Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 06.03.2025 – RO 2 K 23.1222
Titel:

Ablehnung nach Eintritt der Genehmigungsfiktion – Genehmigungsfreistellungsverfahren

Normenketten:
BayBO Art. 68 Abs. 2 S. 1
BayBO Art. 58 Abs. 2 S. 1 (idF vom 1.2.2021 bis zum 28.2.2023)
BayVwVfG Art. 42a Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine Ablehnungsentscheidung, die nach Eintritt der Genehmigungsfiktion ergeht, kann mit der Anfechtungsklage angefochten worden, wobei dahinstehen kann, ob sie rechtswidrig oder unwirksam ist und zumindest den Rechtsschein eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes entfaltet. (Rn. 24)
2. Dass ein Vorhaben nach Art. 58 Abs. 2 BayBO a.F. dem Genehmigungsfreistellungsverfahren unterlag, hindert nicht den Eintritt der Genehmigungsfiktion, wenn der Antrag im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO gestellt worden ist. (Rn. 38 – 40)
Schlagworte:
Eintritt der Genehmigungsfiktion nach Art. 42a BayVwVfG i.V.m. Art. 68 Abs. 2 Satz 1 BayBO (bejaht)., Zu den Auswirkungen des Inkrafttretens der DBauV im Laufe des Genehmigungsverfahrens., Baugenehmigungsverfahren, Ablehnungsbescheid, Anfechtungsklage, Genehmigungsfiktion, Genehmigungsfreistellungsverfahren, Rechtsschein, Fiktionsfrist
Fundstellen:
NVwZ-RR 2025, 924
LSK 2025, 11151
BeckRS 2025, 11151

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamtes A* … vom 12.6.2023 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung eines Bauantrags durch den Beklagten hinsichtlich des Ausbaus eines Dachgeschosses im Gebiet des Beigeladenen.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 1* …, Gemarkung B* … (wie alle folgenden Fl.Nrn. ohne nähere Angabe), C* …straße, B* … Das Grundstück befindet sich nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Auf dem Grundstück befindet sich bereits ein Wohnhaus, das über ein Erdgeschoss, ein Obergeschoss und zwei Dachgeschosse verfügt. Erd-, Ober- und erstes Dachgeschoss enthalten bereits insgesamt acht Wohnungen. Das zweite Dachgeschoss enthält eine Wohneinheit, die bisher nicht genehmigt worden ist. Keine der Wohnungen in dem Wohnhaus ist barrierefrei erreichbar, weil kein Aufzug vorhanden ist und auch das Erdgeschoss nur über einige Stufen betreten werden kann.
3
Mit Bauantrag vom 22.11.2022, eingegangen am 5.12.2022 beim Beigeladenen, beantragte der Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für das Vorhaben „Ausbau 2. Dachgeschoss Haupthaus zu einer Wohneinheit“. Aus den dem Antrag beigefügten Plänen ist ersichtlich, dass der Kläger die Legalisierung der bereits vorhandenen Wohneinheit im zweiten Dachgeschoss begehrt.
4
Mit Beschluss vom 24.1.2023 lehnte der Bauausschuss des Beigeladenen die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens zu dem Vorhaben einstimmig ab.
5
Anschließend leitete der Beigeladene den Bauantrag an das Landratsamt A* … weiter, wo er am 1.2.2023 einging.
6
Mit Schreiben vom 6.2.2023 des Landratsamts an den Kläger versuchte dieses, Kontakt mit dem Kläger aufzunehmen. Hierauf reagierte der Kläger nicht.
7
Mit Schreiben vom 15.5.2023 des Landratsamts an den Kläger wies dieses darauf hin, dass es beabsichtige, den Antrag abzulehnen. Begründet wurde dies mit „u.a. nicht erfüllter Brandschutz, fehlende Aufenthaltsraumqualität, fehlende Barrierefreiheit.“
8
Mit Schreiben des Klägers vom 20.5.2023 an das Landratsamt (eingegangen am 25.5.2023) erwiderte dieser, ein Brandschutzgutachten sei vorgelegt worden. Er bat um Präzisierung der Anforderungen an Barrierefreiheit und Aufenthaltsraumqualität.
9
Mit Schreiben vom 19.5.2023 des Landratsamts an den Kläger wies dieses den Kläger darauf hin, dass eine Genehmigungsfiktion im Raum stünde. In diesen Fällen gelte eine Baugenehmigung nach Ablauf von drei Wochen und drei Monaten nach Vorlage der Unterlagen als erteilt. Da die Bearbeitung des Bauantrages besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten beinhalte, könne die inhaltliche Prüfung des Bauantrages nicht innerhalb dieses Zeitraums abgeschlossen werden. Diese Schwierigkeiten lägen darin, dass eine Kontaktaufnahme und Abklärung mit dem Kläger als Bauherrn wegen des Verstoßes des Vorhabens gegen materielle baurechtliche Vorschriften gescheitert sei. Deswegen werde die Fiktionsfrist bis 30.6.23 verlängert unter Verweis auf Art. 42a Abs. 2 Satz 3, 4 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG).
10
Laut dem Kläger ging ihm dieses Schreiben erst am 24.5.2023 zu.
11
Mit Schreiben vom 25.5.2023 des Klägers an das Landratsamt (Eingang beim Landratsamt am 30.5.2023) teilte der Kläger mit, dass er das vorige Schreiben des Landratsamts nicht nachvollziehen könne. Er behauptete, bisher nur mit Schreiben vom 15.5.2023 vom Landratsamt gehört zu haben.
12
Mit Bescheid vom 12.6.2023 (dem Kläger zugestellt am 14.6.2023) lehnte das Landratsamt den Bauantrag des Klägers ab. Die Entscheidung wurde auf Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 Bayerische Bauordnung (BayBO) gestützt. Das Vorhaben verstoße gegen die Anforderungen für Treppen nach Art. 32, 33 BayBO und gegen die Vorgaben nach Art. 48 BayBO zum barrierefreien Bauen. Entsprechende Abweichungen seien nicht beantragt worden. Zudem fehle das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB.
13
Mit Schriftsatz vom 10.7.2023 ließ der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg (dort zugegangen am selben Tag) erheben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass hinsichtlich des klägerischen Vorhabens bereits die Genehmigungsfiktion gem. Art. 68 Abs. 2 BayBO eingetreten sei. Der gegenständliche Ablehnungsbescheid gehe mithin ins Leere. Da aber der Rechtsschein einer Ablehnung bestehe, sei nunmehr die Feststellung der Unwirksamkeit der Ablehnung nötig. Hilfsweise, falls das Gericht davon ausginge, dass der Ablehnungsbescheid Rechtswirkungen entfalte, werde dieser angefochten. Käme das Gericht zu der Ansicht, dass die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei, werde die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der begehrten Genehmigung begehrt. Käme schließlich das Gericht zu der Ansicht, die Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten und die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Erteilung der begehrten Baugenehmigung lägen nicht vor, so werde die Neuverbescheidung beantragt. Die Genehmigungsfiktion sei jedoch eingetreten, da die Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 2 Satz 1 BayBO vorlägen. Maßgeblich für die Fiktionsfrist sei der Zugang bei der Bauaufsichtsbehörde, hier dem Landratsamt. Dort sei der Antrag am 1.2.2023 eingegangen, sodass die 3-Wochen-Frist zum 22.2.2023 geendet habe und die daran anschließende 3-Monats-Frist zum 22.5.2023 abgelaufen sei. Das Schreiben des Landratsamts, mit dem die Verlängerung der Genehmigungsfrist angeordnet worden sei, sei erst am 24.5.2023, also zwei Tage nach Eintritt der Genehmigungsfriktion dem Kläger zugegangen. Unabhängig davon läge auch keine inhaltlich hinreichende Verlängerung der Frist vor. Voraussetzung für eine Verlängerung sei die (objektive) Schwierigkeit der Angelegenheit. Die Bearbeitung müsse einen höheren Zeitbedarf erfordern als das typische Verfahren zur Prüfung der beantragten Genehmigung, für das die Entscheidungsfrist durch Rechtsvorschrift bestimmt worden sei. Es bedürfe also atypischer Umstände. Seien Verfahrensschritte wie Tatsachenermittlungen, die Einholung von Auskünften Dritter oder die Beteiligung weiterer Behörden regelmäßig nötig, so ergäbe sich aus ihnen keine besondere Schwierigkeit. Die vom Landratsamt behauptete Schwierigkeit der Kontaktaufnahme durch die Klagepartei sei keine Schwierigkeit im Sinne einer Begründung für eine Verlängerung der Genehmigungsfiktion, vielmehr sei dies Gegenstand eines gewöhnlichen Anhörungsverfahrens. Es sei nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Beteiligte sich nicht zu einer Sache äußern. Wie das Landratsamt A* … mit Schreiben vom 15.5.2023 richtigerweise festgestellt habe, sei eine Anhörung vor einer Entscheidung ebenfalls nicht erforderlich. Demnach sei schon fraglich, welche Schwierigkeit sich aus einem routinemäßigen Verfahren ergeben solle. Die Fristverlängerung sei auch nicht ausreichend begründet worden. Der Ablehnungsbescheid sei im Übrigen auch abgesehen von der eingetretenen Genehmigungsfiktion rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten, da die Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 1 BayBO vorlägen, das Vorhaben insbesondere genehmigungsfähig sei. Dem Kläger liege ein Brandschutzgutachten vor. Dieses habe zwar nicht dem Beklagten vorgelegen, dies habe dieser aber nicht moniert. Der Kläger werde auf dieser Basis einen geänderten Antrag stellen. Dies ändere aber nichts am Eintritt der Genehmigungsfiktion. Die vom Landratsamt geforderte Barrierefreiheit müsse nicht hergestellt werden. Denn bei der hier vorliegenden baulichen Änderung nur eines Teils eines Gebäudes komme es nur auf den unmittelbar betroffenen Teil an. Bezüglich des betroffenen zweiten Dachgeschosses gelte eine Ausnahme nach Art. 48 Abs. 4 BayBO vom Grundsatz des Absatzes 1. Dies habe der Beklagte übersehen. Es handele sich um ein altes Bestandsgebäude mit einem alten Treppenhaus. Der Einbau eines Aufzugs sei hier nicht oder allenfalls mit ganz erheblichen Umbauten möglich. Der Einbau wäre, da im Übrigen Bestandsschutz bestehe, nur aufgrund der Dachgeschosswohnung notwendig. Es handele sich hier um einen Bestandsbau, ein Einbau eines Aufzuges sei somit nur in Verbindung mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand und Kosten realisierbar. Für das übrige Gebäude bestehe Bestandsschutz. Art. 48 Abs. 2 und Abs. 3 BayBO seien vorliegend nicht einschlägig. Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayBO sei hinsichtlich dieser übrigen Geschosse ebenfalls nicht einschlägig, weil es sich nicht um derartige bauliche Anlagen handele. Damit könne der Beklagte auch nicht über Art. 48 Abs. 4 Satz 2 BayBO eine Barrierefreiheit verlangen. Eine Schaffung von Barrierefreiheit des übrigen Gebäudes sei auch nicht über Art. 54 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 4 bzw. Art. 3 Satz 1 BayBO möglich, eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bestehe nicht. Auch der Einbau einer Rampe sei im Hinblick auf die vielseitigen Anforderungen an eine solche unter den örtlichen Gegebenheiten nicht möglich. Da der Beklagte dies im Ablehnungsbescheid nicht in Betracht gezogen habe, läge insoweit ein Ermessensausfall vor. Der Beigeladene habe sein gemeindliches Einvernehmen zu Unrecht verweigert. Vielmehr habe er in der Stellungnahme vom 27.1.2023 bestätigt, dass sich das Bauvorhaben einfüge und das Ortsbild nicht beeinträchtige. Die Versagung der Genehmigung unter fehlerhafter Bewertung der Barrierefreiheit sowie die Nichtersetzung des gemeindlichen Einvernehmens würden den Kläger in seinen Rechten verletzen. Bei einer Neuverbescheidung habe das Landratsamt daher die Rechtsauffassung des Gerichts zu diesen Fragen zu berücksichtigen. Der Kläger werde im Hinblick auf die Abweichungen vom Brandschutz eine Planungsänderung vornehmen und diesen brandschutzrechtlich durch einen Prüfsachverständigen für Brandschutz prüfen lassen, Art. 63 Abs. 1 Satz 3 BayBO. Dann bedürfe diese Abweichung keiner Zulassung durch den Beklagten mehr. Nach Ansicht des Klägers bedürfe es grundsätzlich für das Vorhaben keiner Baugenehmigung, Art. 58 Abs. 2 Satz 1 BayBO, da es sich um den Ausbau eines Dachgeschoßes zu Wohnzwecken handele. Allerdings seien die Abweichungen isoliert zu beantragen, sofern und soweit sie nicht durch einen Prüfsachverständigen geprüft werden könnten. Nach der neuen Rechtslage sei das Vorhaben mittlerweile verfahrensfrei. Die Digitale Bauantragsverordnung sei auf den gegenständlichen Antrag nicht anzuwenden. Der Beklagte habe die Anträge hinsichtlich eventuell notwendiger Abweichungen auf Vollständigkeit prüfen müssen. Es sei auch im Nachgang ausdrücklich über Abweichungen kommuniziert worden. Der Beklagte habe sich im streitgegenständlichen Bescheid mit dem Thema befasst. Nach Art. 48 Abs. 4 BayBO sei eine Ausnahme vom Erfordernis der Barrierefreiheit wegen unverhältnismäßigem Aufwand anzunehmen. Weiterhin bestehe insoweit auch Bestandsschutz. Die Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens sei rechtswidrig gewesen.
14
Der Kläger beantragt zuletzt,
Der Bescheid des Landratsamtes A* … vom 12.06.2023, Az.: …, betreffend die Versagung der beantragten Baugenehmigung gemäß Antrag vom 22.11.2022 wird aufgehoben.
Hilfsweise: Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Landratsamtes A* … vom 12.06.2023, Az.: …, betreffend die Versagung der beantragten Baugenehmigung gemäß Antrag vom 22.11.2022 keine Rechtswirkung entfaltet.
15
Der Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
16
Begründet wird dies im Wesentlichen wie folgt: Die zulässige Klage sei unbegründet, da die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei und ein Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung nicht bestünde. Dem Vorhaben stünden bauordnungsrechtliche Vorschriften entgegen, von denen nicht abgewichen werden könne. Es bestünden Bedenken hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses der Klage, da der Kläger erklärt habe, er werde einen geänderten Bauantrag stellen. Eine Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten, da das Landratsamt vor Ablauf der Frist entschieden habe. Ausgangspunkt sei, dass gem. § 8 Sätze 1, 2 Digitale Bauantragsverordnung (DBauV) der Bauantrag bei der Bauaufsichtsbehörde eingereicht und die Gemeinde unverzüglich beteiligt werden müsse. Dies gelte seit dem 1.1.2023 auch im Landkreis A* … Gem. § 9 Abs. 1 DBauV laufe die Fiktionsfrist frühestens drei Wochen nach Zugang der Entscheidung der Gemeinde über das Einvernehmen bei der Bauaufsichtsbehörde. In diesem Fall sei zwar keine erneute Beteiligung der Gemeinde erfolgt, da diese ja bereits das Einvernehmen verweigert habe. Aber für den Fristbeginn sei von dem Zeitpunkt auszuge hen, bis zu dem die Gemeinde bei fiktiver Beteiligung spätestens hätte Stellung nehmen müssen, was bei fiktiver Beteiligung am 1.2.2023 der 3.4.2023 gewesen wäre, sodass die Fiktionsfrist erst am 24.7.2023 ablaufe. Dem Verpflichtungsbegehren stünden dagegen die Vorschriften über die Barrierefreiheit (Art. 48 BayBO) sowie die brandschutzrechtlichen Vorgaben an Treppen (u. a. Art. 32 Abs. 3 Satz 1 BayBO) entgegen. Die hierfür erforderlichen Abweichungsanträge habe der Kläger nicht gestellt, obwohl es sich hierbei um zwingend vorzulegende Bauvorlagen handele, vgl. § 3 Nr. 9 Bauvorlagenverordnung (BauVorlV). Demzufolge könne dem Beklagten auch nicht vorgeworfen werden, er hätte etwaige Ausnahmetatbestände des Art. 48 BayBO nicht berücksichtigt. Diesbezüglich sei vielmehr der Kläger selbst beweis- und darlegungspflichtig gewesen. Auch ein etwaiges zu Unrecht verweigertes gemeindliches Einvernehmen könne dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfen, da ein Anspruch auf Einvernehmensersetzung nur bestünde, wenn auch ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung bestünde.
17
Der Beigeladene beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
18
Begründet wird dies im Wesentlichen wie folgt: Die Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten. Gem. Art. 41 Abs. 2 BayVwVfG gelte ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt werde, am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Da das Datum des Verlängerungsschreibens auf den 19.5.2023 laute, sei dieses rechtzeitig zugegangen. Im Übrigen schließe sich der Beigeladene den Ausführungen des Beklagten an.
19
Mit Schreiben vom 27.11.2024 teilte der Kläger mit, er habe einen neuen, noch nicht streitgegenständlichen Bauantrag gestellt. Die Verbscheidung sei noch nicht erfolgt. Laut Eingangsbestätigung des Landratsamts sei der Antrag dort am 15.11.2024 eingegangen.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21
Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
22
Die Klage ist zulässig.
23
1. Streitgegenständlich ist zunächst die mit dem Hauptantrag begehrte Aufhebung des Bescheids des Landratsamtes A* … vom 12.6.2023. Bei der in der mündlichen Verhandlung erklärten „Umstellung“ der Klageanträge durch den Klägerbevollmächtigten handelt es sich nicht um eine Klageänderung oder -rücknahme i.S.v. §§ 91, 92 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), sondern lediglich um eine Konkretisierung der schriftsätzlich angekündigten Antragstellung. Denn insbesondere hat sich der Klagegrund – der Streit um die beantragte Baugenehmigung sowie deren Fiktion – nicht geändert und es wurde kein neuer Streitstoff eingeführt, § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) (vgl. Schoch/Schneider/Riese, 46. EL August 2024, VwGO § 91 Rn. 25, 27, beck-online).
24
2. Die Anfechtungsklage ist auch statthaft, § 42 Abs. 1 VwGO. Denn der Kläger macht hier geltend, dass der Ablehnung der Baugenehmigung im Bescheid vom 12.6.2023 entgegensteht, dass die Baugenehmigung bereits kraft Fiktion vorliegt. Zwar ist umstritten, ob eine nach Eintritt einer Genehmigungsfiktion erlassene, dem entgegengesetzte Ablehnungsentscheidung überhaupt eine Wirkung entfaltet (dagegen etwa Kopp/Ramsauer/Ramsauer VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 42a Rn. 14: „gehen ins Leere“, „obsolet und unbeachtlich“; vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, B.v. 28.7.2020 – 1 MB 11/20 – juris Rn. 18). Aber jedenfalls geht von ihr der Rechtsschein eines wirksamen Ablehnungsverwaltungsaktes aus, der im Interesse effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) (isoliert) angefochten werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.1987 – 8 C 21/86 – juris Rn. 9; VG Gelsenkirchen, U.v. 10.12.2013 – 12 K 5403/11 – juris Rn. 28).
II.
25
Die Klage ist begründet.
26
Der Ablehnungsbescheid des Landratsamtes A* … vom 12.6.2023 ist rechtswidrig oder trägt zumindest den Rechtsschein eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in sich und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
27
Dem gegenständlichen Ablehnungsbescheid, der am 14.6.2023 gegenüber dem Kläger bekanntgegeben wurde, steht die zuvor, nämlich am 22.5.2023 eingetretene Fiktion der beantragten Baugenehmigung entgegen.
28
Gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) wird eine beantragte Baugenehmigung gem. Art. 42a Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) fingiert, wenn der Bauantrag die Errichtung oder Änderung eines Gebäudes, das ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dient, oder eine Nutzungsänderung, durch die Wohnraum geschaffen werden soll, betrifft, und über diesen Bauantrag im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO zu entscheiden ist sowie über den Antrag nicht innerhalb der Fiktionsfrist entschieden wurde.
29
a) Bei dem beantragten, klägerischen Vorhaben geht es um die Nutzungsänderung eines Dachgeschosses zu einem Wohnraum.
30
b) Die Fiktionsfrist ist abgelaufen.
31
Die Fiktionsfrist beträgt gem. Art. 42a Abs. 2 Satz 1, 2 BayVwVfG grundsätzlich drei Monate ab Zugang der vollständigen Unterlagen. Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO modifiziert dies insoweit, als die Fiktionsfrist drei Wochen nach Zugang des Bauantrags beginnt.
32
Für den Beginn der Frist von drei Wochen kommt es auf den Zugang des Bauantrags beim Landratsamt an (Busse/Kraus/Decker, 156. EL Dezember 2024, BayBO Art. 68 Rn. 409, beck-online). Dieser Zugang erfolgte am 1.2.2023. Die Drei-Wochen-Frist ist eine Ereignisfrist. Die Frist begann mithin am 2.2.2023 0:00 Uhr und endete am 22.2.2023 24:00 Uhr. Hieran wiederum schloss sich die dreimonatige Fiktionsfrist nach Art. 42a Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG an. Da es sich hierbei um eine Ablauffrist handelt, begann diese am 23.2.2023 0:00 Uhr und endete am 22.5.2023, 24:00 Uhr.
33
Die Fiktionsfrist wurde auch nicht wirksam gem. Art. 42a Abs. 2 Satz 3, 4 BayVwVfG durch das Schreiben des Landratsamts vom 19.5.2023 verlängert. Denn dieses Schreiben wurde dem Kläger erst nach Eintritt der Fiktion bekanntgegeben (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 4.7.2017 – OVG 10 S 37/16 – NVwZ-RR 2018, 96 Rn. 8, beck-online).
34
Der Beigeladenenseite ist insoweit nicht zu folgen als sie für die Bekanntgabe die Drei-Tages-Fiktion nach Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG a.F. gelten lassen möchte und maßgeblicher Ausgangszeitpunkt für die Aufgabe bei der Post der 19.5.2023 sei, weil dieser auf dem Bescheid selbst als Datum angegeben ist. Mithin wäre die Bekanntgabe bereits am 22.5.2023 (also rechtzeitig) eingetreten. Dem steht bereits entgegen, dass es rein spekulativ ist anzunehmen, dass der Brief tatsächlich am 19.5.2023 bei der Post aufgegeben wurde. Er könnte auch erst an diesem Tag ausgefertigt und am nächsten Tag zur Post gegeben worden sein. Jedenfalls aber gilt die Drei-Tages-Fiktion nach Art. 41 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 BayVwVfG a.F. dann nicht, wenn der Zugang tatsächlich später erfolgt ist. Gem. Hs. 2 trifft die Behörde die Beweislast, dass der Zugang nicht später erfolgt sei. Da der Kläger konkret behauptet, der Bescheid sei ihm am 24.5.2023 zugegangen und der Beklagte nichts Gegenteiliges vorbringt, ist also von einer Bekanntgabe am 24.5.2023 auszugehen. Mithin ging das Schreiben zur Fristverlängerung erst nach Eintritt der Fiktion zu.
35
Hieran ändert sich auch nichts durch die zwischenzeitlich eingetretene Anwendbarkeit der Digitalen Bauantragsverordnung (DBauV) im Landkreis A* …, § 1 Abs. 2 Satz 1  Nr. 20 DBauV in der vom 1.1.2023 bis 31.1.2023 geltenden Fassung. Zwar ist nach dieser gem. § 1 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 8 Satz 1 DBauV der Bauantrag bei dem Landratsamt A* … zu stellen. Zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Beigeladenen galt die DBauV aber noch nicht im Landkreis A* …, sodass der Kläger richtigerweise seinen Antrag gem. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 BayBO a.F. beim Beigeladenen einreichte. Der Beigeladene befasste sich sodann mit dem Antrag und lehnte die Einvernehmenserteilung am 24.1.2023 ab. Anschließend leitete er den Antrag dem Landratsamt zu, wo er am 1.2.2023 einging. Das Landratsamt beteiligte nicht nochmals den Beigeladenen.
36
Zwar ist es denkbar, dass der Beigeladene den Antrag mit Eintritt der Wirksamkeit der DBauV im Landkreis A* …, also am 1.1.2023 an das Landratsamt hätte weiterleiten müssen. Im Anschluss hätte das Landratsamt wiederum den Beigeladenen beteiligen müssen. Dass dies nicht geschehen ist, kann sich jedoch jedenfalls nicht zulasten des Klägers auswirken. Dieser hat seinen Bauantrag bei der damals richtigen Stelle gestellt. Der Beigeladene hat bereits über das Einvernehmen entschieden. Eine erneute fiktive Beteiligung des Beigeladenen, wie es das Landratsamt vorbringt, war weder möglich noch sinnvoll. Mithin ist auch nicht einzusehen, weshalb das Landratsamt nochmals zwei Monate auf eine fiktive Antwort des Beigeladenen auf diese fiktive Beteiligung hätte warten sollen.
37
Es bleibt also beim Eintritt der Fiktion am 22.5.2023 um 24:00 Uhr.
38
c) Dem Eintritt der Fiktion steht auch nicht entgegen, dass Art. 68 Abs. 2 Satz 1 BayBO nicht anwendbar wäre auf Anträge, die gem. Art. 58 BayBO a.F. korrekterweise im Rahmen des Genehmigungsfreistellungsverfahrens hätten behandelt werden müssen.
39
Das klägerische Vorhaben des Ausbaus eines Dachgeschosses zu Wohnzwecken ohne äußerliche Änderungen am Baukörper unterlang im Zeitpunkt der Antragstellung nach Art. 58 Abs. 2 Satz 1 BayBO in der vom 1.2.2021 bis 28.2.2023 geltenden Fassung dem Freistellungsverfahren. Ein Bauantrag nach Art. 59 BayBO, wie ihn der Kläger damals gestellt hat, war mithin nicht nötig und an sich auch nicht zulässig.
40
Weiterhin heißt es in Art. 68 Abs. 2 Satz 1 BayBO, dass die Genehmigungsfiktion nur anzuwenden sei auf Bauanträge, über die „im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 zu entscheiden ist“. Allerdings kann diese Formulierung nicht so verstanden werden, dass damit Fälle ausgeschlossen werden sollen, in denen eigentlich ein Genehmigungsfreistellungsverfahren nach Art. 58 a.F. BayBO einschlägig wäre und fälschlicherweise stattdessen eine Baugenehmigung beantragt wurde. Vielmehr ist es naheliegend, dass die Spezifikation „im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 zu entscheiden“ Fälle des Genehmigungsverfahrens nach Art. 60 BayBO und damit Sonderbauten i.S.d. Art. 2 Abs. 4 BayBO vom Geltungsbereich der Baugenehmigungsfiktion ausschließen soll. Für dieses Ergebnis spricht auch der Wortlaut „zu entscheiden“. Denn hieraus ergibt sich nur, dass es um Bauanträge geht, über die im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu entscheiden ist – und dies gilt grundsätzlich für alle Anträge, die im Rahmen dieses Genehmigungsverfahrens gestellt wurden. Notwendig ist dabei dem Wortlaut nach nicht, dass über den Antrag positiv zu entscheiden wäre. Eine Entscheidung kann vielmehr auch negativ ausfallen, etwa durch die Ablehnung eines Antrags als unzulässig. Und so hätte die Baugenehmigungsbehörde auch über den Antrag des Klägers entscheiden müssen. Der Antrag hätte – im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens – als unzulässig abgelehnt werden müssen, weil das Genehmigungsfreistellungsverfahren einschlägig war. Dass diese Entscheidung nicht innerhalb der Fiktionsfrist getroffen wurde, soll gerade nach dem Willen des Gesetzgebers zur Fiktion führen, die dann zwar möglicherweise rechtswidrig, aber eben auch wirksam ist (vgl. Busse/Kraus/Decker, 156. EL Dezember 2024, BayBO Art. 55 Rn. 74, beck-online).
41
Nach alledem steht fest, dass mit Wirkung zum 22.5.2023, 24:00 Uhr, die vom Kläger beantragte Baugenehmigung kraft Gesetzes wirksam fingiert wurde.
42
Die wirksame Baugenehmigungsfiktion steht damit der später erlassenen Ablehnungsentscheidung entgegen und führt zu deren Rechtswidrigkeit.
43
Die Ablehnungsentscheidung enthält auch keine (konkludente) Rücknahmeentscheidung i.S.d. Art. 48 BayVwVfG oder kann in eine solche umgedeutet werden (Art. 47 BayVwVfG), da jedenfalls kein Wille des Landratsamts erkennbar war, wonach eine Rücknahme gewollt gewesen ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 4.7.2017 – OVG 10 S 37/16 – NVwZ-RR 2018, 96 Rn. 8, 9, beck-online; OVG Saarland, U.v. 9.3.2006 – 2 R 8/05 – juris Rn. 32; Schoch/Schneider/Baer/Wiedmann, 4. EL November 2023, VwVfG § 42a Rn. 54, beck-online). Vielmehr ging das Landratsamt offensichtlich davon aus, dass die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei.
44
Da somit die Ablehnungsentscheidung rechtswidrig ist oder zumindest den Rechtsschein eines wirksamen, aber rechtswidrigen Verwaltungsaktes entfaltet, verletzt sie den Kläger in seinem Recht aus der wirksamen Baugenehmigungsfiktion und war aufzuheben. Damit hat die Klage bereits im Hauptantrag Erfolg.
45
Über den Hilfsantrag war mithin nicht mehr zu entscheiden.
46
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 3 Hs. 1 VwGO. Da der Beigeladene einen eigenen Abweisungsantrag gestellt hat, war er an der Kostentragung zu beteiligen.
47
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).