Titel:
Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs bei Klage gegen Nennung des Namens als Anzeigeerstatter in einer Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft
Normenketten:
EGGVG § 23
GVG § 17a
StPO § 171, § 172
Leitsätze:
1. Strafprozessuale Entscheidungen der Staatsanwaltschaft können nicht von den Verwaltungsgerichten geprüft werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Über die Rechtmäßigkeit von Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten unter anderem auf dem Gebiet der Strafrechtspflege getroffen werden, entscheiden auf Antrag die ordentlichen Gerichte, § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG. Danach ist für Maßnahmen der Staatsanwaltschaft auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, insbesondere auch für Prozesshandlungen der Staatsanwaltschaft, der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Soweit die StPO spezielle Vorschriften enthält, etwa in §§ 171 Abs. 1 S. 2, 172 StPO in Bezug auf ein sog. Klageerzwingungsverfahren, gehen diese Regelungen den allgemeinen Vorschriften der §§ 23 ff. EGGVG vor, § 23 Abs. 3 EGGVG. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verweisung, ordentlicher Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet, Rechtsweg, Verwaltungsrechtsweg, strafprozessuale Entscheidung, Namensnennung, Einstellungsbescheid, Staatsanwaltschaft, ordentlicher Rechtsweg
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10996
Tenor
I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Bayerische Oberste Landesgericht verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vorbehalten.
Gründe
1
Der Kläger wendet sich gegen die Nennung seines Namens als Anzeigeerstatter in einer Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft M. I.
2
Mit Schreiben vom 12. Februar 2023 informierte der Kläger den Polizeipräsidenten des Polizeipräsidiums M. über die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München (Az.: M 2 K 20.3040) und stellte eine Überprüfung der Vorgänge im Kreisverwaltungsreferat M wegen Rechtsbeugung, Amtsmissbrauchs, Anstiftung zur Straftaten, Verfolgung von Unschuldigen und weiteren in Frage kommende Straftaten durch geeignete Stellen in Aussicht.
3
Nach Erhalt dieses Schreibens sah die Staatsanwaltschaft M. I mit Verfügung vom 3. März 2023 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gem. § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ab. Begründet wurde diese Verfügung damit, dass ein Ermittlungsverfahren wegen verfolgbarer Straftaten nur dann einzuleiten sei, wenn hierfür zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorlägen. Diese müssten es nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliege, was jedoch in dem konkreten Sachverhalt nicht der Fall sei. Ein etwaiges strafbares Verhalten sei unter keinem Gesichtspunkt erkennbar. Der Inhalt der Einstellungsverfügung vom 3. März 2023 wurde dem Kläger mit Schreiben der Staatsanwaltschaft M I vom 10 März 2023 mitgeteilt.
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Gegen diese Einstellungsverfügung hat der Kläger mit Schreiben vom 24. April 2023 bei der Generalstaatsanwaltschaft M Beschwerde erhoben und damit begründet, dass der Kläger noch keine Strafanzeige erstellt hat, sondern er sich mit Schreiben vom 12. Februar 2023 lediglich bei der Polizei bedankt habe.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat das Schreiben des Klägers vom 24. April 2023 als Beschwerde im Sinne des § 172 Abs. 1 StPO aufgefasst und der Beschwerde mit Schreiben vom 3. April 2023 keine Folge gegeben.
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Mit Schreiben vom 10. Mai 2023 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben.
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Der Kläger beantragt sinngemäß festzustellen:
1. Der Beklagte hat wahrheitswidrig als Anzeige des Klägers, ein Vorermittlungsverfahren gegen das KVR M mit Namen des Klägers geführt.
2. Der Kläger hat eine Anzeige gegen das KVR M laut Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft MI, AZ: 120 AR 1668/23, nicht getätigt.
3. Der Kläger hat eine Strafanzeige laut Aktenzeichen der Generalstaatsanwaltschaft M, AZ: 201 Zs 637/23 f, hier Strafanzeige gegen Mitarbeiter des KVR M wegen Rechtsbeugung u.a. nicht getätigt.
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Zur Begründung der Klage führt der Kläger aus, er habe mit Schreiben vom 12. Februar 2023 dem Polizeipräsidenten M lediglich das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Juli 2022 mitgeteilt und sich für die Arbeit der Polizei bedankt. Eine Strafanzeige sei damit nicht verbunden gewesen. Das Wort „Anzeige“ habe der Kläger nicht benutzt, vielmehr habe er nur mitteilen wollen, dass er das vom KVR M eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren vor dem Amtsgericht München einer Überprüfung zuführen werde. Diesbezüglich werde sich der Kläger jedoch in Kalenderwoche 19 an eine auswärtige Behörde wenden.
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Auf eine Anhörung des Gerichts mit Schreiben vom 20. Juni 2023 zu einer Verweisung an das Oberlandesgericht München unter Hinweis auf die fehlende Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs äußerte sich der Beklagte, dass zwar eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht vorliege, jedoch eine Abgabe an das Oberlandesgericht München gem. § 172 Abs. 4 StPO nicht in Betracht komme, da der Kläger kein Klageerzwingungsverfahren nach § 172 StPO begehre. Der Kläger stellte die Verweisung in das Ermessen des Gerichts. Mit gerichtlichem Schreiben vom 28. März 2025 wurden die Beteiligten – verbunden mit richterlichem Hinweis zur nunmehrigen Auslegung des klägerischen Begehrens – zu einer Verweisung an das Bayerische Oberste Landesgericht angehört. Der Beklagte äußerte sich dahingehend, dass weder eine Verweisung an das Oberlandesgericht München noch eine Verweisung an das Bayerische Oberste Landesgericht in Betracht komme, weil kein Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 EGGVG vorliege. Vielmehr sei die Klage von dem Verwaltungsgericht mangels Eröffnung des Rechtswegs als unzulässig abzuweisen. Der Kläger hat sich inhaltlich hierzu nicht näher eingelassen.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
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Nach § 173 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist die Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs festzustellen und der Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten an das zuständige Bayerische Oberste Landesgericht zu verweisen.
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Nach § 40 Abs. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
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Der Kläger wendet sich vorliegend im Kern gegen die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft M I in Zusammenhang mit der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens und im Umgang mit seinem Schreiben vom 12. Februar 2023 an den Polizeipräsidenten M . Eine diesbezügliche Aufsichtsbeschwerde, Dienstaufsichtsbeschwerde oder Gegenvorstellung, welche dem Petitionsrecht aus Art. 17 GG unterfallen, hat der Kläger nicht zum Streitgegenstand gemacht (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2021 – 5 C 21.1640 – juris).
14
Strafprozessuale Entscheidungen der Staatsanwaltschaft können jedoch nicht von den Verwaltungsgerichten geprüft werden (BVerwG, B.v. 16.12.1958 – BVerwG VII B 41/58 – juris; VG Augsburg, B.v. 9.2.2009 – Au 5 E 09.135 – juris; VG München, B.v. 17.3.2025 – M 30 K 25.769 – juris). Über die Rechtmäßigkeit von Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten u.a. auf dem Gebiet der Strafrechtspflege getroffen werden, entscheiden auf Antrag die ordentlichen Gerichte, § 23 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG). Danach ist für Maßnahmen der Staatsanwaltschaft auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, insbesondere auch für Prozesshandlungen der Staatsanwaltschaft, der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2015 – 5 C 15.2518 – juris; VG München, B.v. 17.3.2025 – M 30 K 25.769 – juris). Soweit die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) spezielle Vorschriften enthalten, etwa in §§ 171 Abs. 1 Satz 2, 172 StPO in Bezug auf ein sog. Klageerzwingungsverfahren, gehen diese Regelungen den allgemeinen Vorschriften der §§ 23 ff. EGGVG vor, § 23 Abs. 3 EGGVG.
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Der Rechtsstreit war daher von Amts wegen an das zuständige Bayerische Oberste Landesgericht zu verweisen, da eine Verweisung an das Oberlandesgericht München gem. § 172 Abs. 4 StPO nicht in Betracht kommt.
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Es handelt sich vorliegend um einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG, da das Begehren des Klägers ausweislich des Wortlauts seiner Anträge nicht als Beschwerde des Verletzten im Rahmen eines Klageerzwingungsverfahrens gem. § 172 StPO verstanden werden kann – so auch der Beklagte in seiner Stellungnahme vom 10. Juli 2023 -.
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Inwieweit die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit die vorliegende Tätigkeit der Staatsanwaltschaft (Behandlung der Mitteilung des Klägers vom 12. Februar 2023 als Strafanzeige) als Prozesshandlung und damit nicht als dem Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG unterworfen ansieht, ist der Beurteilung der Verwaltungsgerichtsbarkeit entzogen und durch die ordentliche Gerichtsbarkeit zu klären (BGH, B.v. 16.10.2020 – 1 ARs 3/20 –, juris; OLG Frankfurt a. M., B.v. 11.10. 2004 – 3 VAs 34/04 –, juris, OLG Frankfurt a.M., B.v. 18.9.2007 – 3 VAs 33/07 –; juris). Es obliegt daher dem Bayerischen Obersten Landesgericht darüber zu entscheiden, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage, und insbesondere die der Statthaftigkeit eines Antrags gem. § 23 EGGVG, vorliegen (vgl. BayObLG, B.v. 14.5.2024 – 203 VAs 106/24 – beck-online).
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Soweit der Beklagte der Auffassung ist, dass weder eine Verweisung an das Oberlandesgericht München noch eine Verweisung an das Bayerische Oberste Landesgericht in Betracht komme, weil bereits kein Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 EGGVG vorliege und das Verwaltungsgericht die Klage daher mangels Eröffnung des Rechtswegs als unzulässig abweisen müsse, ist dem vielmehr nicht zu folgen. Bei Unzulässigkeit des Rechtswegs für das von dem Kläger geltend gemachte Begehren steht dem angerufenen Gericht nicht die Befugnis zu, über die Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs und die Zulässigkeit der Klage an sich zu entscheiden (vgl. bereits BVerwG, B.v. 22.2.1998 – 6 P 3/97 –, juris). Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 17a Abs. 2 GVG, der keinen Anhalt dafür bietet, dass das angerufene Gericht über die Entscheidung über den Rechtsweg hinaus eine Prüfungskompetenz hätte. Die grundsätzliche Beschränkung auf die Prüfung des zutreffenden Rechtswegs ist zudem eine Konsequenz aus dem Erfordernis, dass der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darüber zu entscheiden hat, ob die Klage zulässig und begründet ist. Die Regelung des § 17a GVG dient auch dazu, einen Rechtsstreit möglichst schnell und verlässlich dem gesetzlichen Richter zuzuführen (vgl. BT-Dr 11/7030, S. 36). Die Klärung der Folgen der Anrufung eines Gerichts des unzutreffenden Rechtswegs muss daher Aufgabe des zuständigen Gerichts bleiben. Müsste das zuerst angerufene Gericht über derartige, unter Umständen schwierige Rechtsfragen vorab entscheiden, würde zudem das Beschleunigungsziel des § 17a GVG verfehlt (BVerwG, B.v. 5.2.2001 – 6 B 8/01 –, juris).
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Die sachliche und örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 12 Nr. 3 des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes (AGGVG) i.V.m § 25 Abs. 2 EGGVG, Art. 1 des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte im Freistaat Bayern (Gerichtsorganisationsgesetz – GerOrgG).
20
Die Entscheidung über die Kosten bleibt gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG der Schlussentscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vorbehalten.