Inhalt

VG München, Urteil v. 15.05.2025 – M 27 K 24.5168
Titel:

Erfolglose Klage gegen Ausweisung wegen Sexualdelikten

Normenkette:
AufenthG § 1 Abs. 2 Nr. 1, § 53 Abs. 1
Leitsätze:
1. Beanstandungsfreies Verhalten eines noch inhaftierten Ausländers während des Strafvollzugs allein lässt eine konkrete Wiederholungsgefahr nicht wegfallen (Anschluss an BeckRS 2023, 15624). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die von Sexualdelikten betroffenen Schutzgüter der sexuellen Selbstbestimmung, der Würde des Opfers und seiner körperlichen sowie seelischen Integrität weisen in der Werteordnung des Grundgesetzes einen hohen Stellenwert auf. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Peruanischer Staatsangehöriger, Langjähriger Aufenthalt, Erhebliche Straffälligkeit, Sexueller Missbrauch von Kindern, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Befristung, Sexualdelikte, Wiederholungsgefahr, beanstandungsfreies Verhalten im Strafvollzug, Ausweisungsinteresse, Grad der Verwurzelung des Ausländers
Fundstelle:
BeckRS 2025, 11590

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger, ein am … … … in … geborener peruanischer Staatsangehöriger, wendet sich mit seiner Klage gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.
2
Der Kläger reiste nach mehrmonatigen Voraufenthalten in den Jahren 1992, 1993 und 1994 am 25. November 1994 erneut in das Bundesgebiet ein und stellte am … … 1995 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Hierin gab er an, dass er mit einer am 13. August 1972 geborenen britischen Staatsangehörigen verheiratet sei und legte die beglaubigte Abschrift einer Heiratseintragung des Standesamts des Bezirks …, Vereinigtes Königreich, vom … … 1994 vor. Es erfolgte eine gemeinsame Wohnsitznahme in …
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Am 5. August 1996 verließ der Kläger das Bundesgebiet und reiste am 5. Oktober 1996 mit Schengen-Visum erneut ein.
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Am 18. Oktober 1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug und zur Arbeitsaufnahme und gab an, einen am … … 1995 in … geborenen Sohn mit britischer Staatsangehörigkeit zu haben.
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Am 5. Juni 1998 erteilte die Beklagte dem Kläger eine bis zum 7. Dezember 1999 gültige Aufenthaltserlaubnis für EG-Angehörige, welche in der Folge fortlaufend verlängert wurde. Seit 1. August 2006 ist der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
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Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 16. März 2023 (Az. 859 Ls 455 Js 100479/22) wurde der Kläger wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Inhalte in Tatmehrheit mit Besitz kinderpornographischer Inhalte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Opfer der Tat war die zum Tatzeitpunkt siebenjährige Tochter einer Bekannten des Klägers. Im Rahmen der Durchsuchung der Wohnung des Klägers wurde das zu der Verurteilung wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften führende Bildmaterial gefunden. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin wurde das amtsgerichtliche Urteil durch Urteil des Landgerichts München I (Az. 25 NBs 455 Js 100479/22) dahingehend abgeändert, dass der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt wurde. Die Berufung des Klägers wurde verworfen. Im Rahmen der Strafzumessung wurden zu Gunsten des Klägers dessen ernsthaftes Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erzielen und eine Wiedergutmachung zu leisten, seine bisherige Straffreiheit sowie die Tatsache, dass der Kläger Reue gezeigt und die Tat zu großen Teilen gestanden hat, gewertet. Zu Lasten des Klägers wurde das sehr junge Alter des von der Straftat des sexuellen Missbrauchs von Kindern und des Herstellens kinderpornographischer Inhalte betroffenen Opfers gewertet sowie die Tatsache, dass auf den im Besitz des Klägers befindlichen Dateien mit kinderpornographischen Inhalten der schwere sexuelle Missbrauch kleiner Kinder dargestellt wird. In dieser Sache befindet sich der Kläger seit 11. Juni 2024 in Strafhaft. Das Haftende ist für den 10. Februar 2027 vorgesehen.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 12. Juli 2024 wurde der Kläger zu der beabsichtigten Ausweisung aus dem Bundesgebiet angehört und um Beantwortung verschiedener Fragen zu seinen persönlichen Lebensumständen gebeten. Der Kläger nahm mit Schreiben vom 24. Juli 2024 Stellung und erklärte unter anderem, dass er in Peru noch eine 62-jährige Schwester habe. Spanisch sei seine Muttersprache. Seine spanischen Sprachkenntnisse hätten ihm beruflich viel geholfen. Er habe drei Schwestern in … Deutschland sei sein Zuhause. Sein in … geborener Sohn lebe in England. Es fänden wechselseitige Besuche statt. Alkohol habe bei seiner Straffälligkeit eine Rolle gespielt; er habe sich für eine Therapie eingetragen. Seine vormalige Beschäftigung im … … … könne er nach der Inhaftierung wiederaufnehmen. Seine Wohnung habe er untervermietet. Er bitte um eine Chance.
8
Ausweislich einer von der Beklagten eingeholten Auskunft aus dem Einwohnermelderegister ist die Ehefrau des Klägers am … … 2017 nach unbekannt verzogen.
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Mit Schreiben vom 9. August 2024 zeigte die vormalige Klägerbevollmächtigte die Vertretung des Klägers an und brachte vor, dass der Kläger während seines ca. dreißigjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nie straffällig geworden sei, seit dem Jahr 2001 im … … … als Oberkellner angestellt sei, eine Therapie beabsichtige und nach Haftentlassung erneut bei seinem ehemaligen Arbeitgeber arbeiten könne. Sein gesamtes soziales Umfeld nebst Verwandtschaft lebe im Bundesgebiet. Er habe auch eine Freundin.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid der Beklagten vom 19. August 2024 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. 1). Es wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen und unter der Bedingung nachgewiesener Straffreiheit auf die Dauer von sechs Jahren, andernfalls auf die Dauer von acht Jahren ab Ausreise befristet (Nr. 2). Ferner wurde die Abschiebung aus der Haft heraus nach Peru angeordnet und dem Kläger für den Fall einer Entlassung aus der Haft vor Durchführung der Abschiebung die Abschiebung unter Setzung einer Ausreisefrist von vier Wochen nach Haftentlassung nach Peru oder in einen anderen Staat, in den der Kläger einreisen darf, oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3) Die Beklagte stützte die getroffenen Verfügungen im Wesentlichen auf die §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr.1a Buchst. c AufenthG sowie § 11 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass die Ausweisung des Klägers auf spezial- und generalpräventive Gründe gestützt werde, das Ausweisungsinteresse als besonders schwerwiegend einzustufen sei und nach wie vor eine Wiederholungsgefahr vorliege. Das Bleibeinteresse wiege ebenfalls besonders schwer (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Die Abwägung der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts des Klägers mit den persönlichen Interessen des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergebe angesichts des besonders dringenden sozialen Bedürfnisses der Verhinderung weiterer Straftaten ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung.
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Am 26. August 2024 hat der Kläger durch seine vormalige Prozessbevollmächtigte beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben lassen und beantragt zuletzt,
den Bescheid vom 19. August 2024 aufzuheben.
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Die Beklagte legte am 1. Oktober 2024 die Behördenakte vor und beantragte,
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die Klage abzuweisen.
14
Mit Schriftsatz vom 26. September 2024 zeigte der jetzige Klägerbevollmächtigte die Vertretung des Klägers an und führte zur Klagebegründung mit weiterem Schriftsatz vom 10. Dezember 2024 aus, dass sich ein Ausweisungsinteresse hinsichtlich spezialpräventiver Gesichtspunkte nicht begründen lasse. Dem Bleibeinteresse gebühre im Übrigen der Vorrang vor dem Ausweisungsinteresse. Der Kläger habe eine Therapie begonnen. Die Einzeltherapie habe von April 2023 bis März 2024 stattgefunden. Die ihn betreuende Therapeutin gehe davon aus, dass durch den Kläger keine Gefahr mehr drohe. Bei Haftentlassung sei nicht mit einer Wiederholungsgefahr zu rechnen. Auch generalpräventive Maßnahmen könnten im Falle des Klägers eine so einschneidende Maßnahme wie eine Ausweisung nicht rechtfertigen. Der Kläger habe Einsicht in das Unrecht seines Tuns. Es bestehe eine überaus günstige Sozialprognose. Sein vormaliger Arbeitgeber sei bereit, ihn nach Haftentlassung wieder einzustellen. Er verfüge zudem über ein intaktes soziales Umfeld und könne sich auf ein rechtlich erhebliches Bleibeinteresse berufen. Zu Peru bestehe keine Bindung mehr. Dort lebe nur noch eine seiner Schwestern. Die Ausweisung sei unverhältnismäßig.
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Die Beklagte legte mit Schriftsatz vom 29. April 2025 einen Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt … … … vom 15. April 2025 vor. Hiernach wird der Kläger als zurückhaltend, ruhig und höflich beschrieben. Das Haftverhalten sei beanstandungsfrei. Der Kläger erhalte regelmäßigen Besuch von seinen Schwestern, Neffen, Nichten und Freunden. Eine Suchtmittelproblematik liege nicht vor. Nach dortiger Behandlungsindikation sei bei dem Kläger eine sozialtherapeutische Maßnahme für Sexualstraftäter indiziert.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 5. Mai 2025 legte der Klägerbevollmächtigte für den Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis der … … vom … … 2025, ein Zwischenzeugnis des … … … vom … … 2025, worin bestätigt wird, dass der Kläger dort seit Januar 2001 beschäftigt sei, das Arbeitsverhältnis derzeit ruhend gestellt sei und der Kläger eine ausgezeichnete Leistungsbereitschaft gezeigt habe, sowie eine Stellungnahme von … – … … … … – vom … … 2024 vor. Dort wird bestätigt, dass der Kläger zwischen April 2023 und März 2024 an 28 Therapiegesprächen teilgenommen habe. Er habe sich offen, motiviert und bereit zur Veränderung gezeigt. Ein statistisch-aktuarisches Verfahren zur Einschätzung des Rückfallrisikos bei Sexualdelikten habe bei dem Kläger ein unterdurchschnittliches Risiko für ein erneutes Sexualdelikt innerhalb eines Fünfjahres-Beobachtungszeitraums ergeben. Es gebe keine Anzeichen für pädophile Neigungen. Die Ursachen der begangenen Delikte schienen in situativen und dynamischen Faktoren, insbesondere im missbräuchlichen Konsum von Alkohol zu liegen. Eine Fortführung der Therapie sowie die Abstinenz von Alkohol seien wesentliche Voraussetzungen für ein künftiges straffreies Leben des Klägers.
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Die mündliche Verhandlung fand am 15. Mai 2025 statt. Der Kläger wurde hierzu vorgeführt. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Protokoll vom selben Tag verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
19
Die zulässige Klage ist unbegründet.
20
Der Bescheid der Beklagten vom 19. August 2024 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die beantragte Verpflichtung der Beklagten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
21
1. Die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Ausweisung des Klägers ist zum für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. insoweit BVerwG v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) rechtmäßig.
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a) Das Aufenthaltsgesetz ist vorliegend anwendbar. Zwar findet das Aufenthaltsgesetz nach dessen § 1 Abs. 2 Nr. 1 keine Anwendung auf Ausländer, deren Rechtsstellung von dem FreizügG/EU geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist und regelt das FreizügG/EU nach dessen § 1 Abs. 1 Nr. 3 und 4 die Einreise und den Aufenthalt von Familienangehörigen von Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland unter bestimmten Voraussetzungen. Da das den Ausweisungsanlass bildendende Verhalten des Klägers jedoch nach dem Ende des Übergangszeitraums stattgefunden hat, welcher in Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, Nr. L 29, S. 7; Austrittsabkommen) auf den 31. Dezember 2020 festgelegt wurde, findet im Fall des Klägers nach § 11 Abs. 12 Satz 2 FreizügG/EU unabhängig von der Frage, ob sein Sohn oder seine Ehefrau mit britischer Staatsangehörigkeit ein Recht nach dem Austrittsabkommen inne haben (vgl. § 16 FreizügG/EU) und der Kläger nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 d FreizügG/EU als Familienangehöriger zu qualifizieren ist, jedenfalls das Aufenthaltsgesetz Anwendung.
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b) Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der vorzunehmenden Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsland oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
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Die von § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Kläger ist nach Auffassung des Gerichts gegeben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (Vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob die Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 13.1982 – juris Rn. 32 m.w.N.; B.v. 2.11.2016 – 10 ZB 15.2656 – juris Rn. 10 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
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aa) Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben besteht zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zur Überzeugung der Kammer eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung erneut durch vergleichbare Straftaten beeinträchtigen wird. Es muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass der Kläger erneut Straftaten begehen wird und er damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Anlass für die von der Beklagten verfügte Ausweisungsentscheidung war die strafgerichtliche Verurteilung des Klägers wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Inhalte in Tatmehrheit mit Besitz kinderpornographischer Inhalte. Die von dem Kläger verübte Straftat ist im Bereich der Schwerkriminalität anzusiedeln.
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Zwar hat der Kläger die abgeurteilte Tat im strafgerichtlichen Verfahren zum großen Teil gestanden und mit der Geschädigten eine Vereinbarung im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs angestrebt. Ferner zeigte sich im Berufungsverfahren nach den Feststellungen des Landgerichts München I eine gewisse Schuldeinsicht. Auch hat der Kläger von April 2023 bis April 2024 an insgesamt 28 Therapiegesprächen teilgenommen. In der hierzu von der Therapeutin des Klägers abgegebenen Stellungnahme vom … … 2024 wird ein unterdurchschnittliches Risiko für ein erneutes Sexualdelikt festgestellt. In dem Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt … … … vom … … 2025 wird zudem auf das gute Vollzugsverhalten hingewiesen. Allerdings wird in diesem Führungsbericht auch festgestellt, dass laut der dortigen Behandlungsindikation bei dem Kläger eine sozialtherapeutische Maßnahme für Sexualstraftäter indiziert sei. Auch die Stellungnahme der Therapeutin des Klägers verweist auf die Fortführung der Therapie als wesentliche Voraussetzung für ein künftiges straffreies Leben des Klägers. Eine Therapiebedürftigkeit ist daher nach wie vor gegeben. Eine derartige Therapie hat der Kläger bislang nicht abgeschlossen. Dies gilt ebenso für eine etwaige Begehung der Straftaten unter Alkoholeinfluss. Auch diesbezüglich besteht jedenfalls keine gesicherte Gefährdungsaufarbeitung.
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Das beanstandungsfreie Verhalten des Klägers während des Strafvollzugs ist zwar prognostisch heranzuziehen, aber für die Frage eines späteren straffreien Lebens in Freiheit nur bedingt aussagekräftig, da es im geschützten und kontrollierten Rahmen des Strafvollzugs, der die Möglichkeiten zur Begehung von Straftaten wesentlich verringert, und unter dem Druck der gegenständlichen Ausweisung stattgefunden hat. Der weiterhin inhaftierte Kläger hat sich noch nicht außerhalb der Justizvollzugsanstalt über einen längeren Zeitraum bewährt und durch gesetzeskonformes Verhalten gezeigt, dass er auch ohne den Druck des Strafvollzugs in der Lage ist, nicht straffällig zu werden (BayVGH, B.v. 25.5.2023 – 19 ZB 22.2395 – juris Rn. 28; B.v. 24.2.2016 – 10 ZB 15.2080 – juris Rn. 10).
28
In einer derartigen Konstellation kann von einem Wegfall der konkreten Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden.
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bb) Die Ausweisung lässt sich zudem auf generalpräventive Gründe stützen; im Fall des Klägers besteht ein aktuelles generalpräventives Ausweisungsinteresse. Das Gericht sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und folgt den nicht zu beanstandenden generalpräventiven Erwägungen (S. 7 f. des Bescheids) der Beklagten (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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c) Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt auf der Tatbestandsseite einer gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar. Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen. Neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen sind weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 23 f.; U.v. 25.7.2017 – 1 C 12.16 – juris Rn. 15). Bei der Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nicht als abschließend zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 25).
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Unter Heranziehung dieses Maßstabes ergibt die vorzunehmende Abwägung des Ausreiseinteresses mit dem Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein Überwiegen des Ausreiseinteresses. Die umfangreiche Abwägung in dem streitgegenständlichen Bescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden.
32
Ergänzend ist lediglich Folgendes festzustellen: Das Ausweisungsinteresse gegenüber dem Kläger wiegt besonders schwer gemäß 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da dieser durch das Landgericht München I rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden ist. Zudem ist § 54 Abs. 1 Nr. 1a Buchst. c AufenthG erfüllt, da dieser Verurteilung eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den in Buchst. c genannten Fällen zugrunde lag.
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Dem gegenüber steht ein vertyptes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.
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Zu sehen ist ferner die wirtschaftliche Integration des Klägers, welcher seit über 20 Jahren bei dem demselben Arbeitgeber beschäftigt ist. Ausweislich des vorgelegten Zwischenzeugnisses ist das Arbeitsverhältnis derzeit auch lediglich ruhend gestellt.
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In die Gesamtabwägung einzustellen sind zudem die familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gewähren zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Gleichwohl ist die Ausländerbehörde verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2024 – 10 CE 24.384 – juris Rn. 7). Voraussetzung ist eine schutzwürdige echte familiäre Beziehung im Sinne einer Beistandsgemeinschaft.
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Der Kläger ist jedoch bereits volljährig. Es ist nicht ersichtlich, dass die im Bundesgebiet lebenden Schwestern, Nichten und Neffen des Klägers auf seine Anwesenheit im Bundesgebiet angewiesen wären. Ebenso wenig ist der Kläger auf den Beistand seiner in Deutschland lebenden Verwandten angewiesen. Der Sohn des Klägers ist nach dessen Angaben britischer Staatsangehöriger und lebt nicht im Bundesgebiet. Die Ehefrau des Klägers ist nach unbekannt verzogen; das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft wurde nicht vorgetragen. Den Kontakt zu seiner Familie kann der Kläger ferner durch die Nutzung moderner Fernkommunikationsmittel aufrechterhalten. Außerdem konnten die Bindungen zu den im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen den Kläger nicht davon abhalten, massiv straffällig zu werden.
37
Der Kläger ist zudem nicht als faktischer Inländer zu qualifizieren. Die „Eigenschaft eines sogenannten faktischen Inländers“ (BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 C 32.22 – juris Rn. 16) haben solche Personen, die tiefgreifend in die Lebensverhältnisse des Aufenthaltsstaats integriert sind („Verwurzelung“) und gleichzeitig den Lebensverhältnissen des Herkunftsstaats entfremdet sind („Entwurzelung“) und die daher faktisch zum Inländer geworden sind und die nur noch das rechtliche Band der Staatsangehörigkeit mit dem Herkunftsstaat verbindet (BVerfG, B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 21). Beide Elemente müssen kumulativ vorliegen. Fehlt es also an einer tiefgreifenden Integration im Aufenthaltsstaat, kommt es auf eine Entwurzelung nicht mehr an. Für den Grad der Verwurzelung des Ausländers sind insbesondere die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, sein rechtlicher Aufenthaltsstatus, das Ausmaß der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Integration und die Rechtstreue seines Verhaltens in der Vergangenheit von Relevanz (BayVGH, B.v. 22.11.2024 – 19 ZB 23.1416 – juris Rn. 13 ff.)
38
Gemessen hieran ist der Kläger nicht als faktischer Inländer zu betrachten. Zwar lebt der Kläger bereits seit ca. 30 Jahren im Bundesgebiet und hat sich hier wirtschaftlich integriert. Er ist jedoch erst als Erwachsener eingereist und ist während seines Aufenthalts in Deutschland erheblich straffällig geworden.
39
Das Gericht verkennt nicht, dass die Ausweisung für den Kläger aufgrund dessen langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet mit besonderen Härten verbunden ist. Zu Lasten des Klägers sind jedoch die bestehende konkrete Wiederholungsgefahr und die Tatsache zu sehen, dass es sich bei der von dem Kläger begangenen Straftat um eine gegen das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung von Kindern gerichtete Tat handelt. Bei Sexualdelikten gegenüber Kindern handelt es sich um schwerwiegende Straftaten, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren. Die betroffenen Schutzgüter der sexuellen Selbstbestimmung, der Würde des Opfers und seiner körperlichen sowie seelischen Integrität weisen in der Werteordnung des Grundgesetzes einen hohen Stellenwert auf (vgl. BT-Drs. 18/8210 S. 7 ff. zur Änderung des Strafgesetzbuchs zur Verbesserung der sexuellen Selbstbestimmung vom 4.11.2016, BGBl I 2016, S. 2460; BayVGH, B.v. 2.5.2017 – 19 ZB 16.186 – juris Rn. 13). Diese Rechtsgüter lösen zudem staatliche Schutzpflichten aus. Zu sehen ist ferner das sehr junge Alter des von der Straftat des sexuellen Missbrauchs von Kindern und des Herstellens kinderpornographischer Inhalte betroffenen Opfers und das noch jüngere Alter der von der Tat des Besitzes kinderpornographischer Inhalte betroffenen Opfer sowie die Tatsache, dass hierbei der schwere sexuelle Missbrauch kleiner Kinder dargestellt wird.
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Ferner ist davon auszugehen, dass dem Kläger als volljährigem, erwerbsfähigen Mann, der nach eigenen Angaben spanisch spricht und zudem eine Schwester in Peru hat, eine Reintegration in Peru gelingen wird.
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Angesichts dieser Gesamtumstände, insbesondere des hohen Rangs des von der Straftat des Klägers beeinträchtigten Schutzguts der sexuellen Selbstbestimmung von Kindern, verbunden mit der von dem Kläger nach wie vor ausgehenden Gefahr der Begehung weiterer gegen dieses Schutzgut gerichteter Straftaten, überwiegt das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Bleibeinteressen des Klägers.
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Auch die sonstigen persönlichen Umstände des Klägers stehen der getroffenen Ausweisungsentscheidung nicht entgegen. Die Ausweisung ist die geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme, um den beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Durch ein anderes, milderes Mittel kann der mit ihr verfolgte Zweck vorliegend nicht erreicht werden. Im Ergebnis ist die Ausweisung des Klägers daher verhältnis- und rechtmäßig.
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Im Übrigen verweist die Kammer nach § 117 Abs. 5 VwGO auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids.
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2. Die in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids erfolgte Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist ebenfalls rechtmäßig. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht ersichtlich. Die behördliche Entscheidung hält sich in dem von § 11 Abs. 5 AufenthG festgelegten Rahmen. Auch insoweit sieht das Gericht im Übrigen entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
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3. Rechtliche Bedenken gegen die in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Abschiebungsanordnung, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (§§ 50, 58 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Nr. 1, 59 AufenthG) bestehen ebenfalls nicht.
II.
46
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).