Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 11.03.2025 – 203 StRR 27/25
Titel:

Zwingende Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe

Normenkette:
StGB § 51 Abs. 2, § 54, § 55
Leitsatz:
Die Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe ist zwingend, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. In die nachträgliche Gesamtstrafe sind nach § 54 Abs. 1 S. 2 StGB für den Tatrichter verpflichtend auch solche Strafen einzubeziehen, die zur Bewährung ausgesetzt sind, selbst wenn dadurch die Strafaussetzung entfällt. (Rn. 5)
Schlagworte:
nachträgliche Gesamtstrafe, Verschlechterungsverbot, Zäsurwirkung, Bewährungsstrafe
Vorinstanz:
LG Weiden, Urteil vom 09.08.2024 – 2 NBs 323 Js 8106/21
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10598

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Weiden i.d.Opf. vom 9. August 2024 im Rechtsfolgenausspruch mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
II. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
III. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren zuständigen Gericht vorbehalten.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Tirschenreuth hat den Angeklagten mit Urteil vom 18. Dezember 2023 wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bayreuth vom 20. Dezember 2021 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Weiden i.d.Opf. mit Urteil vom 9. August 2024 als unbegründet verworfen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen. Im Revisionsverfahren ist der Angeklagte auf die Möglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung hingewiesen worden.
II.
2
Die zulässige Revision des Angeklagten führt lediglich zu dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg.
3
1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die ausgeführte Sachrüge zeigt bezüglich des Schuldspruchs und im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der festgesetzten Einzelstrafe keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalstaatsanwalts. Die Revision des Angeklagten erweist sich in diesem Rahmen gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet.
4
2. Der Strafausspruch hat jedoch keinen Bestand, weil sich das Landgericht zu Unrecht daran gehindert gesehen hat, die Freiheitsstrafe von 10 Monaten mit Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Weiden i.d.Opf. vom 18. Januar 2024 (Az. 3 Ls 316 Js 9582/23) einzubeziehen, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorlagen. Das Landgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass die im Urteil des Amtsgerichts Weiden i.d.Opf. vom 18. Januar 2024 ausgesprochene Strafe gesamtstrafenfähig ist, weil sie bei Erlass des landgerichtlichen Urteils nicht erledigt war und die im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Tat am 16. September 2021 und damit vor jenem Urteil begangen wurde. Die Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bayreuth vom 20. Dezember 2021 (Az. 9 Cs 257 Js 3374/20) in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 15.- Euro hätte, wie das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei erkannt hat, für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung außer Betracht bleiben müssen, nachdem sie am 9. September 2022 und damit vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils bereits bezahlt und damit erledigt war (§ 55 Abs. 1 Satz 1 StGB), so dass ihr keine Zäsurwirkung mehr zukommen konnte (vgl. hierzu Fischer, StGB, 71. Aufl., § 55 Rn. 10). Zutreffend hat das Landgericht auch angenommen, dass der Anrechnungsvorteil des § 51 Abs. 2 StGB, der dem Angeklagten nicht nur aufgrund der fehlerhaften erstinstanzlichen Rechtsanwendung des § 55 StGB in Bezug auf die im Strafbefehl des Amtsgerichts Bayreuth ausgesprochene Geldstrafe, sondern auch wegen der fehlerhaften Anwendung von § 54 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 StGB ((zur korrekten Festsetzung vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2019 – 3 StR 71/19 –, juris Rn. 2) bei der Festsetzung der Gesamtstrafe erwachsen ist, ihm nach § 331 StPO auf eine alleinige Berufung des Angeklagten hin von dem Berufungsgericht nicht mehr entzogen werden durfte.
5
Allerdings hat der Rechtsfehler des Amtsgerichts nicht dazu geführt, dass das Landgericht in der Berufungsinstanz von einer der Vorverurteilung rechtlich nicht zukommenden Zäsurwirkung der zum Zeitpunkt des amtsgerichtlichen Erkenntnisses bereits erledigten Strafe ausgehen musste. Das Landgericht durfte dem Angeklagten nicht die Wohltat des § 54 Abs. 2 S. 1 StGB versagen. Es durfte nicht zum Nachteil des Angeklagten von der sachlich rechtlich nach § 55 StGB gebotenen Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe mit der im Urteil des Amtsgerichts Weiden i.d.Opf. vom 18. Januar 2024 (3 Ls 316 Js 9582/23) ausgesprochenen Freiheitsstrafe absehen. Denn durch die nachträgliche Gesamtstrafe soll der Angeklagte so gestellt werden, als wären alle Taten bereits in dem früheren Urteil gemeinsam verhandelt worden. Der Angeklagte darf dadurch, dass seine Taten in verschiedenen Verfahren abgeurteilt werden, nicht benachteiligt werden. Die Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe ist zwingend, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. In die nachträgliche Gesamtstrafe sind nach § 54 Abs. 1 S. 2 StGB für den Tatrichter verpflichtend auch solche Strafen einzubeziehen, die zur Bewährung ausgesetzt sind, selbst wenn dadurch die Strafaussetzung entfällt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 1997 – 2 StR 125/97 –, juris; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 331 Rn. 40). Dass die Bewährung bislang nicht widerrufen worden ist, spielt insoweit keine Rolle. In der neuen Entscheidung ist daher unter Beachtung des Verschlechterungsverbots in Bezug auf den Vorteil des § 51 Abs. 2 StGB auch die Bewährungsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Weiden i.d.Opf. vom 18. Januar 2024 einzubeziehen.
6
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b S. 1 StPO Gebrauch. Mit der abschließenden Sachentscheidung ist auch über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2022 – 6 StR 469/21-, juris).