Titel:
Dublin-Verfahren, Zielstaat: Polen, Herkunftsstaat: Ukraine, Gegenstand: Abschiebunsganordnung, 2-Stufen-Prüfung des EuGH, Keine konkrete Verletzungsgefahr von Art. 4 GrCh im Einzelfall, Polnisches Gesetz bzgl. Aussetzung des Asylrechts
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
VO (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2
Dublin III-VO Art. 12 Abs. 1
GrCh Art. 4
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, Zielstaat: Polen, Herkunftsstaat: Ukraine, Gegenstand: Abschiebunsganordnung, 2-Stufen-Prüfung des EuGH, Keine konkrete Verletzungsgefahr von Art. 4 GrCh im Einzelfall, Polnisches Gesetz bzgl. Aussetzung des Asylrechts
Fundstelle:
BeckRS 2025, 11012
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1
Der Antragsteller, nach eigenen Angaben ukrainischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die im Bescheid vom 17. Februar 2024 angeordnete Überstellung nach Polen im Rahmen des sog. „Dublin-Verfahrens“.
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Der Antragsteller reiste am 21. November 2024 in das Bundesgebiet ein und äußerte am 25. November 2024 ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) durch behördliche Mitteilung vom gleichen Tag Kenntnis erlangte. Der förmliche Asylantrag datiert auf den 3. Dezember 2024.
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Ausweislich Angaben des Antragstellers während der Anhörung beim Bundesamt erhielt dieser in Polen eine Aufenthaltsgestattung und eine Arbeitserlaubnis. Am 17. Januar 2025 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmeersuchen an Polen. Die polnischen Behörden reagierten hierauf mit Antwortschreiben vom 24. Januar 2025 und erklärten ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gem. Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO.
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Mit Bescheid vom 17. Februar 2025, zugestellt gegen unterschriebene Empfangsbestätigung am 21. Februar 2025, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Am 28. Februar 2025 hat der Kläger zu Protokoll Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid erhoben (M 3 K 25.50085) und beantragt zugleich,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
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Zur Begründung beziehe er sich auf die gegenüber dem Bundesamt getätigten Angaben.
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Die Antragsgegnerin hat die Behördenakte vorgelegt und beantragt
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die vom Bundesamt übermittelte Behördenakte, insbesondere auf die Anhörung beim Bundesamt am 14. Januar 2025 (Bl. 91 ff. BA) Bezug genommen.
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1. Der zulässige Antrag gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
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a) Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
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Gemessen an diesen Maßstäben geht die Interessenabwägung im vorliegenden Fall zu Lasten des Antragstellers aus. Nach summarischer Prüfung sind die Erfolgsaussichten seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im streitgegenständlichen Bescheid als gering anzusehen. Die Abschiebungsanordnung erweist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig, da der Asylantrag zutreffend nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG als unzulässig abgelehnt worden ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG).
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b) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG i.V.m. der Dublin III-VO ist Polen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und die Abschiebung nach Polen kann auch durchgeführt werden (vgl. § 34a Abs. 1 AsylG).
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aa) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Antragsgegnerin ist hier zutreffend von der Zuständigkeit Polens nach Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO ausgegangen, da für den Antragsteller ein gültiger polnischer Aufenthaltstitel vorlag. Dies hat der Antragsteller so während seiner Anhörung berichtet. Die polnischen Behörden haben ihre Zuständigkeit auch explizit auf Art. 12 Abs. 1 Dublin III-VO gestützt und so implizit die Angaben bestätigt. Das Gericht sieht keine Anhaltspunkte daran zu zweifeln.
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bb) Die Abschiebung nach Polen kann auch durchgeführt werden (vgl. § 34a Abs. 1 AsylG); die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen. Es ist weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Polen infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) ausgesetzt wäre (sog. 2-Stufen-Prüfung).
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Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris, U.v. 29.2.2024 – C-392/22 – juris Rn. 43 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris.). An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Der im Unionsrecht wurzelnde Grundsatz gegenseitigen Vertrauens ist daher nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt.
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Hiermit geht grundsätzlich ein zweistufiges Prüfprogramm einher: Die Frage des Vorliegens systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat einerseits (1. Stufe) sowie die beachtlich wahrscheinliche Gefahr einer Verletzung des Rechts aus Art. 4 GrCh andererseits (2. Stufe), die jeweils (grundsätzlich) kumulativ vorliegen müssen (vgl. EuGH, U.v. 29.2.2024 – C-392/22 – juris Rn. 59 ff.; U.v. 19.12.2024 – C-185/24; C-189/24 – juris Rn. 35 ff.). Daher machen selbst schwerwiegende Schwachstellen im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen, die nicht nur vereinzelt vorkommen (und damit „systemisch“ sind), eine Überstellung im Sinn von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht unmöglich, wenn sich daraus im konkret zu entscheidenden Einzelfall keine Gefahr einer erniedrigenden oder Art. 4 GrCh widersprechenden unmenschlichen Behandlung ableiten lässt (vgl. NdsOVG, U.v. 11.10.2023 – 10 LB 18/23 – juris Rn. 28; vgl. für den Fall des Vorliegens einer konkreten Garantieerklärung durch den Dublin-Zielstaat bei ansonsten vorliegenden systemischem Mangel: BayVGH, B.v. 27.2.2023 – 24 ZB 22.50056 – juris Rn. 13; zum Ganzen auch: VG München, B.v. 29.1.2025 – M 10 S 25.50022 – n.v. Rn. 18).
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Darüber hinaus kann die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 4 GrCh bzw. Art. 3 EMRK allein eine Überstellung unmöglich und einen Selbsteintritt Deutschlands nach Art. 15 Dublin III-VO erforderlich machen, selbst wenn diese Rechtsverletzung nicht die Konsequenz aus der Existenz systemischer Schwachstellen im zuständigen Mitgliedstaat ist (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – juris Rn. 91). Diese quasi zweite Säule der Rechtsprechung antizipiert bereits Art. 16 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2024/1351 über Asyl- und Migrationsmanagement (AMM-VO), die „Nachfolgerin“ der Dublin III-VO, wonach „nur“ noch Maßstab eine Verletzungsgefahr von Art. 4 GrCh ist. Das Merkmal der systemischen Schwachstellen entfällt gänzlich (vgl. zum vorstehendem Prüfungsprogramm auch nach aktueller Rechtslage umfassend: Schloss/Schneider, ZAR 2025, 3, 5).
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Zunächst wird hinsichtlich des Nichtvorliegens von systemischen Mängeln in Polen im Ergebnis gemäß § 77 Abs. 3 AsylG auf den Bescheid Bezug genommen, auch wenn alle insoweit zitierten Entscheidungen aus dem Jahr 2016 stammen und deutlich nicht mehr den aktuellen Stand abbilden.
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Derartige Schwachstellen werden von der ganz überwiegenden Meinung in der aktuellen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht angenommen, der das Gericht folgt (vgl. u.a. OVG SH, U.v. 22.6.2023 – 4 LB 6/22 – juris Rn. 69 ff.; VG München, B.v. 19.6.2024 – M 3 S 24.50620 – n.v.; B.v. 2.8.2024 – M 10 S 24.50740 – n.v.; B.v. 27.11.2024 – M 19 S 24.50312 – n.v.; B.v. 2.7.2024 – M 22 S 24.50601 – n.v. VG Berlin, B.v. 6.4.2023 – 33 L 54/23 A – juris; VG Ansbach, B.v. 29.10.2024 – AN 18 S 23.50578 – juris; VG Kassel, U.v. 22.4.2024 – 7 K 1423/23.KS.A – juris Rn. 23 f.; VG Potsdam, B.v. 1.8.2024 – VG 1 L 652/24.A – juris; VG Bremen, U.v. 18.11.2024 – 3 K 1506/24 – juris; VG Würzburg, B.v. 13.8.2024 – W 4 S 24.31681 – juris hinsichtlich anerkanntem Antragsteller; a.A. VG Minden, U.v. 28.8.2023 – 12 K 2197/22.A – juris [allerdings in Bezug auf die Aufnahmebedingungen bei Familien mit minderjährigen Kindern]).
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Belastbare Erkenntnisse, die die vorgenannte Einschätzung erschüttern würden, wurden nicht vorgetragen und sind dem Gericht auch sonst nicht bekannt. Die Versorgungssituation ergibt sich im Wesentlichen aus dem Bericht der Helsinki Foundation for Human Rights und des European Council on Refugees and Exiles (ECRE), demzufolge das Asyl- und Flüchtlingsrecht der Europäischen Union in Polen in den wesentlichen Grundzügen umgesetzt wird (vgl. AIDA, Asylum Information Database – National Country Report: Poland, Stand: Dezember 2023). Die Asylverfahren werden geordnet innerhalb nicht übermäßig langer Zeit durchgeführt. Die Asylbewerber erhalten während ihres Verfahrens Unterkunft, Verpflegung und medizinische Hilfe. Dies gilt insbesondere für sog. „Dublin-Rückkehrer“, wenn diese nach ihrer Rückführung durch einen anderen Mitgliedstaat in Polen Asyl beantragen bzw. dort ihr Asylverfahren wiederaufgenommen wird. Die beschriebenen Schwachstellen betreffen insbesondere die Ankunft an der polnisch-belarussischen Grenze und sind nicht von solchem Ausmaß und Gewicht, dass das Vorliegen systemischer Mängel in der rechtlichen Ausgestaltung des Asyl- und Flüchtlingsschutzverfahrens und bei der Behandlung von Asylbewerbern angenommen werden könnte. Zwar hat sich die Situation für Flüchtlinge nach Beginn des Ukraine-Kriegs infolge des Zustroms einer Vielzahl ukrainischer Flüchtlinge nach Polen verschärft; dennoch geht das Gericht davon aus, dass die Aufnahmebedingungen in Polen – über einzelne Regelverstöße hinaus – nicht regelhaft so defizitär sind, dass Flüchtlingen dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (ebenso VG Schleswig-Holstein, Gerichtsbescheid v. 14.6.2022 – 5 A 271/22 – juris S. 5 f.).
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Im Übrigen wird auch hinsichtlich der Versorgungs- und Unterbringungssituation auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Ansbach verwiesen (B.v. 29.10.2024 – AN 18 S 23.50578 – juris Rn. 35 ff.). Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen vollumfänglich an. Soweit über Pushbacks und Inhaftierungen von Asylbewerbern insbesondere an der Grenze zu Belarus berichtet wird (AIDA, Country Report Poland, Update 2023, S. 19 ff., 57, 73 ff., 83 ff.), ist nicht ersichtlich, dass der ukrainische Antragsteller davon betroffen war und ihm insbesondere solche Maßnahmen drohen, zumal er mit einem Visum einreiste und über einen Aufenthaltstitel verfügt. Hinsichtlich der konkreten Situation betreffend Ukrainerinnen und Ukrainer ist folgendes festzustellen: Nach der aktuellen Länderinformation des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl sieht das am 27. Juni 2023 überarbeitete Gesetz zur Unterstützung ukrainischer Bürger im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten vor, dass Ukrainer legal im Land bleiben können und gewährt das Recht auf Arbeit und freien Zugang zur Gesundheitsversorgung und Bildung. Mit Stand 12. Dezember 2023 waren ca. 950.000 Ukrainer registriert, die sich im Rahmen des EU-Mechanismus für vorübergehenden Schutz in Polen befanden. Im Mai 2024 wurde der vorübergehende Schutz für ukrainische Staatsangehörige bis zum 30. September 2025 verlängert. Auch enthält der zeitlich die Situation nach Beginn des Ukrainekriegs betreffende Teil des AIDA-Berichts keine Hinweise auf überfüllte Aufnahmeeinrichtungen (AIDA, Country Report Poland, Update 2023, S. 62).
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Auch die Äußerungen des polnischen Ministerpräsidenten, das Asylrecht in Polen (teilweise) aussetzen zu wollen, führen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Gleiches gilt für die diesbezüglichen allgemeinen Äußerungen der EU-Exekutiv-Vizepräsidentin hinsichtlich der vermeintlich möglichen Einschränkung des Rechts auf Asyl nach Art. 72 EUV. Zwar wurden die Pläne am 21. Februar 2025 vom der Sejm beschlossen. Die Abstimmung im Senat und die Unterzeichnung durch den Präsidenten stehen noch aus. Das Recht, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, darf demnach ausgesetzt werden, wenn „eine Instrumentalisierung stattfindet“ und „die Handlungen der Instrumentalisierung eine ernsthafte und tatsächliche Bedrohung für die Sicherheit des Staates oder der Gesellschaft darstellen“ (so: https://www.dw.com/de/polens-premier-tusk-will-asylrecht-aussetzen-abweisung-von-migranten-an-der-grenze-wird-legal/a-71754513). Die Aussetzung des Asylrechts darf von der Regierung für höchstens 60 Tage verordnet werden. Über eine Verlängerung muss das Parlament abstimmen.
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Nachdem der Antragsteller vorliegend jedoch aufgrund eines von Polen selbst ausgestellten Visums eingereist ist, ist nicht erkennbar inwieweit hier die Asylantragsstellung aufgrund einer „Instrumentalisierung“ erfolgt. Die Regelung scheint „nur“ Fälle von Grenzübertritten aus Belarus zu erfassen bzw. dafür aktiviert zu werden. Die vergleichsweise geringe Anzahl an Dublin-Rückkehrer nach Polen (340 Überstellungen von 2223 Ersuchen im Jahr 2024) fällt daher wahrscheinlich nicht unter das Gesetz, jedenfalls sofern sie nicht zuvor die belarussisch-polnische Grenze passiert hatten (im Ergebnis auch: VG Ansbach, B.v. 29.10.2024 – AN 18 S 23.50578 – juris Rn. 40).
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Auch ändert das Vorbringen des Antragstellers, Ukrainer würden in Polen wie Sklaven gehalten, nichts an obigem Ergebnis. Er habe in einem Wagon ohne Wasser und Strom gelebt. Die Arbeitsbedingungen für Arbeiter seien schlecht. Diese Bedingungen sind – sollten sie tatsächlich so vorgelegen haben – durchaus kritisch. Dabei handelt es sich aber wohl um von diesem Arbeitgeber zu verantwortende Bedingungen. Dass der Antragsteller dagegen etwas unternommen hätte und keine Unterstützung vom polnischen Staat bekommen hätte, ist weder vorgetragen noch aus obigen Erkenntnismitteln ersichtlich. Jedenfalls ist aber gerade nicht ersichtlich, dass er erneut mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer solchen Unterbringungssituation konfrontiert wäre und so eine Verletzung von Art. 4 GrCh drohe.
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cc) Anhaltspunkte für ein Vorliegen der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG oder eines Anspruchs auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Dublin III-VO sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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c) Gegenstand des Antrags im vorläufigen Rechtsschutz ist nur die summarische Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung. Damit kann hier noch offen bleiben, ob die Festsetzung der Dauer von 60 Monaten bzgl. des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG in Ziff. 4 des Bescheids rechtmäßig erfolgt ist (vgl. für die Rechtswidrigkeit dieser seit Ende 2024 in Dublin-Bescheiden wohl umfassenden neuen Praxis des Bundesamts: VG Würzburg, GB v. 14.1.2025 – W 6 K 24.50466 – BeckRS 2025, 1185 Rn. 22 ff.; U.v. 29.1.2025 – W 5 K 25.50003 – BeckRS 2025, 1781 Rn. 35 ff.).
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Abschiebungsanordnung war daher abzulehnen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).