Inhalt

VG München, Urteil v. 23.04.2025 – M 31 K 25.30974
Titel:

Asylverfahren, Herkunftsland Brasilien

Normenketten:
GG Art. 16a Abs. 1
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2
AsylG §§ 3 ff.
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Schlagworte:
Asylverfahren, Herkunftsland Brasilien
Fundstelle:
BeckRS 2025, 11006

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Kläger sind brasilianische Staatsangehörige. Sie reisten am 17. Dezember 2023 gemeinsam aus der Schweiz kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier am 15. Januar 2024 Asylanträge.
2
Nach vorheriger persönlicher Anhörung am 7. Januar 2025 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 10. März 2025, den Klägern zugestellt am 14. März 2025, die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (Nr. 3) ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Brasilien oder in einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
3
Die Kläger haben am 19. März 2025 zur Niederschrift des Urkundsbeamten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben. Beantragt wird,
4
den Bescheid der Beklagten vom 10. März 2025 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Asylberechtigung, hilfsweise die Flüchtlingseigenschaft, weiter hilfsweise den subsidiären Schutz zuzuerkennen, noch weiter hilfsweise festzustellen, dass bei ihnen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Brasiliens vorliegen.
5
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 3. April 2025 und weiterem Schreiben vom 22. April 2025 wurde die Klage unter Vorlage verschiedener Dokumente begründet.
6
Die Beklagte übersandte die Behördenakten und beantragt
7
Klageabweisung.
8
Mit Beschluss vom 25. März 2025 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
9
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere das Sitzungsprotokoll vom 23. April 2025, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10
Die zulässige Klage ist sowohl im Hauptantrag als auch in den Hilfsanträgen unbegründet.
11
Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Asylberechtigung oder der Flüchtlingseigenschaft oder des hilfsweise angestrebten subsidiären Schutzes. Gleiches gilt für die noch weiter hilfsweise beantragte Feststellung, dass bei ihnen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Brasiliens besteht. Vielmehr erweist sich der streitbefangene Bescheid des Bundesamts vom 10. März 2025 als rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
12
1. Die haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG oder des internationalen Schutzes und § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 3 ff. AsylG.
13
Der Vortrag der Kläger ist nicht geeignet, eine Verfolgung oder das Drohen eines ernsthaften Schadens in Brasilien i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG oder §§ 3 ff. AsylG ausreichend zu belegen.
14
1.1 Weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Asylberechtigung noch der Flüchtlingseigenschaft liegen bei den Klägern nicht vor.
15
Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Asylberechtigter oder Flüchtling rechtfertigen würde, ist aus dem Vortrag der Kläger nicht ableitbar.
16
Gemäß Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
17
Die Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Der in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ des Art. 2 Buchst. d der RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi – NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 18.4.1996 – 9 C 77.95, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07, ZAR 2008, 192; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – NVwZ 2013, 936). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – BVerwGE 89, 162).
18
Das Gericht muss dabei sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Es ist Sache des Ausländers, die Gründe seiner Verfolgung und Bedrohung in schlüssiger Form vorzutragen (vgl. §§ 15, 25 AsylG). Dabei hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmige Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei dessen Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung oder Bedrohung begründet ist, sodass ihm nicht zuzumuten ist, in das Herkunftsland zurückzukehren.
19
Gemessen daran kann dem Vortrag der Kläger zur Überzeugung des Gerichts nicht entnommen werden, dass sie von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren (vgl. § 3c AsylG) vor ihrer Ausreise aus Brasilien aus für den Flüchtlingsschutz und/oder die Asylberechtigung relevanten Gründen verfolgt wurden bzw. bei einer Rückkehr nach Brasilien mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit von diesen verfolgt werden würden. Das Gericht geht davon aus, dass für die Kläger im Falle der Rückkehr keine Verfolgungsgefahr besteht.
20
Dem Vortrag der Kläger zu den angeblich maßgeblich fluchtauslösenden Umständen ist bereits keine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung zu entnehmen. Er ist insgesamt nicht glaubhaft, da er sich einerseits als oberflächlich und unsubstantiiert und andererseits an maßgeblicher Stelle auch als erheblich gesteigert erweist. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass die Kläger am 10. Dezember 2015 tatsächlich Opfer eines Diebstahls geworden sind, den sie ausweislich der fragmentarisch vorgelegten Bescheinigung auch bei der Polizei in Sao Paulo zur Anzeige gebracht haben. Die angeblich zahlreichen weiteren Überfälle und Angriffe durch Kriminelle sind von den Klägern indes nicht ansatzweise klar und substantiiert in ihren tatsächlichen Abläufen geschildert worden und erweisen sich sonach für das Gericht als inhaltlich nicht ausreichend nachvollziehbar. Im Vortrag vor dem Bundesamt und in der Klagebegründung finden sich hierzu letztlich immer wieder nur sehr oberflächlich-allgemeine Aussagen, wonach die Kläger mehrfach von Kriminellen überfallen worden seien. Der Vortrag gibt aber, mit Ausnahme des bei der Polizei angezeigten Diebstahls vom 10. Dezember 2015, keinerlei Aufschluss zu konkreten Daten, Tätern und Tatabläufen/-umständen, sondern erschöpft sich ganz überwiegend in Gemeinplätzen wie beispielsweise „In einem Monate wurde das Haus viermal beraubt und überfallen“ und „Ich wurde Opfer von mehreren Überfällen durch Kriminelle, Opfer von Messerangriffen“. Auch die Einlassungen in der mündlichen Verhandlung gehen im Allgemeinen nicht darüber hinaus. Soweit die Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung allerdings vertiefte und konkretere Angaben zu einem angeblichen räuberischen Angriff auf ihr Auto an einer Ampel gemacht haben, der im Jahr 2023 unmittelbarer Auslöser für das Verlassen Brasiliens gewesen sei, erweist sich gerade dieser für das Asylbegehren der Kläger zentrale Vortrag als in erheblicher Weise gesteigert und daher unglaubhaft. Vor dem Bundesamt war von einem Angriff mit einer Eisenstange, dem Einschlagen eines Autofensters und einer blutenden Verletzung der Klägerin zu 2., die auf Glassplitter des Autofensters zurückzuführen sei, mit keinem Wort die Rede. Vielmehr schilderte der Kläger zu 1. vor dem Bundesamt ohne weitere Angabe von Details lediglich, er sei zuletzt zusammen mit seiner Familie angegriffen worden, der Angreifer habe eine Fensterscheibe zerbrochen und eingeschlagen, die Kinder hätten Angst bekommen. Die Klägerin zu 2. hatte ebenfalls nicht ansatzweise detailliert hierzu vorgetragen. Von dem in der mündlichen Verhandlung geschilderten Überfall im Auto und namentlich der dabei erlittenen Verletzung war dort nicht die Rede. Es entspricht indes der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Betroffene gerade solche Ereignisse, die, wie hier, sodann sogar unmittelbarer Anlass für das Verlassen des langjährigen Aufenthaltsstaates gewesen sein sollen, detailliert, nachvollziehbar und vollständig bereits vor dem Bundesamt als maßgeblich fluchtauslösende Umstände schildern. Dies vor allem auch deswegen, weil die Kläger bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt ausdrücklich danach gefragt wurden, ob sie dem Asylantrag noch etwas Wichtiges hinzuzufügen hätten. Ein in diesem Sinne qualifizierter Vortrag ist bei den Klägern aber gerade nicht festzustellen. Vielmehr erschöpft sich der klägerische Vortrag, wie ausgeführt, größtenteils in allgemein und vage gehalten Angaben zur kriminellen Vorfällen in Brasilien. Schließlich haben sich die Kläger auch nicht ansatzweise dazu verhalten, warum sie die Details zum Überfalls auf ihr Auto nicht bereits vor dem Bundesamt, sondern in dieser Breite, wie ausgeführt, erstmals im gerichtlichen Verfahren vorgebracht haben. Dem Gericht drängt sich hier der Eindruck einer erheblichen und maßgeblich asyltaktisch motivierten Steigerung des klägerischen Vortrags vor Gericht und nicht der einer bloßen Präzisierung im Detail auf.
21
Zudem ist festzustellen, dass die Kläger – mit Ausnahme hinsichtlich des Diebstahls vom Dezember 2015 – auch keinerlei Nachweise durch Dokumente brasilianischer Behörden, insbesondere polizeilicher Anzeigen über die geschilderten Vorfälle, vorlegen konnten. Warum dies zwar für den Diebstahl vom 11. Dezember 2015 möglich war, im Weiteren indes nicht, erschließt sich dem Gericht nicht und wurde von den Klägern auch nicht ansatzweise erläutert. Auch allein schon aus diesem Grunde kann dem Vortrag der Kläger kein Glauben geschenkt werden.
22
Das Gericht kann – wie hier – von einer weiteren Ermittlung des Sachverhalts absehen, wenn der zu belegende Verfolgungsvortrag eines Asylbewerbers in wesentlichen Punkten bereits unsubstantiiert ist (z.B. BVerwG, B.v. 20.7.1998 – 9 B 10/98 – juris Rn. 6). So liegt der Fall auch hier. In einer Gesamtschau stellen sich die Angaben der Kläger als sehr vage, zudem an maßgeblicher Stelle erheblich gesteigert und mithin insgesamt unglaubhaft dar.
23
Unabhängig davon selbständig die Entscheidung tragend, handelte es sich bei der vorgebrachten Bedrohung durch Kriminelle in Brasilien und vor allem den Gefährdungen durch dort existente allgemeine (Straßen-)Kriminalität selbst bei Wahrunterstellung um kriminelles Unrecht, das keine hinreichende Anknüpfung an die für die Asylberechtigung und Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen Merkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG erkennen lässt. Dass die Kläger, insbesondere wegen des von der Klägerin zu 2. getragenen Kopftuchs, in Brasilien für wohlhabende – in den Worten der Kläger – „Golfaraber“ gehalten werden, macht sie insbesondere auch nicht bereits zu einer sozialen Gruppe i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Eine bestimmte soziale Gruppe muss als solche innerhalb der sie umgebenden Gesellschaft bestimmbar sein und eine fest umrissene Identität aufweisen. Es kommt danach darauf an, ob eine Gruppe durch die übrige Gesellschaft als eine abgegrenzte solche aufgrund bestimmter, diese gemeinsam prägender Charakteristika, Eigenschaften, Aktivitäten, Überzeugungen, Interessen oder Zielvorstellungen wahrgenommen wird (stRspr vgl. z.B. VG München, U.v. 15.11.2023 – M 31 K 23.32083 – juris Rn. 20). Die Kläger weisen als arabischstämmige Brasilianer keine solche ausreichend abgrenzbare, feste soziale Gruppenidentität auf.
24
Schließlich bedarf es, wenn, wie hier, eine Verfolgung von privater Seite geltend gemacht wird, einer eingehenden Prüfung, inwieweit Schutz gegen Verfolgung durch staatliche Akteure erlangt werden kann. Die sinngemäße pauschale Behauptung der Kläger, es sei von der brasilianischen Polizei und Justiz keine Hilfe zu erwarten, begründet nicht die nach § 3c Nr. 3 AsylG erforderliche Annahme, die in § 3c Nr. 1 und 2 AsylG genannten Akteure seien erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens, Schutz vor Verfolgung zu bieten. Dies ist mit Blick auf die Erkenntnislage in Brasilien nicht der Fall (vgl. z.B. Home Office UK, Country Policy and Information Note Brazil: Actors of protection, November 2020, S. 8 und 15 ff.). Ein vollständiger Schutz gegen Verfolgungsgefahren durch nichtstaatliche Akteure wird ohnehin nicht geschuldet. Es kann nicht verlangt werden, dass ein Staat sämtliche Risiken beseitigt. Die Forderung nach einem lückenlosen Schutz ginge – wie allgemein in Bezug auf Übergriffe krimineller Art – an einer wirklichkeitsnahen Einschätzung der Effizienz staatlicher Schutzmöglichkeiten vorbei. Maßgeblich ist ein pragmatischer Standard der vom Heimatstaat vernünftigerweise gegenüber der Bevölkerung geschuldeten Schutzpflichten. Selbst wenn Bedrohungen und/oder Übergriffe durch Kriminelle, vor allem gerade auch Eigentumsdelikte durchaus zum Alltag insbesondere der brasilianischen Großstädte gehören mögen, ist ein ausreichender Schutz so lange anzunehmen, als eine im Einzelfall fehlende Schutzbereitschaft nicht Ausdruck einer grundsätzlich-systemischen Schutzunwilligkeit oder Schutzunfähigkeit des Staates gegenüber solchen Gefahren ist (vgl. zusammenfassend Hailbronner, Ausländerrecht, § 3d AsylG, Rn. 18 m.w.N. der Rechtsprechung). Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung (vgl. die insoweit auf die Neuregelung des Ausländer- und Asylrechts vom 30.7.2004 übertragbaren Entscheidungen BVerwG, U.v. 3.12.1985, BVerwGE 72, 269 und U.v. 18.2.1986, BVerwGE 74, 41) wie auch nach aktuell geltendem Recht ist es ausreichend, wenn Schutzakteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zum Beispiel durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung der Verfolgungshandlungen zu verhindern und der Betroffene Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG). Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Gerichts in Brasilien, wie ausgeführt (vgl. Home Office UK, aaO), gegeben. Auch zeigt gerade auch die von den Klägern vorgelegte Strafanzeige wegen eines Diebstahls im Dezember 2015, dass brasilianischen Sicherheitsbehörden sehr wohl willens und in der Lage sind, auch der (Alltags-)Kriminalität in Gestalt vor allem von Eigentums-/Raubdelikten mit Mitteln der Strafverfolgung zu begegnen.
25
Eine weitere Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 VwGO) war nicht geboten, da die Kläger es unter Verstoß gegen ihre Mitwirkungslast unterlassen hat, von sich aus einen ausreichend schlüssigen und widerspruchsfreien Sachverhalt zu schildern (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 47). Nach Auffassung des Gerichts haben sich die Kläger im Dezember 2023 aus ungeklärten, indes nicht verfolgungsrelevanten Gründen zu einem Verlassen Brasiliens entschlossen; eine schutzrelevante Bedrohung in Brasilien ist nicht gegeben. Bei einer Gesamtschau des klägerischen Vortrags erweist sich dieser als unglaubhaft. Es drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Kläger zur angeblichen Bedrohung im Wesentlichen nicht ein von ihnen selbst erlebtes, sondern ein in weiten Teilen erfundenes Geschehen schildern. Selbst im Falle einer Wahrunterstellung des Vortrags zu erlittenem kriminellen Unrecht in Brasilien würde es sich zudem um keine flüchtlingsrelevante Verfolgung, sondern vielmehr um Straftaten handeln, gegen die der brasilianische Staat in zumindest (noch) ausreichender Art und Weise Schutz bietet.
26
Eine Verfolgung in Brasilien durch staatliche oder insbesondere nichtstaatliche Akteure steht somit zur Überzeugung des Gerichts für die Kläger nicht zu befürchten.
27
Ohne dass es noch darauf ankäme, weist das Gericht abschließend darauf hin, dass die Zuerkennung der Asylberechtigung wegen der Einreise aus der Schweiz ohnehin bereits an der Drittstaatenregelung in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG i.V.m. § 26a Abs. 1 und 2 AsylG und Anlage I scheitern würde.
28
1.2 Der Vortrag der Kläger ist auch nicht geeignet, das Drohen eines ernsthaften Schadens in Brasilien i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG ausreichend zu belegen.
29
Subsidiär schutzberechtigt ist, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe (Satz 2 Nr. 1), der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (Satz 2 Nr. 2) oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlich bewaffneten Konflikts (Satz 2 Nr. 3). Es ist vorliegend nicht ersichtlich, dass einer dieser Tatbestände einschlägig wäre. Die Kläger haben nicht vorgetragen, dass ihnen im Falle einer Rückkehr nach Brasilien ein ernsthafter Schaden in Gestalt der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlich bewaffneten Konflikts drohen könnte.
30
Allenfalls käme hier eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Kläger infolge willkürlicher Gewalt durch kriminelle Banden, Gruppen und Milizen in Betracht. Auch in der hier allein zu erwägenden Variante des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bedarf es dazu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Streitkräften, die sich von der bloßen willkürlichen Gewaltanwendung des Staates oder einzelner Gruppen gegen Zivilpersonen unterscheidet. Notwendig dafür ist ein Aufeinandertreffen entweder der regulären Streitkräfte mit bewaffneten Gruppen oder zwischen zwei oder mehreren bewaffneten Gruppen (vgl. EuGH, U.v. 30.1.2014 – C 285/12 – juris). In Brasilien fehlt es an einem solchen bewaffneten Konflikt, da sich keine Streitkräfte im vorgenannten Sinne gegenüberstehen. Die teilweise in erheblicher Weise, vor allem in Favelas verschiedener Großstädte präsenten kriminellen Banden, Gruppen und Milizen treten zwar bewaffnet auf und versuchen auf diese Art und Weise, lokale und regionale Machtstrukturen aufzubauen und durchzusetzen, treten aber nicht im Sinne einer Bürgerkriegspartei gegen das staatliche Gewaltmonopol auf. Es handelt sich vielmehr um mafiös strukturierte Ausprägungen der Organisierten Kriminalität, deren erhebliches Gewaltpotenzial sich gegen deren kriminellen Zielen widerstreitende Interessen verfolgende Bürger Brasiliens im Allgemeinen richtet (vgl. aktuell z.B. Home Office UK, Country Information Note Brazil: Background information including internal relocation, November 2020, passim).
31
Wie vorstehend ausgeführt, ist der individuelle Vortrag der Kläger zu einer Bedrohung durch Kriminelle bereits nicht glaubhaft, sodass auch keine weiteren Besonderheiten des Einzelfalls vorliegen. Den Klägern droht zur Überzeugung des Gerichts weder aufgrund der Sicherheitslage noch der persönlichen Situation als Auslandsheimkehrer ein ernsthafter Schaden.
32
2. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheiden unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation in Brasilien und der individuellen Umstände der Kläger ebenfalls aus.
33
Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass die Lage des Betroffenen und seine Lebensumstände im Fall einer Aufenthaltsbeendigung erheblich beeinträchtigt würden, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – NVwZ 2008, 1334; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris; B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris). Unabhängig davon, in welchen Fällen existenzbedrohende Armut im Sinne von Art. 3 EMRK relevant sein kann, liegen Anhaltspunkte hierfür nicht vor.
34
Die Kläger zu 1. und 2. sind volljährig und arbeitsfähig; die normative Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG ist nicht widerlegt. Dies gilt mit Blick sowohl auf die vom Kläger zu 1. ohne Nachweis angeführten gesundheitlichen Einschränkungen an seinem Rücken und Magen als auch auf den ebenfalls nicht durch hinreichend qualifizierte medizinische Nachweise belegten Vortrag zu Anzeichen für Traumafolgestörungen der Klägerinnen zu 3. und 6. auf Grundlage der Stellungnahmen der Mittelschule Gilching und des Kindergartens Gilching. Hinweise darauf, dass die Kläger zu 1. und 2. nach einer Rückkehr nicht in der Lage sein werden, das Existenzminimum für sich und ihre Kinder zu sichern, sind auch im Übrigen nicht ersichtlich. Es ist nichts dafür erkennbar, dass der Kläger zu 1., der in Brasilien bereits über Jahre in verschiedenen Berufen, zuletzt als Uber-Fahrer gearbeitet hat, nicht in der Lage wäre, im Falle der Rückkehr den Lebensunterhalt auch erneut wie bereits in der Vergangenheit für die Familie zumindest „mit seiner Hände Arbeit“, wenn gegebenenfalls auch auf eher niedrigem Niveau, so doch noch ausreichend zu bestreiten. Bessere wirtschaftliche oder soziale Perspektiven in Deutschland begründen im Übrigen kein Abschiebungsverbot.
35
Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Danach soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
36
Bei den in Brasilien vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Eine extreme Gefährdungslage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise dann nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris), wenn ein Einzelner gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, liegt nicht vor. Dies hat das Bundesamt im streitbefangenen Bescheid unter Nr. 4 der Begründung zutreffend festgestellt; hierauf wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend ist Folgendes festzustellen: Wie bereits ausgeführt, ist – insbesondere auch mit Blick auf die vorgelegten Stellungnahmen der Mittelschule Gilching und des Kindergartens Gilching – bei keinem der Kläger die auch zielstaatsbezogen wirkende (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG widerlegt. Erst recht ist nichts für das Vorliegen von erheblichen konkreten gesundheitlichen Gefahren, die den qualifizierten Voraussetzungen nach § 60 Abs. 7 Satz 3 und 4 AufenthG entsprächen, ersichtlich. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56). Solches ist im Fall der Kläger indes mit Blick auf die vorgelegten Unterlagen (s.o.) nicht zu gewärtigen.
37
Im Übrigen und unabhängig davon ist schließlich auch nicht davon auszugehen, dass sich die Kläger in Brasilien einer unzureichenden medizinischen Versorgungssituation ausgesetzt sähen. Nach der aktuellen Erkenntnismittellage besteht in Brasilien mit dem Sistema Único de Saúde (SUS) ein kostenloses und universelles öffentliches Gesundheitssystem (vgl. Bertelsmann-Stiftung, BTI 2022 Country Report Brazil, S. 24). Das SUS ist eines der größten und komplexesten öffentlichen Gesundheitssysteme der Welt, das von der einfachen bis hin zur komplexen Versorgung reicht und einen vollständigen, universellen und freien Zugang für die gesamte Bevölkerung des Landes gewährleistet (ZIRF/IOM, 1. Quartal 2020, Medizinische Versorgung). Mit einer sog. SUS-Karte, die auf Antrag erteilt wird, kann die Gesundheitsversorgung in den Gesundheitsinstituten und Krankenhäusern Brasiliens als Teil des SUS-Netzwerks genutzt und können Arzneimittel kostenlos bezogen werden (ZIRF/IOM, aaO), Im privaten Sektor ist das medizinische Versorgungsangebot zudem zumindest in den großen Städten im Übrigen überwiegend auf westeuropäischem Standard. (vgl. AA, Brasilien: Reise- und Sicherheitshinweise, aufgerufen am 23.4.2025; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Brasilien, Stand 26.7.2018, S. 17 ff.). Von einer unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Brasilien ist daher weder allgemein noch im Fall der Kläger auszugehen. Schließlich hat der Kläger zu 1. im Übrigen auch selbst in seiner Anhörung vor dem Bundesamt bestätigt, dass die Versorgung mit Medikamenten in den staatlichen Krankenhäusern für ihn in der Vergangenheit kostenfrei und bedarfsgerecht erfolgt ist.
38
3. Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie gegen die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG bestehen schließlich ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Auf die Feststellungen in Nr. 5 und 6 der Begründung des streitbefangenen Bescheids wird gemäß § 77 Abs. 3 AsylG Bezug genommen.
39
Sonach war die Klage mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzuweisen; das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
40
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.