Inhalt

VGH München, Beschluss v. 21.01.2025 – 24 CS 24.1910
Titel:

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Waffenerwerbs- und Waffenbesitzverbot

Normenketten:
WaffG § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2, § 45 Abs. 2 S. 1
BayVwVfG Art. 28
VwGO § 146
Leitsätze:
1. Der Begriff der psychischen Krankheit in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Alt. 3 WaffG entspricht dem der Geisteskrankheit, die dann vorliegt, wenn die Störung der Geistestätigkeit so hochgradig ist, dass die Fähigkeit vernünftiger Willensbildung der eines Kindes unter sieben Jahren gleich zu achten ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die konkrete Gefahr einer Fremdgefährdung gem. 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Alt. 4 WaffG liegt nur vor, wenn zu erwarten ist, dass die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass bei ungehindertem Geschehensablauf in absehbarer Zeit ein Schaden an einem Schutzgut eines Dritten eintritt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Waffenbesitzverbot, Waffenbesitzkarte, Widerruf, Eignungsgutachten, Zuverlässigkeit, psychische Erkrankung, Fremdgefährdung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 08.10.2024 – M 7 S 23.4111
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1090

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 8. Oktober 2024 wird in Nummer 1 und 2 aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nummer I.1 und I.2 des Bescheids der Landeshauptstadt M. vom 3. August 2023 wird wiederhergestellt und gegen Nummer I.3 und I.6 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit eines Bescheids, mit dem die Antragsgegnerin ihm gegenüber ein Waffenerwerbs- und Waffenbesitzverbot für erlaubnisfreie Waffen und Munition ausgesprochen, seine Waffenbesitzkarte widerrufen und seinen Jagdschein für ungültig erklärt hat.
2
Nach Aktenlage hat der Antragsteller im Jahr 2021 zwei Mal und im Jahr 2023 einmal bei der Polizei vorgesprochen. Dabei machte er geltend, er fühle sich von einem Auto verfolgt. Er vermute, dass seine (frühere) Ehefrau ihn verfolgen lasse. Die Polizei hielt daraufhin Rücksprache mit der geschiedenen Ehefrau, die berichtete, der Antragsteller sei psychisch angeschlagen. Ein befreundeter Psychiater habe ihr bestätigt, dass sein Verhalten in Richtung Schizophrenie, Verfolgungswahn und Angststörung gehe. Zudem habe es bei der Kommunion des gemeinsamen Sohns am 13. Mai 2023 eine Bedrohung gegeben. Ihr früherer Mann habe gegenüber zwei Freundinnen der Familie geäußert, dass er alle mit seinen Waffen umbringen und Blut fließen würde.
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Daraufhin wurden seine Waffen von der Polizei sichergestellt, wobei er sich kooperativ verhalten hat. Das eingeleitete Strafverfahren wegen Bedrohung hat die Staatsanwaltschaft München II mit Verfügung vom 2. September 2023 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
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Mit Schreiben vom 1. Juni 2023 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, die erforderliche persönliche Eignung würden Personen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 WaffG nicht besitzen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass sie psychisch krank seien oder die konkrete Gefahr einer Fremdgefährdung bestehe. Es sei wegen der genannten Vorfälle beabsichtigt, das weitere Innehaben seiner waffen- und sprengstoffrechtlichen sowie jagdrechtlichen Erlaubnisse von der Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses über die körperliche und geistige Eignung abhängig zu machen. Zudem sei beabsichtigt, den Besitz von Waffen oder Munition, deren Erwerb nicht der Erlaubnis bedürfe, und den Erwerb solcher Waffen und Munition zu untersagen, wenn das o.g. Zeugnis nicht vorgelegt werde. Die Antragsgegnerin sei der Ansicht, dass der Antragsteller zum Umgang mit Waffen nicht geeignet sei. Aufgrund des geschilderten Sachverhaltes lägen Hinweise auf das Bestehen einer psychischen Erkrankung und Fremdgefahr vor. Es werde nach Art. 28 BayVwVfG Gelegenheit gegeben, sich zu den angekündigten Maßnahmen binnen vier Wochen zu äußern.
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Der Antragsteller machte mit Schriftsatz vom 14. Juli 2023 geltend, auf Grundlage der aktuellen Sachlage sei er nicht verpflichtet, der Begutachtungsanordnung nachzukommen und werde dies auch nicht tun. Die angeordnete Maßnahme sei jedenfalls unverhältnismäßig. Es werde angeregt, das Verfahren einzustellen und die sichergestellten Waffen, die Munition und das Treibladungspulver umgehend wieder auszuhändigen.
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Mit Bescheid vom 3. August 2023 erließ die Antragsgegnerin daraufhin ein Waffenerwerbs- und Besitzverbot für erlaubnisfreie Waffen und Munition (Nr. I.1 des Bescheids), erklärte den Jagdschein Nr. 245/07 für ungültig (Nr. I.2.), widerrief die Waffenbesitzkarte Nr. 219/08 (Nr. 1.3.) sowie die sprengstoffrechtliche Erlaubnis (Nr. I.6.) und erließ verschiedene Nebenanordnungen. Die Nummern I.1. und I.2. des Bescheids wurden für sofort vollziehbar erklärt (Nr. I.5.). Zur Begründung ist ausgeführt, aufgrund der Vorfälle in den Jahren 2021 und 2023 könne nicht ausgeschlossen werden, dass beim Antragsteller eine psychische Erkrankung oder Fremdgefahr vorliege. Es sei deswegen auch nicht auszuschließen, dass er erlaubnisfreie Waffen missbräuchlich oder leichtfertig gegen andere einsetze. Wegen des vorbeugenden Charakters des § 41 WaffG sei es auch nicht erforderlich, dass er solche Gegenstände schon im Besitz habe. Nachdem er das angeforderte Gutachten bezüglich seiner Eignung nicht vorgelegt habe, dürfe auf seine Nichteignung geschlossen werden, da er diesbezüglich ordnungsgemäß belehrt worden sei. Es lägen auch keine Ermittlungsdefizite vor, denn es gäbe keine Möglichkeiten Zeugen vorzuladen. Da der Antragsteller im Besitz von erlaubnisfreien Waffen sei, werde das Ermessen zu seinen Lasten ausgeübt.
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Den gegen den Bescheid vom 3. August 2023 erhobenen Eilantrag hat das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 8. Oktober 2024 abgelehnt. Der Antragsteller habe das zu Recht angeforderte Eignungsgutachten nicht beigebracht. Hinsichtlich der Ermessensausübung bezüglich des Waffenbesitzverbots bestünden keine Bedenken.
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Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde und macht weiterhin geltend, es lägen keine Tatsachen vor, die die Anordnung eines Eignungsgutachtens rechtfertigten. Die Antragsgegnerin hätte den Sachverhalt weiter ermitteln müssen. Es sei auch keine Anordnung erlassen worden, mit der der Antragsteller verpflichtet worden sei, ein solches Gutachten vorzulegen. Mit Schreiben vom 1. Juni 2023 sei nur mitgeteilt worden, es sei beabsichtigt, eine solche Anordnung zu erlassen. Dies sei dann aber nicht erfolgt.
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Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
A.
11
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die geltend gemachten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, erfordern es, die angegriffene Entscheidung aufzuheben. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts bestehen durchgreifende Bedenken gegen den Widerruf der Waffenbesitzkarte in Nummer I.3. (I.) und aus den gleichen Gründen auch gegen das ausgesprochene Besitzverbot in Nummer I.1. (II.), die sprengstoff- und jagdrechtlichen Entscheidungen sowie die übrigen waffenrechtlichen Nebenentscheidungen in den Nummern I.2., I.4. und I.6. des Bescheids vom 3. August 2023 (III.). Infolgedessen überwiegt das Vollzugsinteresse nicht das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (IV.).
12
I. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist von der Rechtswidrigkeit der Widerrufsentscheidung auszugehen. Es kann nicht gemäß § 6 Abs. 2 des Waffengesetzes (WaffG) i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970), im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheids zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328), und § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 WaffG i.V.m. § 4 der Allgemeinen Waffengesetz-Verordnung (AWaffV) i.d.F. d. Bek. vom 27. Oktober 2003 (BGBl. I S. 2123), zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. September 2020 (BGBl. I S. 1977)) auf die Nichteignung des Antragstellers geschlossen werden, denn bei dem Schreiben vom 1. Juni 2023 handelt es sich nicht um eine Gutachtensanordnung (1.). Der Bescheid kann auch nicht auf § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder 3 WaffG gestützt werden, denn es liegen keine hinreichenden Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller psychisch krank ist oder die konkrete Gefahr einer Fremdgefährdung besteht (2.). Ob die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass einer Gutachtensanordnung zum Zeitpunkt der Anhörung vorlagen, kann dahinstehen, denn für eine neue Gutachtensanordnung müsste die Antragsgegnerin auf die aktuelle Sachlage abstellen (3.).
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1. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Einen solchen Versagungsgrund normiert § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Hiernach setzt eine waffenrechtliche Erlaubnis die persönliche Eignung gemäß § 6 WaffG voraus. Persönliche Eignung ist dabei der Oberbegriff für geistige und körperliche Eignung (vgl. § 6 Abs. 2 WaffG a.E.).
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Liegen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass jemand die Tatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 WaffG erfüllt, dann besitzt diese Person die erforderliche persönliche Eignung nicht und die erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse müssen nach Anhörung gemäß Art. 28 BayVwVfG ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen widerrufen werden.
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Bestehen demgegenüber nur Bedenken gegen die persönliche Eignung, ist die zuständige Waffenbehörde nach § 6 Abs. 2 WaffG verpflichtet, der betroffenen Person die Vorlage eines Gutachtens über die geistige oder körperliche Eignung aufzugeben. Lässt sich der Betroffene nicht untersuchen oder legt er ein entsprechendes Gutachten nicht vor, darf im Rahmen des Widerrufsverfahrens auf den Wegfall der Eignung geschlossen werden (§ 45 Abs. 4 Satz 1 WaffG und § 4 Abs. 6 Satz 1 AWaffV). Die Möglichkeit einer solchen Schlussfolgerung und einer hierauf gestützten Widerrufsentscheidung setzt allerdings die inzident zu überprüfende formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Untersuchungs- und Beibringungsanordnung voraus (vgl. SächsOVG, B.v. 19.8.2024 – 6 B 18/24 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 5.11.2024 – 24 CS 24.948 – juris Rn. 15; B.v. 2.12.2020 – 24 CS 20.2211– juris Rn. 22).
16
Bei dem Schreiben vom 1. Juni 2023 handelt es sich nicht um eine Gutachtensanordnung nach § 6 Abs. 2 WaffG i.V.m. § 4 AWaffV, sondern um eine Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG entweder zum Erlass einer Gutachtensanordnung oder zum Erlass eines Widerrufsbescheids und der Anordnung eines Waffenbesitzverbotes ohne vorherige Begutachtung. Dabei muss nicht entschieden werden, ob es zum Erlass einer Gutachtensanordnung überhaupt einer Anhörung bedarf oder ob es sich dabei um eine Verfahrenshandlung nach § 44 a VwGO handelt (vgl. OVG NW, U.v. 21.2.2014 – 16 A 2367/11 – juris Rn. 45), bei der eine Anhörung nicht zwingend erforderlich ist. Denn wenn die Behörde eine Anhörung für erforderlich und sinnvoll hält, dann kann sie eine solche auch vor einer Verfahrenshandlung nach § 44 a VwGO durchführen.
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Hier ergibt die Auslegung des Schreibens, die sich nach den für Willenserklärungen allgemein geltenden Auslegungsgrundsätzen entsprechend § 133 BGB richtet (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 35 Rn. 71), dass es sich um eine Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG und nicht um eine Gutachtensanordnung gehandelt hat. Mit diesem Schreiben wird seinem Wortlaut nach dem Antragsteller nur eine Frist zur Äußerung, aber nicht zur Vorlage eines Gutachtens nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AWaffV eingeräumt. Deshalb kann der Adressat nicht zweifelsfrei erkennen, dass damit schon die Vorlage eines Gutachtens von ihm gefordert werden sollte. Zudem legen auch der erste Absatz, in dem angekündigt wird, es sei beabsichtigt (sic!), eine Gutachtensanordnung zu erlassen, und der letzte Absatz des Schreibens, in dem es heißt, es werde Gelegenheit gegeben, sich zu den angekündigten (sic!) Maßnahmen zu äußern, nahe, dass es sich gerade noch nicht um die Gutachtensanordnung selbst, sondern um eine Anhörung zu derselben handelt. Allerdings ist aus dem Schreiben nicht eindeutig zu entnehmen, zu welcher Maßnahme der Antragsteller schlussendlich angehört werden sollte. Zum einen ist die Rede von einer beabsichtigten Gutachtensanordnung. Zum anderen wird aber zugleich auch zum Ausdruck gebracht, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller für waffenrechtlich ungeeignet hält, da hinreichende Tatsachen vorliegen würden, die die Annahme einer psychischen Erkrankung sowie einer Fremdgefährdung rechtfertigen würden. Dies stellt einen unauflösbaren Widerspruch dar, da bei feststehender Ungeeignetheit die Anordnung eines Gutachtens unnötig und unverhältnismäßig wäre.
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Im Übrigen erscheint auch die vermeintlich zur ärztlichen bzw. psychologischen Klärung aufgegebene Frage in dem Schreiben vom 1. Juni 2023 nicht hinreichend präzise formuliert, so dass es eher fernliegend erscheint, es als Gutachtensanordnung zu verstehen. Das Gutachten muss nach § 4 Abs. 5 Satz 2 AWaffV darüber Auskunft geben, ob der Betroffene persönlich ungeeignet ist, mit Waffen oder Munition umzugehen. Es muss daher grundsätzlich spezifiziert werden, was begutachtet werden soll. Darüber hinaus muss das Zeugnis über die Eignung eine Antwort über die konkrete Fragestellung der Behörde enthalten (vgl. Nr. 6.4 WaffVwV). Eine solche konkrete Fragestellung ist in dem Schreiben nicht enthalten, denn zum einen wird nicht klar zum Ausdruck gebracht, ob untersucht werden soll, ob der Antragsteller für den Umgang mit erlaubnispflichtigen und/oder erlaubnisfreien Waffen geeignet ist. Dies erscheint aber grundsätzlich erforderlich, da die Ungeeignetheit nach § 6 WaffG nicht in jedem Fall zwingend eine Ungeeignetheit nach § 41 WaffG umfasst. Zum anderen ist in dem Schreiben die Rede davon, es solle geklärt werden, ob der Antragsteller körperlich und geistig geeignet ist, wobei keinerlei Anhaltspunkte für eine körperliche Beeinträchtigung des Antragstellers genannt werden und der Gesetzeswortlaut ausdrücklich von der Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses über die geistige oder körperliche Eignung spricht (vgl. § 6 Abs. 2 WaffG a.E.).
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Der Umstand, dass der Antragsteller auf die Anhörung mit Schriftsatz vom 14. Juli 2023 geäußert hat, es sei nicht gerechtfertigt, von ihm ein Gutachten zu fordern und er werde auf der Grundlage der mitgeteilten Sachlage kein solches Gutachten vorlegen, führen nicht dazu, dass die Antragsgegnerin ohne Erlass einer Gutachtensanordnung davon ausgehen durfte, der Antragsteller sei ungeeignet. Denn es ist legitim, dass der Betroffene sich bei einer Anhörung gegen eine Gutachtensaufforderung zur Wehr setzt. Daraus kann nicht geschlossen werden, er werde in keinem Fall ein Gutachten vorlegen. Die Behörde darf nur dann vom Erlass einer Gutachtensanordnung absehen, wenn bereits Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Tatbestandsmerkmale des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 WaffG erfüllt sind. Liegen nur Tatsachen vor, die gemäß § 6 Abs. 2 WaffG Bedenken gegen die persönliche Eignung begründen, so hat die zuständige Behörde der betroffenen Person die Vorlage eines Gutachtens aufzugeben und darf nur dann gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 AWaffV auf die Ungeeignetheit schließen, wenn der Betroffene sich (weiterhin) weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt und entsprechend belehrt worden ist, oder gemäß § 45 Abs. 4 WaffG auf den Wegfall der Eignung schließen, wenn andere Mitwirkungshandlungen, z.B. das angeordnete persönliche Erscheinen nach § 4 Abs. 5 WaffG, verweigert werden und eine entsprechende Belehrung erfolgt ist.
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2. Der Bescheid kann auch nicht auf § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 3 oder Nr. 3 Alt. 4 WaffG gestützt werden, denn es liegen keine Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, der Antragsteller sei psychisch krank oder dass eine konkrete Gefahr der Fremdgefährdung besteht.
21
Der Begriff der psychischen Krankheit entspricht dabei dem der Geisteskrankheit, die dann vorliegt, wenn die Störung der Geistestätigkeit so hochgradig ist, dass die Fähigkeit vernünftiger Willensbildung der eines Kindes unter 7 Jahren gleich zu achten ist (vgl. Papsthart in Steindorf, Waffenrecht, 11. Aufl. 2022, § 4 AWaffV Rn. 6). Teilweise wird auch vertreten, es könne dabei auf die Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zurückgegriffen werden (vgl. Papsthart a.a.O. Rn. 7). Die dort unter Nr. 7 genannten Erkrankungen stellen schwere psychische Erkrankungen dar, für deren Vorliegen beim Antragsteller keine Anhaltspunkte ersichtlich sind. Der Umstand, dass ein der vom Antragsteller geschiedenen Ehefrau bekannter Psychiater angeblich geäußert habe, das Verhalten des Antragstellers gehe in Richtung Schizophrenie, Verfolgungswahn und Angststörung, ist keine Tatsache, die die Annahme einer psychischen Erkrankung rechtfertigt. Es handelt sich dabei um bloße Spekulationen einer namentlich nicht bekannten Person.
22
Es ist auch keine konkrete Fremdgefahr ersichtlich. Eine konkrete Gefahr setzt eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus (vgl. Papsthart in Steindorf, WaffG, § 6 WaffG Rn. 7 mit Hinweis auf die strafrechtliche Rechtsprechung zu § 315 c StGB). Die konkrete Gefahr einer Fremdgefährdung liegt nur vor, wenn zu erwarten ist, dass die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass bei ungehindertem Geschehensablauf in absehbarer Zeit ein Schaden an einem Schutzgut eines Dritten eintritt (vgl. Borsdorff in Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl. 2018, Gefahr). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren wegen Bedrohung nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da keine konkrete Person bedroht worden sei, sondern der Antragsteller mit den Äußerungen nur seinen Unmut mit der Situation zum Ausdruck bringen wollte. Es erscheint daher nicht gerechtfertigt, gleichwohl davon auszugehen, dass die Tatsache der getätigten Äußerung oder des eingeleiteten Strafverfahrens die Annahme einer konkreten Gefahr einer Fremdgefährdung rechtfertigen.
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3. Darüber hinaus kann offenbleiben, ob zum Zeitpunkt des Schreibens vom 1. Juni 2023 die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Gutachtensanordnung nach § 6 Abs. 2 und § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG i.V.m. § 4 AWaffV vorlagen, denn die Waffenbehörde müsste eine Gutachtensanordnung nunmehr auf der Basis der aktuellen Sachlage erlassen. Dabei wäre auch zu berücksichtigen, dass entgegen der Auffassung der am 19. Mai 2023 den Vorfall aufnehmenden Polizeibeamtin, nicht der Antragsteller einen unbekleideten Mann auf seinem Balkon gesehen haben will, sondern dass diese angebliche Beobachtung von seinem Sohn gemacht worden ist. Darüber hinaus ist zu beachten, dass mittels Hörensagen ins Verfahren eingeführte Äußerungen dritter Personen, sofern sie für die Entscheidungsfindung relevant sein sollten, von der Behörde auf deren Glaubhaftigkeit überprüft werden müssen. Dies erfordert, die Identitäten dieser Personen herauszufinden, um sie selbst befragen und Tatsachen von Gerüchten, Vermutungen oder vagen Anhaltspunkten abgrenzen zu können. Auch die Tatsache, dass der Antragsteller angeblich Freundinnen der Familie bedroht hat, reicht wohl für die Anordnung eines ärztlichen oder psychologischen Gutachtens nicht aus. Straftaten stellen regelmäßig Unzuverlässigkeitsgründe i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG dar und können nur beim Hinzutreten weiterer Umstände Eignungszweifel hervorrufen (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2024 – 24 CS 24.948 – juris Rn. 27 f.). Hier ist das Verfahren gegen den Antragsteller nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden und die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass es sich nicht um eine Bedrohung, sondern um eine reine Unmutsbekundung gehandelt hat. Woraus sich angesichts dessen die Eignungszweifel ergeben sollen, müsste von der Antragsgegnerin näher dargelegt werden.
24
II. Das Waffenbesitzverbot in Nummer I.1 des Bescheids vom 3. August 2023 ist ebenfalls rechtswidrig. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, weil das Verbot einen Dauerverwaltungsakt darstellt. Maßgebliche Rechtsgrundlage ist daher insoweit § 41 WaffG in der Fassung, die er zum 31. Oktober 2024 durch das Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems vom 25. Oktober 2024 erhalten hat (BGBl. I 2024 Nr. 332). Nach § 41 Abs. 1 Satz 3 2. Halbs. WaffG ist § 6 Abs. 2 WaffG entsprechend anwendbar. Nachdem keine ordnungsgemäße Gutachtensanordnung erlassen worden ist (s.o.), scheidet auch der Erlass eines hierauf gestützten Waffenbesitzverbots nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 WaffG aus. Andere Gründe, die den Bescheid rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich, insbesondere ist nicht erkennbar, dass aktuell Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller psychisch krank ist oder von ihm eine Gefahr i.S.v. § 41 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ausgeht. Es kann daher offen bleiben, ob sich die Rechtswidrigkeit des Waffenbesitzverbots auch aus dem Fehlen einer Befristung oder jedenfalls hierfür erforderlicher Ermessenserwägungen ergeben kann.
25
III. Vor diesem Hintergrund erweisen sich schließlich auch die übrigen angegriffenen jagd- und sprengstoffrechtlichen Entscheidungen sowie die waffenrechtlichen Nebenentscheidungen als rechtswidrig.
26
IV. Mit Blick auf die offenkundige Rechtswidrigkeit des Bescheids kommt es nicht in Betracht, die Beschwerde zurückzuweisen und das Vollzugsinteresse höher zu gewichten als das Suspensivinteresse, obwohl sich der Gesetzgeber in § 45 Abs. 5 WaffG für einen gesetzlichen Sofortvollzug entschieden und der Antragsteller nicht dargelegt hat, dass er in besonderer Weise auf seine waffenrechtliche Erlaubnis angewiesen ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1709 – juris Rn. 28).
B.
27
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
C.
28
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der in den Nummern 1.5, 20.3 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 enthaltenen Empfehlungen. Er entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
D.
29
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).