Titel:
Verweisungsbeschluß, Keine Klageänderung, Klageänderungen, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Änderung des Streitgegenstands, Identität des Streitgegenstands, Widerrufsrecht, Fernunterrichtsschutzgesetz, Berichtigung Beschlüsse, Verletzung rechtlichen Gehörs, Örtliche Zuständigkeit, Widerrufsfrist, Einheitlicher Lebenssachverhalt, Bindungswirkung einer Verweisung, Umfang der Bindungswirkung, Erledigungserklärung, Materiellrechtliche Ansprüche, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Zahlungsantrag, Amtsgerichte
Schlagworte:
Verweisungsbeschluss, Zuständigkeitskonflikt, Klageänderung, Bindungswirkung, Lebenssachverhalt, Streitgegenstand, Erledigungserklärung
Vorinstanz:
AG München vom -- – 212 c 14677/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 10353
Tenor
Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Mitte.
Gründe
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Vertrags über das im Internet unter anderem auf Social-Media-Plattformen beworbene Produkt „D. R. – Einkommen auf Autopilot“.
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Mit ihrer zum Amtsgericht München erhobenen Klage hat die Klägerin von der Beklagten, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Rückzahlung des Entgelts in Höhe von 3.570,00 € nebst Zinsen und die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie habe das als Online-Coaching-Kurs beschriebene Produkt im Dezember 2022 durch das Anklicken verschiedener Links erworben. Zu den jeweiligen Handlungsschritten und zur sofortigen Bezahlung des Entgelts sei sie in einem Telefongespräch gedrängt worden. Ihr Gesprächspartner habe sich als Mitarbeiter der L. GmbH vorgestellt. Die digitalen Produkte, für die sie im Anschluss an das Telefonat den Zugangslink erhalten habe, hätten sich hauptsächlich in Downloads von Videoaufzeichnungen erschöpft. Auch sei der Name ihrer Vertragspartnerin, der Beklagten, erstmals in der Bestellbestätigung und Rechnung genannt worden. Sowohl über den Inhalt des Produkts als auch über die Person ihrer Vertragspartnerin sei sie mithin bei Vertragsabschluss arglistig getäuscht worden. Der Vertrag sei zudem wegen Vorliegens eines sittenwidrigen Schneeballsystems und wegen Wuchers nichtig. Aus allen diesen Gründen sei kein wirksamer Vertrag mit der Beklagten zustande gekommen. Den Vertrag habe sie – die Klägerin – am Folgetag, dem 20. Dezember 2022, widerrufen. Zu Unrecht habe die Beklagte den Widerruf mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Klägerin im Rahmen des Bestellprozesses der Ausführung des Vertrags vor Ablauf der Widerrufsfrist zugestimmt habe, mit der Vertragsausführung bereits begonnen worden und dadurch das Widerrufsrecht erloschen sei. Mit Anwaltsschriftsatz vom 27. April 2023 habe sie außerdem den Vertrag angefochten. Vorsorglich trete sie wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage vom Vertrag zurück.
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Die Klägerin ist in M. wohnhaft. Die Beklagte hat ihren Sitz in B., ihre Geschäftsadresse liegt im Bezirk des Amtsgerichts Mitte. Zur örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts hat sich die Klägerin auf den besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 Abs. 1 ZPO berufen. Dieser befinde sich an ihrem Wohnsitz, da die Beklagte verpflichtet gewesen sei, ihr die Zugangsdaten an ihrem Wohnort zukommen zu lassen. Ihr Wohnort sei auch derjenige Ort, an dem sich das Produkt nach dem erklärten „Rücktritt“ vom Vertrag bestimmungsgemäß befinde.
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Mit Beschluss vom 19. September 2023 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. November 2023 hat das Amtsgericht München den Rechtsstreit nach Hinweis und Anhörung beider Parteien zur Zuständigkeitsfrage auf den Antrag der Klägerin an das Amtsgericht Mitte verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Erfüllungsort für die den Gegenstand des Verfahrens bildende Verpflichtung liege in B. Dies gelte unabhängig davon, ob man für Unterrichtsverträge einen gemeinsamen Erfüllungsort am Kursort – hier in B. – annehme. Streitige Verpflichtung sei die begehrte Zahlung im Wege der Rückabwicklung eines Vertrags, bei dem es sich nicht um einen Kaufvertrag handele. Die Beklagte sei daher an ihrem Sitz auf Zahlung in Anspruch zu nehmen.
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Gegenüber dem Amtsgericht Mitte hat die Klägerin den Rechtsstreit hinsichtlich des Hauptsachebetrags für erledigt erklärt, nachdem ihr der Online-Bezahldienst P. das Entgelt erstattet hatte.
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Die Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen und die Erhebung einer auf Zahlung gerichteten Widerklage angekündigt. Sie hat den Tatsachenvortrag der Klägerin bestritten, zum Vertragsinhalt ausgeführt und das Bestehen eines Widerrufsrechts bereits deshalb bestritten, weil die Klägerin nach der objektiven Zweckrichtung des Vertrags als Existenzgründerin, mithin als Unternehmerin anzusehen sei; das Coaching führe den Coachee schrittweise durch den Aufbau eines Geschäfts im Bereich des Vertriebs von digitalen Dienstleistungen.
7
Die Klägerin hat daran festgehalten, dass die Erstattung durch P. ein erledigendes Ereignis darstelle und ein Entgeltanspruch nicht bestanden habe. Für ihre Ansicht, dass die Beklagte kein Entgelt zu beanspruchen gehabt habe, hat sie sich in diesem Schriftsatz vom 23. Mai 2024 erstmals – unter Verweis auf ihr bisheriges Vorbringen im Übrigen – auch darauf berufen, dass der streitgegenständliche Kurs unter das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) falle. Die Voraussetzungen des § 1 FernUSG seien erfüllt, was sich bereits aus den Angaben der Beklagten selbst ergebe. Da die Beklagte nicht über die nach diesem Gesetz erforderliche staatliche Zulassung verfüge, sei der Vertrag nichtig. Gleichzeitig hat sie die Angaben der Beklagten zum Inhalt des Coachings bestritten und geltend gemacht, dass sich deren Leistungspflicht aus der Bestellzusammenfassung nicht in der rechtlich erforderlichen Klarheit erkennen lasse.
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Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass im Streitfall das Fernunterrichtsschutzgesetz aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht anwendbar sei (keine Überwachung des Lernerfolgs; keine Anwendbarkeit des Gesetzes im B2B-Verhältnis).
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. März 2025 hat das Gericht auf Bedenken gegen die Zuständigkeit des Amtsgerichts Mitte hingewiesen; für Streitigkeiten aus einem Vertrag im Sinne des Fernunterrichtsschutzgesetzes bestehe gemäß § 26 Abs. 1 FernUSG ein ausschließlicher Gerichtsstand am Wohnsitz der Klägerin. Einer Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses stehe entgegen, dass in dem erstmaligen Berufen auf das Vorliegen eines Fernunterrichtsvertrags eine (sachdienliche) Klageänderung liege, weshalb § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO nicht zur Anwendung komme. Sachanträge sind in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt worden.
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Auf den in der Sitzung gestellten Verweisungsantrag der Klägerin hat sich das Amtsgericht Mitte mit am 5. März 2025 verkündeten Beschluss für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht München verwiesen. Zur Begründung hat es auf den erteilten Hinweis Bezug genommen.
11
Das Amtsgericht München hat mit Beschluss vom 11. März 2025 die Übernahme abgelehnt und die Akten dem Amtsgericht Mitte zurückgeleitet. Dieses hat die Akten dem Amtsgericht München unter Bezugnahme auf den Verweisungsbeschluss vom 5. März 2025 zurückgegeben mit dem Bemerken, dass anstelle einer einfachen Ablehnung der Übernahme ein Vorgehen nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO angezeigt wäre. Mit Beschluss vom 3. April 2025 hat das Amtsgericht München das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt. Es ist der Ansicht, dass der Verweisungsbeschluss vom 19. September 2023 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. November 2023 für das Amtsgericht Mitte bindend sei, weil keine Klageänderung vorliege. Die Klägerin habe lediglich den unverändert streitgegenständlichen Rückzahlungsanspruch mit weiteren rechtlichen Argumenten untermauert.
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Die Parteien haben im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung erhalten, hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht.
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Auf die zulässige Vorlage des Amtsgerichts München ist das Amtsgericht Mitte als örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen.
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1. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.
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a) Die Bestimmung des zuständigen Gerichts obliegt gemäß § 36 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 9 EGZPO dem Bayerischen Obersten Landesgericht.
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Das im Instanzenzug nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht über den am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichten – dem Amtsgericht München und dem Amtsgericht Mitte – ist der Bundesgerichtshof. An dessen Stelle entscheidet in der Streitsache nicht das Kammergericht, sondern das Bayerische Oberste Landesgericht, weil ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst gewesen ist. Denn das Amtsgericht München ist nicht erstmals aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Mitte mit der Sache befasst worden, sondern bereits aufgrund der Klage. Dass das Amtsgericht Mitte von einer Klageänderung ausgeht, die zu einer (aus seiner Sicht „erstmaligen“) Verweisung des über einen neuen Streitgegenstand rechtshängig gewordenen Streits berechtige, ändert daran nichts. Der Ausgangspunkt des Zuständigkeitskonflikts liegt nicht erst in der verweisenden Entscheidung des Amtsgerichts Mitte und der die Übernahme ablehnenden Entscheidung des Amtsgerichts München, sondern bereits in dessen Verweisungsbeschluss. Denn der Kompetenzkonflikt gründet in der unterschiedlichen Antwort auf die Frage, ob der zuerst vom Amtsgericht München ausgesprochenen Verweisung bindende Wirkung zukommt. Bei der Entscheidung des Zuständigkeitsstreits sind deshalb die eingetretenen verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen zu prüfen, sodass auch der erste im Verfahren ergangene Verweisungsbeschluss in den Blick zu nehmen ist. Die Frage, ob eine Klageänderung vorliegt, stellt sich lediglich als Vorfrage für den Umfang der Bindungswirkung des ersten Verweisungsbeschlusses dar.
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b) Die mit der Sache befassten Gerichte haben sich „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt, das Amtsgericht München mit dem nach Rechtshängigkeit ergangenen unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 19. September 2023 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. November 2023 und erneut in dem die Übernahme des Rechtsstreits ablehnenden Beschluss vom 11. März 2025, das Amtsgericht Mitte mit dem die eigene Zuständigkeit verneinenden Verweisungsbeschluss vom 5. März 2025. Diese Entscheidungen sind den Parteien jeweils bekanntgegeben worden. Die in dieser Weise jeweils ausgesprochene verbindliche Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt alle Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12 m. w. N.; Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.).
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2. Zuständig ist infolge der bindenden Verweisung des Rechtsstreits durch das Amtsgericht München das Amtsgericht Mitte.
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a) Im Fall eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache zuerst verwiesen worden ist. Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist (BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 14 f.). Eine Verweisung bindet das Empfangsgericht nur dann nicht, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen worden ist oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 13 f.]; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16).
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Weder ist die dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München zugrundeliegende Annahme, für den mit der Klage geltende gemachten Anspruch sei das Amtsgericht Mitte örtlich zuständig, willkürlich noch ist die Verweisung unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 oder Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergangen. Ob der Beschluss in jeder Hinsicht rechtlich einwandfrei begründet ist, ist unerheblich. Das Amtsgericht Mitte hat seine Zuständigkeit daher seinerzeit zu Recht nicht in Zweifel gezogen, vielmehr das Verfahren übernommen und durch Anberaumung eines Verhandlungstermins weiterbetrieben.
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b) Eine erneute Prüfung der Zuständigkeit und Verweisung des Rechtsstreits war auch nicht wegen einer Klageänderung ausnahmsweise zulässig.
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aa) Die Bindungswirkung einer Verweisung findet ihre Grenze dann, wenn der Kläger einen neuen Streitgegenstand zur Entscheidung stellt und damit die Klage ändert. Denn aufgrund einer Klageänderung kann eine zunächst gegebene gerichtliche Zuständigkeit nachträglich entfallen; der im deutschen Zivilprozessrecht gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO geltende Grundsatz der perpetuatio fori erfasst Fälle der Klageänderung nicht (BGH, Urt. v. 17. April 2013, XII ZR 23/12, NJW 2013, 2597 Rn. 23; Urt. v. 26. April 2001, IX ZR 53/00, NJW 2001, 2477 [juris Rn. 11]; Beschluss vom 17. Mai 1989, I ARZ 254/89, NJW 1990, 53 [juris Rn. 8]); Greger in Zöller, ZPO, § 261 Rn. 12; Anders in Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl. 2025, § 261 Rn. 24; Roth in Stein, ZPO, 24. Aufl. 2024, § 261 Rn. 36, 43). Gleiches gilt nicht bei einer bloßen Änderung der Klagebegründung. In einem solchen Fall greift vielmehr der in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO enthaltene Grundsatz, der auch dann gilt, wenn auf der Grundlage des nachträglichen Vorbringens von Anfang an eine anderweitige ausschließliche Zuständigkeit bestanden hätte (vgl. BGH NJW 2001, 2477 [juris Rn. 10]). Erhalten bleibt danach die einmal gegebene örtliche Zuständigkeit, auch wenn sie durch eine Verweisung begründet worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1993, XII ARZ 22/93, NJW-RR 1994, 126 [juris Rn. 4]).
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bb) Eine Klageänderung, § 263 ZPO, liegt im Streitfall nicht vor.
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Ein Klageänderung liegt dann vor, wenn entweder der Klageantrag oder der Klagegrund ausgewechselt wird, oder wenn beide Elemente verändert werden (Becker-Eberhard in Münchener Kommentar zur ZPO, 7. Aufl. 2025, § 263 Rn. 7 m. w. N.).
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Entgegen der Meinung des Amtsgerichts Mitte hat die Klägerin den Klagegrund nicht geändert.
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(1) Der prozessuale Anspruch (Streitgegenstand; § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) wird bestimmt durch den Antrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. An diesen prozessualen Anspruch (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist das Gericht gemäß § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO gebunden. Es ist zwar verpflichtet, den vorgetragenen Lebenssachverhalt umfassend rechtlich daraufhin zu überprüfen, ob danach der Klageantrag begründet ist, aber nicht berechtigt, das mit der Klage Verlangte aus einem anderen als dem prozessualen Anspruch zuzusprechen (BGH, Urt. v. 1. Oktober 2024, KZR 60/23 – LKW-Kartell V, WM 2024, 2258 Rn. 14; Urt. v. 31. Mai 2022, VI ZR 804/20, NJW-RR 2022, 1071 Rn. 10; Urt. v. 7. Dezember 2017, IX ZR 45/16, NJW 2018, 608 Rn. 9; Urt. v. 3. April 2003, I ZR 1/01 – Reinigungsarbeiten, BGHZ 154, 342 [juris Rn. 44]).
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Zum Anspruchsgrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den die klagende Partei zur Stützung ihres Rechtsschutzbegehrens dem Gericht vorträgt. Vom Streitgegenstand werden damit alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen (BGH, Urt. v. 5. Juli 2016, XI ZR 254/15, BGHZ 211, 189 Rn. 24 m. w. N.). Das gilt unabhängig davon, ob die einzelnen Tatsachen des Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht und auch unabhängig davon, ob die Parteien die zunächst nicht vorgetragenen Tatsachen des Lebensvorgangs damals bereits kannten und hätten vortragen können. Denn der zur Bestimmung des Streitgegenstands maßgebliche Klagegrund geht über die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale einer Anspruchsgrundlage ausfüllen, hinaus. Die Parteien bestimmen gemäß dem im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatz zwar über den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt. Sie können jedoch den Streitgegenstand nicht durch die Gestaltung ihres Vortrags – bewusst oder unbewusst – willkürlich begrenzen (BGH, Urt. v. 23. Juni 2015, II ZR 166/14, NJW 2015, 3040 Rn. 14; Urt. v. 22. Oktober 2013, XI ZR 42/12, BGHZ 198, 294 Rn. 15, 21; Urt. v. 27. September 2011, II ZR 221/09, WM 2011, 2223 Rn. 21; Urt. v. 19. Dezember 1991, IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 [juris Rn. 16]).
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Die Einheitlichkeit des Klageziels genügt für sich genommen nicht, um nur einen Streitgegenstand anzunehmen. Kann die klagende Partei die Klagesumme nur einmal beanspruchen, liegt bei einer Mehrheit von Streitgegenständen eine alternative Klagehäufung im Sinne des § 260 ZPO vor, bei der allerdings angegeben werden muss, in welcher Reihenfolge das Klagebegehren im Hinblick auf die verschiedenen Streitgegenstände gestützt wird (BGHZ 211, 189 Rn. 25).
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Nur ein Streitgegenstand ist gegeben, wenn der Tatsachenstoff nicht sinnvoll auf verschiedene eigenständige, den Sachverhalt in seinem Kerngehalt verändernde Geschehensabläufe aufgeteilt werden kann, selbst wenn diese einer eigenständigen rechtlichen Bewertung zugänglich sind. Eine Mehrheit von Streitgegenständen liegt jedoch dann vor, wenn die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche durch eine Verselbständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2025, XI ZB 26/23, BKR 2025, 376 Rn. 15; Urt. v. 21. November 2017, II ZR 180/15, WM 2018, 367 Rn. 17 f.; BGHZ 198, 294 Rn. 15; Urt. v. 24. Januar 2013, I ZR 60/11, GRUR 2013, 397 Rn. 13; Urt. v. 11. Juli 1996, III ZR 133/95, NJW 1996, 3151 [juris Rn. 14]; Urt. v. 27. Mai 1993, III ZR 59/92, NJW 1993, 2173 [juris Rn. 9]). Bloße Ergänzungen oder Berichtigungen der mit der Klage vorgetragenen tatsächlichen Angaben fallen unter § 264 Nr. 1 ZPO und stellen für sich genommen keine Änderung des Klagegrundes und somit keine Änderung des Streitgegenstands dar. Die Identität des mit der Klage in das Verfahren eingeführten Anspruchsgrundes wird vielmehr dann aufgehoben, wenn durch neue Tatsachen der Kern des in der Klage angeführten Lebenssachverhalts verändert wird. Dabei muss es sich um wesentliche Abweichungen handeln (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2006, KZR 45/05 – Lesezirkel II, NJW 2007, 83 Rn. 11).
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(2) Das Amtsgericht Mitte geht bei der Bestimmung dessen, was noch zu demselben, den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt gehört, von einer zu engen Sichtweise aus. Darauf beruht die seinem Verweisungsbeschluss zugrundeliegende Auffassung, dass der nachträglich geltend gemachte Unwirksamkeitsgrund, den die Klägerin auf § 7 Abs. 1, § 12 Abs. 1 Satz 1 FernUSG i. V. m. § 134 BGB gestützt hat, als Klageänderung zu bewerten sei.
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Der mit der vorliegenden Klage erhobene prozessuale Anspruch wird gekennzeichnet durch die Gesamtumstände der Situation rund um den Vertragsabschluss und -widerruf. Bei natürlicher Betrachtungsweise stellen sie einen einheitlichen Lebenssachverhalt dar, aus dem die begehrte Rechtsfolge (Rückzahlung des Entgelts) hergeleitet worden ist. In materiell-rechtlicher Hinsicht kommen Ansprüche jedenfalls aus Bereicherungsrecht und – da der Widerruf eines gemäß §§ 134, 138 BGB nichtigen Verbrauchergeschäfts grundsätzlich möglich ist (BGH, Urt. v. 25. November 2009, VIII ZR 318/08, BGHZ 183, 235 Rn. 14) – auf Rückgewähr als Rechtsfolge des Widerrufs in Betracht, die zueinander im Verhältnis der Anspruchskonkurrenz stehen. Eine sinnvolle Aufteilung des mit der Klage vorgetragenen Tatsachenstoffs auf unterschiedliche, den einzelnen Anspruchsnormen zugeordnete Geschehensabläufe ist im Streitfall nicht möglich (anders zu Ansprüchen auf Schadensersatz wegen vorvertraglichen Aufklärungsverschuldens einerseits und auf Rückabwicklung aufgrund deutlich später erfolgten Widerrufs andererseits: BGHZ 211, 189 Rn. 23, 26). Unter anderem die Umstände des Vertragsabschlusses und die Inhalte der vertraglichen Leistungspflichten sind maßgeblich sowohl für die Frage der Wirksamkeit als auch für die Frage der Widerruflichkeit des Vertrags. Zudem steht der erklärte Widerruf nach dem Vorbringen der Klägerin in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss. Die sich jeweils ergebenden Rückgewährpflichten unterscheiden sich nicht wesentlich (s. aber OLG Stuttgart, Urt. v. 4. Februar 2025, 6 U 46/24, juris Rn. 81, aber auch Rn. 32 – 34). Im Übrigen wird bereits der mit der Klage geltend gemachte Rückzahlungsanspruch sowohl aus der Nichtigkeit des Vertrags als auch aus dem erklärten Widerruf hergeleitet. Der gesamte so umgrenzte Lebenssachverhalt bildet den Anspruchsgrund der erhobenen Klage.
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In ihrer Replik auf die Klageerwiderung hat die Klägerin mit dem Verweis auf §§ 1, 12 FernUSG lediglich einen weiteren rechtlichen Grund für die von ihr angenommene anfängliche Nichtigkeit des Vertrags geltend gemacht und hierfür ihr tatsächliches Vorbringen geringfügig ergänzt. Die ergänzende Tatsachenbehauptung besteht darin, dass – ausweislich der Klageerwiderung – die Voraussetzungen des § 1 (Abs. 1) FernUSG erfüllt seien; das heißt, dass bei der entgeltlichen Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch den Kurs „D. R. – Einkommen auf Autopilot“ der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 FernUSG) und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG).
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Ein selbständiger Lebensvorgang und ein sich daraus ergebender, erkennbar unterschiedlich ausgestalteter Anspruch sind damit nicht in das Verfahren eingeführt worden. Bei einer natürlichen und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise bildet das ergänzte Vorbringen einen einheitlichen Tatsachenkomplex mit dem bereits mit der Klage unterbreiteten Vortrag zur Bewerbung des Online-Kurses im Internet, zu den Umständen des Vertragsabschlusses einschließlich der behaupteten Täuschung, zum tatsächlichen Inhalt der erhaltenen Leistung, zum bezahlten Entgelt sowie zu den – im Zusammenhang mit dem erklärten Widerrufsrecht gemachten – Ausführungen zur beruflichen Situation der Klägerin. Die aus dem ergänzten Vorbringen hergeleitete Rechtsfolge wird – wie bereits der mit der Klage erhobene Anspruch – im Kern darauf gestützt, dass der Vertrag keine Grundlage für das Behaltendürfen der Gegenleistung biete. Die damit gegebene Verklammerung der materiell-rechtlichen Ansprüche durch diese vom Gericht zu überprüfende Frage bewirkt, dass der Tatsachenstoff nicht sinnvoll auf einen dem Fernunterrichtsschutzgesetz betreffenden und einen den sonstigen Anspruchsnormen zugeordneten Geschehensablauf aufgeteilt werden kann.
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Dem steht nicht entgegen, dass sich die Vorschriften, aus denen sich die Unwirksamkeit des Vertragsabschlusses ergeben soll, in ihren Anforderungen an die jeweiligen Verbots- und Anfechtungstatbestände unterscheiden. Gleiches gilt in Bezug darauf, dass sich diese Anforderungen von den Voraussetzungen eines Widerrufsrechts teilweise unterscheiden. Unterschiede in den einzelnen Merkmalen der Anspruchsnormen, die auch für andere geläufige Konstellationen einer streitgegenstandsidentischen Anspruchskonkurrenz typisch sind, begründen im Regelfall keine unterschiedlichen Streitgegenstände, sofern die Haftung – wie es hier der Fall ist – maßgeblich auf dasselbe Tatgeschehen gestützt wird (vgl. BGH BKR 2025, 376 Rn. 18; WM 2018, 367 Rn. 21, 25).
35
(3) Ein anderes Ergebnis folgt nicht daraus, dass die mangels Zustimmung der Beklagten einseitig gebliebene (teilweise) Erledigungserklärung der Klägerin zu einer Veränderung des Streitgegenstands geführt hat (dazu: BGH, Urt. v. 11. Dezember 2015, V ZR 26/15, WM 2016, 1748 Rn. 30; Beschluss vom 22. Juni 2004, X ZB 40/02, juris Rn. 9).
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Infolge dieser Klageänderung ist zwar hinsichtlich der Hauptsache nicht mehr der ursprüngliche Zahlungsantrag, sondern der Feststellungsantrag Gegenstand der vom Gericht zu treffenden Entscheidung. Weil aber für den ursprünglichen Zahlungsantrag auch insoweit, als eine Unwirksamkeit des Vertrags nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz in Rede steht, das Amtsgericht Mitte unbeschadet dessen örtlich zuständig ist, dass dieser Unwirksamkeitsgrund nicht bereits mit der Klage geltend gemacht worden war, geht die mit der Antragsumstellung verbundene Klageänderung nicht mit einem Wechsel in der Zuständigkeit einher. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Mitte für den zunächst verfolgten Zahlungsantrag folgt insoweit – wie ausgeführt – aus der Identität des Streitgegenstands.
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c) Der (erneute) Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Mitte vom 5. März 2025 bindet das Amtsgericht München nicht.
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Der Rückverweisung steht die fortdauernde Bindungswirkung der Erstverweisung entgegen.
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Ein Verweisungsbeschluss, der auf die rechtsfehlerhafte Annahme einer Klageänderung gestützt ist, ist nicht geeignet, die bindende Wirkung des im Rechtsstreit zuerst ergangenen Verweisungsbeschlusses aufzuheben.