Titel:
Grundrentenentgeltpunkte im Versorgungsausgleich
Normenketten:
VersAusglG § 18 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
SGB VI § 97a
Leitsätze:
1. Liegen die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 VersAusglG bei Grundrenten-Entgeltpunkten vor, dann kann die Ermessensentscheidung im Einzelfall dazu führen, dass der Verwaltungsaufwand des Versorgungsträgers zu einem Ausschluss des Anrechts wegen Geringfügigkeit führt (Anschluss an BGH, Beschluss vom 5. Juni 2024 – XII ZB 277/23), wenn dieser geltend gemacht wird. (Rn. 11 – 20)
2. Es erschließt sich bereits aus den Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den bei der jährlichen Einkommensanrechnung nach § 97 a SGB VI entfalteten Tätigkeiten selbst von einem erheblichen laufenden Verwaltungsaufwand für die Träger der Rentenversicherung ausgeht. (Rn. 21)
3. Soweit der Senat bisher in früheren Entscheidungen von einem Ausgleich, trotz Geringwertigkeit nicht abgesehen hat, wurde in den Verfahren sämtlich durch die Rentenversicherung ein erheblicher Verwaltungsaufwand nicht geltend gemacht. (Rn. 24)
Schlagworte:
Grundrentenentgeltpunkte im Versorgungsausgleich, Deutsche Rentenversicherung Bund, Entgeltpunkte, Ermessensentscheidung, Anrechte, Geringfügigkeitsgrenze, Versorgungsausgleich, Ausgleichswert, Grundrente
Vorinstanz:
AG Wunsiedel, Beschluss vom 18.03.2025 – 2 F 572/24
Fundstellen:
LSK 2025, 11019
NJOZ 2025, 866
BeckRS 2025, 11019
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Wunsiedel vom 18.03.2025 in Ziffer 2 Absatz 3 abgeändert:
Ein Ausgleich des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern über 0,2063 Entgeltpunkte (Grundrentenzuschlag) findet nicht statt.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.191,00 Euro festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Das Amtsgericht – Familiengericht – Wunsiedel hat mit Beschluss vom 18.03.2025 die Ehe der beteiligten Ehegatten geschieden und dabei den Versorgungsausgleich durchgeführt.
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Das weitere Anrecht der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern (Grundrentenzuschlag) unter Tenorziffer 2 Absatz 3 regelte das Gericht wie folgt:
„Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern (Vers. Nr. …) zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 0,2063 Entgeltpunkten (Grundrentenzuschlag) auf das vorhandene Konto … bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern, bezogen auf den 31. 12. 2024, übertragen.“
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Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Auskunft des Versorgungsträgers vom 07.02.2025 sowie auf Tenor und Gründe des Beschlusses vom 18.03.2025 verwiesen.
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Gegen die ihr am 21.03.2025 zugestellte Entscheidung legte die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern mit Schreiben vom 26.03.2025, eingegangen beim Amtsgericht am 27.03.2025, Beschwerde ein und beantragt, die Entscheidung hinsichtlich des von der Antragsgegnerin erworbenen Anrechts (Grundrentenzuschlag) abzuändern, weil der Kapitalwert des Anrechts nur 1.740,47 Euro betrage, so dass die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 und 3 VersAusglG gegeben seien.
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Die übrigen Beteiligten hatten rechtliches Gehör. Die Antragsgegnerin trat der Beschwerde bei. Der Antragsteller verteidigte die Entscheidung des Amtsgerichts.
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Die nach §§ 58 ff, 217 ff FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern ist begründet.
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Zutreffend führt die Beschwerde aus, dass hinsichtlich des von der Antragsgegnerin erworbenen Anrechts mit Grundrentenpunkten die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 VersAusglG vorliegen. Ein Ausgleich dieses Anrechts hat damit zu unterbleiben. Das Anrecht bei der Lebensversicherung ist zugunsten des bestehenden Versorgungsträgers Deutsche Rentenversicherung Bund extern zu teilen.
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Die Entscheidung des Familiengerichts vom 18.03.2025 ist deswegen entsprechend abzuändern.
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1) Grundsätzlich sind im Versorgungsausgleich nach § 1 VersAusglG alle in der Ehezeit (hier: 01.07.2011 bis 31.12.2024) erworbenen Anteile von Anrechten jeweils zur Hälfte zwischen den geschiedenen Ehegatten zu teilen.
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2) Gemäß § 9 Abs. 2 VersAusglG sind die von den Ehegatten in der Ehezeit erworbenen Anrechte in der Regel nach den §§ 10 bis 13 VersAusglG intern zu teilen. Die interne Teilung nach §§ 10 ff VersAusglG entspricht dem früheren Splitting und der Realteilung und ist deswegen die regelmäßige Ausgleichsform (Grüneberg/Siede, 84. Auflage, 2025, VersAusglG § 10 Rn. 1).
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3) Nach der von der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern erstellten Auskunft vom 07.02.2025 hat die Antragsgegnerin in der Ehezeit ein Anrecht in Höhe 0,4125 Entgeltpunkte aus Grundrente (langjährige Versicherung) erworben. Es wurde ein Ausgleichswert von 0,2063 Entgeltpunkten vorgeschlagen, was 1.740,47 Euro Kapitalwert entspricht.
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4) Allerdings sind vorliegend die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 VersAusglG gegeben. Nach dieser Vorschrift soll ein einzelnes Anrecht mit einem geringen Ausgleichswert nicht ausgeglichen werden.
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a) Die Prüfung innerhalb des § 18 VersAusglG richtet sich nach der im Gesetz vorgegebenen Reihenfolge. Voranzustellen ist also die Prüfung, ob bei beiderseitigen Anrechten gleicher Art die Differenz der Ausgleichswerte gering ist. Ergibt die Prüfung, dass die gleichartigen Anrechte in den Versorgungsausgleich einzubeziehen sind, weil die Differenz der Ausgleichswerte die Bagatellgrenze überschreitet, findet § 18 Abs. 2 VersAusglG auf diese Anrechte keine Anwendung (BGH, FamRZ 2012, 192). Herleiten lässt sich dies schon aus dem Wortlaut der Vorschrift. Denn unter § 18 Abs. 1 VersAusglG fallen „Anrechte gleicher Art“, während § 18 Abs. 2 VersAusglG „einzelne Anrechte“ erfasst. Dabei ist die Bezeichnung als „einzelne“ Anrechte bereits als Abgrenzung zu den Anrechten „gleicher Art“ zu verstehen. Neben dem Wortlaut und der Gesetzessystematik sprechen aber auch Sinn und Zweck der Vorschrift für diese Auffassung (BGH, a.a.O.).
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b) Nach § 18 Abs. 1 VersAusglG soll das Familiengericht beiderseitige Anrechte gleicher Art nicht ausgleichen, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering ist.
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Anrechte gleicher Art im Sinne des Absatzes 1 sind Anrechte, die sich in ihrer Struktur und Wertentwicklung entsprechen. Eine Wertidentität ist nicht erforderlich. Ausreichend ist vielmehr eine strukturelle Übereinstimmung in wesentlichen Fragen (vgl. BT-Drucks. 16/11903, S. 54, 16/10144, S. 55).
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c) In der Ehezeit hatten beide Eheleute Anrechte bei der Deutschen Rentenversicherung erworben.
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Der Antragsteller hat während der Ehezeit allerdings kein gleichartiges Anrecht, nämlich keine Entgeltpunkte aus einem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrente), erworben. Die von dem Antragsteller erworbenen übrigen Entgeltpunkte sind nicht von gleicher Art wie der von der Antragsgegnerin erworbene Zuschlag an Grundrenten-Entgeltpunkten (vgl. BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 25 mwN), weshalb in Bezug auf solche eine Differenzbetrachtung nach § 18 Abs. 1 VersAusglG nicht in Betracht kommt.
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d) Nach § 18 Abs. 3 VersAusglG ist der Ausgleichswert dann gering, wenn er am Ende der Ehezeit bei einem Rentenbetrag als maßgeblicher Bezugsgröße höchstens 1 Prozent, in allen anderen Fällen als Kapitalwert höchstens 120 Prozent der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV (im Kalenderjahr 2024: 4.242 Euro) beträgt.
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Vorliegend beträgt der Ausgleichswert (als Kapital) nur 1.740,47 Euro (41% des Grenzbetrages). Gründe, das Anrecht entgegen dem klaren Wortlaut des § 18 Abs. 2 VersAusglG (“soll“) doch auszugleichen, sind nicht ersichtlich.
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Gesetzesziel ist vornehmlich die Vermeidung eines unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands für den Versorgungsträger, der mit der Teilung eines Anrechts und der Aufnahme eines Anwärters in das Versorgungssystem verbunden sein kann. Aus diesem Grunde sind in erster Linie die Belange der Verwaltungseffizienz auf Seiten der Versorgungsträger gegen das Interesse des ausgleichsberechtigten Ehegatten an der Erlangung auch geringfügiger Anrechte abzuwägen, wobei § 18 Abs. 2 VersAusglG auch die Entstehung sogenannter Splitterversorgungen vermeiden will, in denen der geringe Vorteil für den ausgleichsberechtigten Ehegatten in keinem Verhältnis zu dem ausgleichsbedingten Verwaltungsaufwand steht.
21
Nach § 97 a Abs. 1 SGB VI wird auf den Rentenanteil aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung das Einkommen des Berechtigten und seines Ehegatten angerechnet (BGH, Beschluss vom 5. Juni 2024 – XII ZB 277/23 –, Rn. 24 – 25, juris). Zum anrechenbaren Einkommen gehören gemäß § 97 a Abs. 2 SGB VI das zu versteuernde Einkommen nach § 2 Nr. 5 EStG (§ 97 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI), der steuerfreie Teil von Renten und Versorgungsbezügen (§ 97 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 97 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI). Es können allerdings nur die Einkommensarten nach § 97 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB VI vom automatisierten Abrufverfahren (§ 151 b SGB VI) bei der zuständigen Finanzbehörde erfasst werden (vgl. § 97 a Abs. 2 Satz 2 SGB VI), und diese auch nur dann, wenn die Finanzbehörde ihrerseits Festsetzungsdaten für den Berechtigten und seinen Ehegatten ermittelt hat (BGH a.a.O.). Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn trotz Steuererklärungspflicht nicht erklärt wurde oder wenn nicht erklärt werden muss, weil der Grundfreibetrag nicht überschritten ist (BGH, a.a.O., mit Verweis auf Strube NZFam 2023, 584, 588). Daneben besteht das Risiko, dass das automatisierte Abrufverfahren nicht störungsfrei verläuft und deshalb bei den Rentenversicherungsträgern im Rahmen der Einkommensüberprüfung eine händische Sachbearbeitung erforderlich wird. Von vornherein außerhalb des automatisierten Abrufverfahrens stehen die Kapitaleinkünfte nach § 97 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI. Kommt es aufgrund der abgerufenen Daten zu einem Leistungsbezug, so wird der Berechtigte gemäß § 97 a Abs. 6 Satz 2 SGB VI aufgefordert, ein etwaiges noch nicht berücksichtigtes Einkommen aus Kapitalvermögen mitzuteilen. Bei positiver Rückmeldung ist der Rentenbescheid erneut zu prüfen und im gegebenen Falle anzupassen. Daneben können stichprobenartige Überprüfungen der Angaben der Leistungsbezieher zu den Kapitaleinkünften veranlasst sein, die in der Weise durchgeführt werden, dass die nach einem Kontenabruf beim Bundeszentralamt für Steuern ermittelten Kreditinstitute um Auskunft ersucht werden (BGH, a.a.O., mit Verweis auf BT-Drucks. 19/18473 S. 32 f.). Es erschließt sich bereits aus den Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den bei der jährlichen Einkommensanrechnung nach § 97 a SGB VI entfalteten Tätigkeiten selbst von einem erheblichen laufenden Verwaltungsaufwand für die Träger der Rentenversicherung ausgeht. So wird schon in den Fällen, die eigentlich dem automatisierten Abrufverfahren unterliegen, aus diesem aber – beispielsweise wegen aufgetretener Störungen – ausgesteuert sind, für die händische Überprüfung der Anrechnung von Einkünften nach § 97 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB VI ein zusätzlicher Erfüllungsaufwand von rund 21 Millionen Euro veranschlagt. Für die händische Auswertung der von den Leistungsberechtigten getätigten Angaben über ihre Kapitaleinkünfte einschließlich der etwaigen Neuberechnung und Neubescheidung der Grundrenten erwartet der Gesetzgeber einen laufenden zusätzlichen Erfüllungsaufwand in Höhe von rund 74 Millionen Euro (BGH a.a.O).
22
Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung sind auch das Votum der beteiligten Eheleute und des Versorgungsträgers von Bedeutung (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2024 – XII ZB 389/22).
23
Vorliegend hat die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern wegen des Verwaltungsaufwandes, ein Absehen vom Ausgleich beantragt. Die Antragsgegnerin ist dem beigetreten, der Antragsteller hat widersprochen.
24
Soweit der Senat bisher in früheren Entscheidungen von einem Ausgleich, trotz Geringwertigkeit nicht abgesehen hat, wurde in den Verfahren sämtlich durch die Rentenversicherung ein erheblicher Verwaltungsaufwand nicht geltend gemacht.
25
Auch die aus diesem Anrecht mögliche Versorgung (monatliche Rente von 8,11 Euro) ist angesichts der bereits bestehenden Versorgung bei der Deutschen Rentenversicherung nicht vorzunehmen. Der Ausgleich in der Höhe im Vergleich zu den weiteren durchgeführten Bereinigungen durch den Versorgungsausgleich ist ohne praktische Relevanz (ca. 0,053%). Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass die Antragsgegnerin geringere Rentenanwartschaften erworben hat (2,3441 EP zu 5,4303 EP und damit im Vergleich „nur“ 43%). Der Antragsteller ist zwar erwerbsunfähig und bezieht eine Rente, gleichwohl überwiegt das Interesse des Trägers an einem nicht unnötigen Aufwand. Daher ist es insgesamt angemessen, den Ausgleich insoweit wegen Geringfügigkeit zu beschränken, zumal nicht absehbar ist, ob der Antragsteller überhaupt jemals eine Leistung aus diesem Anrecht erhalten wird. Auf die oben dargestellte Anrechnung wird insoweit Bezug genommen.
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Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung der Sache (§ 221 Abs. 1 FamFG) in der Beschwerdeinstanz nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen, da hiervon bei den gegebenen Umständen keine weitergehenden entscheidungserheblichen Erkenntnisse (§ 26 FamFG) zu erwarten waren.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG, 150 Abs. 1 FamFG.
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Die Festsetzung des Wertes für das Beschwerdeverfahren richtet sich nach §§ 40, 50 FamGKG. Das Amtsgericht hat den Verfahrenswert der Ehesache auf 11.910 Euro festgesetzt. Da nur ein Anrecht in der Beschwerde zu prüfen war, beträgt der Verfahrenswert im Beschwerdeverfahren 1.191 Euro. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 70 Abs. 2 FamFG).