Inhalt

OLG München, Beschluss v. 03.02.2025 – 36 U 4312/24 e
Titel:

Berufung, welcher durch nachträgliche Berichtigung des Ersturteils die Grundlage entzogen wird

Normenketten:
BGB § 31, § 826
ZPO § 91a, § 97 Abs. 1, § 319, § 511 Abs. 2 Nr. 1
GKG § 21 Abs. 1 S. 1, S. 3
Leitsatz:
Zur VW-Abgasskandal-Thematik vgl. grundlegend BGH BeckRS 2020, 10555; vgl. auch BGH BeckRS 2022, 16585; BeckRS 2022, 20173; BeckRS 2022, 34549; BeckRS 2022, 34834; BeckRS 2023, 1067; OLG München BeckRS 2022, 32282; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 45150; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7001; BeckRS 2020, 31961; BeckRS 2020, 29999; BeckRS 2020, 30892 sowie die Aufzählung ähnlich gelagerter VW-Diesel-Fälle bei BGH BeckRS 2022, 13979 (dort Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2020, 22694 (dort Ls. 1) und OLG Naumburg BeckRS 2020, 28579 (dort Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
Orientierungsätze:
Ein erfolgversprechender Antrag auf Berichtigung des Urteils wegen eines offensichtlichen Rechenfehlers im Tenor hindert regelmäßig nicht das Rechtsschutzbedürfnis für eine Berufung. 
Fällt die Beschwer nachträglich wegen antragsgemäßer Berichtigung des Urteils weg, handelt es sich um ein erledigendes Ereignis. (Rn. 29)
Es ist sodann nicht unverhältnismäßig, nach übereinstimmender Erledigterklärung die Kosten gemäß § 91 a ZPO dem Beklagten aufzuerlegen. (Rn. 34 – 35)
Die Voraussetzungen für die Nichterhebung der für das Berufungsverfahren angefallenen Gerichtskosten nach § 21 Abs. 1 S. 1 oder S. 3 GKG liegen hier nicht vor, da der Beklagte die durch das Berufungsverfahren entstandenen Kosten durch Anerkennung oder Erfüllung der berechtigten Klageforderung hätte vermeiden können. (Rn. 37)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, Dieselfahrzeug, Schadensersatz, Nutzungsentschädigung, Gesamtlaufleistung, Berufung, Berichtigungsbeschluss, Rechenfehler, Erledigungserklärung, Kostenentscheidung
Vorinstanz:
LG München II vom -- – 1 O 1560/24 ABG
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1088

Tenor

1. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
2. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 3.749,78 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger hat Schadensersatz aus dem Kauf eines Dieselfahrzeugs geltend gemacht.
2
Der Kläger erwarb am 25.02.2015 den streitgegenständlichen Pkw VW Touran als Gebrauchtfahrzeug mit einem Kilometerstand von 21.467 km zu einem Kaufpreis von 21.000,00 €. Das Fahrzeug ist ausgestattet mit einem Dieselmotor des Typs EA 189.
3
Der Kläger hat mit der Klage beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 21.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.04.2022 abzüglich eines Nutzungsersatzes in Höhe von 7.216,43 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen sowie festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet. Außerdem hat er die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.398,25 € nebst Zinsen seit 20.04.2022 begehrt.
4
Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat er die Nutzungsentschädigung mit 8.450,71 € beziffert und den Klageantrag hinsichtlich der Differenz für erledigt erklärt. Diesen Antrag haben die Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung gestellt.
5
Das Landgericht München II hat mit Endurteil vom 28.11.2024 die Beklagte zur Zahlung von 8.799,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.06.2024 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt und festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet. Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in Höhe von 3.749,78 € in der Hauptsache erledigt hat. Die Kosten des Rechtsstreits hat es der Beklagten auferlegt.
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Das Landgericht hat dem Kläger einen Schadensersatz gemäß §§ 826, 31 BGB in Höhe des aufgewandten Kaufpreises zuerkannt. Die abzuziehende Nutzungsentschädigung hat es auf Basis einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km nach folgender Formel berechnet: Bruttokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb): erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt. Zur Berechnung der gefahrenen Strecke ist das Landgericht von dem – unstreitigen – Kilometerstand von 113.432 km am 02.11.2024 ausgegangen und hat den Kilometerstand im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kläger (21.467 km) abgezogen. Die erwartete Restlaufleistung im Zeitpunkt des Erwerbs hat das Landgericht mit 158.035 km angesetzt und im Ergebnis eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 12.022,49 € errechnet. Auf diese Weise ist das Landgericht zu der Schadenshöhe von 8.799,51 € gelangt.
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Die Entscheidung wurde den Klägervertretern am 21.11.2024 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 06.12.2024, eingegangen am selben Tag, hat der Kläger die Berichtigung offensichtlicher Unrichtigkeiten gemäß § 319 ZPO im Tenor (Zahlungsanspruch) mit der Begründung beantragt, dem Landgericht sei im Rahmen der Berechnung des Nutzungsersatzes ein offensichtlicher Fehler unterlaufen. Die erwartbare Restlaufleistung zum Kaufzeitpunkt habe tatsächlich 228.533 km (250.000 km abzüglich 21.467 km) betragen anstelle der in die Formel eingesetzten 158.035 km. Die Nutzungsentschädigung hätte sich dann mit 8.450,71 € errechnet, der Schadensersatzanspruch mit 12.549,29 €.
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Mit Schriftsatz vom 30.12.2024, eingegangen am selben Tag, haben die Klägervertreter fristwahrend Berufung gegen das Urteil eingelegt und die Beklagtenvertreter gebeten, wegen des noch nicht verbeschiedenen Berichtigungsantrags vorerst von einer Bestellung abzusehen.
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Am 03.01.2015 hat das Landgericht München II Ziffer 1. des Tenors dahin berichtigt, dass es die Beklagte zur Zahlung von 12.549,29 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt hat. Zur Begründung hat das Landgericht ein offensichtliches Diktat- oder Schreibversehen bzw. einen offensichtlichen Rechenfehler im Sinne des § 319 ZPO angeführt.
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Am 08.01.2025 haben die Klägervertreter die Berufung für erledigt erklärt und hilfsweise angeregt, die Gerichtskosten nach § 21 GKG niederzuschlagen. Nach Korrektur des Rechenfehlers im Ersturteil sei die Beschwer entfallen und die Berufung nachträglich unzulässig geworden. Diesem Umstand sei durch Erledigung der Berufung Rechnung zu tragen, andernfalls der Kläger mit den Verfahrenskosten nach § 97 ZPO belastet werde, obschon er nur durch Einlegung der Berufung den Urteilsberichtigungsantrag habe absichern können. Der Fehler des Erstgerichts dürfe ihm kostenmäßig nicht zum Nachteil gereichen.
11
Der Senat hat den Beklagtenvertretern diesen Schriftsatz mit der qualifizierten Belehrung nach § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO am 09.01.2025 zugestellt. Die Beklagte hat der Erledigterklärung nicht widersprochen.
II.
12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91a Abs. 1 ZPO. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes hat die Beklagte nach billigem Ermessen die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
13
1. Eine Erledigung des Rechtsmittels ist gegeben, wenn ein ursprünglich zulässiges und begründetes Rechtsmittel nachträglich unzulässig oder unbegründet wird, etwa durch den nachträglichen Wegfall der für das Rechtsmittel erforderlichen Beschwer, die als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung noch zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel gegeben sein muss (BGH, Urteil vom 27.03.2023, VIa ZR 1140/22, NJW-RR 2023, 768, juris Rdnr. 9; BGH, Beschluss vom 29.03.2018, I ZB 54/17, NJW-RR 2019, 317, juris Rdnr. 12; BGH, Urteil vom 30.09.2009, VIII ZR 29/09, NJW-RR 2010, 19, juris Rdnr. 10; BGH, Beschluss vom 29.06.2004, X ZB 11/04, NJW-RR 2004, 1365, juris Rdnr. 2).
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2. Die vom Kläger eingelegte Berufung war ursprünglich zulässig.
15
Der Kläger war durch das Urteil des Landgerichts bei Einlegung des Rechtsmittels (formell) in Höhe von mehr als 600,00 € im Sinne des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO beschwert. Die Rückwirkung des Berichtigungsbeschlusses auf den Zeitpunkt der Verkündung des landgerichtlichen Urteils (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.1983, V ZR 21/83, NJW 1984, 1041, juris Rdnr. 10; BGH, Urteil vom 14.07.1994, IX ZR 193/93, NJW 1994, 2832 juris Rdnr. 27) bleibt bei dieser Betrachtung außen vor.
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3. Dem Kläger fehlte nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Berufung.
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a) Das Rechtsschutzbedürfnis folgt regelmäßig aus der Beschwer durch das angefochtene Urteil und ist nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn der gesetzlich vorgesehene Rechtsmittelweg unnötig beschritten wird, weil das verfolgte Begehren auf einem einfacheren und kostengünstigeren Weg zu erlangen ist und sich das Rechtsmittel trotz Vorliegens der Beschwer als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich darstellt. Auf einen verfahrensmäßig unsicheren Weg darf die betroffene Partei jedoch nicht verwiesen werden. Ein schnelleres und billigeres Mittel des Rechtsschutzes lässt das berechtigte Interesse für ein Rechtsmittel deshalb nur entfallen, sofern es wenigstens vergleichbar sicher oder wirkungsvoll alle erforderlichen Rechtsschutzziele herbeiführen kann (BGH, Urteil vom 30.09.2009, VIII ZR 29/09, NJW-RR 2010, 19, juris Rdnr. 20; BGH, Urteil vom 03.11.1971, IV ZR 26/70, NJW 1972, 112, juris Rdnr. 10; BGH, Urteil vom 27.03.2023, VIa ZR 1140/22, NJW-RR 2023, 768, juris Rdnr. 14; BGH, Urteil vom 18.04.2013, III ZR 156/12, NJW 2013, 2201, juris Rdnr. 10).
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b) Die Frage, ob das Rechtsschutzbedürfnis für die Einlegung der Berufung fehlt, wenn stattdessen ein erfolgversprechender Antrag auf Berichtigung nach § 319 Abs. 1 ZPO gestellt werden kann, ist in der Rechtsprechung umstritten.
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aa) Ein Teil der Rechtsprechung macht die Zulässigkeit eines Rechtsmittels zur Berichtigung einer fehlerhaften Entscheidung davon abhängig, dass es sich nicht zweifelsfrei um eine offensichtliche Unrichtigkeit handelt, die gemäß § 319 ZPO korrigiert werden könnte, und dieser Weg nicht unsicher erscheint. So wird für einen offenbaren Schreibfehler in Form eines „Zahlendrehers“ ein Rechtsschutzbedürfnis abgelehnt, solange und so weit ein Berichtigungsantrag angezeigt und innerhalb einer laufenden Rechtsmittelfrist möglich ist (OLG Frankfurt, Urteil vom 05.11.2020, 22 U 222/19, juris Rdnr. 36 f.), ebenso für einen offensichtlichen Schreibfehler im Tenor eines Beschlusses (OLG Bamberg, Beschluss vom 02.01.1995, 2 WF 139/94, Rpfleger 1995, 289, Orientierungssatz; auch OLG Köln, Beschluss vom 03.05.2011, 17 W 85/11, JurBüro 2011, 530, juris Rdnr. 14; ebenso Ausgangspunkt für OLG Saarbrücken, Urteil vom 22.09.2009, 4 U 54/09, NJW-RR 2010, 1221, juris Rdnr. 21; auch Ausgangspunkt für OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.10.2002, 2 UF 98/02, MDR 2003, 523, juris Rdnr. 8 zum Eintippen eines falschen Betrags in ein Computerprogramm).
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bb) Diese Einschränkung findet in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keinen erkennbaren Niederschlag. So hat der BGH unter anderem entschieden, dass die bloße Möglichkeit der Berichtigung einer fehlerhaften Parteibezeichnung nichts an der Befugnis der scheinbar verurteilten Partei ändert, Rechtsmittel mit dem Ziel der Beseitigung der scheinbaren Beschwer einzulegen (BGH, Urteil vom 21.07.2017, V ZR 72/16, WuM 2017, 736, juris Rdnr. 15, BGH, Beschluss vom 09.11.1977, VIII ZB 34/77, MDR 1978, 307, juris Rdnr. 7).
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Auch in vergleichbaren Sachverhalten hat der BGH die Zulässigkeit von Rechtsmitteln neben anderen gesetzlich vorgesehenen und prinzipiell einfacheren und kostengünstigeren Wegen nicht ausgeschlossen. Beispielhaft ist eine Berufung nicht deswegen von vornherein unzulässig, wenn ein Beklagter die Wirksamkeit einer Klagerücknahme durch den Kläger im Verfahren nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO geltend machen kann. Angesichts des Streits der Parteien über die Wirksamkeit der Rücknahme und des durch Verstreichen der Einlegungsfrist drohenden Verlustes der Berufungsmöglichkeit ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Berufung zu bejahen (BGH, Urteil vom 12.05.1998, XI ZR 219/97, NJW 1998, 2453, juris Rdnr. 9). Ebenso hat der Bundesgerichtshof ein Nebeneinander von Rechtsmittelverfahren und Ergänzung des Urteils nach § 321 Abs. 1 ZPO bei einem versehentlichen Übergehen unselbständiger Teile der Entscheidung und sogar bei Außerachtlassung eines von mehreren Hauptsache-Klageanträgen, durch die das Urteil sowohl unvollständig als auch inhaltlich falsch wird, anerkannt. Während für § 321 Abs. 1 ZPO zu prüfen ist, ob das Gericht bewusst oder unabsichtlich eine lückenhafte Entscheidung getroffen hat, ist für die Berufung ausschließlich deren sachliche Unrichtigkeit maßgebend (BGH, Urteil vom 30.09.2009, VIII ZR 29/09, NJW-RR 2010, 19, juris Rdnr. 12 f., 21; BGH, Urteil vom 25.06.1996, VI ZR 300/95, NJW-RR 1996, 1238, juris Rdnr. 6; BGH, Urteil vom 16.12.2005, V ZR 230/04, NJW 2006, 1351, juris Rdnr. 9).
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c) Entsprechende Überlegungen greifen im Verhältnis zwischen einer Berufung und einer Berichtigung nach § 319 Abs. 1 ZPO.
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aa) Nach letztgenannter Vorschrift sind Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen. Eine solche Unrichtigkeit liegt vor, wenn in der gerichtlichen Erklärung das Gewollte nichtzutreffend zum Ausdruck gebracht wird. Der Fehler muss dem Gericht also bei der Verlautbarung des Willens, nicht bei dessen Bildung unterlaufen sein (BGH, Beschluss vom 08.07.2014, XI ZB 7/13, NJW 2014, 3101, juris Rdnr. 7 f.; Münchener Kommentar zur ZPO/Musielak, 6. Auflage 2020, § 319 Rdnr. 4; BGH, Urteil vom 05.11.2014, VIII ZR 257/13, NJW 2015, 952, juris Rdnr. 18). Rechenfehler sind nicht nur Verstöße gegen die Regeln der Grundrechenarten, sondern auch sonstige Versehen innerhalb einer Berechnung wie das Übersehen oder das Verwechseln von Rechnungsposten (Münchener Kommentar zur ZPO/Musielak, 6. Auflage 2020, § 319 Rdnr. 6).
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Der Irrtum im Erklärungsakt muss zudem „offenbar“ sein, d. h. er muss sich aus dem Zusammenhang des Urteils oder des Beschlusses selbst oder zumindest aus den Vorgängen bei seinem Erlass oder seiner Verkündung nach außen deutlich ergeben und damit auch für Dritte ohne weiteres erkennbar sein. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzungen ist der Zeitpunkt der Entscheidung selbst (BGH, Beschluss vom 29.04.2013, VII ZB 54/11, NJW 2013, 2124, juris Rdnr. 10; BGH, Beschluss vom 08.07.2014, XI ZB 7/13, NJW 2014, 3101, juris Rdnr. 7; BGH, Beschluss vom 06.02.2014, IX ZB 109/12, NJW-RR 2015, 46, juris Rdnr. 10; BGH, Urteil vom 12.01.1984, III ZR 95/82, NJW 1985, 742, juris Rdnr. 11). Für die Offenkundigkeit insbesondere eines Rechenfehlers kommt es auf dessen sofortige Erkennbarkeit nicht an. Auch die Notwendigkeit der Überprüfung umfangreichen Rechenwerks steht der Berichtigung nicht entgegen, wenn nur kein Zweifel besteht, dass das Gericht, hätte es den Fehler rechtzeitig bemerkt, einen bestimmten anderen Betrag zu- oder aberkannt hätte (Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Auflage 2024, § 319 Rdnr. 6).
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bb) Vorliegend war der Rechenfehler des Landgerichts ohne großen Aufwand nachvollziehbar. Das Landgericht hat seine Rechenoperation zur Ermittlung des vom Kaufpreis abzuziehenden Nutzungsvorteils offengelegt und die Parameter mit Kilometerstand im Zeitpunkt des Erwerbs, letztem unstreitigen Kilometerstand und der zu erwartenden Gesamtlaufleistung explizit benannt. Das Versehen des Landgerichts lag darin, von der Gesamtlaufleistung von 250.000 km nicht den Kilometerstand bei Erwerb mit 21.467 km, sondern die gefahrene Strecke von 91.965 km abgezogen zu haben.
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Ausgehend von dieser Sachlage war es sehr wahrscheinlich, dass das Landgericht dem Berichtigungsantrag vom 06.12.2024 ‒ wie geschehen ‒ stattgeben würde. Dies zeigt sich auch am Streitwert, den das Landgericht auf 13.783,57 € festgesetzt hat und hierzu von dem Kaufpreis in Höhe von 21.000,00 € den vom Kläger bei Einreichung der Klage bezifferten Nutzungsvorteil über 7.216,43 € abgezogen hat.
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Nichtsdestotrotz war der Kläger nicht gehalten, sich allein hierauf zu verlassen und von einer vorsorglichen Einlegung der Berufung abzusehen. Die Entscheidung über die Berichtigung konnte wegen der gebotenen Anhörung der Beklagtenseite nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist erfolgen. Die Beklagte ließ sich mit Schriftsatz vom 16.12.2024 nicht auf den Berichtigungsantrag ein, sondern teilte lediglich eine Umfirmierung der Beklagtenvertreter mit und widersprach dem Antrag des Klägers im Schriftsatz vom 03.12.2024 auf Festsetzung des Streitwerts für die anwaltliche Tätigkeit. Bereits mit Blick darauf, dass § 319 Abs. 1 ZPO mit dem Erfordernis der „offenbaren Unrichtigkeit“ ein die Entscheidung kanalisierendes Tatbestandsmerkmal beinhaltet, während mit der Berufung die sachliche Unrichtigkeit insgesamt angegriffen werden kann, musste sich der Kläger nicht ausschließlich auf die Berichtigung verweisen lassen. Hinzu kommt, dass dem Kläger gemäß § 319 Abs. 3 ZPO im Falle einer Zurückweisung seines Begehrens kein Rechtsmittel mehr zur Verfügung gestanden hätte. Bis zur Verbescheidung des Berichtigungsantrags befand er sich daher in einem rechtlichen Schwebezustand, der durch den drohenden Ablauf der Berufungseinlegungsfrist noch verschärft wurde. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Berufung des Klägers nicht als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich dar.
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4. Die Berufung des Klägers ist nachträglich unzulässig geworden.
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Ein erledigendes Ereignis ist der Eintritt einer Tatsache mit Auswirkungen auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit oder Begründetheit des Rechtsmittels (vgl. BGH, Urteil vom 17.07.2003, IX ZR 268/02, NJW 2003, 3134, juris Rdnr. 19 zur Klage; BGH, Urteil vom 27.03.2023, VIa ZR 1140/22, NJW-RR 2023, 768, juris Rdnr. 12). Durch die Berichtigung des Zahlbetrages in Ziffer 1. des Tenors mit Beschluss vom 03.01.2025 ist die Beschwer des Klägers entfallen, da seinem erstinstanzlichen Klageantrag damit in der Hauptsache voll entsprochen wurde.
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5. Der Kläger konnte diesem Umstand dadurch Rechnung tragen, dass er die Berufung für erledigt erklärt.
31
Eine auf ein Rechtsmittel bezogene (einseitige) Erledigungserklärung ist jedenfalls dann zulässig, wenn hierfür ein besonderes Bedürfnis besteht, weil nur auf diese Weise eine angemessene Kostenentscheidung erzielt werden kann, und zudem das die Zulässigkeit oder Begründetheit des Rechtsmittels erledigende Ereignis als solches außer Streit steht (BGH, Urteil vom 27.03.2023, VIa ZR 1140/22, NJW-RR 2023, 768, juris Rdnr. 19; BGH, Beschluss vom 26.08.2020, XII ZB 243/19, MDR 2020, 1527, juris Rdnr. 8; BGH, Urteil vom 12.05.1998, XI ZR 219/97, NJW 1998, 2453, juris Rdnr. 12; BGH, Beschluss vom 20.12.2018, I ZB 24/17, juris Rdnr. 10; OLG Nürnberg, Urteil vom 26.05.2008, 5 U 737/06, MDR 2008, 940, juris Rdnr. 20).
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Für den Kläger besteht ein besonderes Bedürfnis, eine ihn belastende Kostenentscheidung durch die (einseitige) Erledigungserklärung des Rechtsmittels zu vermeiden. Ihm bleibt allein diese Möglichkeit, um der durch eine Verwerfung der Berufung als unzulässig drohenden Kostenlast nach § 97 Abs. 1 ZPO zu entgehen. Im Falle der Rücknahme der Berufung hätte der Kläger wiederum nach § 516 Abs. 3 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen, unabhängig von deren Zulässigkeit und Begründetheit. Ließe man die Erledigterklärung nicht zu, könnte der Kläger die Belastung mit den Kosten des Berufungsverfahrens mithin nicht vermeiden. Dies erscheint jedoch unbillig, da die Berufung des Klägers durch einen Rechenfehler des Landgerichts herausgefordert wurde.
33
Das erledigende Ereignis als solches steht außer Streit. Der Berichtigungsbeschluss des Landgerichts hat der Berufung des Klägers im Nachhinein die Grundlage entzogen.
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6. Es ist nicht unverhältnismäßig, der Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen.
35
Die Beklagte hätte das wegen der Fehlerhaftigkeit des landgerichtlichen Urteils eingeleitete Berufungsverfahren und ihre mit Blick auf die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels drohende Kostenlast vermeiden können, hätte sie frühzeitig den vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruch in Höhe des zutreffend berechneten Betrags anerkannt oder nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils und Zugang des Berichtigungsantrags die Klageforderung in dieser Höhe zeitnah erfüllt. Bei einer solchen Sachlage erscheint es angemessen, den Kläger durch die Zulassung der auf die Berufung bezogenen (einseitigen) Erledigungserklärung von den Kosten des Berufungsverfahrens zu entlasten und eine Kostenentscheidung zulasten der Beklagten zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2023, VIa ZR 1140/22, NJW-RR 2023, 768, juris Rdnr. 21).
36
7. Ob die Berufung begründet gewesen wäre, kann dahinstehen. Die materielle Rechtskraft des Berichtigungsbeschlusses schließt eine Prüfung der Begründetheit der Berufung aus (BGH, Urteil vom 27.03.2023, VIa ZR 1140/22, NJW-RR 2023, 768, juris Rdnr. 23; BGH, Urteil vom 12.01.1984, III ZR 95/82, NJW 1985, 742, juris Rdnr. 20).
37
8. Die Voraussetzungen für die Nichterhebung der für das Berufungsverfahren angefallenen Gerichtskosten nach § 21 Abs. 1 S. 1 oder S. 3 GKG liegen nicht vor, weil die Beklagte das Berufungsverfahren und die dadurch entstandenen Kosten durch Erfüllung der berechtigten Klageforderung hätte vermeiden können
38
a) Gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 GKG werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben.
39
Ein leichter Verfahrensverstoß reicht in der Regel hierfür nicht aus. Vielmehr setzt die Bestimmung voraus, dass das Gericht gegen eine klare gesetzliche Regelung verstoßen hat, insbesondere einen schweren Verfahrensfehler begangen hat, der offen zutage tritt (BGH, Beschluss vom 04.05.2005, XII ZR 217/04, NJW-RR 2005, 1230, juris Rdnr. 4; OLG München, Beschluss vom 16. Mai 2022,11 W 200/22, juris Rdnr. 12; BGH, Beschluss vom 10.03.2003, IV ZR 306/00, NJW-RR 2003, 1294, juris Rdnr. 4; BGH, Beschluss vom 24.02.2021, V ZR 45/20, juris Rdnr. 2). Diese Voraussetzung ist bei einem bloßen Rechenfehler nicht erfüllt.
40
b) Nach § 21 Abs. 1 S. 3 GKG kann für abweisende Entscheidungen sowie bei Zurücknahme eines Antrags von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.
41
Diese Vorschrift gilt auch bei Rücknahme eines Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 04.05.2005, XII ZR 217/04, NJW-RR 2005, 1230, juris Rdnr. 5). Allerdings liegt keine unverschuldete Unkenntnis der Beklagten vor. Vielmehr waren ihr die wesentlichen Parameter bekannt.
42
Im Ergebnis hat die Beklagte die Kosten der Rechtsmittelinstanz nach übereinstimmender Erledigung des Berufungsverfahrens zu tragen.
III.
43
Den Streitwert für das Berufungsverfahren hat der Senat mit der Differenz zwischen dem mit Endurteil vom 28.11.2024 ausgeurteilten Betrag in Höhe von 8.799,51 € und dem nunmehr zugesprochenen Betrag in Höhe von 12.549,29 € bemessen.