Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 13.01.2025 – 4 U 80/24
Titel:

Amtshaftung der Gemeinde wegen übermäßiger Staubentwicklung auf Feldweg

Normenketten:
BGB § 254, § 839 Abs. 2 S. 1, Abs. 3
StVO § 45
BayStrWG Art. 53 Nr. 1, Art. 54 Abs. 1 S. 1
BayZustGVerk Art. 2 S. 1 Nr. 1, Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Gemeinde trifft sowohl in ihrer Eigenschaft als Trägerin der Straßenbaulast als auch als örtliche Straßenverkehrsbehörde eine Verkehrssicherungspflicht für eine „sonstige öffentliche Straße“ im Sinne des Art. 53 BayStrWG. Diese umfasst auch die Verpflichtung, vermeidbare Schäden zu verhindern, die durch einen aufgrund einer Straßensperrung verursachten Abkürzungsverkehr hervorgerufen werden können (hier: Schädigung von Gemüsepflanzen aufgrund übermäßiger Staubentwicklung). (Rn. 13 – 16)
2. Diese öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Verhinderung vermeidbarer Schäden entspricht der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, die jeden trifft. Das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB und die Sonderregelung des § 839 Abs. 3 BGB sind daher nicht anwendbar. (Rn. 19 – 20)
Schlagworte:
Amtshaftung der Gemeinde als örtliche Straßenverkehrsbehörde, Schäden durch Abkürzungsverkehr, öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht, Wegfall des Verweisungsprivilegs, Gemeinde, Verkehrssicherungspflicht, Abkürzungsverkehr, Amtshaftung, Gemüsepflanzen, Schadensersatz, Staubentwicklung, Straßenbaulast, Verweisungsprivileg, versäumtes Rechtsmittel
Vorinstanz:
LG Schweinfurt, Urteil vom 23.05.2024 – 12 O 1042/21
Fundstellen:
MDR 2025, 518
NJW-RR 2025, 535
BeckRS 2025, 1027
LSK 2025, 1027

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 23.05.2024, Az. 12 O 1042/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Berufungsstreitwert auf 6.354,00 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 03.02.2025.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen der (behaupteten) Schädigung seiner Gemüsepflanzen aufgrund einer durch Abkürzungsverkehr verursachten Staubentwicklung.
2
Der Kläger baut auf einem von ihm gepachteten Grundstück in A. Gemüse an. Von Juli 2020 bis Mai 2021 wurde die Ortsdurchfahrt in A. aufgrund von Bauarbeiten vollständig gesperrt. Die deshalb vom Landsratsamt X. ausgewiesene Umleitungsstrecke wurde von Verkehrsteilnehmern durch Nutzung einer erheblich kürzeren Wegstrecke über einen geschotterten Feldweg „…“ jedoch umgangen. Nachdem sich die dortigen Anwohner über die Staubbelastung beschwert hatten, ordnete das LRA X. dort eine Verbotsbeschilderung an. Der Abkürzungsverkehr erfolgte daraufhin über einen Feldweg, an dem das Pachtgrundstück des Klägers liegt. Nach einer Beschwerde des Klägers bei der Beklagten, dass seine Pflanzen durch den Abkürzungsverkehr geschädigt würden, wurde durch die Parteien ein Gutachten zur Schadensermittlungen an den Gemüsekulturen des Klägers in Auftrag gegeben. Dieses wurde nach einem Ortstermin am 14.08.2020 am 30.12.2020 durch den Sachverständigen B. erstattet (Anlage K3) und kommt zu dem Ergebnis, dass aufgrund der durch die Umgehungsstraße verursachte Staubentwicklung eine Verschmutzung der Pflanzen des Klägers erfolgte und deshalb ein Schaden in Höhe von 15.022,82 € entstanden sei.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte für einen ihm entstandenen Schaden, den er auf 17.115,05 € beziffert, verantwortlich sei. So sei die Beklagte als Straßenbaulastträger für den Feldweg verantwortlich. Zudem habe sie von der unteren Straßenbaubehörde (LRA X.) den Auftrag bekommen, die Baumaßnahmen im Einzelnen zu beauftragen und durchzuführen. Die Beklagte sei daher auch aus diesem Grund für den Abkürzungsverkehr und dessen negativen Folgen verantwortlich. Ferner sei die Beklagte aufgrund von Anwohnerbeschwerden auch bei anderen Wegen tätig geworden und habe den Kläger seit Mai 2020 mit deren Bewässerung beauftragt. Insoweit habe sie also die Problematik erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet; allerdings pflichtwidrig nicht bei dem Feldweg, der an die Anbauflächen des Klägers angrenzt. Ein Mitverschulden habe sich der Kläger nicht anrechnen zu lassen. Dieser habe sich nicht vorstellen können, dass durch die Staubentwicklung derartige Schäden entstehen könnten. Diese seien erst Anfang Juli 2020 entdeckt worden, weshalb man sich Mitte Juli 2020 an den Bürgermeister der Beklagten gewandt habe, der erklärt habe, dass es für die Gemeinde keine Schwierigkeiten machen würde, die Schadensersatzforderung bei ihrer Versicherung durchzusetzen.
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Die Beklagte wendet dagegen ein, dass sie schon nicht passivlegitimiert sei. Straßenverkehrsrechtlich zuständig sei vielmehr das LRA X. als untere Straßenverkehrsbehörde. Die Beklagte behauptet, dass sie keine öffentlich-rechtliche Verpflichtung hatte, eine Staubentwicklung durch den Abkürzungsverkehr zu verhindern. Soweit dies bei anderen Feldwegen auf Veranlassung der Beklagten tatsächlich erfolgt sei, habe es sich um überobligatorische Maßnahmen gehandelt. Zudem sei der Beklagten nicht vorwerfbar, dass sie – wie im Übrigen laut dessen eigenem Vortrag auch der Kläger selbst – nicht vorhergesehen habe, dass durch die Staubentwicklung Ernteausfälle entstehen könnten. Es fehle damit schon an der Haftungsvoraussetzung des Verschuldens der Beklagten.
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Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 23.05.2024 nach Beweisaufnahme (Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst persönlicher Anhörung des Gutachters sowie Einvernahme des Privatgutachters der Parteien und einer Verwaltungsangestellten der Beklagten als Zeugen) und persönlicher Anhörung des Klägers und des Bürgermeisters der Beklagten teilweise zugesprochen. Es hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte für die Bauüberwachung zuständig gewesen sei und damit auch die Folgen des Straßenausbaus, wie die negativen Folgen des Abkürzungsverkehrs zu überwachen hatte. Die Beklagte habe auch die Verpflichtung getroffen, dass durch den übermäßigen Abkürzungsverkehr und die damit einhergehende Staubentwicklung, von der sie auch aufgrund Beschwerden von Anwohnern Kenntnis hatte, keine Schäden entstehen. Der Beklagten sei daher der Vorwurf der Fahrlässigkeit zu machen. Allerdings treffe den Beklagten ein mit 50% anzunehmendes Mitverschulden, da sich auch ihm eine Schädigung der Pflanzen durch die enorme Staubentwicklung hätte aufdrängen müssen, zumal er von der Beklagten mit der Bewässerung von unbefestigten Wegen beauftragt worden sei. Das Landgericht hat unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen und des sachverständigen Zeugen einen Schaden von 12.708,00 € angenommen und aufgrund der angenommenen Mitverschuldensquote des Klägers diesem einen Betrag von 6.354,00 € nebst Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten zugesprochen.
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Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel der vollständigen Klageabweisung weiterverfolgt. Unter nochmaliger systematischer Darstellung der erstinstanzlichen Argumentation trägt sie insbesondere vor, dass sie keine Verantwortung für die durch die Straßenverkehrsbehörde angeordnete Umleitung trage und ihr daher das deswegen erhöhte Verkehrsaufkommen nicht zugerechnet werden könne. Darüber hinaus hätte der Kläger den Schaden durch verwaltungsrechtliche Rechtsbehelfe gegen die Straßenverkehrsbehörde mit dem Ziel einer Beschränkung des Straßenverkehrs abwenden können, so dass Amtshaftungsansprüche ausgeschlossen seien. Zudem liege ein überragendes Eigenverschulden des Klägers vor, nachdem dieser selbst vorgetragen habe, dass im Zeitpunkt der Begutachtung durch den Privatgutachter noch 80% des Schadens abwendbar gewesen sei. Auch rügt die Beklagte, dass sich das Landgericht bei der Bemessung der Schadenshöhe auf das Gutachten des Gerichtssachverständigen gestützt habe, der jedoch staubbedingte Schäden auf den vorliegenden Lichtbildern gerade nicht habe feststellen können.
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Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung. Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
II.
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Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Endurteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht, noch die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 513 Abs. 1, 529, 546 ZPO).
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Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlichen Gerichts gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb erneute Feststellungen durch das Berufungsgericht gebieten.
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Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen nur dann vor, wenn – aufgrund konkreter Anhaltspunkte – aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle erneuter Tatsachenfeststellungen die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. BGHZ 158, 269 ff. = NJW 2004, 1876 ff.; BGHZ 162, 313 ff. = NJW 2005, 1583 ff.; BGH NJW 2003, 3480 ff.).
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Diese Voraussetzungen für den Wegfall der Bindung an die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen liegen hier nicht vor. Das Landgericht hat den Sachverhalt auch rechtlich zutreffend gewürdigt. Der Senat schließt sich dem angefochtenen Urteil an und nimmt vorbehaltlich der nachfolgenden Ausführungen auf die dort getroffenen Feststellungen und die Begründung des Urteils Bezug.
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Ergänzend wird ausgeführt:
1) Passivlegitimation der Beklagten
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Die Beklagte ist passivlegitimiert. Der Vorwurf des Klägers stützt sich auf die Behauptung, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht durch eine unzureichende Überwachung des am Grundstück des Klägers vorbeiführenden Feldwegs verletzt, wodurch es durch den Abkürzungsverkehr zu einer erhöhten Staubentwicklung und schließlich zur Schädigung der Pflanzen gekommen sei. Entgegen der Auffassung des Klägers besteht eine entsprechende Verantwortlichkeit zwar nicht deswegen, weil das LRA X. die Beklagte damit beauftragt hat, die Baumaßnahmen zu beaufsichtigen und durchzuführen. Die vermehrte Nutzung des Feldwegs erfolgte nicht durch eine pflichtwidrige Beaufsichtigung oder Durchführung der Straßenbaumaßnahmen, was auch der Kläger nicht behauptet, sondern aufgrund der vom LRA X. vorgenommenen Straßensperrung und dem dadurch entstehenden Abkürzungsverkehr. Dass die Straßensperrung oder die Ausschilderung der „offiziellen“ Umleitungsstrecke pflichtwidrig vorgenommen worden wären, behauptet der Kläger ebenfalls nicht. Eine Haftung der Beklagten kommt jedoch unter den Gesichtspunkten in Betracht, dass diese verpflichtet gewesen wäre, die Staubentwicklung per se (durch Wässerung des Feldwegs) zu verhindern oder den Feldweg für den öffentlichen Verkehr zu sperren.
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Für beide Maßnahmen wäre die Beklagte zuständig gewesen.
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Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht und auch die Straßenverkehrssicherungspflicht beruht auf dem Rechtsgrundsatz, dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, verpflichtet ist, die ihm zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind. Die Verkehrssicherungspflicht auf öffentlichen Straßen (öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht) und die Straßenunterhaltungspflicht sind ihrem Rechtsgrund nach verschiedene, sich inhaltlich weitgehend deckende, jedoch nicht identische Rechtspflichten, die vielfach ein- und demselben Träger hoheitlicher Gewalt obliegen, nämlich dem jeweiligen Träger der (faktischen) Straßenbaulast (Zeitler/Häußler, 32. EL Januar 2023, BayStrWG Art. 9 Rn. 9, 13). Träger der Straßenbaulast für den Feldweg ist hier unproblematisch die Beklagte (Art. 54 Abs. 1 S. 1 BayStrWG). Legt man den Schwerpunkt der Verantwortlichkeit für die Staubentwicklung daher auf den (für den Abkürzungsverkehr nicht geeigneten) Zustand der Straße, ergibt sich insoweit eine Verantwortlichkeit der Beklagten als Straßenbaulastträger.
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Aber auch wenn der Schwerpunkt der Verantwortlichkeit darauf gelegt wird, dass überhaupt so viele Fahrzeuge den (hierfür nicht bestimmten) Feldweg befahren haben, folgt die Passivlegitimation der Beklagten aus dem Umstand, dass sie als örtliche Straßenverkehrsbehörde (Art. 2 S. 1 Nr. 1 ZustGVerk) gem. Art. 3 Abs. 1 ZustGVerk im Gemeindegebiet alle Aufgaben erfüllt, welche § 45 StVO den Straßenverkehrsbehörden zuweist, soweit sonstige öffentliche Straßen im Sinne des § 53 BayStrWG betroffen sind, also auch der Feldweg (Art. 53 Nr. 1 BayStrWG). Die Beklagte konnte daher gem. § 45 Abs. 1 StVO die Benutzung des Feldwegs beschränken oder verbieten. Hierauf konnte sich der Kläger auch berufen. Obwohl nämlich § 45 StVO strukturell in erster Linie auf den Schutz der Allgemeinheit gerichtet ist, hat er nach den allgemeinen Grundsätzen auch eine individualschützende Funktion, wenn subjektive öffentliche Rechte, namentlich die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Gesundheit und das durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Eigentum, die zentrale Schutzgüter der durch § 45 geschützten Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs sind, in individualisierbarer Weise betroffen sind (BeckOK StVR/Will, 25. Ed. 15.10.2024, StVO § 45 Rn. 28).
2) Vorwerfbare Pflichtverletzung der Beklagten
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Der Senat ist der Auffassung, dass die Beklagte die vorgenannten Möglichkeiten, eine Staubentwicklung zu vermeiden, vorwerfbar unterlassen hat. Wie bereits dargestellt, traf die Beklagte sowohl unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht als auch als Straßenverkehrsbehörde die Verpflichtung, Gefahren, die dem Eigentum der Anlieger drohen, zu verhindern. Hierzu war die Beklagte, wie sich unproblematisch aus der tatsächlich vorgenommenen Bewässerung von anderen Feldwegen ergibt, auch in der Lage. Soweit die Beklagte vorträgt, sie habe nicht erkennen können, dass durch die Staubentwicklung Schäden an Pflanzen benachbarter Grundstücke entstehen können, dringt sie hiermit schon deswegen nicht durch, da sich (laut unstreitigem Tatbestand) andere Anwohner beschwert hatten, dass Obst und Gemüse durch den Verkehr verschmutzt werde. Dass diese Gefahr dann auch landwirtschaftliche Flächen betreffen könnte, welche an durch den Abkürzungsverkehr genutzten unbefestigten Feldwegen liegen, und deshalb ein Schaden entstehen könnte, liegt aber gleichsam auf der Hand.
3) Mitverschulden
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Die Höhe des anzurechnenden Mitverschuldens des Klägers ist mit 50% nicht zu gering bemessen. Anders als die Beklagte meint, war auch nicht die Feststellung zu treffen, dass im Zeitpunkt der Begutachtung durch den Privatsachverständigen, noch 80% des Schadens abwendbar war. Zwar erfolgte ein entsprechender Vortrag des Klägers in der Replik vom 15.06.2023 (S. 3), allerdings wurde diesem Vortrag im nachfolgenden Schriftsatz des Klägers vom 17.08.2022 widersprochen und vorgetragen, dass die Schäden, welche vom Privatgutachter am 14.08.2020 festgestellt wurden, auch eingetreten und irreparabel gewesen seien und der andere Sachvortrag auf einem Missverständnis des klägerischen Rechtsanwalts beruhe. Letzteres ist unter Berücksichtigung des Inhalts des Privatgutachtens nachvollziehbar. Der Äußerung in der Replik kommt nicht die Wirkung eines gerichtlichen Geständnisses (§ 288 ZPO) zu. Die Beklagte wollte diesen Vortrag auch nicht gegen sich gelten lassen und als Urteilsgrundlage akzeptieren.
4. Ausgeschlossene Haftung
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Eine Haftung der Beklagten scheitert auch nicht an § 839 Abs. 1 S. 2 BGB. So hat die Rechtsprechung des BGH die Anwendbarkeit dieser Norm zunehmend eingeengt, wobei das Verweisungsprivileg zunächst bei einer dienstlichen Teilnahme eines Amtsträgers am allgemeinen Straßenverkehr abgelehnt wurde, in der Folgezeit aber auch bei einer Verletzung der einem Amtsträger als hoheitliche Aufgabe obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht, wie etwa bei der Pflicht für die Standsicherheit von Straßenbäumen zu sorgen, für nicht anwendbar erklärt wurde (BGH, Urteil vom 01-07-1993 – III ZR 167/92, NJW 1993, 2612, 2613). Auch im vorliegenden Fall, in dem durch den Zustand der Straße im Zusammenwirken mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen ein Schaden an benachbarten Grundstücken entsteht, beruht die Haftung im Ergebnis auf der Verantwortlichkeit der Beklagten für diejenigen Gefahren in ihrem Verantwortungsbereich und entspricht der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, die jedermann trifft. Es liegt keine Fallkonstellation vor, bei der die wahrzunehmenden Amtspflichten ausschließlich dem hoheitlichen Pflichtenkreis entlehnt sind, alle Merkmale hoheitlichen Handelns aufweisen und sich aus diesem Bereich auch nicht ausgliedern lassen, und wo deshalb für einen Wegfall des Verweisungsprivilegs kein Raum wäre (BGH, a.a.O., Rn. 11 – juris).
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Aus demselben Grund ist der Anspruch des Klägers auch nicht wegen § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. In der Sache stellt Absatz 3 eine Sonderregelung des mitwirkenden Verschuldens gegenüber der allgemeinen Vorschrift des § 254 BGB dar. Anders als in § 254 Abs. 1 BGB ist jedoch im Rahmen des § 839 Abs. 3 BGB eine Abwägung des Grades von Verursachung und Verschulden ausgeschlossen. Stattdessen tritt in dem Umfang, in dem das versäumte Rechtsmittel den Schaden verhindert hätte, ein Totalverlust des Ersatzanspruchs ein. Wie das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB diente auch der Wegfall des Amtshaftungsanspruchs bei schuldhafter Rechtsmittelversäumung in Absatz 3 ursprünglich dem persönlichen Schutz des Beamten und wird nach Einführung des Art. 34 GG damit gerechtfertigt, dem Verletzten die zu missbilligende Wahlmöglichkeit zu nehmen, entweder den rechtswidrigen Hoheitseingriff mit den ordentlichen Rechtsschutzmitteln abzuwehren oder aber diesen (freiwillig) zu dulden und dafür zu liquidieren (MüKoBGB/Papier/Shirvani, 9. Aufl. 2024, BGB § 839 Rn. 401; Staudinger/​Wöstmann, BGB (2020) § 839, Rn. 336). Wie auch für die Haftungseinschränkung des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB bleibt jedoch auch für diejenige des § 839 Abs. 3 BGB kein Raum, wenn der Amtshaftungsanspruch auf einen Verstoß gegen Pflichten gegründet wird, die nicht ausschließlich dem hoheitlichen Pflichtenkreis entlehnt sind (s.o.), sondern im Ergebnis eine Verkehrssicherungspflicht vorliegt, wie sie auch jeden Privaten bei der Eröffnung eines Verkehrs treffen. Der Beklagten steht daher nur der Einwand des Mitverschuldens gem. § 254 BGB zu.
5. Schadenshöhe
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Die vom Landgericht angenommene Schadenshöhe begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Unter Berücksichtigung des hier anwendbaren eingeschränkten Beweismaßstabs des § 287 ZPO, ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht unter Berücksichtigung des eingeholten Sachverständigengutachtens trotz bestehender Unsicherheiten in Bezug auf die Quantität der beschädigten Pflanzen einen Schaden in der tenorierten Höhe bejaht hat. Soweit die Beklagte einwendet, dass der gerichtliche Sachverständige auf den Lichtbildern des Privatgutachtens nicht eindeutig Staubschäden erkennen konnte, war zu berücksichtigen, dass der als Zeuge einvernommene Privatgutachter entsprechende Schäden bezeugt hat, worauf sich das Landgericht stützen konnte.
III.
22
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht (§ 522 Abs. 2 Nr. 3). Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, weil auszuschließen ist, dass in einer mündlichen Verhandlung neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu einer anderen Beurteilung führen.
23
Die beabsichtigte Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
24
Auf die bei Berufungsrücknahme in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung von 4,0 auf 2,0 (vgl. KV Nr. 1220, 1222) wird vorsorglich hingewiesen. Der Senat regt – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme des Rechtsmittels an.