. Es handelt sich bei der Sperrverfügung vom 2. April 2024 und der Grundverfügung vom 16. Juni 2020 um voneinander unabhängige Verwaltungsakte, die sich an verschiedene Rechtssubjekte richten und in Bezug auf die jeweils der entsprechende Rechtsweg zu beschreiten ist. Es ist nicht erkennbar, in welcher Form die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Sperrverfügung eine Art Bindungswirkung bezüglich der Verfahren betreffend die Grundverfügung zeitigen sollte, zumal das Gericht im Rahmen des Eilverfahrens höchstens im Rahmen einer Inzidentprüfung die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung bewerten würde und nicht die Aufhebung derselben aussprechen könnte, da dies schon gar nicht Streitgegenstand des gegenständlichen Eil- bzw. Hauptsacheverfahrens ist.
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Allenfalls ein Vorteil tatsächlicher Natur kommt auf Seiten der Antragstellerin in Betracht. Infolge der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. April 2024 würde die Beigeladene aller Voraussicht nach, die Sperrung des Internetangebots der Antragstellerin beenden, womit von Seiten deutscher Nutzer wieder Zugriffsmöglichkeiten bestünden und damit auch wirtschaftliche Einnahmemöglichkeiten der Antragstellerin wiedereröffnet würden. Dieser potentielle Vorteil tatsächlicher Art ist allerdings nicht schützenswert und kann damit nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis begründen (vgl. VG Berlin, B.v. 24.4.2025 – 32 L 25/25 – juris Rn. 31 f.; B.v. 24.4.2025 – 32 L 26/25 – juris Rn. 31 f.; VG Neustadt an der Weinstraße, B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW, S. 28 ff.; B.v. 28.4.2025 – 5 L 77/25.NW – S. 28 ff.). Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, welches gerade auch den Missbrauch prozessualer Rechte verhindern soll (BVerwG, U.v. 8. Juli 2009 – 8 C 4/09 – juris Rn. 24), ist ausnahmsweise dann zu verneinen, wenn objektiv erkennbar rechtsschutzfremde, rechtlich zu missbilligende Ziele verfolgt werden, die mit der Rechtsordnung nicht in Einklang stehen (BVerwG, U.v. 15.12.2020 – 10 C 24/19 – juris Rn. 11 f.; BayVGH, U.v. 20.12.1988 – 20 A 88.40073 – juris Rn. 15; Ehlers in Schoch/Schneider, VwGO, 46. EL August 2024, vor § 40 Rn. 98; Kopp in ders./Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, Vorb § 40 Rn. 52).
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Der beabsichtigte tatsächliche Vorteil, nämlich Nutzern in Deutschland den Zugriff auf das … … der Antragstellerin wieder zu eröffnen, stellt sich als rechtsmissbräuchlich dar. Denn der Antragstellerin, die sowohl die Grundverfügung vom 16. Juni 2020 missachtet als auch durch entsprechende Zwangsgeldandrohung und Zwangsgeldfestsetzung nicht zur Einhaltung der Grundverfügung angehalten werden konnte, und gegen die mangels entsprechendem Vollstreckungsabkommen mit Z. auch nicht vollstreckt werden konnte, kommt es primär auf die erneute Zugänglichmachung eines Internetangebots an, das mit sofort vollziehbaren Bescheid als unzulässig eingestuft und untersagt wurde. Es geht der Antragstellerin erkennbar darum, die Sperrverfügung, die erst dazu geführt hat, dass das Angebot … der Antragstellerin nicht mehr abrufbar ist, zu beseitigen, um im Anschluss von den fehlenden Vollstreckungsmöglichkeiten deutscher Behörden zu profitieren und die sofort vollziehbare Grundverfügung vom 16. Juni 2020 weiterhin unbeachtet zu lassen (vgl. VG Neustadt an der Weinstraße, B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW, S. 28; B.v. 28.4.2025 – 5 L 77/25.NW – S. 28; VG Berlin, B.v. 24.4.2025 – 32 L 25/25 – juris Rn. 31 f.; B.v. 24.4.2025 – 32 L 26/25 – juris Rn. 31 f.). Für eine solche Umgehung des deutschen Rechtssystems besteht keinerlei Rechtsschutzbedürfnis zur Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes. Vielmehr ist es der Antragstellerin zuzumuten, in Bezug auf die Grundverfügung den Rechtsweg weiterhin zu beschreiten und auf diese Weise ihre Rechte geltend zu machen. Der faktische Vorteil, dass bei Wegfall der Sperrverfügung keine Vollstreckungsmöglichkeiten deutscher Behörden bestehen, ist nicht schutzwürdig. Dies gilt vorliegend umso mehr, als die weiterhin sofort vollziehbare Grundverfügung und die Sperrverfügung dem Kindes- und Jugendschutz dienen, dem von der Rechtsordnung besondere Bedeutung beigemessen wird.
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Soweit die Antragstellerin vorträgt, sie sei durch die Sperrverfügung im Vergleich zur Grundverfügung in erhöhtem Maße beschwert, kann daraus nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gefolgert werden. Eine eigenständige Beschwer kann aus der Sperrverfügung nicht aufgrund dessen abgeleitet werden, dass die Sperrverfügung die Möglichkeit der Einrichtung einer geschlossenen Benutzergruppe nicht vorsieht (vgl. VG Berlin, B.v. 24.4.2025 – 32 L 25/25 – juris Rn. 3; B.v. 24.4.2025 – 32 L 26/25 – juris Rn. 33; VG Neustadt an der Weinstraße, B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW – S. 26 f.; B.v. 28.4.2025 – 5 L 77/25.NW – S. 26 f.). Diese mildere Maßnahmenoption, welche in der Grundverfügung vom 16. Juni 2020 als Alternative zur Untersagung der Verbreitung des Angebots der Antragstellerin vorgesehen ist, kommt schon aus rein technischen Gründen in Bezug auf die beigeladene … und Adressatin der Sperrverfügung nicht in Betracht, da diese keine Möglichkeit hat, eine geschlossene Benutzergruppe für die Antragstellerin einzurichten. Das Gericht kann auch insofern ein schutzwürdiges Interesse tatsächlicher Art der Antragstellerin nicht erkennen. Denn die Sperrverfügung war allein deshalb erforderlich, da die Antragstellerin sich weigerte eine solche geschlossene Benutzergruppe einzurichten und ihre Inhalte unverändert weiterhin zur Verfügung stellt. Es erscheint nunmehr äußerst konstruiert und rechtsmissbräuchlich, wenn die Antragstellerin sich auf die Möglichkeit der Einrichtung einer geschlossenen Benutzergruppe beruft – die ihr ja auch weiterhin offensteht – um ein Rechtschutzbedürfnis bezüglich der Sperranordnung zu begründen. Durch die an die … adressierte Sperrverfügung wird ihr diese Möglichkeit gerade nicht genommen.
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Auch der Umstand, dass in dem Falle der Befolgung der Grundverfügung und der Einrichtung einer solchen Benutzergruppe eine zeitliche Verzögerung in Bezug auf die Wiederzugänglichmachung ihres Telemedienangebots dadurch entstehen würde, dass in dem Falle auch die Sperrverfügung aufgehoben werden müsste, kann hier kein tatsächlich schutzwürdiges Interesse der Antragstellerin begründen (vgl. VG Berlin, B.v. 24.4.2025 – 32 L 25/25 – juris Rn. 33; B.v. 24.4.2025 – 32 L 26/25 – juris Rn. 33). Angesichts dessen, dass die Antragsgegnerin infolge der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) in einem solchen Fall die Sperrverfügung aufheben müsste, ist für das Gericht schon nicht erkennbar, woraus sich eine relevante zeitliche Verzögerung ergeben sollte. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Sperrverfügung nur deshalb erforderlich geworden ist, da die Antragstellerin sich offenbar auch unter Ausnutzung des mangelnden Vollstreckungsabkommens mit Z. beharrlich weigerte (und weiterhin weigert), der sofort vollziehbaren Grundverfügung Folge zu leisten.
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Das Rechtsschutzbedürfnis kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Antragstellerin vorträgt, der streitgegenständliche Bescheid sei nichtig (vgl. VG Berlin, B.v. 24.4.2025 – 32 L 25/25 – juris Rn. 28; B.v. 24.4.2025 – 32 L 26/25 – juris Rn. 28; VG Neustadt an der Weinstraße, B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW – S. 30 ff.; B.v. 28.4.2025 – 5 L 77/25.NW – S. 30 ff.). Zwar entfällt das Rechtschutzbedürfnis schon aus Gründen der Rechtsklarheit auch dann nicht, wenn ein Verwaltungsakt nichtig ist. Allerdings kann das Rechtsschutzbedürfnis in solchen Fällen nicht allein wegen der potentiellen Nichtigkeit eines Bescheids bejaht werden, sondern es bedarf darüber hinaus – wie oben dargelegt – eines schutzwürdigen rechtlichen oder tatsächlichen Interesses der Antragstellerin an der Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes. Da es an einem solchen geschützten Interesse auf Seiten der Antragstellerin fehlt, bedarf es auch keiner weiteren Klärung, ob die Sperrverfügung aufgrund einer fehlenden Beteiligung bzw. Benachrichtigung der Antragstellerin nichtig ist.
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Ferner gebieten auch die europarechtlichen Gebote der Effektivität und der Äquivalenz hier nicht die Bejahung eines Rechtsschutzbedürfnisses (vgl. VG Berlin, B.v. 24.4.2025 – 32 L 25/25 – juris Rn. 34; B.v. 24.4.2025 – 32 L 26/25 – juris Rn. 34; VG Neustadt an der Weinstraße, B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW – S. 24 f.; B.v. 28.4.2025 - 5 L 77/25.NW – S. 24 f.). Diese beiden Grundsätze besagen, dass der Vollzug von Unionsrecht sich nach den gleichen Regeln richten muss, wie für den Vollzug vergleichbaren nationalen Rechts; sowie, dass die Verwirklichung von Unionsrecht nicht durch das nationale Recht vereitelt werden darf (vgl. EuGH, U.v. 8.5.2024 – C-53/23 – juris Rn. 37 m.w.N.; Classen in Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV, 84. EL Januar 2025, Art. 197 Rn. 23). Diesen Grundsätzen wird vorliegend auch im Falle einer Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses der Antragstellerin Rechnung getragen. Denn bei dem Rechtsschutzbedürfnis handelt es sich um eine allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung, die sowohl in Fällen der Anwendbarkeit nationalen Rechts als auch von Unionsrecht Anwendung findet. Auch wird durch diese Zulässigkeitsvoraussetzung die Durchsetzung von Unionsrecht nicht vereitelt, da die in Betracht kommenden unionsrechtlichen Fragestellungen auch im Rahmen von Verfahren der … gegen die Sperrverfügung oder der Antragstellerin gegen die Grundverfügung geklärt werden können.
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2. Würde man entgegen des unter 1. Angeführten von der Zulässigkeit des Antrags ausgehen, wäre der Antrag gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. April 2024 jedenfalls unbegründet.
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Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist bei einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse vorzunehmen. Dabei nimmt das Gericht eine eigene, originäre Interessensabwägung vor, für die in erster Linie die Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich sind. Im Falle einer voraussichtlich aussichtslosen Klage besteht dabei kein überwiegendes Interesse an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Wird dagegen der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich erfolgreich sein, so wird regelmäßig nur die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Ist – wegen der besonderen Dringlichkeit oder der Komplexität der Rechtsfragen – eine Abschätzung über die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht möglich, sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (stRspr; siehe nur BVerwG, B.v. 22.3.2010 – 7 VR 1/10 – juris Rn. 13). Bei offenen Erfolgsaussichten ist demnach eine Interessenabwägung vorzunehmen, etwa nach den durch § 80 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO getroffenen Grundsatzregeln, nach der Gewichtung und Beeinträchtigungsintensität der betroffenen Rechtsgüter sowie der Reversibilität im Falle von Fehlentscheidungen.
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Nach dem jetzigen Erkenntnisstand ist der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache offen. Im Rahmen des Hauptsacheverfahrens wird voraussichtlich eine Vielzahl zum Teil schwieriger Rechtsfragen zu klären sein, die auch nicht im Wege einer summarischen Prüfung im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO geklärt werden können (so auch VG Neustadt an der Weinstraße, B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW – S. 35 f.; B.v. 28.4.2025 – 5 L 77/25.NW – S. 35 f.). Dies umfasst unter anderem Fragen der Anwendbarkeit der Vorschriften des JMStV nach dem Inkrafttreten des DSA, des Verstoßes von Vorschriften des JMStV gegen das Herkunftslandprinzip, der Geltung des JMStV für EU-ausländische Anbieter von Video-Sharing-Diensten sowie die Unanwendbarkeit entsprechender Normen aufgrund der Nichteinhaltung der Notifizierungspflicht gegenüber der Europäischen Kommission. Im Rahmen der damit gebotenen bloßen Interessensabwägung überwiegt das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung der Sperrverfügung vom 2. April 2024 das Interesse der Antragstellerin, den Vollzug der Sperrverfügung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen. Denn das im vorliegenden Fall in erheblichem Maße tangierte Rechtsgut des Jugendschutzes überwiegt etwaige primär wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin.
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Der Erlass der Sperrverfügung dient dem Jugendschutz, einem Rechtsgut mit Verfassungsrang, dem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine hohe Bedeutung zukommt und welches überdies ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen darstellt (vgl. BVerfG, B.v. 23.3.1971 – 1 BvL 25/61 – BVerfGE 30, 336-355, juris Rn. 35 f.; BVerfG, B.v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – NJW 1991, 1471 f.). Das sich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG ergebende Recht von Kindern und Jugendlichen auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit berechtigt den Staat dazu, sie von Einflüssen fernzuhalten, die sich auf ihre Einstellung zum Geschlechtlichen und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft nachteilig auswirken können (BVerfG, B.v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – NJW 1991, 1472). Auch auf europarechtlicher Ebene ist der Jugendschutz als Grundinteresse der Gesellschaft anerkannt (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 30.11.2021 – 27 L 1415/20 – juris Rn. 168 m.w.N.).
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Die Internetangebote der Antragstellerin gehören – wie von beiden Seiten unbestritten – zu den weltweit und auch in Deutschland größten und bekanntesten Möglichkeiten zum Konsum kostenloser pornografischer Darstellungen. Angesichts des hohen Verbreitungsgrads von Internetzugangsmöglichkeiten unter Kindern und Jugendlichen, von denen in Deutschland ca. 70% das Internet nutzen und dies auch mehrere Stunden täglich, (KIM-Studie 2022, Kindheit, Internet, Medien, abrufbar unter: https://mpfs.de/studie/kim-studie-2022/, Stand: 28.5.2025; OWZE, How's Life for Children in the Digital …, abrufbar unter: https://www.oecd.org/en/publications/hows-life-for-children-in-the-digital-age_0854b900-en.html, Stand: 28.5.2025) sowie des Umstands, dass ein beträchtlicher Teil der deutschen Kinder und Jugendlichen spätestens im Alter von 12 bis 15 Jahren in Kontakt mit pornografischen Inhalten im Internet kommt (siehe LfM NRW, Erfahrung von Kindern und Jugendlichen mit Sexting und Pornos, September 2024, abrufbar unter: https://www.medienanstalt-nrw.de/fileadmin/user_upload/Forschung/240911_Studie_PornoSextingJugendliche_LFMNRW.pdf, Stand: 28.05.2025), ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein solcher Kontakt über das Internetangebot der Antragstellerin erfolgt. Unter Berücksichtigung des hohen Schutzgutes der Entfaltung der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen und der Gefahren des Konsums pornografischer Darstellungen im Rahmen deren Entwicklung ist insoweit von einer erheblichen Gefährdung des Jugendschutzes durch das Internetangebot der Antragstellerin auszugehen. Wenngleich teilweise noch umstritten ist, inwiefern die Wahrnehmung sexueller Darstellungen im Rahmen der digitalen Mediennutzung Kindern und Jugendlichen schadet, ist angesichts des in Rede stehenden bedeutsamen Schutzgutes nicht abzuwarten, bis nachweislich in erheblichem Umfang Schädigungen bei jungen Erwachsenen auf den Konsum unzulässiger Pornografie in ihrer Kindheit und Jugend wissenschaftlich zurückgeführt werden können (überzeugend VG Düsseldorf, B.v. 30.11.2021 – 27 L 1415/20 – juris Rn. 195 ff.; so auch VG Neustadt an der Weinstraße, B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW, S. 39 f.; B.v. 28.4.2025 – 5 L 77/25.NW – S. 39 f.). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach die Mitgliedstaaten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit ihrer Bevölkerung auch dann ergreifen können, wenn eine Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens oder der Bedeutung der Gefahren besteht und das tatsächliche Bestehen einer Gefahr noch nicht vollständig bewiesen ist (EuGH, U.v. 19. Mai 2009 – C-171/07 und C-172/07).
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Das auf Seiten der Antragstellerin bestehende, im Wesentlichen wirtschaftliche, wenngleich auch etwa im Rahmen der Berufsausübungsfreiheit grundrechtlich geschützte Interesse an der möglichst baldigen Wideraufnahme der Zurverfügungstellung ihres Telemedienangebots steht hinter dem hochrangigen Rechtsgut des Jugendschutzes zurück. Dem Vortrag der Antragstellerin sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen, welche es gebieten, von der § 20 Abs. 5 Satz 3 JMStV immanenten gesetzlichen Wertung eines Überwiegens des öffentlichen Vollzugsinteresses abzuweichen. Die Antragstellerin hat in keiner Weise substantiiert dargelegt, inwiefern ihre wirtschaftlichen Interessen durch die Sperrung der streitgegenständlichen Internetseite einen schweren und existenzbedrohenden Schaden erleiden würden (vgl. auch VG Neustadt an der Weinstraße, B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW, S. 41; B.v. 28.4.2025 – 5 L 77/25.NW – S. 41; VG Düsseldorf, U.v. 4.4.2023 – 27 K 3905/20 – juris Rn. 262; B.v. 9.1.2024 – 27 L 3303/23 – juris Rn. 24 ff.). Das Gericht kann nicht erkennen, inwiefern der Wegfall des deutschen Marktes zu signifikanten Umsatzeinbußen führen sollte, zumal die Antragstellerin in keiner Weise dargelegt hat, wie ihr Umsatz generiert wird bzw. auf welche Weise das zugrundeliegende Geschäftsmodell operiert. In diese Bewertung ist miteinzustellen, dass die Antragstellerin weltweit mit mehreren gut frequentierten Internetangeboten tätig ist. Relevante Umsatzeinbußen sind auch deswegen wenig realistisch, da die Antragstellerin unter den nur leicht abgewandelten URLs … und … (welches Nutzer nach einem Klick auf das Pop-up-Fenster „Besuchen Sie jetzt … auf die URL … weiterleitet), weiterhin deutschen Nutzern, ohne Einrichtung einer geschlossenen Benutzergruppe, durch die sichergestellt wird, dass nur Erwachsene Zugang zu den pornografischen Inhalten erhalten, ihr Internetangebot zur Verfügung stellt. Die entsprechenden Angebote werden ausweislich des Abschnitts „Nutzungsbedingungen“ bzw. … … … (abrufbar unter: … … …*) durch die Antragsgegnerin betrieben. Angesichts der leichten Auffindbarkeit dieser Internetangebote, die beispielsweise bei Google unter den ersten Ergebnissen bei der Suche nach dem Begriff „…“ erscheinen und die, nach der per Mausklick zu tätigenden Erklärung, mindestens 18 Jahre alt zu sein, ohne weiteres besucht werden können, ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass ein Großteil der deutschen Nutzer weiterhin die Angebote der Antragstellerin wahrnimmt. Auch unabhängig von dem Betreiben dieser Angebote kann das Gericht aufgrund der schieren Größe und weltweiten Bekanntheit des Telemedienangebots der Antragstellerin nicht erkennen, dass infolge der sofort vollziehbaren Sperrverfügung der Bekanntheit ihres Telemedienangebots ein derartiger Abbruch getan wird, dass im Falle der Wideraufnahme ihr Angebot von deutschen Nutzern nicht mehr angenommen werden würde. Dies alles spricht angesichts des relativ geringen Suspensivinteresses der Antragstellerin für eine Beibehaltung der Vollzugsanordnung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene hat ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit nicht dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Die Antragstellerin hat im vorliegenden Verfahren keine näheren Angaben zum Streitwert getätigt. Im Rahmen der Schätzung nach § 52 Abs. 1 GKG orientiert sich das Gericht an Ziffer 54.2.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wonach die Gewerbeuntersagung in Bezug auf ein ausgeübtes Gewerbe mit dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns, mindestens 15.000 Euro, anzusetzen ist (so auch VG Düsseldorf, B.v. 9.1.2024 – 27 L 3303/23 – juris Rn. 41; VG Berlin, B.v. 24.4.2025 – 32 L 25/25 – juris Rn. 37; B.v. 24.4.2025 – 32 L 26/25 – juris Rn. 37).
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Die Orientierung an Ziffer 54.2.1. ist dadurch gerechtfertigt, dass die streitgegenständliche Sperrverfügung zu einer – der Gewerbeuntersagung vergleichbaren – nahezu vollständigen Beschränkung des Dienstleistungsangebotes der Antragstellerin in Bezug auf das Telemedienangebot … führt. Im vorliegenden Fall kann, angesichts dessen, dass die Antragstellerin einen weltweiten Jahresumsatz von mehreren hundert Millionen US-Dollar erzielt (vgl. VG Berlin, B.v. 24. April 2025 – 32 L 25/25 – juris Rn. 38; B.v. 24.4. 2025 – 32 L 25/25 – juris Rn. 38), der Betrag von 15.000 Euro nicht als ausreichend angesehen werden. Daher ist ein Streitwert von 100.000 Euro anzusetzen, der sich auch an dem seitens der Antragstellerin im Parallelverfahren vor dem Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße behaupteten wirtschaftlichen Interesse (B.v. 28.4.2025 – 5 L 76/25.NW – S. 43; B.v. 28.4.2025 – 5 L 77/25.NW – S. 43), sowie Streitwertfestsetzungen in der Rechtsprechung bezüglich ähnlicher Sperrverfügungen orientiert (vgl. auch BayVGH, B.v. 23.3.2023 – 23 CS 23.195 – juris Rn. 44 sowie VG Köln, B.v. 15.2.2023 – 24 L 1718/22 – juris Rn. 69, welche in Bezug auf vergleichbare glückspielrechtliche Sperrverfügungen ebenfalls von einem Streitwert in dieser Höhe ausgegangen sind). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war der Streitwert gemäß Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes zu reduzieren, womit sich ein Streitwert i.H.v. 50.000 Euro ergibt.