Inhalt

OLG München, Beschluss v. 18.02.2025 – 11 W 124/25 e
Titel:

Prozeßbevollmächtigter, Rechtsmißbrauch, Erbengemeinschaft, Kostenfestsetzungsbeschluß, Zwangsversteigerungsverfahren, Sofortige Beschwerde, Teilungsversteigerungsverfahren, Rechtsmissbräuchliches Verhalten, Rechtspfleger, Kostenfestsetzungsverfahren, Erstattungsfähige, Eigener Anwalt, Kostenfestsetzungsantrag, Nichtabhilfeentscheidung, Freie Anwaltswahl, Mandatierung, Beauftragung, Mehrvertretungszuschlag, Ausgleichsanspruch, Rechtsanwaltes

Schlagwort:
Zivilprozess
Vorinstanz:
LG Memmingen, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.12.2024 – 36 O 1607/23
Fundstellen:
JurBüro 2025, 254
LSK 2025, 11966
BeckRS 2025, 11966

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 3) wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.12.2024 dahingehend abgeändert, dass über damit bereits festgesetzten Betrag von Euro 237,76 hinaus zu Gunsten der Beklagten zu 3) weitere Kosten in Höhe von Euro 1.898,21 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2024 zu erstatten sind.
II. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) im Beschwerdeverfahren.
III. Der Wert der Beschwerde beträgt Euro 1.898,21.

Gründe

I.
1
Die Beklagten sind Schwestern und bilden eine Erbengemeinschaft. Auf Betreiben zunächst der Beklagten zu 1), später auch der Beklagten zu 2), wurde die Aufhebung der Erbengemeinschaft eingeleitet und hierzu in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Ulm – Az.: 2 K 58/21 – mit Beschluss vom 29.11.2021 die Zwangsversteigerung der in die Erbmasse fallenden Grundstücke angeordnet. Ferner beantragte die Beklagte zu 3), die hieraus Grundstücke ersteigert hatte, in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Memmingen – Az.: XV 2/22 – gegen die Beklagten zu 1) und 2) eine Hofzuweisung.
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Die Beklagte zu 1) wurde in dem Zwangsversteigerungsverfahren von den Rechtsanwälten M., A., vertreten, die Beklagte zu 2) von Rechtsanwalt R., …, die Beklagte zu 3) von den Rechtsanwälten H. und Z., …, die auch im Hofzuweisungsverfahren für sie auftraten.
3
Das nunmehrige Verfahren mit der beschwerdegegenständlichen Kostenfestsetzung wurde eingeleitet durch die mit Schriftsatz vom 21.11.2023 erhobene Klage eines weiteren Ersteigerers, mit der er die Löschung einer Eigentümerbuchgrundschuld/Gesamtgrundschuld auf dem von ihm erworbenen Grundstück geltend machte. Die Klage richtete sich gegen die drei Beklagten als Parteien der Erbengemeinschaft. Die Beklagte zu 1) wurde anfänglich von den Rechtsanwälten M. vertreten, ab 08.01.2024 dann durch Rechtsanwalt R., der auch (wieder) Prozessbevollmächtigter der Beklagten zu 2) war. Für die Beklagte zu 3) war erneut deren Bevollmächtigter im Zwangsversteigerungs- und im Hofzuweisungsverfahren, Rechtsanwalt H., tätig. Dieser schloss sich in seinen Schriftsätzen vom 23.01.2024 sowie vom 25.03.2024 den Ausführungen des Beklagtenvertreters zu 2) an. Nach einer Klageänderung erließ das Landgericht Memmingen am 16.07.2024 ein Endurteil, mit dem es die Klage abwies und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegte.
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Mit Antrag gleichen Datums beantragte die Beklagte zu 3) die Festsetzung ihrer Kosten, wobei sie die anwaltlichen Gebühren ihres Prozessbevollmächtigten – in voller Höhe – geltend macht. Demgegenüber ist der Kläger der Auffassung, die Kosten eines eigenen Anwaltes für die Beklagte zu 3) seien nicht erstattungsfähig; ein sachlicher Gesichtspunkt, weshalb diese sich nicht ebenso von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) habe vertreten lassen, sei nicht ersichtlich. Streitigkeiten der Erbengemeinschaft hätten keinen Bezug zu dem vorliegenden Rechtsstreit und seien daher im Verhältnis zum Kläger unbeachtlich. Die Beklagte zu 3) habe sich in ihren Schriftsätzen auch nur den Ausführungen des Vertreters der Beklagten zu 1) und 2) angeschlossen.
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Die Beklagte zu 3) verweist insoweit auf ihr Recht auf freie Anwaltswahl; nachdem ihre Schwestern das Verfahren auf Teilungsversteigerung gegen sie betrieben hätten, sei es ihr nicht zumutbar gewesen, im vorliegenden Fall deren im Zwangsversteigerungs- und im Hofzuweisungsverfahren gegen sie tätigen Rechtsanwalt R. zu beauftragen. Dieser hätte sich zudem der Gefahr einer Interessenkollision ausgesetzt. Auf die Korrespondenz der Parteien im Übrigen wird Bezug genommen.
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In dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss zu Gunsten der Beklagten zu 3) folgte die Rechtspflegerin der Argumentation des Klägers:
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Das Vorbringen erheblicher Differenzen zwischen den Mitgliedern der Erbengemeinschaft reiche nicht aus, um die Mandatierung eines eigenen Anwaltes durch die Beklagte zu 3) begründen zu können, entsprechende Mehrkosten habe der Kläger daher nicht zu erstatten. Zu deren Gunsten festsetzungsfähig sei lediglich die fiktive Mehrvertretungsgebühr; nach Aktenlage sei nicht ersichtlich, wieso eine Vertretung durch mehrere Anwälte erforderlich gewesen sei.
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Dagegen wendet sich die Beklagte zu 3) mit ihrer sofortigen Beschwerde, zu deren Begründung sie im Wesentlichen anführt, die Beklagten zu 1) und 2), als Betreiberin des Teilungsversteigerungsverfahrens und als Gegnerinnen des Verfahrens zur Hofzuweisung, hätten in einem eigenen „Lager“ gestanden; zudem sei es deren anwaltlichem Vertreter, Rechtsanwalt R., in dem vorliegenden Verfahren schon aus berufsrechtlichen Gründen gar nicht erlaubt gewesen, auch die Beklagte zu 3) zu vertreten. Anders als die Beklagten zu 1) und 2) hätte die Beklagte zu 3) auch Grundstücke ersteigert.
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In ihrer Nichtabhilfeentscheidung verweist die Rechtspflegerin darauf, etwaige Differenzen zwischen den Miterbinnen müssten sich auf den konkreten Rechtsstreit beziehen, um für die Beklagte zu 3) die Erstattungsfähigkeit eines eigenen Anwalts annehmen zu können; das sei nicht der Fall.
II.
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Die gemäß §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
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1. Die Ausgangsüberlegung des Landgerichts ist durchaus zutreffend, wonach unterschiedliche Interessen von Beklagten im Innenverhältnis nicht unbedingt dazu führen müssen, dass jeder von ihnen sich eines eigenen Anwaltes bedienen kann.
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a) Zwar kann eine Partei gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO grundsätzlich die Aufwendungen eines eigenen Rechtsanwaltes beanspruchen. Im Falle einer Rechtsmissbräuchlichkeit allerdings, d.h. wenn kein sachlich plausibler Grund für die Beauftragung eines jeweils eigenen Anwaltes besteht, sind nur die (fiktiven) Kosten eines Prozessbevollmächtigten, erhöht um den Mehrvertretungszuschlag, erstattungsfähig (s. z.B. BGH, Beschluss vom 19.09.2017 – VI ZB 72/16; Beschluss vom 20.06.2017 – VI ZB 55/16 Tz. 8 ff.; Senatsbeschluss vom 06.12.2019 – 11 W 930/19; Senatsbeschluss v. 02.03.2016 – 11 W 161/16; OLG Koblenz, Beschluss vom 07.09.2012 – 14 W 500/12; ausführlich Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., VV 1008 Rn. 366 ff., 374 – dort allerdings unter Überbewertung des BGH-Beschlusses vom 13.10.2011 – V ZB 290/10: In Tz. 8 dieser Entscheidung geht der BGH nach wie vor davon aus, rechtsmissbräuchliches Verhalten sei anzunehmen, wenn für die Beauftragung eines eigenen Prozessbevollmächtigten kein sachlicher Grund bestehe, mithin plausible und schutzwürdige Belange nicht vorlägen). Grundsätzlich richtig ist daher der Gedanke des Landgerichts, mögliche Ausgleichsansprüche von Beklagten untereinander seien in dieser Hinsicht nicht entscheidend, da diese nicht Gegenstand des zu führenden Rechtsstreits, sondern allenfalls dessen Folge seien (BGH, Beschluss vom 02.05.2007 – XII ZB 156/06 Tz. 19).
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b) Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 3) geht es dabei nicht um das Recht auf freie Anwaltswahl: Es steht einer Partei selbstverständlich frei, einen eigenen Anwalt zu wählen – davon zu trennen ist indes die Frage, ob der Gegner dessen Kosten in jedem Falle zu erstatten hat. Im Falle des Fehlens von sachlichen Gründen für die Beauftragung mehrerer Anwälte ist dies gerade nicht der Fall. Eine Partei ist nämlich unter dem Gesichtspunkt der Kostengeringhaltung verpflichtet, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle eines Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (BGH, Beschluss vom 02.05.2007, a.a.O., Tz. 12).
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Es handelt sich genau besehen um eine letztlich auf dem Prinzip von Treu und Glauben beruhende Obliegenheit – nicht: Pflicht – der Partei, die einer schrankenlosen bzw. „optimalen“ Prozessführung auf Kosten der Gegenseite entgegensteht (vgl. zuletzt OLG Celle, Beschluss vom 19.06.2023 – 2 W 75/23). Dabei hat der BGH mehrfach betont, der Charakter des Kostenfestsetzungsverfahrens als „Massenverfahren“ bzw. als bloßes auf Praktikabilität hin ausgelegtes A.-Verfahren zur Hauptsache stehe dem Erfordernis einer Einzelfallprüfung auf das Vorliegen von Rechtsmissbrauch nicht entgegen (z.B. Beschluss vom 20.05.2014 – VI ZB 9/13; Beschluss vom 20.11.2012 – VI ZB 3/12; freilich scheint dies häufig viel verlangt vom Rechtspfleger).
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2. Nach diesen Grundsätzen ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten zu 3) durch Beauftragung eines eigenen Prozessbevollmächtigten hier nicht erkennbar:
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a) Dafür spricht bereits, dass – anders als in sonstigen Fällen – die Interessengegensätze zwischen den Beklagten/Streitgenossen nicht erst künftig auftreten können, vielmehr bereits offen zutage liegen. Sowohl das von den Beklagten zu 1) und 2) betriebene Zwangsversteigerungsverfahren wie auch das gegen diese geführte Hofzuweisungsverfahren sind Streitigkeiten, die bereits bei Erhebung der Klage in dem hier vorliegenden Rechtsstreit (offensichtlich intensiv) ausgefochten wurden.
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Für die Obliegenheit der Mandatierung eines gemeinsamen Anwaltes bzw. eine Vertretung auch der Beklagten zu 3) durch den Bevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) im hiesigen Prozess mag sprechen, dass der anwaltliche Vertreter der Beklagten zu 3) sich in mehreren Schriftsätzen lediglich den Ausführungen des Beklagtenvertreters zu 1) und 2) angeschlossen hat. Insofern ging es sämtlichen Beklagten darum, eine Abweisung der Klage zu erreichen. Weiter hatte der Beklagtenvertreter zu 2) in dem Teilungsversteigerungsverfahren anfangs offensichtlich auch die Beklagte zu 2) gegen die Beklagte zu 1) vertreten, ohne dass dies ein Hindernis gewesen wäre, im vorliegenden Verfahren später für beide tätig zu werden.
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b) Andererseits hat der Kläger selbst (im Schriftsatz vom 21.09.2023, Anlage K 7) den Beklagtenvertreter zu 2) darauf hingewiesen, dieser könne nach § 3 BORA „keinesfalls“ die Erbengemeinschaft vertreten; man behalte sich – berufsrechtliche – Weiterungen ausdrücklich vor.
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Berücksichtigt man, dass die Beklagte zu 3) Grundstücke ersteigert hat, die Beklagten zu 1) und 2) hingegen nicht, so spricht dies gegen ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im genannten Sinne. Die Streitigkeiten zwischen Beklagter zu 1) und 2) einerseits und Beklagter zu 3) andererseits hatten bereits zu zwei Gerichtsverfahren geführt, bei denen der Beklagtenvertreter zu 2) die Gegnerinnen der Beklagten zu 3) vertreten hatte. Unter diesen Umständen hält es auch der Senat für die Beklagte zu 3) nicht für zumutbar, isoliert für das vorliegende Verfahren, ebenfalls den Beklagten zu 2) zu mandatieren. Insofern ist ein – gegenwärtiger – Interessenkonflikt denkbar. Ob ein berufsrechtliches Gutachten wirklich zu dem Ergebnis käme, § 3 BORA stünde einer Mandatierung des Beklagtenvertreters zu 2) – etwa im Falle einer ganz exakten Festlegung von dessen Befugnissen – entgegen, mag dahinstehen; bei der hier gegebenen Konstellation jedenfalls läge ein Interessenkonflikt nahe und wäre es zu viel verlangt von der Beklagten zu 3), auf ihren, bereits eingearbeiteten, Anwalt zu verzichten und ungeachtet der laufenden Verfahren gegen die Beklagten zu 1) und 2) nunmehr gerade auf deren Prozessbevollmächtigten in diesen Rechtsstreitigkeiten zurückzugreifen.
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3. Das bedeutet, dass dem Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten zu 3) vollumfänglich stattzugeben ist (dessen Höhe nicht angegriffen ist und Rechtsfehler auch nicht erkennen lässt). Angemerkt sei, dass selbst bei Annahme einer Obliegenheit der Beklagten, einen gemeinsamen Rechtsanwalt zu beauftragen, eine Kostenerstattung nach Kopfteilen geboten wäre, d.h. jede Beklagte 1/3 der Kosten des gemeinsamen Anwaltes beanspruchen könnte; dabei stünde einem Erstattungsanspruch dieser Art ein bereits rechtskräftiger (zu hoher) Kostenfestsetzungsbeschluss nicht entgegen (vgl. Müller-Rabe a.a.O. VV 1008 Rn. 312 ff., 387 ff.).
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4. Kosten: § 91 Abs. 1 ZPO.