Titel:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (Fahrprobe), Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen, Einschränkung der für die Gutachtenserstellung auswählbaren Stellen durch die Fahrerlaubnisbehörde
Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 6 S. 2
FeV § 46 Abs. 4
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (Fahrprobe), Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen, Einschränkung der für die Gutachtenserstellung auswählbaren Stellen durch die Fahrerlaubnisbehörde
Fundstelle:
BeckRS 2025, 11154
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Landratsamtes C … vom 25. März 2025 (Az. …) wird hinsichtlich dessen Nrn. 1 und 2 wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins.
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Der 1932 geborene Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 (alt). Hierzu wurde ihm am 22. März 1955 ein Führerschein ausgestellt.
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Mit Kurzmitteilungen vom 22. August 2023 sowie 25. November 2023 wurde dem Landratsamt C … (im Folgenden: Landratsamt) seitens der Polizei mehrfach auffälliges Verhalten des Antragstellers im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr mitgeteilt.
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Eine amtsärztliche Untersuchung des Antragstellers ergab ausweislich eines entsprechenden Berichts vom 17. Oktober 2024 keine gesundheitlichen Bedenken bezogen auf seine Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges.
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Sodann forderte das Landratsamt den Antragsteller mit Schreiben vom 28. Oktober 2024 auf, „ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr beizubringen“. Dem Schreiben war ein Vordruck für eine Einverständniserklärung für eine Begutachtung beigefügt, bei welchem das Feld „amtlich anerkannten Sachverständigen/Prüfer für Kraftfahrzeugverkehr“ angekreuzt und zusätzlich maschinenschriftlich „TÜV Süd“ ergänzt war. Unter dem 6. November 2024 fragte der damalige Bevollmächtigte des Antragstellers nach, welchen Standort des TÜV Süd das Landratsamt beauftragen werde und ob sich dieser dann mit dem Antragsteller in Verbindung setze. Hierauf teilte das Landratsamt mit Schreiben vom 8. November 2024 mit, dass „standardgemäß“ hier der TÜV Süd in C … gewählt werde. Sollte der Antragsteller eine andere Stelle wünschen, werde um Mitteilung gebeten, welche Service-Stelle des TÜV er wähle. Diese könne auch außerhalb des Landkreises liegen. Das Landratsamt versende die Akte dann an diesen TÜV. Es werde um Rückmeldung bezüglich des Ortes des gewählten TÜV gebeten. Der Antragsteller ließ daraufhin mitteilen, dass der „TÜV S …“ gewünscht sei. Mit Schreiben vom 8. Januar 2025 änderte das Landratsamt die vom Gutachter zu beantwortende Frage ab und wies im Übrigen darauf hin, dass sich „Herr … F … vom TÜV-SÜD“ mit dem Antragsteller in Verbindung setzen werde.
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Nachdem der Antragsteller in der Folge kein Gutachten vorlegte, hörte das Landratsamt ihn mit Schreiben vom 25. Februar 2025 bezüglich der beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis an.
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Mit Bescheid vom 25. März 2025, der Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 26. März 2025, entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheides), verpflichtete ihn, seinen Führerschein innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung abzuliefern (Nr. 2 des Bescheides), ordnete die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 an (Nr. 3 des Bescheides), drohte für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Nr. 2 ein Zwangsgeld i.H.v. 1.000,00 EUR an (Nr. 4 des Bescheides) und legte ihm die Kosten des Verfahrens i.H.v. 170,00 EUR auf (Nrn. 5 und 6 des Bescheides).
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Zur Begründung wurde insbesondere darauf verwiesen, dass vom Antragsteller das in rechtmäßiger Weise geforderte Gutachten über eine Fahrprobe nicht beigebracht worden sei und daher auf seine Nichtbefähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen habe geschlossen werden dürfen.
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Mit Schriftsatz vom 27. März 2025, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen lassen. Zudem wurde mit Schriftsatz vom 28. März 2025 Klage gegen den vorgenannten Bescheid erhoben (Az. RO 8 K 25.714).
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass aufgrund der polizeilich gemeldeten Vorfälle von Ende des Jahres 2023 im Oktober 2024 keine Fahrprobe mehr hätte verlangt werden dürfen. Jedenfalls falle aufgrund des seitdem beanstandungsfreien Fahrens und des beruflichen Angewiesenseiens auf eine Fahrerlaubnis die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus.
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Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 25.03.2025, ergangen zu Aktenzeichen: …, wiederherzustellen.
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Der Antragsgegner beantragt unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Am 2. April 2025 ging der Führerschein des Antragstellers beim Landratsamt ein.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im gegenständlichen Verfahren und im Verfahren RO 8 K 25.714 sowie den vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag ist begründet.
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1. Der gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 25. März 2025 ist unter Berücksichtigung der Antragsbegründung, wonach die jeweils unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins unverhältnismäßig sein sollen, nach § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen die seitens des Antragsgegners für sofort vollziehbar erklärten Nrn. 1 und 2 des Bescheides vom 25. März 2025 auszulegen.
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2. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage anordnen bzw. wiederherstellen. Soweit die Behörde den Sofortvollzug besonders angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), ist zunächst zu überprüfen, ob die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügt. Nur wenn dies der Fall ist oder wenn es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, trifft das Gericht eine eigene, originäre Interessenabwägung (vgl. BVerwG, B.v. 22.3.2010 – 7 VR 1.10 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 12.7.2010 – 14 CS 10.327 – juris Rn. 21). Das Gericht hat dann bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs oder der Klage abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung des erhobenen Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind als wesentliches Indiz für und gegen den gestellten Antrag die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche und gebotene summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Betroffenen regelmäßig zurück. Erweist sich hingegen der Rechtsbehelf schon bei der gebotenen und erforderlichen summarischen Prüfung als offensichtlich erfolgreich, besteht hingegen kein Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer reinen Interessenabwägung (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 12.7.2010 – 14 CS 10.327 – juris Rn. 21).
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a. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Für die Erfüllung des schriftlichen Begründungserfordernisses der Sofortvollzugsanordnung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist es unerheblich, ob die von der Behörde hierbei gegebene Begründung auch inhaltlich zutreffend ist und ein überwiegendes öffentliches Interesse am Sofortvollzug tatsächlich vorliegt. Diese materiell-rechtlichen Aspekte fließen erst in die originäre Ermessensentscheidung des Gerichts im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ein (vgl. BayVGH, B.v. 18.7.2022 – 20 CS 22.1069 – juris Rn. 3).
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An den Inhalt der Begründung sind im vorliegenden Fall keine hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, ist das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2016 – 11 CS 16.1467 – juris Rn. 13). Bei dieser häufig wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltung, der eine typische Interessenlage zugrunde liegt, reicht es aus, diese Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie nach Auffassung der Fahrerlaubnisbehörde auch im konkreten Fall vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2013 – 11 CS 13.785 – juris Rn. 7). Es liegt in der Regel auf der Hand, dass die Teilnahme eines für nicht befähigt erachteten Kraftfahrers am Straßenverkehr zu erheblichen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer führt und dass ein solcher Kraftfahrer zur Vermeidung der von ihm ausgehenden akuten Gefahr durch die Anordnung des Sofortvollzugs des Entziehungsbescheides schnellstmöglich von der weiteren Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen ist (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2015 – 11 CS 15.1634 – juris Rn. 6; B.v. 27.10.2016 – 11 CS 16.1388 – juris Rn. 3).
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Die vom Antragsgegner auf den Seiten 4 und 5 des gegenständlichen Bescheides gegebene Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nrn. 1 und 2 erfüllt die dargestellten Maßgaben ohne Weiteres.
21
b. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Überprüfung des nicht weiter aufzuklärenden Sachverhalts (vgl. insoweit: OVG NW, B.v. 18.3.2020 – 12 B 1731/19 – juris Rn. 7 m.w.N.) bestehen überwiegende Erfolgsaussichten der erhobenen Klage. Sie ist nach Aktenlage zulässig und begründet, da der Bescheid vom 25. März 2025 voraussichtlich rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Interessenabwägung fällt daher zugunsten des Antragstellers aus.
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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 4 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.
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Rechtfertigen Tatsachen die Annahme fehlender Befähigung, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung die Beibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr anordnen (§ 46 Abs. 4 Satz 2 FeV), wobei § 11 Absatz 6 bis 8 auf diese Anordnung entsprechende Anwendung findet (§ 46 Abs. 4 Satz 3 FeV).
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Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichtbefähigung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).
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Nach Aktenlage konnte der streitgegenständliche Entziehungsbescheid nicht auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV gestützt werden. Denn der Schluss auf die Nichteignung ist nur zulässig, wenn die nicht selbstständig anfechtbare Anordnung der Begutachtung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr., vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25/04 – juris Rn. 19; U.v. 7.4.2022 – 3 C 9/21 – juris Rn. 17), wobei an die Begründung der Gutachtensanordnung im Interesse effektiven Rechtsschutzes strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2014 – 11 CS 14.352 – juris Rn. 25; B.v. 23.2.2023 – 11 CS 22.2649 – juris Rn. 11). Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung ist der Zeitpunkt ihres Erlasses (vgl. VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn. 50).
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Gemessen hieran begegnet die Gutachtensanordnung vom 28. Oktober 2024, ergänzt mit Schreiben vom 8. Januar 2025, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die vom Antragsgegner vorgenommene Einschränkung des in Frage kommenden Gutachters auf einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr des TÜV Süd dürfte nicht zulässig gewesen sein.
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Nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV hat die Behörde dem Betroffenen u.a. die für die Untersuchung in Betracht kommende Stelle oder Stellen mitzuteilen. Diese Bestimmung hat bei Anordnung eines Gutachtens durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr durchaus erhebliche Bedeutung, da dieser Begriff für den Betroffenen mangels entsprechender allgemein zugänglicher Verzeichnisse sowie der Notwendigkeit der Klärung der erforderlichen amtlichen Anerkennung ohne sachkundige Hilfe nicht ohne Weiteres bestimmbar ist (vgl. VG München, B.v. 11.10.2016 – M 26 S 16.3697 – juris Rn. 15; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 11 FeV Rn. 46b).
28
Auf eine (notwendige) Mitteilung der in Betracht kommenden Stellen hat sich der Antragsgegner in seiner Gutachtensanordnung jedoch nicht beschränkt, sondern er hat darüber hinausgehend einseitig eine Vorauswahl auf einen Gutachter des „TÜV SÜD“ vorgenommen. Anders kann die Gutachtensanordnung vom 28. Oktober 2024 in Verbindung mit dem mitübersandten Vordruck für ein Einverständnis mit der Begutachtung nach dem insoweit maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont nicht verstanden werden. Während das Schreiben vom 28. Oktober 2024 noch allgemein ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr fordert, wurde die Gutachterauswahl vom Antragsgegner in der mitübersandten Einverständniserklärung mit der maschinenschriftlichen Ergänzung „TÜV Süd“ insoweit bereits vorausgefüllt. Dies kann vom Betroffenen objektiv nur dahingehend verstanden werden, als dass die Beauftragung eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr einer anderen Stelle nicht zulässig sein soll. Das Schreiben vom 28. Oktober 2024 und der Vordruck für die Einverständniserklärung enthalten daneben keinen Hinweis, dass der Betroffene auch einen anderen Gutachter, als einen des TÜV Süd auswählen könne. Eine entsprechende Vorfestlegung hat der Antragsgegner dem Antragsteller jedenfalls implizit auch noch einmal bestätigt, indem er auf Nachfrage mit Schreiben vom 8. November 2024 mitgeteilt hat, standardmäßig werde im Bereich des Landratsamtes das Service-Center C … des TÜV Süd gewählt, er könne aber auch eine andere Stelle des TÜV wählen.
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Für eine Einschränkung des auszuwählenden Gutachters durch die Fahrerlaubnisbehörde bietet § 46 Abs. 4 Satz 2 FeV keine hinreichende Grundlage. Vielmehr ist allgemein anerkannt, dass es dem Betroffenen im Rahmen des § 11 FeV grundsätzlich frei steht, welchen Arzt oder welche Begutachtungsstelle er auswählt, solange der Arzt oder die Stelle die für die fragliche Begutachtung erforderliche Qualifikation besitzt und sich im Inland befindet (vgl. Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 11 FeV Rn. 46c). Dies ergibt sich auch aus § 11 Abs. 6 Satz 3 FeV, wonach der Betroffene die Fahrerlaubnisbehörde darüber zu unterrichten hat, welche Stelle er mit der Untersuchung beauftragt hat, was denklogisch eine Auswahl zwischen verschiedenen Gutachtern bzw. Stellen voraussetzt. Die Gewährleistung einer Auswahl unter mehreren Gutachtern ist auch sachgerecht. Schon um den Eindruck eines zu engen Kontaktes zwischen anordnender Fahrerlaubnisbehörde und beauftragtem Gutachter zu vermeiden (das Entstehen eines solchen Eindruckes erschiene vorliegend – ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme – auch nicht gänzlich abwegig, vgl. den E-Mail-Verkehr zwischen Landratsamt und der betreffenden Service-Stelle des TÜV Süd auf Bl. 115 des vorgelegten Verwaltungsvorgangs), muss die Behörde sich grundsätzlich auf die abstrakte Bestimmung der Arzt- oder Gutachtergruppe beschränken. Eine darüber hinausgehende Einschränkung erscheint nur in Fällen zulässig, in denen im Hinblick auf die konkrete Fragestellung (§ 11 Abs. 6 Satz 1 FeV) aus zwingenden fachlichen Gründen lediglich eine bestimmte Stelle zur Untersuchung in der Lage ist (vgl. OVG Hamburg, B.v. 30.3.2000 – 3 Bs 62/00 – juris Rn. 4). Für einen derartigen Ausnahmefall ist vorliegend nichts ersichtlich. Es ist nicht erkennbar, weshalb die vom Antragsgegner für notwendig gehaltene Fahrprobe ausschließlich von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr des TÜV Süd (und nicht beispielsweise auch des TÜV Nord, des TÜV Rheinland, der DEKRA, usw.) hätte durchgeführt werden können.
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Der Fehler ist auch nicht nach Art. 46 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) unbeachtlich. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Für den Fall, dass die Fahrerlaubnisbehörde dem Betroffenen entgegen § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV die für die Begutachtung in Frage kommenden Stellen nicht mitteilt, wird mit schlüssiger Argumentation vertreten, dass eine Anwendung des Art. 46 BayVwVfG ausscheidet, weil die Vorschrift auch materiell-rechtlichen Inhalt besitzt, da sie mit dem Wahlrecht des Betroffenen nach § 11 Abs. 6 Satz 3 FeV korrespondiert und eine Fahreignungsuntersuchung stets einen erheblichen Grundrechtseingriff darstellt (vgl. VG Oldenburg, GB v. 10.8.2010 – 7 A 1458/10 – juris Rn. 19; VG München, B.v. 11.10.2016 – M 26 S 16.3697 – juris Rn. 14; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 11 FeV Rn. 46). Die hier vorliegende Konstellation einer zu weitgehenden Einschränkung der für die Begutachtung in Frage kommenden Stellen erscheint damit vergleichbar. Selbst wenn man Art. 46 BayVwVfG für anwendbar hielte, kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass sich die Verletzung der Vorschrift offensichtlich nicht auf die Rechte des Antragstellers ausgewirkt hat. Aufgrund der Bedeutung der in § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV niedergelegten behördlichen Hinweispflichten ist in jedem Falle ein strenger Maßstab für die Anwendung von Art. 46 BayVwVfG geboten (so bei fehlendem Hinweis nach § 11 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 FeV: BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20/15 – juris Rn. 32). Eine offensichtlich fehlende Auswirkung könnte demgemäß allenfalls dann angenommen werden, wenn der Betroffene ungeachtet der behördlicherseits vorgenommenen fehlerhaften Einschränkung bei der Auswahl der Begutachtungsstelle tatsächlich eine andere Stelle ausgewählt hätte, was hier jedoch nicht der Fall ist. Vielmehr ergibt sich auch aus der Nachfrage des Antragstellers vom 6. November 2024 (Bl. 99 des vorgelegten Verwaltungsvorgangs), dass er davon ausgegangen ist, zwingend eine Begutachtung durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr des TÜV Süd vornehmen lassen zu müssen. Einen solchen hat er sodann auch ausgewählt.
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Erweist sich die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens demgemäß als voraussichtlich rechtswidrig, kann die an die Nichtbeibringung des Gutachtens anknüpfende Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheides keinen Bestand haben. An einem voraussichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakt, der den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, kann regelmäßig kein öffentliches Sofortvollzugsinteresse bestehen (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 90; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 158 m.w.N.), sodass die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit wiederherzustellen ist. Auf die Frage, ob die dem Antragsgegner bekannt gewordenen Auffälligkeiten des Antragstellers im Straßenverkehr bzw. im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr die Anordnung einer Fahrprobe in der Sache tragen konnten, kommt es nicht mehr entscheidungserheblich an.
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Die in Nr. 2 des Bescheides verfügte Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins beruht auf § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV. Hiernach sind nach der Entziehung von einer deutschen Behörde ausgestellte nationale und internationale Führerscheine unverzüglich der entscheidenden Behörde abzuliefern. Die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins besteht auch, wenn die Entscheidung angefochten worden ist, die zuständige Behörde jedoch die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung angeordnet hat. Voraussetzung dafür ist aber, dass auch die Entziehung der Fahrerlaubnis sofort vollziehbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2017 – 11 CS 17.315 – juris Rn. 15; Will in BeckOK StVR, 26. Edition, Stand 15.1.2025, § 47 FeV Rn. 49). Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis hat deshalb auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins zur Folge.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) unter Berücksichtigung der Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 Alt. 1, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. zum Umfang der im Jahr 1955 ausgestellten Fahrerlaubnis der alten Klassen 1 und 3: Abschnitt A.I. lfd. Nrn. 3 und 17 der Anlage 3 zur FeV; vgl. zur diesbezüglichen Streitwertfestsetzung auch BayVGH, B.v. 14.6.2023 – 11 CS 22.2675 – juris Rn. 31).