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BayObLG, Beschluss v. 31.03.2025 – 203 StObWs 115/25
Titel:

Erfolglose Beschwerde eines Strafgefangenen über den Teilnehmerkreis einer Vollzugskonferenz

Normenketten:
GG Art. 103 Abs. 1
BayStVollzG Art. 183
Leitsätze:
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht muss in seiner Entscheidung jedoch nicht ausdrücklich und im Einzelnen sämtliche von den Beteiligten im Lauf des Verfahrens vorgetragenen Tatsachen und Rechtsansichten erörtern. Vielmehr sind in der Entscheidung nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt. (Rn. 5)
2. Verfügt ein Sozialarbeiter aus einem ihm von der Justizvollzugsanstalt übertragenen Gespräch mit dem Gefangenen über eigene Kenntnisse zu einem konferenzrelevanten Thema, bestehen keine Bedenken gegen eine Teilnahme an der Konferenz. (Rn. 6)
Hat der zuständige Rechtspfleger eine Rechtsbeschwerde trotz rechtzeitigen Bemühens des betroffenen Strafgefangenen nicht innerhalb der Einlegungsfrist aufgenommen, ist diesem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafvollzug, Rechtsbeschwerde, Einlegungsfrist, Aufklärungsrüge, rechtliches Gehör, Konferenz, Teilnehmerkreis, Sozialarbeiter
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 21.01.2025 – SR StVK 1807/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10593

Tenor

1. Dem Strafgefangenen wird, ohne hierfür Kosten zu erheben, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.
2. Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 21. Januar 2025 wird auf seine Kosten als offensichtlich unbegründet verworfen (§ 119 Abs. 3 StVollzG).
3. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 100 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Schreiben vom 4. November 2024 hat der Strafgefangene bei der Strafvollstreckungskammer beantragt, festzustellen, dass die Konferenz am 16. Mai 2024 hinsichtlich der Teilnehmer rechtswidrig gewesen wäre. Ein vom Antragsteller namentlich benannter Sozialarbeiter hätte teilgenommen, obwohl dieser nach eigener Aussage nicht der maßgebliche Behandler gewesen sei. Dies stelle einen Dauerverstoß gegen Art. 175 und 176 BayStVollzG i.V.m. Art. 183 BayStVollzG sowie mit Blick auf die anschließende Lockerungsentscheidung einen Verstoß gegen Art. 15 BayStVollzG dar. Die Justizvollzugsanstalt hat in ihrer Stellungnahme insoweit unwidersprochen ausgeführt, dass dem bei der Konferenz anwesenden Sozialarbeiter in der Sozialtherapeutischen Abteilung für Gewalttäter der Aufgabenbereich der Motivations- und Informationsgespräche auch mit dem Antragsteller übertragen sei und der Sozialarbeiter mit dem Antragsteller im April 2024 dementsprechend Kontakt aufgenommen hätte, wobei es jedoch nicht zu einem ausführlichen Gespräch gekommen wäre. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2024 hat der Strafgefangene seine Rechtsauffassung weiter begründet. Die Rechtsvorschriften für das Aufstellungsverfahren des Vollzugsplans müssten beachtet werden. Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing hat den Antrag des Strafgefangenen mit Beschluss vom 21. Januar 2025 als jedenfalls unbegründet zurückgewiesen, da die Teilnahme des Sozialarbeiters nicht zu beanstanden sei. Gegen diesen ihm am 24. Januar 2025 zugestellten Beschluss hat der Strafgefangene zur Niederschrift des Amtsgerichts Straubing am 6. März 2025 Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts erhoben hat. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen als unzulässig zu verwerfen.
II.
2
Dem Strafgefangenen ist gemäß Art. 208 BayStVollzG, § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, § 44 Satz 1, § 45, § 46 Abs. 1 StPO antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen, da er die Frist trotz rechtzeitigem Bemühen wegen der ihm nicht zurechenbaren Verzögerung des angeforderten Urkundsbeamten unverschuldet versäumt hat. Der zuständige Rechtspfleger hat bestätigt, dass es ihm aus dienstlichen Gründen, trotz rechtzeitiger Anforderung seitens des Strafgefangenen mit Schreiben vom 28. Januar 2025, bis zum Tag der Niederschrift nicht möglich gewesen sei, die Rechtsbeschwerde aufzunehmen.
III.
3
Die Rechtsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet (§ 119 Abs. 3 StVollzG).
4
Ergänzend bemerkt der Senat:
5
1. Die Aufklärungsrügen versagen, weil die vom Strafgefangenen vermissten Beweiserhebungen zu angeblichen Äußerungen des Sozialarbeiters im Nachgang zur Konferenz, zu der angeblichen Einstellung des Sozialarbeiters zu gerichtlichen Entscheidungen, zur Qualifikation und Motivation von Mitarbeitern, zur Tiefe der Prüfung nach Art. 15 BayStvollzG, zum Bedürfnis einer Sozialtherapie, zur jährlichen Anzahl der Motivationsgespräche, zur Antwort des Sozialarbeiters am 26. April 2024, zur Annahme von Behandlungsmaßnahmen, zu den Teilnehmern weiterer Konferenzen, zu Nebentätigkeiten von Bediensteten, zur rechtlichen Möglichkeit einer Zwangstherapie und zum Vorenthalten eines Stifts für die Entscheidung der Teilnahmeberechtigung des Sozialarbeiters ohne Bedeutung sind. Sollte die Rechtsbeschwerde die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen wollen, gilt entsprechendes. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht wird dadurch nicht verpflichtet, dem Vorbringen der Beteiligten zu folgen. Es muss in seiner Entscheidung auch nicht ausdrücklich und im Einzelnen sämtliche von den Beteiligten im Lauf des Verfahrens vorgetragenen Tatsachen und Rechtsansichten erörtern. Vielmehr sind in der Entscheidung nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt. Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht nicht auf sämtliche Begründungselemente des Beteiligtenvorbringens eingegangen ist, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht berücksichtigt, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (st. Rspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 ff, juris Rn. 39). Der Antragsteller hat in der Rechtsbeschwerde nicht hinreichend dargelegt, weshalb seine Ausführungen entscheidungserheblich gewesen sein könnten. Auch nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerde fand vor der in Rede stehenden Konferenz am 26. April 2024 ein Gespräch zwischen dem Strafgefangenen und dem an der späteren Konferenz teilnehmenden Sozialarbeiter im Rahmen einer Therapie-Motivation statt, dass der Antragsteller von sich aus beendete. Der Sozialarbeiter verfügte daher über eigene Kenntnisse zu dem Verlauf des Gesprächs mit dem Antragsteller.
6
2. Auch in der Sache weist die angefochtene Entscheidung im Ergebnis keinen Rechtsfehler auf. Zutreffend hat die Strafvollstreckungskammer den Vortrag des Antragstellers und seinen Antrag dahingehend verstanden, dass er weder den Vollzugsplan noch die Lockerungsentscheidung anfechten wollte. Die Prüfung des Vollzugsplans und der Bescheid vom 23. Mai 2024 sind nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerde vielmehr Gegenstand gesonderter Strafvollzugsverfahren. Verfahrensgegenständlich war – insoweit abweichend zu dem vom Kammergericht entschiedenen Fall (KG, Beschluss vom 21. Juli 2010 – 2 Ws 117/10 Vollz-, juris; zum Teilnehmerkreis vgl. auch Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl. § 159 Rn. 1) – ausschließlich die Frage, ob die Teilnahme des konkreten Sozialarbeiters zu beanstanden sei, nachdem der Antragsteller im Strafvollzugsverfahren keinen konkreten Therapeuten, der bei der Konferenz hätte anwesend sein müssen, benannt hat und zudem im Strafvollzug eine therapeutische Behandlung abgelehnt hatte. Auch wenn Konstellationen denkbar sind, dass sich die Anwesenheit einer bestimmten Person, insbesondere wenn sie außenstehend ist, bei der Konferenz als rechtswidrig erweisen könnte, rechtfertigt der Vortrag des Strafgefangenen keine Bedenken gegen die Teilnahme des unstreitig mit der Therapiemotivation des Strafgefangenen konkret und zeitnah dienstlich befassten Sozialarbeiters, so dass der Senat die sich anschließende Frage, ob der Feststellungsantrag hier anderen Antragsarten gegenüber subsidiär wäre, dahin stehen lässt. Der Beschluss ergeht einstimmig.
IV.
7
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus Art. 208 BayStVollzG, § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, § 65 Satz 1, §§ 60, 52 Abs. 1 GKG.