Titel:
Herkunftsland Somalia, Eilantrag gegen Abschiebungsandrohung nach Rumänien (erfolgreich), Asylantrag in Deutschland nach Gewährung internationalen Schutzes in Rumänien, Systemische Mängel im rumänischen Asylsystem für vulnerable Personen, hier: alleinstehende minderjährige Frau (bejaht)
Normenketten:
GRC Art. 4
EMRK Art. 3
RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 Buchst. a
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AsylG § 35
AsylG § 36
Schlagworte:
Herkunftsland Somalia, Eilantrag gegen Abschiebungsandrohung nach Rumänien (erfolgreich), Asylantrag in Deutschland nach Gewährung internationalen Schutzes in Rumänien, Systemische Mängel im rumänischen Asylsystem für vulnerable Personen, hier: alleinstehende minderjährige Frau (bejaht)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10980
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. März 2025 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Androhung der Abschiebung nach Rumänien.
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Die am ... 2007 geborene Antragstellerin ist somalische Staatsangehörige. In der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) – auch zur Zulässigkeit ihres Asylantrags – am 15. Mai 2024 gab die Antragstellerin an, als kleines Kind sei an ihr eine Genitalbeschneidung durchgeführt worden. Die Antragstellerin legte ein ärztliches Attest vor, wonach eine frühkindliche Beschneidung 1. Grades durchgeführt worden sei. Nachdem die Antragstellerin in Somalia verheiratet und in diesem Zug erneut beschnitten werden sollte, habe sie das Land Ende 2020 zusammen mit ihrer älteren Schwester und deren vier Kindern verlassen. Zusammen seien sie – nach Aufenthalten in der Türkei, Griechenland und Serbien – in Rumänien eingereist.
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Dort stellte die Antragstellerin am 2. März 2022 einen Asylantrag. Am 20. April 2022 wurde ihr in Rumänien internationaler Schutz gewährt. Später reiste sie zusammen mit ihrer Schwester nach Frankreich weiter, wo sie ebenfalls einen Asylantrag stellte. Im Anschluss reiste sie allein in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dort stellte sie am 22. Februar 2024 einen Asylantrag.
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Zu ihrem Aufenthalt in Rumänien erklärte die Antragstellerin im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt, zunächst in Quarantäne gewesen und dann für etwa vier Monate in einem Camp untergebracht worden zu sein. Danach hätten die Antragstellerin und ihre mit ihr aus Somalia ausgereiste ältere Schwester sich selbst versorgen sollen. Sie seien nach Bukarest gezogen und hätten eine Wohnung angemietet. Ihre Schwester habe als Putzfrau gearbeitet, doch ihr Verdienst habe nicht ausgereicht, um die Miete bezahlen zu können. Integrationsmaßnahmen seien ihr nicht angeboten worden. Die Schule hätte sie nur auf eigene Kosten besuchen können. Sie könne nicht nach Rumänien zurück. Sie habe in Rumänien keine Familie. Es habe keine Unterstützung für Bildung oder gesundheitliche Versorgung gegeben.
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Mit am 3. April 2025 der Antragstellerin förmlich zugestelltem Bescheid vom 27. März 2025 lehnte des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Asylantrag der Antragstellerin vom 22. April 2024 als unzulässig ab, stellte das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten fest, drohte der Antragstellerin die Abschiebung nach Rumänien an und verhängte ein 30-monatiges Einreise- und Aufenthaltsverbot. Unionsrecht stehe der Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht entgegen. Unter Bezugnahme auf verschiedene Erkenntnismittel und Rechtsprechung kam das Bundesamt zu dem Ergebnis, dass der Antragstellerin im Falle einer Überstellung nach Rumänien keine menschenunwürdige oder verfahrenswidrige Behandlung drohe.
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Hiergegen hat die Antragstellerin, vertreten durch ihren Vormund, am 3. April 2025 Klage erhoben und Eilantrag gestellt. Zur Begründung des Eilantrags führt sie aus, im rumänischen Asylsystem bestünden systematische Schwachstellen. Der Antragstellerin sei weder Zugang zu Bildung noch zu gesundheitlicher Versorgung gewährt worden. Auch habe sie zuletzt die Miete für ein Zimmer selbst bezahlen müssen. Als Minderjährige sei die Antragstellerin besonders schutzbedürftig. Sie hat eine pädagogisch-psychologische Stellungnahme vorgelegt. Danach bestehe bei der Abschiebung nach Rumänien, wo die Antragstellerin keine persönlichen Bezüge habe, aus psychologischer und traumapädagogischer Sicht eine hohe Gefahr der Retraumatisierung und der Entwicklung einer Anpassungsstörung.
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Die Antragstellerin beantragt wörtlich:
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Beantragt wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, mit dem die Abschiebung nach Rumänien angeordnet wird.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Antragsgegnerin nimmt Bezug auf die Begründung des Bescheids vom 27. März 2025.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte.
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1. Über den vorliegenden Antrag entscheidet kraft Gesetzes der Berichterstatter als Einzelrichter, § 76 Abs. 4 Satz 1 Asylgesetz (AsylG).
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2. Der Antrag wird im wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO i.V.m. §§ 133, 157 BGB als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 27. März 2025 ausgelegt.
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3. So verstanden ist der Antrag zulässig. Er ist insbesondere gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft, da die von der Antragstellerin am 3. April 2025 innerhalb der Frist nach § 74 Abs. 1 Halbs. 2 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG erhobene Anfechtungsklage gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung hat. Der Antrag wurde noch am Tag der Bekanntgabe des angegriffenen Verwaltungsakts durch förmliche Zustellung gegen Postzustellungsurkunde am 3. April 2025 und damit innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt.
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4. Der Antrag ist auch begründet, da bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 27. März 2025 bestehen.
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a) Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Bei der Prüfung dieser Frage bleiben gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG Tatsachen und Beweismittel unberücksichtigt, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, sofern sie nicht gerichtsbekannt oder offenkundig sind. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes liegen bereits dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99 zu Art. 16 Abs. 4a Satz 1 GG); nicht erforderlich ist die volle gerichtliche Überzeugung von der Rechtswidrigkeit der angegriffenen ablehnenden Asylentscheidung (zum Ganzen BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 35).
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b) Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 27. März 2025 ist ernstlich zweifelhaft.
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aa) Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen grundsätzlich vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 gewährt hat. Die vom Bundesamt durchgeführte EURODAC-Abfrage ergab Treffer für Rumänien (Kategorie 1) sowie für Frankreich (Kategorie 1). Aus der EURODAC-Auskunft geht zudem hervor, dass der Antragstellerin in Rumänien am 20. April 2022 internationaler Schutz gewährt worden ist. Die Antragstellerin hat den Beweiswert der EURODAC-Auskunft (vgl. hierzu VG Bayreuth, U.v. 18.8.2024 – B 7 S 24.32005 – juris Rn. 25 ff.) im Rahmen der Anhörung zur Zulässigkeit ihres Asylantrags am 15. Mai 2024 nicht erschüttert. Sie hat bestätigt, in Rumänien ein Schreiben bekommen zu haben, wisse aber nicht mehr, ob es sich dabei um eine Ablehnung oder eine Anerkennung gehandelt habe. Auch im gerichtlichen Verfahren hat die Antragstellerin nichts vorgetragen, was gegen die Richtigkeit der EURODAC-Auskunft spricht.
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bb) Gleichwohl kann eine auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung aus unionsrechtlichen Gründen rechtswidrig sein. Das ist der Fall, wenn die Lebensverhältnisse, die den Betroffenen als anerkannten Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren. Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl EU Nr. L 180, S. 60) – RL 2013/32/EU – eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed u.a., Rs. C-540/17 u.a. – juris Rn. 35; U.v. 19. März 2019 – Ibrahim u.a., Rs. C-297/17 u. a – juris Rn. 88). Verstöße gegen Art. 4 GRC im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung sind damit nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen, sondern führen bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 34.19 – juris Rn. 15 ff.; U.v. 24.4.2024 – 1 C 8.23 – juris Rn. 9).
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(1) Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Einzelrichter anschließt, gilt für die Annahme unmenschlicher oder erniedrigender Lebensbedingungen aufgrund des unionsrechtlichen Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens ein strenger Maßstab. Solange die Schwelle des Art. 4 GRC nicht erreicht ist, führt der Umstand, dass die Lebensverhältnisse in diesem Mitgliedstaat nicht den Bestimmungen der Art. 20 ff. im Kapitel VII der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl EU L 337 S. 9) – Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU; nachfolgend: RL 2011/95/EU – gerecht werden, für sich genommen nicht zu einer Einschränkung der Ausübung der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU vorgesehenen Befugnis. Gleiches gilt, wenn der Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaates behandelt zu werden und der ernsthaften Gefahr einer gegen Art. 4 GRC verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim u.a., Rs. C-297/17 u. a – juris Rn. 80 ff.; B.v. 13.11.2019 – Hamed u.a., Rs. C-540/17 u.a. – juris Rn. 36).
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Systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 GRC, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt und die dann erreicht wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse – insb. nach Nahrung, Körperpflege und Unterkunft – zu befriedigen, und die ihre körperliche oder geistige Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst bei durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 34.19 – juris Rn. 19). Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden (BVerwG, U.v. 21.11.2024 – 1 C 23.23 – juris Rn. 20).
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Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK, die der EuGH seiner Auslegung des Art. 4 GRC maßgeblich zugrunde legt, müssen die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses „Mindestmaß“ an Schwere (minimum level of severity) erreichen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen. Die Bestimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen. Allerdings enthält Art. 3 EMRK weder eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen, noch begründet Art. 3 EMRK eine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat aber für die als besonders verletzlich gewertete Gruppe der Asylsuchenden eine aus der Aufnahmerichtlinie (aktuell: RL 2013/33/EU) folgende gesteigerte Verantwortlichkeit der EU-Mitgliedstaaten gesehen, die mit Blick auf die RL 2011/95/EU auch für international Schutzberechtigte anzunehmen ist. Auch bei ihnen kann das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere im Zielstaat der Abschiebung erreicht sein, wenn sie ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten (vgl. m.w.N. BVerwG, U.v. 21.11.2024 – 1 C 23.23 – juris Rn. 21; B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 9 ff.).
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(2) Ausgehend von diesen Maßstäben geht der erkennende Einzelrichter davon aus, dass eine Befriedigung der Grundbedürfnisse der Antragstellerin bei einer Rücküberstellung nach Rumänien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und sie dadurch Gefahr läuft, erheblich in ihrer Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden.
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(a) Nach aktuellen Erkenntnismitteln erhalten Personen, denen in Rumänien internationaler Schutz gewährt worden ist, durch den rumänischen Staat sowie durch verschiedene vor Ort tätige Nichtregierungsorganisationen (Nongovernmental organizations – NGOs) verschiedene Unterstützungsangebote, um ihre elementarsten Grundbedürfnisse zu befriedigen (siehe nur AIDA/ECRE, Country Report: Romania, Update 2023, S. 167 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation: Rumänien, Stand: 27.12.2024). Deshalb spricht im Ausgangspunkt viel für die Richtigkeit der in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung, dass die Lebensbedingungen anerkannter Schutzberechtigter in Rumänien nicht generell gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh verstoßen (so z.B. OVG NW, B.v. 26.11.2024 – 11 A 2204/24.A – juris Rn. 17; B.v. 16.8.2023 – 11 A 4136/19.A – juris Rn. 27 ff.; B.v. 19.9.2022 – 11 A 200/20.A – juris Rn. 57 ff.; VG München, B.v. 26.3.2025 – M 6 S 25.31017 – n.v.; B.v. 28.1.2025 – M 30 S 24.31391 – n.v.; VG Aachen, U.v. 9.1.2025 – 4 K 1774/23.A – juris Rn. 138 ff.). Für vulnerable Schutzberechtigte wird die Lage indes im Einzelfall hingegen mehr als nur vereinzelt anders beurteilt (vgl. VG Hannover, U.v. 6.2.2025 – 15 A 984/23 – juris Rn. 27 für Schutzberechtigte mit psychischer Erkrankung; VG München, U.v. 12.8.2024 – M 6 K 29.32434 – n.v. für Schutzberechtigten mit psychischer Erkrankung; VG Münster, B.v. 16.1.2024 – 2 L 7/24.A – asyl.net: M32276 für alleinstehende Frau; VG Würzburg, U.v. 19.6.2023 – W 4 K 22.30656 – juris Rn. 31 für alleinstehende Frau mit Kleinkind; VG Bremen, U.v. 9.11.2022 – 1 K 572/21 – juris für Familie mit drei Kindern; VG Weimar, U.v. 7.4.2022 – 6 K 1113/19 We – MILo, S. 8 ff. für Familie mit fünf Kindern).
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(b) Bei der Antragstellerin liegen mehrere Umstände vor, die eine besondere Verletzlichkeit begründen. Es handelt sich um eine alleinstehende und überdies minderjährige Frau, die über ein sehr niedriges Bildungsniveau verfügt. Hinweise auf finanzielle Unterstützung durch Dritte oder nennenswerte eigene finanzielle Mittel gibt es derzeit nicht. Nach der vorgelegten pädagogisch-psychologischen Stellungnahme bestehen überdies Anhaltspunkte für traumatische Ereignisse in ihrer Biografie, die auf ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen hindeuten können, auch wenn eine solche bislang offenbar nicht aufgetreten ist. Deshalb besteht aus Sicht des erkennenden Einzelrichters eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass es der Antragstellerin unter den unstreitig schwierigen Lebensbedingungen in Rumänien nicht gelingen wird, aus eigener Kraft den Eintritt einer Situation extremer materieller Not, in der ihr Grundbedürfnisse nach Obdach, Körperpflege und Nahrung nicht mehr befriedigt werden, abzuwenden.
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(c) Es besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass es der Antragstellerin nicht möglich sein wird, in Rumänien eine menschenwürdige Unterkunft zu finden. Anerkannte international Schutzberechtigte dürfen zwar nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44 vom 31. Januar 2004 (nachfolgend: Integrationsverordnung – IntVO-RO) für bis zu 12 Monate in staatlichen Unterbringungseinrichtungen verbleiben, wobei hierfür ab einer Aufenthaltsdauer von drei Monaten eine – im Vergleich zum freien Wohnungsmarkt günstigere Miete – zu entrichten ist (AIDA/ECRE, Country Report: Romania, Update 2023, S. 187 f.). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Schutzberechtigten am staatlichen Integrationsprogramm teilnehmen (nur AIDA/ECRE, Country Report: Romania, Update 2023, S. 187 f.). Die Frist für den Antrag auf Aufnahme in das Integrationsprogramm beträgt gemäß Art. 16 IntVO-RO drei Monate ab Gewährung des internationalen Schutzes. Vorliegend gibt es keine Hinweise darauf, dass die Antragstellerin – bzw. ihre als Vormund bestellte ältere Schwester – während ihres Aufenthalts in Rumänien die Aufnahme in das Integrationsprogramm beantragt hat. Vielmehr spricht der Umstand, dass sie nach eigenen Angaben keine Unterstützung erhalten hat und das Aufnahmezentrum nach vier Monaten (was in etwa dem Zeitraum zwischen Antragstellung und Gewährung internationalen Schutzes zzgl. drei Monaten entspricht) verlassen musste, gegen eine Teilnahme am Integrationsprogramm. Der erkennende Einzelrichter geht deshalb mit dem Verwaltungsgericht Hannover (U.v. 6.2.2025 – 15 A 984/23 – juris Rn. 32) im Hinblick auf die klare Fristenregelung in Art. 16 IntVO-RO davon aus, dass die Antragstellerin nach ihrer Rücküberstellung nach Rumänien keinen Antrag auf Aufnahme in das Integrationsprogramm mehr würde stellen können.
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Besonders schutzbedürftige Personen i.S.v. Art. 33 Abs. 3 IntVO-RO, zu denen die Antragstellerin derzeit jedenfalls aufgrund ihrer Minderjährigkeit zählt, können zwar offenbar gemäß Art. 34 Abs. 2 IntVO-RO durch das Generalinspektorat für Einwanderung unabhängig von ihrer Teilnahme am Integrationsprogramm in einem regionalen Aufnahmezentrum untergebracht werden – vorbehaltlich verfügbarer räumlicher Kapazitäten und verfügbarer Mittel. Diese Unterbringung soll auch kostenfrei sein, wobei sich dies aus der IntVO-RO nicht klar zu ergeben scheint und im AIDA/ECRE, Country Report: Romania, Update 2023, S. 188, Fn. 937 nur als Beobachtung („practice based observation by JRS [Jesuit Refugee Service, Anm. d. Einzelrichters] Romania“) berichtet wird. Die von der Antragstellerin im Rahmen der Anhörung zur Zulässigkeit ihres Asylantrags vorgetragenen Umstände, wonach sie und ihre als Alleinerziehende mit vier Kindern ebenfalls nach Art. 33 Abs. 3 IntVO-RO besonders schutzbedürftige ältere Schwester nach vier Monaten die Unterkunft verlassen und für sich selbst sorgen sollten, lassen Zweifel aufkommen, ob bzw. inwieweit diese Möglichkeit in der Praxis genutzt wird. Die verfügbaren Erkenntnismittel sind hierzu wenig aussagekräftig und eine weitere Klärung ist im Eilverfahren weder möglich noch geboten. Im Übrigen würde die Antragstellerin nach ihrer Rücküberstellung nur kurze Zeit von der durch Art. 34 Abs. 2 IntVO-RO eröffneten Unterbringungsmöglichkeit profitieren, da diese nur solange besteht, wie die Umstände vorliegen, aus denen sich die besondere Schutzbedürftigkeit ergibt, Art. 34 Abs. 3 IntVO-RO; im Falle der Antragstellerin wäre dies – sofern bei ihr keine weiteren eine besondere Schutzwürdigkeit begründenden Umständen vorliegen – die Vollendung des 18. Lebensjahrs wenige Monate nach einer etwaigen Rücküberstellung.
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Sozialwohnungen, zu denen anerkannten Schutzberechtigte denselben Zugang haben wie rumänische Staatsangehörige, sind faktisch nicht vorhanden (im AIDA/ECRE, Country Report: Romania, Update 2023, S. 188). Ob die Mietzuschüsse nach Art. 29 Abs. 3 IntVO-RO in Höhe von 50% – deren praktische Bedeutung gegen Null zu gehen scheint (vgl. AIDA/ECRE, Country Report: Romania, Update 2023, S. 189: „In 2022 and 2023, no beneficiary benefitted from this aid.“; siehe auch VG Hannover, U.v. 6.2.2025 – 15 A 984/23 – juris Rn. 36) – auch anerkannten Schutzberechtigten zugänglich sind, die nicht am staatlichen Integrationsprogramm teilnehmen, ist unklar. Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung deutet darauf hin, dass dies nicht der Fall ist.
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Auch mithilfe weiterer Unterstützungsleistungen wird es der Antragstellerin voraussichtlich nicht möglich sein, eine menschenwürdige Unterkunft zu finden. Die Antragstellerin dürfte keinen Anspruch auf die sog. „nicht rückzahlbare Beihilfe“ nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. m des rumänischen Asylgesetzes (AsylG-RO) haben. Dieser Anspruch setzt bei besonders schutzbedürftigen Personen wie der Antragstellerin zwar gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der rumänischen Asylverordnung (AsylVO-RO) nicht die Teilnahme am Integrationsprogramm voraus, aber gemäß Art. 60 Abs. 3 AsylVO-RO offenbar auch bei dieser Personengruppe eine Antragstellung binnen drei Monaten nach Gewährung internationalen Schutzes (vgl. hierzu auch VG Hannover, U.v. 6.2.2025 – 15 A 984/23 – juris Rn. 38). Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Antragstellerin oder ihre ältere Schwester einen solchen Antrag gestellt hätten. Im Übrigen wäre es sogar bei Gewährung der Beihilfe, deren Höhe sich auf 567,54 RON bzw. 115 EUR pro Monat beläuft, selbst bei Unterbringung in einer staatlichen Unterbringungseinrichtung zu einem gegenüber dem freien Markt niedrigeren Mietzins praktisch unmöglich, die eigene Existenz zu sichern (AIDA/ECRE, Country Report: Romania, Update 2023, S. 188: „It should be noted that taking the amount of non-refundable aid, after paying rent, it is practically impossible to reach the resources for minimum living.“), zumal sie ab der bevorstehenden Vollendung des 18. Lebensjahres (Minderjährige sind beitragsfrei versichert, vgl. Europäische Kommission, Ihre Rechte der sozialen Sicherheit in Rumänien, 2021, S. 18; Generalinspektorat für Einwanderung, Acces la servicii medicale, online abgerufen am 29. April 2025 unter: https://igi.mai.gov.ro/acces-la-servicii-medicale/) auch als anerkannte Schutzberechtigte ohne Einkommen einen jährlichen Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 520,- EUR zzgl. Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 310,- EUR entrichte müssen (AIDA/ECRE, Country Report: Romania, Update 2023, S. 203; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation: Rumänien, Stand: 27.12.2024, S. 13). Dasselbe gilt für die mit monatlich 142 RON bzw. 28,50 EUR im Hinblick auf die bei 1.619 RON pro Monat liegende Armutsgrenze (vgl. Institutul Național de Statisticâ, Pressemitteilung Nr. 163 vom 28. Juni 2024, online abgerufen am 29. April 2025 unter: https://insse.ro/cms/sites/default/files/com_presa/com_pdf/saracia_si_excluziunea_sociala_r2023_0.pdf) offenkundig nicht zur Existenzsicherung ausreichenden Sozialhilfeansprüche (zur Höhe der Sozialhilfebeträge siehe Europäische Kommission, Ihre Rechte der sozialen Sicherheit in Rumänien, 2021, S. 35).
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(d) Die Antragstellerin müsste also, um grundlegendste Bedürfnisse nach Obdach, Nahrung und Hygiene erfüllen zu können, binnen kürzester Zeit eine Arbeitsstelle finden, die ihr ein existenzsicherndes Einkommen verschafft. Dies ist nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters wenig wahrscheinlich.
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Zwar haben anerkannte internationale Schutzberechtigte in Rumänien rechtlich denselben Zugang zum Arbeitsmarkt wie rumänische Staatsbürger (Art. 20 Abs. 1 Buchst. c AyslG-RO; Art. 4 IntVO-RO) und erhalten Unterstützung bei der Arbeitssuche durch staatliche Stellen und NGOs (AIDA/ECRE, Country Report: Romania, Update 2023, S. 189 ff.). Die Situation auf dem rumänischen Arbeitsmarkt stellt sich indes als durchwachsen dar: Während die Arbeitslosenquote in den Jahren 2024 und 2024 bei 5,4-5,6% und damit leicht unter dem EU-Durchschnitt lag, war die Jugendarbeitslosigkeit (< 25-Jährige) im selben Zeitraum mit 26,3% eine der höchsten in der EU (EUROSTAT, Arbeitslosenquote im Euroraum bei 5,7%, Euroindikatoren, 1. April 2025, online abgerufen am 29. April 2025 unter: https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/products-euro-indicators/w/3-01042025-bp). Besonders betroffen von Jugendarbeitslosigkeit sind dabei typischerweise gering qualifizierte Jugendliche mit Migrationshintergrund (vgl. Dingeldey/Assmann/Steinberg, Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Ein komplexes Problem – verschiedene Antworten, Aus Politik und Zeitgeschichte 26/2017, S. 40/40 f.). Darüber hinaus bestehen speziell für anerkannte international Schutzberechtigte in der Praxis verschiedene Hürden für den Zugang zum Arbeitsmarkt, vor allem für Schutzberechtigte ohne ausreichende Sprachkenntnisse und mit keinen oder nur geringen schulischen und/oder beruflichen Qualifikationen (vgl. AIDA/ECRE, Country Report: Romania, Update 2023, S. 191; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation: Rumänien, Stand: 27.12.2024, S.12 f.).
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Die Antragstellerin ist derzeit 17 Jahre alt. Sie hat nach eigenen Angaben in Somalia lediglich für die Dauer von zwei Jahren eine private Schule besucht. Zeugnisse habe es nicht gegeben, sodass die Antragstellerin keinen Schulabschluss nachweisen kann. Ein Schulbesuch dieser Dauer reicht nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht einmal zum Erwerb mehr als nur basaler Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten. Die Antragstellerin hat nach eigenen Angaben auch keinen Beruf erlernt. In Deutschland hat sie ausweislich der im Eilverfahren vorgelegten pädagogisch-psychologischen Stellungnahme eine Alphabetisierungsklasse besucht und Deutschkenntnisse erworben. Das Erlernte dürfte ihr indes in Rumänien nur von geringem Nutzen sein. Darüber hinaus ist die Antragstellerin als minderjährige Frau nur bedingt in der Lage, schwere körperliche Arbeit (etwa im Baugewerbe) zu verrichten, was die Arbeitsmöglichkeiten einschränkt. Deshalb sieht der erkennende Einzelrichter im Fall der Antragstellerin ein besonders hohes Risiko, in Rumänien keine Arbeit zu finden oder nur eine so geringfügig entlohne, dass das Einkommen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz – zu der auch eine Wohnung gehört – nicht ausreicht.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.