Titel:
Nichteinladung zu Bewerbungsgespräch, Bewerber mit Schwerbehinderung, Entschädigung
Normenketten:
AGG § 15 Abs. 2
SGB IX § 165 S. 3
Schlagworte:
Nichteinladung zu Bewerbungsgespräch, Bewerber mit Schwerbehinderung, Entschädigung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 11592
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der 1989 geborene Kläger begehrt unter Berufung darauf, dass er im Rahmen eines von der Beklagten durchgeführten Einstellungsverfahrens als Schwerbehinderter diskriminiert worden sei, eine Entschädigung.
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Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.
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Der Kläger hat erfolgreich am Auswahlverfahren des Bayerischen Landespersonalausschusses für den Studiengang Diplom-Verwaltungswirt (FH) teilgenommen. Mit E-Mail vom … Dezember 2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er aufgrund des erzielten Ergebnisses im Auswahlverfahren für eine Einstellung bei der Beklagten in Betracht komme, er aber für eine Einstellung alle beamtenrechtlichen Voraussetzungen erfüllen und entsprechende Bewerbungsunterlagen einreichen müsse. Wörtlich heißt es weiter: „Wir behalten uns vor, Sie gegeben falls zusätzlich zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.“
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Unter Hinweis auf die Schwerbehinderung bewarb sich der Kläger mit Schreiben vom … Dezember 2022 bei der Beklagten.
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Mit E-Mail vom … Januar 2023 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass es im Rahmen der Vorauswahl leider nicht möglich sei, den Kläger weiter zu berücksichtigen. Eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch hat nicht stattgefunden.
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Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2023 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Arbeitsgericht München erhoben. Mit Beschluss vom 26. April 2023 wurde der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht München verwiesen.
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Der Kläger beantragt mit Schriftsatz vom 21. Februar 2023,
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die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 35.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit … Februar 2023 zu bezahlen.
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Die Beklagte habe durch die Nichteinladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch gegen die Einladungspflicht aus § 165 Satz 3 des Neunten Sozialgesetzbuchs/SGB IX verstoßen. Die Nichteinladung stelle eine Diskriminierung dar, sodass der Kläger gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) einen Anspruch auf angemessene Entschädigung habe. Zur Ermittlung der Schadenshöhe sei zu berücksichtigen, dass diese im Ermessen des Gerichts stehe, jedoch eine abschreckende Wirkung haben müsse und nach der Rechtsprechung vorliegend ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 35.000,00 EUR als angemessen erachtet werde.
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Die Beklagte hat beantragt,
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Die Auswahl der Beamtenanwärter sei allein nach Aktenlage erfolgt. Mit Beschluss des Stadtrates vom … Dezember 2022 sei das Abhalten eines gesonderten, wissenschaftlich fundierten Auswahlverfahrens nach Art. 22 LlbG aufgehoben worden. Bei der Beklagten werde bei der Einstellung der Beamtenanwärter bei einer Bewerbung für den Studiengang Diplom-Verwaltungswirt (FH) seit dem Anfang Dezember 2022 begonnenen Bewerbungszeitraum für den Einstellungstermin ... Oktober 2023 auf die Durchführung von Vorstellungsgesprächen verzichtet. Auch in dem vorliegenden Auswahlverfahren seien keinerlei Vorstellungsgespräche durchgeführt, sondern allein nach Aktenlage entschieden worden.
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Es bestünde kein Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Eine Benachteiligung wegen Behinderung nach § 7 AGG liege nicht vor. Insbesondere sei eine Benachteiligung nicht durch einen Verstoß gegen die Einladungspflicht nach § 165 SGB IX indiziert. Zweck des § 165 Satz 3 SGB IX sei es, Chancengleichheit zu schaffen und bestehende Nachteile für Bewerber mit Schwerbehinderung am Arbeitsmarkt auszugleichen. Da im vorliegenden Fall allerdings keine Vorstellungsgespräche durchgeführt und eine Auswahl allein nach Aktenlage getroffen worden sei, könne eine Einladungspflicht nach § 165 S. 3 SGB IX nicht bestehen.
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Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2025 sowie 12. Mai 2025 führt die Klagepartei weiter aus, dass eine Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bestanden habe. Der Verweis der Beklagten auf eine Änderung der Auswahlverfahrenssatzung greife nicht. Der in Bezug genommene Beschluss des Stadtrats vom … Dezember 2022 sehe ausdrücklich vor, dass die geänderte Praxis – d.h. Auswahl ohne Vorstellungsgespräch allein nach Platzziffer – erst ab dem Einstellungsjahr 2024 Anwendung finden solle. Der streitgegenständliche Einstellungszeitraum sei jedoch unzweifelhaft auf das Jahr 2023 bezogen. Zudem berufe sich die Beklagte auf eine Entscheidung nach Platzziffern. Der Kläger habe jedoch eine gute Platzziffer erreicht. Wäre diese tatsächlich das alleinige Entscheidungskriterium gewesen, hätte der Kläger – gerade auch in Ansehung seiner Schwerbehinderung – vorrangig berücksichtigt werden müssen. Das Fehlen einer Einladung trotz guter Platzziffer würde gerade darauf hindeuten, dass andere, nicht objektiv gerechtfertigte Kriterien ausschlaggebend gewesen sei. Dies indiziere eine unmittelbare Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 1 AGG.
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Am 12. Mai 2025 hat mündliche Verhandlung stattgefunden.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf das Protokoll vom 12. Mai 2025 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von mindestens 35.000,00 EUR aus § 15 Abs. 1 und 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes/AGG i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG nicht zu, weil kein Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung von Schwerbehinderten zu erkennen ist.
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a) Die Beklagte ist als öffentliche Arbeitgeberin im Sinne von § 6 Abs. 1 AGG i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG gegenüber dem Kläger, der als Bewerber für ein Beamtenverhältnis als Beschäftigter im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG gilt, nur dann nach Maßgabe der §§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG zu einer Entschädigungszahlung verpflichtet, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot im Sinne von § 7 Abs. 1 AGG vorliegt. Zwar wird der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nur in § 15 Abs. 1 AGG als Tatbestandsvoraussetzung für den Ersatz – hier nicht im Vordergrund stehender – materieller Schäden ausdrücklich genannt. Dem Charakter des § 15 AGG als umfassender Regelung der finanziellen Einstandspflicht des Arbeitgebers bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot entspricht es aber, auch die Entschädigung immaterieller Schäden nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG an einen derartigen Verstoß zu binden (hierzu BVerwG, U.v. 3.3.2011 – 5 C 16.10 – BVerwGE 139, 135, juris Rn. 14 m.w.N.; VGH BW, U.v. 10.9.2013 – 4 S 547/12 – juris, Rn. 22).
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Nach dem Benachteiligungsverbot im Sinne von § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, beispielsweise einer Behinderung, benachteiligt werden. Der Kläger kann sich auf den Grund der Behinderung im Sinne des § 1 AGG stützen, da er mit einem nachweislichen GdB von 50 schwerbehindert ist, § 2 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Es ist jedoch nicht erkennbar, dass der Kläger von der Beklagten behinderungsbedingt benachteiligt wurde, als er infolge seiner Bewerbung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist.
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Eine Benachteiligung im Sinne des Benachteiligungsverbots des § 7 AGG ist jede unterschiedliche Behandlung, die mit einem Nachteil verbunden ist; nicht erforderlich ist, dass in Benachteiligungsabsicht gehandelt oder die Benachteiligung sonst schuldhaft bewirkt worden ist. Nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die unmittelbare Benachteiligung kann auch in einem Unterlassen liegen (vgl. BTDrs 16/1780 S. 32). Für die gegenüber anderen weniger günstige Behandlung als solche trägt die Beschäftigte oder der Beschäftigte mangels einer abweichenden Regelung nach den allgemeinen Grundsätzen die Beweislast. § 22 AGG greift insoweit nicht ein (vgl. BTDrs 16/1780 S. 47; zu alledem BVerwG, U.v. 3.3.2011 – 5 C 16.10 – BVerwGE 139, 135, juris Rn. 17; vgl. auch VGH BW, U.v. 6.2.2012 – 4 S 82/12 – AE 2012, 142, juris Rn. 32).
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b) Indem die Beklagte den Kläger infolge seiner Bewerbung auf das duale Studium „Studiengang Diplom-Verwaltungswirt (FH)“ nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, hat diese nicht gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen. Denn der Kläger ist im Bewerbung- und Einstellungsverfahren so behandelt worden wie jeder andere Bewerber auch.
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aa) Zwar sind schwerbehinderte Menschen gemäß § 165 Satz 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie sich bei einem öffentlichen Arbeitgeber um einen Arbeitsplatz beworben haben oder von der Bundesagentur für Arbeit vorgeschlagen worden sind. Diese Bestimmung räumt schwerbehinderten Bewerbern nach Maßgabe dieser Normen einen Anspruch darauf ein, von dem öffentlichen Arbeitgeber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Sie sollen unabhängig von der Gestaltung und dem Ablauf des konkreten Stellenbesetzungsverfahrens die Gelegenheit erhalten, den öffentlichen Arbeitgeber in einem Vorstellungsgespräch von ihrer Leistungsfähigkeit und Eignung zu überzeugen. Dieser soll sich über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen hinaus einen persönlichen Eindruck von schwerbehinderten Bewerbern, ihrem Auftreten und ihrer Leistungsfähigkeit verschaffen. Dadurch sollen die Erfolgschancen schwerbehinderter Bewerber verbessert werden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers stellt das Vorstellungsgespräch ein geeignetes Mittel dar, um eventuelle Vorbehalte oder gar Vorurteile auszuräumen und Hilfskriterien zugunsten schwerbehinderter Bewerber stärker zur Geltung zu bringen (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.2011 – 2 A 13.10 – NVwZ-RR 2012, 320, juris Rn. 16; NdsOVG, B.v. 24.10.2018 – 5 ME 82/18 – juris Rn. 28).
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Eine den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG auslösende Benachteiligung i.S.v. § 7 AGG ist durch einen Pflichtverstoß nicht gegeben, sondern lediglich eine – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer) Behinderung. Die Rechtsfolge einer Entschädigung ergibt sich nach dem gesetzlichen Regelungsgefüge vielmehr erst dann, wenn die durch den Verstoß begründete Indizwirkung einer Benachteiligung nicht entkräftet werden kann (VGH BW, U.v. 4.8.2009 – 9 S 3330/08 – juris Rn. 44; U.v. 6.2.2012 – 4 S 82/12 – juris Rn. 46; BAG, U.v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18 – juris Rn 38 ff. mit umfangreichen Ausführungen zum Willen des Gesetzgebers und der Entstehungsgeschichte des § 82 Satz 2 SGB IX aF, nunmehr § 165 SGB IX; BVerwG, B.v. 22.2.2008 – 5 B 209/07 – juris Rn. 6).
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bb) Ob die Klagepartei die gegenüber anderen Bewerbern weniger günstige Behandlung – nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislast – in ausreichendem Maße dargelegt hat, oder ob im vorliegenden Fall eine vermutete Kausalität zwischen Verstoß gegen die gesetzliche Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch und der Ungleichbehandlung angenommen werden muss, kann letztlich dahinstehen, da die Beklagte jedenfalls die Indizwirkung durch Antritt des Gegenbeweises entkräftet hat, sodass keine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Bewerbern gegeben ist.
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Die Vertreter der Beklagten führten in der mündlichen Verhandlung aus, dass zwar im Stadtratsbeschluss vom … Dezember 2022 auf Seite 11 für das Auswahlverfahren ausschließlich nach Aktenklage als Beginn das Jahr 2024 vorgesehen worden sei.
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Die Satzung vom … Dezember 2010, die ein gesondertes wissenschaftlich fundiertes Auswahlverfahren vorgesehen hat, ist ausdrücklich im Stadtratsbeschluss vom … Dezember 2022 aufgehoben worden.
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Die Formulierung in der E-Mail vom … Dezember 2022 „Wir behalten uns vor, Sie gegebenenfalls zusätzlich zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen“, erklärt sich das Gericht damit, dass diese vor Erlass des Stadtratsbeschlusses erfolgt ist. Ein Indiz dafür, dass Vorstellungsgespräche mit anderen Bewerbern geführt worden sind stellt diese Formulierung somit nicht dar.
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Weiter haben die Vertreter der Beklagten wörtlich ausgeführt „Wir haben tatsächlich im Einstellungsjahr 2023 keine Vorstellungsgespräche für die Einstellung für die 3. QE geführt“. Die Vertreter der Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung somit plausibel, widerspruchsfrei und schlüssig dargelegt, dass es zum Einstellungstermin 2023 bei keinem Bewerber für die dritte Qualifikationseben ein Vorstellungsgespräch gegeben hat. Eine Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber anderen Bewerbern ist somit durch die Beklagte zur Überzeugung des Gerichts widerlegt worden.
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2. Da der Erstattungsanspruch nicht besteht, ist auch der Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen abzulehnen (§§ 291 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 BGB).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nicht nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei, da der Entschädigungsanspruch nach §§ 15 Abs. 1 und 2, 7 Abs. 1 AGG nicht das Sachgebiet der Schwerbehindertenfürsorge betrifft (vgl. VGH BW, B.v. 12.7.2010 – 4 S 1333/10 – juris Rn. 3 ff.).
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.